17. Sippe: Blauschnecken (Janthina)

[270] Wir übergehen eine ganze Reihe von Sippen mit Stillschweigen, über deren Lebensweise wir gar keine bemerkenswerthen Notizen haben, und mit deren trockener Aufzählung also nicht gedient wäre, und haben somit die Abtheilung der Kammkiemer ohne Athemsipho geschlossen, welche man von der Form ihrer Reibeplatte als Bandzüngler zusammengefaßt hat. Zu diesen Kammkiemern ohne Athemröhre oder Ausschnitt gehören noch ein Paar wenig umfangreiche Familien, unter denen die der Janthiniden unser Interesse am meisten erregt. Am bekanntesten ist die Blauschnecke (Janthina), mit sehr dünner, bauchiger und bläulich gefärbter Schale (c), fast von der Form der Schnirkelschnecken. Sie leben als Fleischfresser auf dem hohen Meere, können, wenn sie beunruhigt werden und wahrscheinlich auch, wenn sie ihre Beute verwirren wollen, einen Purpursaft zur Trübung des umgebenden Wassers absondern; am berühmtesten aber sind sie durch das sogenannte »Floß« (l), eine Anhäufung von Blasen, welche an ihrem Fuße befestigt ist, und mit deren Hülfe sie sich an der Oberfläche des Meeres halten.

Ehe wir die schönen Beobachtungen von Lacaze-Duthiers über die Janthina des Mittelmeeres mittheilen, wird es der Mühe werth sein, über frühere Beobachtungen und Meinungen nach dem Wortlaute von Johnston zu berichten. »Den merkwürdigsten Apparat zum Zwecke des Ortswechsels besitzt unter allen Bauchfüßern unzweifelhaft die Sippe Janthina. Man hatte sie anfangs für einen ausschließlichen Bewohner der tropischen Meere gehalten, jedoch später auch einige Arten im Mittelländischen und im Britischen Meere entdeckt. Ihr Wohnort ist die hohe See, auf welcher sie langsam umherschwimmt. Am Hintertheile ihres Fußes nun ist ein großer blasiger Anhang, von Fabius Columna ganz passend spuma cartilaginea – knorpeliger Schaum – genannt, indem die Bläschen so durchsichtig, wie die des Schaumes sind, während ihre Hülle knorpelig oder häutig ist. An diesen Luftblasen hängend, schwebt Janthina leicht auf dem Wasser, ohne jedoch aufs Gerathewohl jeder Strömung desselben oder jedem Lüftchen, das über seinen Weg haucht, preis gegeben zu sein, da ihre Richtung durch eine kleine Flosse zu beiden Seiten des Fußes und etwas über dessen Rand gelenkt werden kann. Nur wenn des Sturmes Athem heftig weht, überläßt sich die Schnecke seiner Gewalt und leidet Schiffbruch an ungastlichem Gestade.« Es war festgestellt, daß das Thier ohne den Blasenapparat an der Oberfläche nicht verweilen könne, daß derselbe bloß mechanisch an den Fuß angeheftet sei und beim Zurückziehen des Thieres nur zum kleinsten Theil in der Schale mit Platz finde; auch hatte ein englischer Naturforscher, Coates, ziemlich genau die Art und Weise angegeben, wie das Floß gebildet und ausgebessert werde, bis Lacaze-Duthiers während eines Aufenthaltes an der afrikanischen Küste bei Lacalle Gelegenheit zu den genauesten Untersuchungen fand. Wir lassen ihn selbst reden.

»Starke Nordweststürme hatten eine große Menge der Schaumapparate der Janthinen auf das sandige Ufer der Bai von Bouliff bei Lacalle geworfen, und ich fand dabei auch eine gute Anzahl noch lebender Thiere. Es lag mir daran, sie zu beobachten, und indem ich sie in Aquarien [270] setzte und ihnen reines und frisches Wasser gab, konnte ich sehen, wie sie ihr vom Sturme und dem Aufschlagen auf das Gestade beschädigtes Floß ausbesserten. Anfangs war ich erstaunt, zu bemerken, wie alle Janthinen, welche die Luftblasen gänzlich verloren hatten, auf dem Grunde des Wassers blieben, obwohl sie vollständig munter waren; wie einige der lebhaftesten mit Anstrengung vermittels des Fußes an den Wänden der Glasbehälter in die Höhe krochen, die Oberfläche erreichten, dort sich rückwärts beugten, aber fast nie dazu kommen konnten, ihr Floß wieder herzustellen, und wie sie endlich unbeholfen wieder zu Boden sanken. Nie sah ich sie nach Art so vieler Schnecken durch Ausdehnung und Zusammenziehung ihres Fußes schwimmen. Möglicherweise ist es auf offenem Meere anders, aber alles scheint anzuzeigen, daß Schale und Thier schwerer wiegen, als daß sie ohne Floß zu schwimmen vermöchten. Zu bemerken ist auch, daß die Thiere am Grunde des Wassers sehr schnell sterben.

