Parasiten- oder Eingeweideschnecke (Entoconcha mirabilis oder Helicosyrinx parasita)

[321] Ohne uns auf die etwas schwierige systematische Erörterung einzulassen, schließen wir diesen Abschnitt über die Nacktkiemer mit der Beschreibung einer der merkwürdigsten Schnecken, die es gibt, eines Thieres, welches in so erstaunlicher Weise in Form und Leben von allen übrigen Klassengenossen abweicht, daß es seinen Entdecker, einen der größten und genialsten Naturforscher unseres Jahrhunderts, zu einer Hypothese veranlaßte, wodurch eines der wichtigsten, aus der Erfahrung sich ergebenden Naturgesetze, daß Gleiches nur von Gleichem oder höchst Aehnlichem stammt, geradezu auf den Kopf gestellt wurde. Die Geschichte und Entdeckungsgeschichte der wunderbaren Parasitenschnecke, Entoconcha mirabilis, nach neuerer Benennung Eingeweideschnecke, Helicosyrinx parasita, ist in vielfacher Beziehung so lehrreich und eröffnet so interessante Blicke in das Abhängigkeitsverhältnis thierischer Existenzen von einander, daß ein näheres Eingehen darauf geboten erscheint.

Seit der Mitte der vierziger Jahre bis in die funfziger hinein beschäftigte sich der große Berliner Physiolog und Zoolog Johannes Müller fast ausschließlich mit der Erforschung der Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Stachelhäuter oder Echinodermen, einer Klasse niederer Thiere, auf welche wir später einzugehen haben werden. Ein besonders günstiger Ort für diese Untersuchungen war und ist Triest. An regnerischen Tagen oder bei bewegter See versorgt uns der Fischmarkt mit reichlichem Material für Bleistift, Messer und Mikroskop, die glatte Meeresfläche aber ladet zu Exkursionen nach der von dem kleinen Städtchen Muggia genannten herrlichen Bai ein, von deren schlammigem Grunde das Schleppnetz reiche Beute heraufbringt. Auf und in [321] diesem Grunde lebt auch zu Tausenden und Millionen die Klettenholothurie (Synapta), ein wurmförmiges Echinoderm, dessen Vorderende wir in A abgebildet sehen. Zum Verständnis des Folgenden brauchen wir von dem Baue des durchscheinenden Körpers dieses zur späteren genaueren Betrachtung im Zusammenhange mit den anderen Stachelhäutern aufzuhebenden Thieres nur so viel zu wissen, daß die Leibeshöhle von dem von Fühlern umgebenen Munde aus von einem Darmkanale durchzogen ist, an dessen vorderer Strecke eine durch zwei ringförmige Anschwellungen ausgezeichnete Abtheilung (m) sich als ein Magen herausstellt.


A Die Holothurie Synapta digitata mit dem parasitischen Schneckenschlauche. Natürliche Größe. B Mittelstück der Synapta digitata mit dem Schneckenschlauche. Vergrößert.
A Die Holothurie Synapta digitata mit dem parasitischen Schneckenschlauche. Natürliche Größe. B Mittelstück der Synapta digitata mit dem Schneckenschlauche. Vergrößert.

