Dritte Familie: Nashörner (Nasicornia)

[511] Von der Gemeinsamkeit der Merkmale, welche berechtigt, Tapire und Nashörner innerhalb einer und derselben Unterordnung zu vereinigen, wird bei einer rein äußerlichen Betrachtung und Vergleichung beider Thiere wenig ersichtlich; es bedarf vielmehr der Zergliederung, um die verhältnismäßig nahe Verwandtschaft der von ihnen vertretenen Familien zu erkennen.

Die Nashörner (Nasicornia) sind plump gebaute, ungeschlachte Dickhäuter von ziemlich bedeutender Größe, ausgezeichnet durch auffallend gestreckten Kopf, dessen vorderer Gesichtstheil ein Horn oder zwei hinter einander stehende Hörner trägt, kurzen Hals, kräftigen, in eine panzerartige Haut gehüllten, fast gänzlich oder größtentheils unbehaarten Leib, kurzen Schwanz und kurze, stämmige, jedoch keineswegs plumpe Beine, deren Füße vorn wie hinten drei mit Hufen umkleidete Zehen haben. Jeder einzelne Leibestheil erscheint, auch wenn man ihn mit dem entsprechenden anderer Dickhäuter vergleicht, eigenthümlich und absonderlich. Der Kopf ist schmal und sehr gestreckt, zumal der Antlitztheil ungewöhnlich verlängert und vorgezogen, der Schädeltheil dagegen von vorn nach hinten stark zusammengedrückt, so daß die Stirn ungemein steil abfällt und zwischen ihr und dem merklich erhöhten Nasentheile ein in der Mitte tief eingebuchteter, seitlich scharf gewölbter Sattel entsteht; der Winkel des Unterkiefers deutlich hervortretend, dieser im übrigen mit mehr oder minder starker Wölbung gegen das Maul zu aufwärts steigend; das Maul unverhältnismäßig klein, die Oberlippe in ihrer Mitte in Gestalt eines finger- oder rüsselartigen Fortsatzes vorgezogen, die Unterlippe gerundet oder vorn gerade abgeschnitten; das länglich eiförmige, hinten spaltartige Nasenloch fast wagerecht gestellt und von dem anderen durch einen weiten Zwischenraum getrennt; das Auge auffallend klein, sein länglich runder Stern quer gestellt, sein oberes Lid dicht, aber kurz bewimpert; das nicht ungewöhnlich gestaltete Ohr eher groß als klein, sein äußerer Rand gerundet, sein innerer Rand bis zur Hälfte der Länge umgestülpt. Der kurze, stets faltige Hals übertrifft den Kopf an Dicke und geht ohne merklichen Absatz in den massigen Leib über, welcher sich ebenso durch die schneidige, in der Mitte eingesenkte Rückenfirste und den allseitig gerundeten und hängenden Bauch wie dadurch auszeichnet, daß der Widerrist das Kreuz an Höhe um etwas überragt; der kurze Schwanz ist entweder gegen die Spitze hin seitlich stark zusammengedrückt und dann bis zu seinem Ende beinahe gleich breit, oder gestreckt kegelförmig. Die Beine, welche sehr starke und breite Schultern und Oberschenkel, aber ziemlich schmächtige Oberarme und Unterschenkel sowie noch mehr verdünnte Hand- und Fußwurzeln haben, krümmen sich wie bei einem Dachshunde [511] von außen nach innen und strecken sich erst von der Handwurzel oder Ferse an senkrecht nach unten; die Füße verbreitern sich vorn wie hinten gleichmäßig zu dem Fußballen, dessen Sohlenfläche rundlich eiförmig ist; unter den nicht unzierlichen Hufen ist der mittlere etwa doppelt so breit als die beiden seitlichen. Die stets sehr dicke, bei den meisten Arten panzerartige Haut schließt sich dem Leibe entweder bis auf wenige und nicht stark hervortretende Falten an, oder zerfällt in mehrere durch tiefe Falten bestimmt getrennte Schilder, welche einzig und allein durch jene Falten eine gewisse Beweglichkeit erlangen, indem sie sich an den mit dünnerer und schmiegsamerer Haut ausgekleideten Faltenfurchen übereinander wegschieben lassen. Tiefe Runzeln umgeben Auge und Maul und ermöglichen das Oeffnen oder Schließen der Lider und eine unerwartete Schmiegsamkeit der obschon fast hornigen, doch sehr beweglichen Lippen. Netzartige Riefen durchkreuzen sich auf der Haut, begaben sie mit einer bemerkbaren Zeichnung und buckelartigen Erhebungen von sehr regelmäßiger Gestalt und verleihen ihr, zumal den Schildern, einen ebenso absonderlichen wie gefälligen Schmuck. Die Behaarung beschränkt sich auf eine mehr oder weniger lange Umsäumung der Ohren und der breitgedrückten Schwanzspitze sowie bei einzelnen Arten auf einige Stellen des Rückens, woselbst dann spärlich dicke und kurze Borsten stehen. Die Hörner, Gebilde der Oberhaut, bestehen aus gleichlaufenden, äußerst feinen, runden oder kantigen, innen hohlen Fasern von Hornmasse und ruhen mit ihrer breiten, rundlichen Wurzelfläche auf der dicken Haut, welche den vorderen Theil des Gesichtes bekleidet. Nicht selten, obschon immer nur bei einzelnen Stücken, zeigt die Oberhaut an verschiedenen Stellen, zumeist aber am Kopfe, hornartige, bis zu mehreren Centimetern sich erhebende Wucherungen.