Die vergeblichen Anstrengungen, welche die Thiere machten, um an die Oberfläche zu gelangen oder ihr Floß1 wieder herzustellen, veranlaßten mich, sie in eine solche Lage zu bringen, welche sie zu suchen schienen. Gleich meinen Vorgängern, hatte ich erkannt, daß zwischen dem Floß und dem Körper kein organischer Zusammenhang bestehe, daß es einfach am Fuße befestigt sei, und daß folglich die eingeschlossene Luft nicht aus dem Körper abgeschieden sein könne, sondern mechanisch in die Bläschen eingeschlossen sein müsse. Man hatte also nach dem Mittel oder Mechanismus zu suchen, wodurch das Thier die Luft in die einzelnen Blasen zu bringen im Stande ist. Sieht man genau auf das vordere, dem Kopfe zunächst liegende Ende des Flosses, so kann man ganz gut die Bläschen zählen und Umfang, Gestalt und Lage derselben erkennen. Man kann daher die Vorgänge beobachten, wenn das Thier an der Herstellung und Vergrößerung des Flosses arbeitet.

Der Fuß ist sehr deutlich in zwei verschiedene Abschnitte getheilt. Der hintere, größere, an welchem das Floß sich anheftet, ist flach; der vordere (p) ist vorn abgerundet und bildet durch den Umschlag der Ränder nach unten einen seine Form jeden Augenblick ändernden Kanal. Dieser vordere bewegliche Theil verfertigt das Floß und zwar auf folgende Weise. Er verlängert sich zunächst nach vorn, biegt sich, nach rechts oder links geneigt, nach oben und umfaßt mit seiner Höhlung den vorderen Theil des Flosses, indem er sich eng an dasselbe anschmiegt.« Es ergab sich, daß der Fuß, indem er über das Wasser hervorgestreckt wird und sich zusammenkrümmt, ein Luftbläschen (b) einschließt und um dasselbe eine Schleimhülle ausschwitzt, und daß er, indem er sich auf das Floß senkt, das Bläschen an das Vorderende desselben andrückt. Die Bewegungen des Fußes wiederholen sich in derselben Reihenfolge, und so wird Bläschen an Bläschen gefügt. Der anfänglich weiche Schleim nimmt bald im Wasser eine festere Beschaffenheit an und konnte in diesem Zustande die Meinung veranlassen, es sei eine knorpelige Masse. Um den Bau des Flosses zu verfolgen, legte Lacaze-Duthiers die Janthinen auf einen Drahthaken und brachte sie so weit an die Oberfläche, wie das Thier sich befindet, wenn es frei mit seinem Flosse schwebt. Alsbald begann die Schnecke aus dem Gehäuse zu treten, ihren Fuß auszubreiten und nach der oben beschriebenen Weise zu arbeiten. In dem Verhältnis, als die Bläschen sich vermehrten, wurde das Thier natürlich leichter und sank weniger ein, es war aber durchaus nicht im Stande, sich selbst eher an der Oberfläche zu halten oder dieselbe zu gewinnen, ehe nicht das Floß eine entsprechende Größe erreicht hatte. Mit dem Maße der Schleimabsonderung der Janthina verhält es sich gerade so, wie mit dem Spinnstoffe der Spinnen; der Fuß liefert ihn nicht ununterbrochen, sondern nur nach Bedürfnis. Uebrigens ist das Floß so zerbrechlich und so vielen Gefahren ausgesetzt, daß die Thiere fast immer mit der Ausbesserung desselben beschäftigt sein dürften.

Eine weitere Merkwürdigkeit der Janthina ist, daß sie die Eier in kleinen Kapseln an die nach unten gerichtete Fläche des Flosses anheftet; jedoch ist noch nicht beobachtet, wie sie dabei zu Werke geht. Auch wird nur ein Zufall darüber Aufschluß geben, indem es trotz sorgfältiger Wartung [271] dem in der Behandlung der anderen Seethiere so erfahrenen Lacaze-Duthiers nicht gelang, sie länger als einige Tage am Leben zu erhalten. Alle die zarten Bewohner des hohen Meeres dauern in den Aquarien nicht aus, vornehmlich wohl aus dem Grunde, weil ihnen die passende Nahrung mangelt, abgesehen von der nothwendigen äußersten Reinheit des Wohnelementes.

Unsere, von dem genannten französischen Forscher entlehnten Abbildungen werden sich nach dem Gesagten von selbst erläutert haben. Die Bezeichnungen sind: t Kopf, c Schale, l Floß, p Fuß, b eine etwas zu stark gezeichnete Blase, welche an den Vorderrand des Flosses angefügt werden soll. Die obere Figur stellt die schwimmende Janthina von der Seite, die untere schwimmend von oben gesehen vor.

Fußnoten

1 Im französischen Original steht »ludion«, wohl so viel wie »Schwimmgürtel«.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 270-272.
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