Auch verlaufen auf demselben der Länge nach zwei Blutgefäße, von welcher das eine wegen seiner Lage »Bauchgefäß« zu benennen ist. Diese und viele andere Bewohner der Bai von Muggia wurden den damals und später Triest besuchenden Naturforschern gewöhnlich von dem im Fischerdorfe Zaule wohnenden Fischer Frusing und seiner Familie täglich nach Triest gebracht, wenn man nicht selbst die anstrengende Hantirung des Netzschleppens ausüben wollte. So hielt es auch Johannes Müller, so oft er nicht die feineren mikroskopischen Thierformen mit eigener Hand in einem engen Gazenetze von der Oberfläche des Meeres einzufangen hatte. Er entdeckte nun in einzelnen Exemplaren der Synapta einen Schlauch, dessen eines Ende im engsten Zusammenhange mit dem oben genannten Bauchgefäße des Echinoderms war, während das andere frei in der Leibeshöhle desselben flottirte. Die anatomische Beschaffenheit des Schlauches erregte bald die ganze Aufmerksamkeit des Beobachters; er erkannte, daß er es mit einem höchst sonderbaren Vorkommen innerhalb der Holothurie zu thun habe, und sein Erstaunen wuchs, als in dem Schlauche aus Eiern, welche unzweifelhaft ein Produkt des Schlauches waren – junge Schnecken zum Vorscheine kamen, ausgerüstet mit einer Schale, Fuß und Segel. Der Entdecker fragte sich natürlich, ob er es hier nicht mit einem Parasitismus zu thun habe. Allein es schien ihm der »schneckenerzeugende Schlauch« so gar nichts von einer Schnecke an sich zu haben, daß man ihn unmöglich für gleichwerthig mit einem solchen Thiere und etwa durch rückschreitende Metamorphose so umgewandelt halten könnte, auch schien ihm die Verbindung [322] zwischen der Synapta und dem Schneckenschlauche eine so innige zu sein, daß er die Idee ganz fallen ließ, es walte hier das Verhältnis von Wohnthier (Synapta) und Parasit (Schneckenschlauch), und in einer sehr geistreichen Schrift1 die Vermuthung plausibel zu machen suchte, der Schneckenschlauch sei ein Erzeugnis der Synapta. Er fand, daß die Erscheinung sich bei etwa einer von hundert Synapten zeigte und kam aus dem Labyrinth nicht zusammenpassender Thatsachen nicht anders heraus, als durch die kühne Annahme, es liege eine Art von Generationswechsel vor, aber ein Generationswechsel, bei welchem es nicht mit einem innerhalb eines und desselben anatomischen Grundtypus sich bewegenden Formenkreise – wir kennen ja zahlreiche Beispiele davon – sein Bewenden hätte, sondern wo der Organismus zu einer über sein Bereich weit hinausgehenden Kraftanstrengung befähigt würde und durch seine Erzeugnisse in einen anderen Typus überspränge. Der Schlauch wurde unter der mächtig arbeitenden Phantasie des großen Naturforschers zu einem Organe der Synapta, und der Fund war ihm um so willkommener, als er nun einen Weg gefunden zu haben glaubte, aus der ihm im Grunde widerstrebenden Annahme wiederholter Schöpfungen aus dem Nichts herauszukommen. Wie oft hörten wir den Ausspruch Johannes Müllers in Vorlesungen und Privatgespräch: der Eintritt jeder einzelnen Thierart sei supranaturalistisch, übernatürlich, das heißt der Beobachtung und Erklärung der Naturforschung entzogen. Nun war hier ein Fall, zwar unerhört, aber doch nicht absolut gegen die Natur, vielmehr, wie es schien, vorbereitet durch die vielen anderen Beispiele des regelmäßigen Generationswechsels, welcher das Erscheinen einer neuen thierischen Grundform an schon Vorhandenes anknüpfte. Johannes Müller glaubte also eine Erweiterung des Generationswechsels vor sich zu haben und sagte: »Wir sind auf diesem Felde schon an viel Wunderbares gewöhnt, welches sich doch demselben Gesetze fügen muß, und wir mußten noch auf starke Stücke gefaßt sein«. Allein dieser Sprung war doch zu stark, und so machte die Hypothese über das räthselhafte Binnenwesen der Klettenholothurie von Muggia zwar großes Aufsehen, fand aber keine Gläubigen.

Mehrere Zoologen versuchten sich an der Aufgabe, den wahren Zusammenhang zu entdecken, unter ihnen am ausdauerndsten Albert Baur, welcher monatelang in Triest und in einem Gasthause am Strande der Bai sich aufhielt, die Naturgeschichte der Synapta selbst vollständig aufklärte, das Verhältnis des fertigen Schlauches zu jener und die Erzeugung der jungen Schnecken in ihm ebenfalls alles Wunderbaren entkleidete, die Einwanderung der parasitischen Schnecke aber, denn eine solche ist der Schlauch, den Nachfolgern zu ergründen übrig ließ. Bis heute ist dieser letzte Theil der Aufgabe unerledigt, welche von der Berliner Akademie als Preisaufgabe gestellt war.