Plumpe und kräftige Formen kennzeichnen auch das Geripp. Der Schädel erscheint sehr lang und viel niedriger als bei den übrigen Dickhäutern; die Stirnbeine nehmen den vierten oder dritten Theil der Schädellänge ein und verbinden sich unmittelbar mit den breiten und starken Nasenbeinen, welche die Nasenhöhle überwölben oder von einer mittleren Scheidewand noch gestützt werden. Da, wo das Horn ruht, ist dieser Knochen uneben, rauh, höckerig und wird dies umsomehr, je größer die Hörner sind. Der Zwischenkiefer ist bloß bei den Arten, welche bleibende Schneidezähne haben, ansehnlich; bei jenen dagegen, welche diese Zähne in frühester Jugend verlieren, verkümmert. Die Wirbelsäule wird von starken, mit langen Dornen besetzten Wirbelkörpern gebildet; achtzehn bis zwanzig von ihnen tragen stark gekrümmte, dicke und breite Rippen; das Zwerchfell setzt sich aber schon am vierzehnten bis siebzehnten Wirbel an. Bereits in früher Jugend verwachsen die fünf Wirbel, welche das Kreuzbein bilden, zu einem Ganzen. Der Schwanz besteht aus zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Wirbeln. An allen übrigen Knochen ist ihre Stärke und Plumpheit das auffallendste. Dem Gebisse fehlen regelmäßig die Eckzähne und gewöhnlich auch die vier Schneidezähne in beiden Kiefern; letztere sind in der Jugend zwar vorhanden, fallen aber so bald aus, daß man sie nur bei sehr jungen Stücken wahrnimmt. Das übrige Gebiß besteht aus sieben Backenzähnen in jedem Kiefer, von denen jeder einzelne aus mehreren Hügeln und Pfeilern zusammengeschmolzen zu sein scheint, und deren Kauflächen sich mit der Zeit so abnutzen, daß verschiedenartige Zeichnungen entstehen.

Auch die Weichtheile verdienen mit einigen Worten beschrieben zu werden. Die Haut der Oberlippe ist sehr dünn, gefäß- und nervenreich, die Zunge groß und empfindlich. Die Speiseröhre hat eine Weite von 8 Centim. und eine Länge von 1,6 Meter; der Magen ist einfach länglich, im Längsdurchmesser 1,3 Meter und im größten Querdurchmesser 60 Centim.; die kleinen Gedärme messen 15 bis 18 Meter; der Blinddarm ist 1 Meter, der Dickdarm 6 bis 8 Meter, der Mastdarm 1 bis 1,6 Meter lang. Unter den Sinneswerkzeugen fallen die Augen durch ihre geringe Größe auf.

