Geisen

[291] Ziegen und Schafe bekunden eine so innige Verwandtschaft unter sich, daß es kaum möglich erscheint, für beide Gruppen durchgreifende Unterscheidungsmerkmale aufzustellen. Wir vereinigen beide in einer besonderen Unterfamilie und belegen diese zu Ehren der klügsten und gewecktesten Mitglieder mit dem Namen Geisen (Caprina), haben dabei jedoch festzuhalten, daß gedachte Unterfamilie ebenso gut als die der Schafe (Ovina) oder Böcke (Aegocerina) bezeichnet werden darf und von verschiedenen Thierkundigen thatsächlich so benannt wird.

Zur Kennzeichnung der Geisen läßt sich nachstehendes anführen. Alle hierher gehörigen Arten erreichen nur eine mittlere Wiederkäuergröße, sind kräftig, zum Theil sogar plump gebaut, haben kurzen Hals und meist auch gedrungenen Kopf, niedere und stämmige Beine mit verhältnismäßig stumpfen Hufen und kurzen, abgerundeten Afterklauen, runden oder breiten und dann mehr oder weniger dreieckigen, unten nackten Schwanz, kurze oder doch nur mittellange Ohren, ziemlich große Augen mit quer gestelltem, länglich viereckigen Stern, mehr oder weniger zusammengedrückte und eckige, nach hinten und zur Seite gerichtete, nicht selten schraubenartig gedrehte, seltener leierähnlich gestaltete, regelmäßig runzelige und oft stark wulstige Hörner, welche beiden Geschlechtern zukommen, bei den Weibchen jedoch beträchtlich kleiner sind als bei den Männchen, bald Thränengruben und Klauendrüsen, bald nur die einen oder die anderen, bald weder diese noch jene, bis auf einen zuweilen vorkommenden nackten Fleck zwischen den Nasenlöchern behaarte Muffel und ein sehr dichtes, aus langem Grannen- und reichlich wucherndem Wollhaar bestehendes, düsterfarbiges Kleid. Das Euter der Weibchen hat zwei Zitzen. Den sechs, nach hinten zu ziemlich gleichmäßig an Größe zunehmenden Backenzähnen fehlt das anhängende Schmelzfäulchen und demgemäß auch die von ihm veranlaßte Falte auf der Kaufläche, welche außerdem durch die geringe Deutlichkeit der bei den Wiederkäuern allgemein vorkommenden sichelförmigen Gruben auffällt; unter den acht Schneidezähnen sind die äußersten am kürzesten und breitesten, die inneren am längsten und schmalsten. Am Schädel sind bemerkenswerth das Fehlen einer Leiste zwischen den Hörnern, die verhältnismäßige Kürze und Breite der vorn schlank auslaufenden, mit dem Zwischenkiefer gar nicht, mit dem Oberkiefer nur auf einer kurzen Strecke verbundenen Nasenbeine, im übrigen Gerippe die kurzen, mit ziemlich langen Dornen versehenen Halswirbel, die abgerundeten Körper der Rippenwirbel, dreizehn an der Zahl, die sehr langen und schmalen Querfortsätze der folgenden sechs rippenlosen Wirbel etc.

Dem Sprachgebrauche Rechnung tragend und mehreren hervorragenden Thierkundigen uns anschließend, stellen wir die beiden Gruppen der Unterfamilie einander gegenüber und betrachten jede für sich.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 291.
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