Die im Schlamme lebenden Synapten werden vom Grunde heraufgebracht, indem man einen Anker, dessen vier oder sechs Spitzen mit Werch umwickelt sind, vom Boote aus gleich einem Schleppnetze nach sich zieht. Die Thiere, deren Haut mit ankerförmigen Widerhaken gespickt ist, bleiben am Werche hängen. Man erhält jedoch nie eine ganze Synapta. Dieselben schnüren sich durch einen vom Nervensysteme hervorgerufenen Krampf in zwei bis sechs Centimeter lange Stücke der Quere nach ab, und man hat nun die Kopfenden oder, wenn der Kopf zu kurz abgeschnürt ist, die die Magenregion enthaltenden Stücke zu mustern, um auf die Schneckenschläuche zu stoßen. Die Arbeit ist eine höchst mühsame, da, wie gesagt, ungefähr auf hundert Synapten eine mit dem Schlauche behaftete kommt. Ausnahmsweise fand Baur in einer Synapta zwei oder drei, ja vier Schläuche; es passirte aber auch, daß fünfhundert bis sechshundert Kopfenden vergeblich durchsucht wurden. »Man hat kein anderes Mittel«, sagt Baur in seiner, von der Leopoldinischen Akademie herausgegebenen trefflichen Arbeit, »um den Schlauchkörper auch nur einmal zu beobachten, als daß man eine große Anzahl von Synapten-Individuen, beziehungsweise Synaptenstücken, sich verschafft und diese auf Anwesenheit des Körpers durchmustert. Bei der Durchsichtigkeit der Synapta erkennt man aber sofort, ohne sie zu öffnen, ob der gesuchte Körper darin enthalten ist oder nicht. Ich [323] beauftragte anfangs dieselben Fischer, welche für Johannes Müller die Thiere gefangen hatten, mir eine möglichst große Menge davon herbeizuschaffen. Ich ließ mir die Ausbeute jedes Fanges nach Triest bringen. Bald überzeugte ich mich, daß auch zu einer vorläufigen Untersuchung das so erhaltene Material nicht genügen konnte. Ich nahm deshalb während zweier Monate meinen Aufenthalt in Zaule. Während desselben wurden die Thiere von einer, wenn es das Wetter erlaubte, täglich und nur zu diesem Zwecke auslaufenden Fischerbarke gefangen. Die Barke mußte mehrere Stunden in der Mitte der Bucht von Muggia unter abwechselndem Auswerfen und Einziehen des Eisens kreuzen. Sie mußte, um das Segeln oder Rudern und zugleich das Auswerfen und Aufziehen des Eisens zu besorgen, von wenigstens zwei Mann bedient werden. Je größer die Zahl der Widerhaken an dem Eisen, je besser die Umwickelung mit Werch und je größer die Strecke am Meeresgrunde, welche von demselben durchfurcht wird, um so größer ist die Ausbeute. Die mit dem gesuchten Körper versehenen Synapta-Stücke konnten jedesmal noch während der Fahrt erkannt und abgesondert werden. Ich konnte auf einer Ausfahrt ein bis höchstens acht theils ganze, theils verstümmelte Exemplare des Schlauchkörpers bekommen. Die Hälfte des Tages konnte auf das Fangen, die Hälfte auf die Untersuchung verwendet werden.«

Nach diesen Bemerkungen, die wir einzuflechten zur Charakterisirung der Fangmethode dieser und anderer niederen Thiere und der Mühen, welche des Beobachters harren, nicht für überflüssig hielten, gehen wir nun endlich zur näheren Beschreibung der Parasiten-Schnecke über. Wir folgen natürlich Baur, zum Theile wörtlich. Die Abbildung ist auf Seite 322.

Der als parasitisches Wesen und zwar als eine Schnecke zu betrachtende Körper (F) ist gestreckt und cylindrisch; weder Rücken und Bauch, noch rechte und linke Seite sind zu unterscheiden. Er ist ohne Anhänge. Das Vorderende (a) ist knopfförmig; der Leib ist unregelmäßig spiralig gedreht. Die Färbung der Körperoberfläche ist ein bräunliches Gelb, wodurch es leicht wird, das Wesen durch die farblose und durchscheinende Leibeswand der Synapta hindurch zu erkennen. Durchschnittlich ist der ganze Schlauch 21/2 Centimeter lang. Dieser Schlauch ist nun in eigenthümlicher Weise organisirt. Er besitzt am knopfförmigen Ende eine Mundöffnung, welche in einen den vorderen Körpertheil einnehmenden und blind endigenden Darm (ab) führt. Der zweite, mittlere Cylinderabschnitt enthält einen sehr ausgedehnten Eierstock mit einer Eiweißdrüse (bc). Darauf folgt ein Raum (F), in welchem die sich vom Eierstocke loslösenden Eier reifen. In der kugelförmigen Anschwellung (e) reift der Samen, und das offene Körperende gestattet den Geschlechtsprodukten freien Austritt in den Leibesraum der Synapten. Nach dem zoologischen Adam Riese sind diese im innigen Zusammenhange stehenden Theile ausreichend, ein Ganzes zu bilden, ein Thier für sich. Dasselbe ist aber in ganz eigenthümlicher Weise an die Eingeweide der Synapta befestigt. Unsere Abbildung B zeigt ein geöffnetes Stück der Synapta; A ist die Leibeswand derselben, B eine Hautfalte, welche den Darm C in seiner Lage erhält und den Rücken der Synapta bestimmt. D ist das an der Rückenseite, E das an der Bauchseite des Darmes verlaufende Blutgefäß. In dieses letztere nun, und zwar immer in nächster Nähe des Magens, ist das Kopfende des Schlauches mit seiner knopfförmigen Anschwellung derart eingesenkt, daß es eine förmliche Verwachsung, ein unmittelbarer organischer Zusammenhang zu sein scheint, und Johannes Müller in der That deshalb eine Hervorbringung des Schlauches durch die Holothurie annahm. Es ist jedoch nichts als eine rein mechanische Befestigung, wie wir sie bei vielen Schmarotzern (z.B. Peltogaster, s. oben Seite 64) ebenso eng, ja sogar enger finden. Kurz, der Schlauchkörper hängt an dem Blutgefäße der Synapta, und er ernährt sich parasitisch vermittels seiner Mundöffnung und seiner Darmhöhle von dem Blute der Synapta.

