Merinoschaf (Ovis aries hispanica)

[365] Als das wichtigste und gewinnbringendste aller Hausschafe gilt gegenwärtig das Merinoschaf ( Ovis aries hispanica), welches nachweislich in Spanien das ihm eigenthümliche Gepräge erlangt hat und nach und nach zur Veredelung fast aller europäischen Rassen benutzt worden ist. Mittelgroß und voll gebaut, zeichnet es sich aus durch seinen großen, plattstirnigen, längs des Nasenrückens gewölbten, an der Schnauze abgestumpften Kopf, mit kleinen Augen und großen Thränengruben, mittellangen, schmal zugespitzten Ohren, starken, von der Wurzel an seitlich und rückwärts gebogenen und dann in Doppelschraubenwindungen nach vorn und aufwärts weiter gewendeten Hörnern, welche in der Regel nur beim Bocke vorkommen, den kurzen und dicken, stark gefalteten, unten gewammten, an der Kehle kropfartig ausgebauchten Hals, die verhältnismäßig niedrigen, aber starken und kräftigen Beine und stumpf zugespitzten Hufe sowie ein äußerst dichtes, aus kurzer, weicher und feiner, höchst regelmäßig gekräuselter Wolle bestehendes Vlies.

Um über dieses Thier und den gegenwärtigen Stand seiner Zucht in Spanien mich zu unterrichten, habe ich mich durch Vermittelung meines Bruders an den Schriftführer des Vereins der Schafzüchter Spaniens, Herrn Miguel Lopez Martinez, gewandt und von diesem das nachstehende erfahren: »In Spanien unterscheidet man drei Hauptrassen von Schafen: die Entrefina oder Mittelfeinen, die zahlreichste, die Cchurra, eine minder zahlreiche, und die Merino, die edelste von allen, welche gegenwärtig aber in beklagenswerther Weise sich vermindert. Viele Ausländer haben geglaubt, daß die Merinorasse die einzige wäre, welche in Spanien vorhanden gewesen und noch vorhanden sei, und es unterliegt auch keinem Zweifel, daß sie Jahrhunderte lang diejenige war, welche unseren Schafen den größten Ruf verschafft hat; verschiedene Ursachen aber, unter denen ich bloß die hauptsächlichen hervorheben will, haben mächtigen Einfluß gehabt, daß sie alljährlich mehr sich vermindert und durch die beiden anderen oben genannten ersetzt wird. Als die wirksamsten Ursachen müssen wir unsere verfassungsmäßigen Zustände betrachten. Die Zucht der Merinoherden begründete sich auf die sogenannte Sommerweide, welche durch eine besondere Gesetzgebung, die Mesta, geschützt wurde. Unter Mesta verstand man eine Vereinigung von Vorrechten, welche dem Ackerbau ebenso hinderlich als der Sommerweide förderlich waren. Diesen zufolge durften die Hirten unterwegs nach Belieben auf jedwedem Besitzthum weiden und die betreffenden Eigenthümer nur nach erlangter königlicher Erlaubnis sie von ihrem Grund und Boden verweisen, so daß, dem Geiste dieser Gesetzgebung nach, die Rechte der Landbesitzer und Ackerbauer den Vorrechten der Herdenbesitzer aufgeopfert wurden. Diese ungebührlichen Vorrechte, über welche der ›ehrbare Rath der Mesta‹ wachte und richtete, wurden selbstverständlich bei Einführung verfassungsmäßiger Gesetze aufgehoben; denn sie gaben dem Landeigenthümer alle Rechte zurück, deren er durch jene beraubt worden war. Der neue Zustand der Dinge machte sich den Herdenbesitzern in mehr als erwarteter Weise fühlbar. Nicht zufrieden mit dem, was sie erhalten hatten, verfolgten die Grundeigenthümer fortan Herden und Hirten auf das heftigste. Ganz abgesehen davon, daß man sofort die Weiden zu Getreidefeldern, Wein- und Olivengärten umwandelte oder für diejenigen, welche noch bestehen blieben, unerhörte Pachtsummen forderte, bemächtigte man sich [365] auch der Weidwege, der Tränk-und Ruhestellen und anderer für die Sommerweide dienender Einrichtungen. Ohne Schutz auf den Wegen, ohne Ruhestellen, um sich von den Beschwerden des Weges zu erholen, genöthigt, große Umwege zu machen und hohe Pachtsummen zu zahlen, erlitten die Herdenbesitzer unglaubliche Nachtheile, und viele von ihnen, grollend mit den neueren Einrichtungen, veräußerten den größten Theil ihrer Herden. Eine andere Ursache wirkte nicht minder ungünstig auf letztere ein.


Merinoschaf (Ovis aries hispanica). 1/12 natürl. Größe.
Merinoschaf (Ovis aries hispanica). 1/12 natürl. Größe.

Im Anfange dieses Jahrhunderts befand sich ein sehr beträchtlicher Theil des spanischen Grundbesitzes in der Todten Hand; die Klöster, die Großgrundbesitzer, Dörfer, Städte, Körperschaften besaßen ungeheuere Flächen, welche sie nach dem bestehenden Gesetze weder veräußern noch vertauschen konnten. Solche Liegenschaften gab es in allen Theilen Spaniens, und zwar in den Ebenen ebensowohl wie in den Gebirgen, und eine natürliche Folge ihrer Größe und Unveräußerlichkeit war, daß sie nur theilweise bebaut, im übrigen ausschließlich durch die Herden ausgenutzt werden konnten. Je nach der Jahreszeit nun zogen letztere auf das Gebirge und zurück in die Ebene, dorthin, um während des Sommers reiche Weide zu finden, hierher, um der winterlichen Strenge der Höhen zu entgehen. Mit Aufhebung der bisher bestehenden Hindernisse wurden auch die besagten Güter veräußerlich, und die neuen Besitzer legten selbstverständlich alle geeigneten Flächen unter Pflug und Egge oder bepflanzten andere mit Reben und Oelbäumen, beschränkten [366] aber damit die natürlichen Weiden und verursachten den Besitzern der Herden wiederum neue Verluste, machten sogar für den größten Theil derselben jene Wanderungen fernerhin unmöglich. So entschloß man sich denn auch aus diesem Grunde, die Merinoherden zu verringern und suchte sie nach und nach durch ständige Herden anderer Schafrassen zu ersetzen, welche entweder mehr Milch oder besseres Fleisch, oder reichliche, wenn auch schlechtere Wolle lieferten. Die Vervollkommnung der Spinnereien beeinflußte diese Umwandlung ebenfalls: man lernte auch schlechtere Wolle verarbeiten, und die Merino wolle sank daher im Preise, der Nutzen der Merinozucht verringerte sich mehr und mehr, und so geschah es, daß der erheblichste Theil der berühmten großen Herden ebenso wie viele kleinere von geringerer Bedeutung zum Schlachthause wanderten, daß man heutzutage von ihnen nur noch Spuren sieht, daß die Negrettirasse gänzlich verschwunden ist.« Mein Gewährsmann führt trotzdem noch eine stattliche Reihe von Namen hervorragender Schafzüchter Spaniens auf, welche noch immer Merinos halten, gibt auch die Gegenden an, in denen die Herden weiden: ich glaube jedoch, daß diese Aufzählung mehr für ein landwirthschaftliches als für ein thierkundliches Werk Werth hat und beschränke mich darauf, zu erwähnen, daß nach den Angaben von Martinez heutzutage nicht alle Merinoschafe mehr wandern, viele Herden vielmehr zu ständigen umgewandelt worden sind.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 365-367.
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