Die Nashörner, welche gegenwärtig Südasien, die Sundainseln und alle Gleichenländer Afrikas bewohnen, und deren Verbreitung insofern bemerkenswerth ist, als in Asien das Festland sowohl wie jede einzelne der drei großen Sundainseln bestimmte, wohl unterschiedene Arten beherbergt, wogegen in Afrika wahrscheinlich nur zwei Arten leben, waren in der Vorzeit weiter [512] verbreitet und kamen ebenso im südlichen Deutschland, in Frankreich und England wie in Rußland und Sibirien vor. Unter den bis jetzt bekannt gewordenen ausgestorbenen Arten verdient namentlich eine der Erwähnung: das zweihörnige Vorweltsnashorn mit knöcherner Nasenscheidewand (Rhinoceros trichorhinus) nämlich, weil es nicht bloß in einzelnen Knochen, sondern mit Haut und Haaren bis auf unsere Tage gekommen ist. Im nördlichen Asien vom Don an bis zur Behringsstraße gibt es keinen Fluß im ebenen Lande, an dessen Ufer nicht Knochen von vorweltlichen Thieren, namentlich solcher von Elefanten, Büffeln und Nashörnern, gefunden würden; auch habe ich schon erwähnt, daß man hier alljährlich beim Aufthauen Massen von vorweltlichem Elfenbein gewinnt und damit einen sehr bedeutenden Handel treibt. »Als ich«, so berichtet Pallas, »im März 1772 nach Jakutzk kam, zeigte mir der Statthalter des östlichen Sibirien den Vorder- und Hinterfuß eines Nashorns, welcher noch mit Haut überzogen war. Das Thier wurde im sandigen Ufer eines Flusses gefunden. Den Rumpf und die Füße ließ man liegen.« Nun bemühte sich Pallas, mehr zu erfahren, und brachte zunächst den Kopf und den Fuß nach Petersburg. Später hat Brandt die Reste untersucht, und so erfahren wir, daß dieses vorweltliche Nashorn, welches während der Schwemmzeit das mittlere und nördlichere Europa und den Norden Asiens bewohnte, neben dem Mammuth einer der gemeinsten Dickhäuter unseres Welttheils war. Außer in Sibirien fand man seine Knochen auch noch in Rußland, Polen, Deutschland, England und Frankreich und zwar an manchen Orten in erstaunlicher Menge. Das hauptsächlichste Artkennzeichen dieses Thieres besteht darin, daß die bei allen anderen Nashörnern knorpelige Nasenscheidewand bei ihm verknöchert ist, wahrscheinlich bedingt durch die auffallende Verlängerung der Nasenbeine. Ebenso weicht das Thier hinsichtlich seines Kleides von den anderen Nashörnern ab. Die getrocknete Haut hat eine schmutzig gelbliche Farbe und keine Falten, ist aber dick, an den Lippen gekörnelt und überall mit netzförmigen, rundlichen Poren dicht besetzt. Die Haare, straffe Grannen und weiches Wollhaar, stehen in den Poren büschelförmig beisammen; im übrigen ähnelt das Thier den jetzt lebenden so außerordentlich, daß es höchstens einer anderen Untersippe zugezählt werden kann. Seine Nahrung scheint in Nadeln und jungen Trieben der Kiefern bestanden zu haben; doch ist darüber nichts sicheres bekannt.

Unsere Kenntnis der jetzt lebenden Arten ist zwar in der neuesten Zeit wesentlich bereichert worden, darf aber keineswegs als befriedigend bezeichnet werden. Streng genommen kennen wir bloß diejenigen Arten wirklich, welche neuerdings lebend in unsere Thiergärten gelangt sind und von kundigen Forschern untereinander verglichen werden konnten. Gray hat im Jahre 1867 die Familie einer neuen Durchsicht und Bearbeitung unterzogen und dadurch, mit Recht oder mit Unrecht bleibe dahingestellt, mancherlei Zweifel und Widersprüche hervorgerufen; gleichwohl darf seine Auffassung einstweilen als maßgebend erachtet werden und somit unter zweckmäßiger Beschränkung auch uns als Leitfaden dienen.

Nach Gebiß und Faltung unterscheidet Gray drei Hauptgruppen der Familie und theilt jene wiederum in verschiedene Sippen, denen wir den zweifelhaften Rang von Untersippen zusprechen dürfen. Zu der ersten Gruppe rechnet er alle Arten mit schildartig getheilter, zur zweiten die mit glatter Haut, zur dritten das erwähnte Vorweltsnashorn.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 511-513.
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