Die Bewegungen des schlauchförmigen Thieres, welche man beobachten kann, beschränken sich darauf, daß, wenn man die Synapta im frischen Zustande aufschneidet, es seinen Körper krümmt und langsam verkürzt, indem es eine dichter gewundene Korkzieherform annimmt. Von allen Lebenserscheinungen aber, welche der Schlauchkörper darbietet, sind diejenigen, welche sich auf die [324] Fortpflanzung beziehen, die wichtigsten und am meisten hervortretenden. Die Synapta und ihr Parasit sind in der Zeit der Fortpflanzung völlig unabhängig von einander. Johannes Müller kannte den Gang der Entwickelung der Synapta noch nicht; Baur hat ihn vollständig dargelegt und gezeigt, daß die Synapta sich nur im Frühjahre fortpflanzt, während er den Schlauchkörper in allen Monaten, außer im Winter, seine Brut hervorbringen sah. Der Laich des Schlauchkörpers, welcher sich in dessen Leibeshöhle entwickelt, besteht aus einer großen Menge einzelner Brutkugeln (Abbildung B, d), deren jede etwa zwanzig Eier oder Embryonen enthält. In verschiedenen Exemplaren findet man die Brutmasse in verschiedenen Stadien der Entwickelung. In einem und demselben Schlauchkörper findet man aber immer die ganze Brutmasse genau auf derselben Stufe der Entwickelung. Die Larven, welche aus dem Laiche des schlauchförmigen Parasiten hervorgehen und für das Auge als Punkte erscheinen, stellen die Schneckennatur ihres Mutterthieres, von welchem sie in auffallendster Weise abweichen, außer Zweifel. Sie haben eine regelmäßig gewundene, durch einen Kalkdeckel verschließbare Schale, in welche sie sich ganz zurückziehen können.


Larve der parasitischen Schnecke (Entoconcha mirabilis). Stark vergrößert.
Larve der parasitischen Schnecke (Entoconcha mirabilis). Stark vergrößert.

Der Fuß des Thieres ist durch eine mittlere Einschnürung zweilappig. Der Rücken endigt in einen mit wenigen steifen Borsten besetzten Stirnlappen, hinter welchem zwei kleine Höcker die Ansätze der Fühler sind. Im Inneren sieht man eine vor der Hand noch geschlossene Höhlung, welche später zum Darmkanale wird, und darunter die beiden Gehörbläschen. Die ganze Oberfläche, so weit sie nicht von der Schale bedeckt ist, trägt ein dichtes Flimmerkleid. Die Verwandlungen dieser Larve bis zum schlauchförmigen, in das Blutgefäß der Synapta eingeknöpften Parasiten sind derart, daß sie innerhalb des Schneckentypus ihresgleichen nicht finden und nur etwa mit den bis zur gänzlichen Verballhornisirung des Grundtypus gehen den Umgestaltungen mancher Schmarotzerkrebse verglichen werden können. Die fertige schlauchförmige, geschlechtsreife Schnecke besitzt weder Herz noch Gefäßsystem, auch keine Spur eines Nervensystems und von Sinneswerkzeugen, und die Vergleichung mit ähnlichen, wenn auch nicht so weit gehenden Vorkommnissen unter den Bauchfüßern führt nicht zu den Vorderkiemern, an welche man die Entoconcha gewöhnlich anreiht, sondern wir müssen Baur Recht geben, der die nächsten Verwandten des merkwürdigen Parasiten in der Abtheilung der Nacktschnecken sucht. Ueber die Verwandlung meint derselbe:

»Was die Metamorphose betrifft, welche die Larve nothwendig durchmachen muß, um die Form der Schlauchschnecke zu bekommen, so könnte man sich, vorausgesetzt (was sich aber nicht beweisen läßt), daß diese Metamorphose nur eine einmalige und einfache ist, nach dem Unterschiede, welchen Larve und Schlauchschnecke zeigen, von dieser Umwandlung eine ungefähre Vorstellung machen. Der kleine Larvenleib wird zuerst seine Schale abwerfen, seine Athemhöhle einbüßen und vorwiegend in die Länge wachsen. Die Gehörbläschen und die fühlerartigen Anhänge werden schwinden, der Körper wird gleichmäßig cylindrisch werden, so daß Rücken und Sohle sich nicht mehr unterscheidet, endlich, wenn die Deutung des auf der Larvensohle mündenden Kanales als Oeffnung der Leibeshöhle richtig ist, wird mit der Ausbildung der Geschlechtsorgane das weitere Wachsthum in die Länge so stattfinden, daß diese Oeffnung, die spätere Geschlechtsöffnung, von der Unterseite des Vordertheiles allmählich an das hintere Körperende rückt. Die Umwandlung würde es zugleich mit sich bringen, daß aus der einseitig endlichen Spirale der Entoconcha (mit welchem Namen Baur nur die Larve bezeichnet wissen will) die doppelseitig unendliche der Schlauchschnecken (von Baur Helicosyrinx getauft) wird. Es versteht sich von selbst, daß dies, so lange die Beobachtung nicht gelingt, nur hypothetische, auf unbestimmte Deutungen und Analogien gegründete Annahmen sind.«

[325] Leider sind wir noch heute über diesen Punkt, die Verwandlung, und über die Einwanderung der Schlauchschnecke nicht weiter. Nach den obigen Mittheilungen findet man unter etwa hundert Exemplaren der Synapta eines, das den Parasiten enthält, und zwar immer auf einer gewissen kleinen Strecke kurz hinter dem Magen angeheftet. Die Larven gelangen höchst wahrscheinlich durch die freiwillige oder unfreiwillige Zerstückelung der Synapta nach außen und bohren sich, wer weiß mit welchen Hülfsmitteln hierzu ausgestattet, nach einer Zeit freien Schwärmens in ein Wohnthier ein. Aus der Konstanz der Anheftungsstelle schließt Baur, daß die Einwanderung zu einem Zeitpunkte geschehen müsse, wo die Synapta dem sich zugesellenden Gaste jene Stelle zur Anheftung fast unvermeidlich darbiete. Dieser Fall tritt ein, wenn die junge Synapta die beistehende Größe hat, auf welcher Stufe der ganze hintere Theil des Darmkanales noch nicht vorhanden. »Wenn die Larve des Parasiten, mag sie sonst beschaffen sein, wie sie will, in ein Individuum der Synapta von der frühen Altersstufe einwandert, wenn sie, sei es durch die Leibeswand, sei es durch die Darmwand oder, was leicht sein kann, durch die Kloake sich einen Weg in die Leibeshöhle bahnt, dann an dem ihr zusagenden unteren Blutgefäße sich ansetzt, so wird die Folge sein, daß in der erwachsenen Synapta der schon lange darin wohnende, inzwischen umgewandelte und groß gewordene Parasit niemals weiter als eine kleine Strecke von dem hinteren Ende des Magens gegen den After hin entfernt festhängen kann. Denn jenes ganze hintere Stück des Wohnthieres, wo fast nie ein Parasit sitzt, das aber sonst dieselbe Beschaffenheit hat, war noch gar nicht vorhanden, als der Parasit einwanderte, sondern es ist erst nachher beim Längenwachsthume des Wohnthieres hinzugekommen, nachdem Einwanderung und Befestigung schon vollzogen war.« Wir werden in der Klasse der Echinodermen der Synapta wieder begegnen und ihre ebenfalls sehr merkwürdige Verwandlung bis zu der Stufe verfolgen, wo die kleinen im Schlamme des Meeresgrundes lebenden Thierchen für die Einwanderung der Schlauchschnecke am geeignetsten zu sein scheinen.


Junge Synapta digitata, nat. Größe, im Stadium, auf welchem wahrscheinlich die Schnecke einwandert.
Junge Synapta digitata, nat. Größe, im Stadium, auf welchem wahrscheinlich die Schnecke einwandert.

Fußnoten

1 Ueber Synapta digitata und über die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Berlin 1852.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 321-326.
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