Flatterhörnchen (Pteromys volans)

[281] Der Norden beherbergt Flughörnchen mit zweizeiligem, behaartem, langem buschigem Schwanze. Von ihnen besitzen auch wir eine Art, das Flatterhörnchen, Ljutaga der Russen, Umki oder Omké der ostsibirischen Völkerschaften (Pteromys volans, Sciurus rotans, Pteromys und Sciuropterus sibiricus), welches den nördlichen Theil von Osteuropa und fast ganz Sibirien bewohnt. Das Thier ist bedeutend kleiner als unser Eichhörnchen, sein Leib mißt bloß 16 Centim. in die Länge, der Schwanz nur 10 Centim. oder mit den Haaren 13 Centim., und das Gewicht eines erwachsenen Thieres übersteigt selten elf Loth. Der dichte und weichhaarige, seidenweich anzufühlende Pelz ist im Sommer auf der Oberseite fahlbraun, auf der Flughaut und der Außenseite der Beine dunkler graubraun, unten weiß und am Schwanze oben fahlgrau, unten lichtrostfarbig. Alle Haare der Oberseite sind am Grunde schwarzgrau und an der Spitze merklich lichter, die der Unterseite dagegen einfarbig weiß. Im Winter verlängert, verdichtet und lichtet sich der Pelz, und die Oberseite nebst dem Schwanze sieht alsdann silbergrau aus, obgleich die Haare ihre Wurzelfärbung nicht verändern.

Das Flatterhörnchen bewohnt größere Birkenwälder oder gemischte Waldungen, in denen Fichten, Föhren und Birken miteinander abwechseln. Letztere Bäume scheinen ihm Lebensbedürfnis zu sein, und hierauf deutet auch die Färbung seines Pelzes, welche im ganzen ebensosehr der Birkenrinde gleicht wie die Färbung unseres Hörnchens der Rinde der Föhren und Fichten. Es wird immer seltener und ist schon aus vielen Gegenden, in denen es früher recht häufig war, fast gänzlich verdrängt worden, kommt jedoch vielleicht öfterer vor, als man glaubt. O. von Löwis schreibt mir, daß es noch gegenwärtig in alten einsamen Waldungen Livlands gefunden, immer aber nur selten beobachtet wird. In Rußland tritt es häufiger auf, und in Sibirien ist es, laut Radde, auf geeigneten Oertlichkeiten, d.h. da, wo Birke und Lärche vorkommen, nirgends selten, läßt sich auch in der Nähe der Ansiedelungen sehen oder kommt selbst bis in die Gärten hinein. Wie der Taguan lebt es einzeln oder paarweise und zwar beständig auf Bäumen. In hohlen Stämmen oder in Nestern, wie eine Haselmaus zusammengerollt und den Schwanz um sich geschlagen, verschläft es den Tag. Mit Eintritt der Dämmerung kommt es hervor und beginnt nun ein reges Leben. Es ist in seinen Bewegungen ebenso gewandt wie die Taghörnchen, klettert vortrefflich, springt behend von Ast zu Ast und setzt mit Hülfe seiner ausgespannten Flatterhaut über Entfernungen von 20 bis 30 Meter. Um solche Entfernungen zu durchmessen, steigt es bis zur höchsten Spitze des Wipfels empor und springt von dort aus auf niedere Aeste der Bäume, welche es sich auserwählt hat. Auf dem Boden ist es eben so unbehülflich und unsicher als auf den Bäumen gewandt und schnell. Sein Gang ist schwankend, und die weite Flughaut, welche faltig zu beiden Seiten des Leibes herabhängt, macht ihm beim Laufen viel zu schaffen.

[281] Die Nahrung besteht aus Nüssen und Baumsamen verschiedener Art, Beeren, Knospen, Sprößlingen und Kätzchen der Birken; im Nothfalle begnügt sich das Thier aber auch mit den jungen Trieben und Knospen der Fichten. Beim Fressen sitzt es, wie unser Eichhörnchen, aufrecht und bringt das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Ueberhaupt ähnelt es in seinen Eigenschaften unserem Eichkätzchen, nur daß es ein Nachtthier ist. Sehr reinlich, wie die ganze Verwandtschaft, putzt es sich beständig und legt auch seinen Unrath bloß am Boden ab. Mit Eintritt der Kälte verfällt es in einen unterbrochenen Winterschlaf, indem es bei kalten Tagen schläft, bei milderen aber wenigstens ein paar Stunden umherläuft und Nahrung sucht. Es hat sich dann gewöhnlich eines seiner alten Nester zurechtgemacht oder den Horst eines Vogels zur Schlafstätte hergerichtet. Sein eigenes Nest legt es in hohlen Bäumen an, so hoch als möglich über dem Boden. Die ganze Höhlung füllt es mit zartem Moose oder mit Mulm aus, und mit denselben Stoffen verwahrt und verstopft es auch den Eingang. In solchem Neste bringt es im Sommer seine zwei bis drei Jungen zur Welt. Diese werden nackt und blind geboren und bleiben ziemlich lange Zeit unbehülflich und pflegebedürftig im hohen Grade. Während des Tages hüllt sie die Mutter in ihre Flatterhaut ein, um sie zu erwärmen und zugleich bequem säugen zu können; bei ihren nächtlichen Ausgängen bedeckt sie die Brut sorgsam mit Moos. Etwa sechs Tage nach ihrer Geburt brechen die Nagezähne hervor, doch erst zehn Tage später öffnen sie die bisher geschlossenen Aeuglein, und dann beginnt auch das Haar auf ihrem Leibe zu sprossen. Später nimmt sie die Alte mit sich in den Wald, kehrt aber nach langer Zeit zu demselben Neste zurück, um während des Tages dort Ruhe und Schutz zu suchen. Im Herbst bauen oft viele ein einziges großes Nest, in welchem sie gemeinschaftlich wohnen.

Obgleich das dünnhäutige, weichhaarige Fell bloß ein schlechtes Pelzwerk liefert, welches nur die Chinesen verwerthen, stellt man dem Thiere nach und tödtet es jeden Winter in Menge. Es geht ziemlich leicht in Schlingen und zur Winterzeit in Fallen, welche man mit seiner Lieblingsnahrung geködert hat. Sein am Fuße der Bäume oft in großer Menge angehäufter, dem Mäusemist ähnlicher Unrath verräth es leicht seinen Verfolgern.

Gefangene, welche Löwis hielt, wurden ungewöhnlich rasch zahm und zutraulich, setzten sich furchtlos auf den Arm, ließen gern sich streicheln und sahen dabei den Pfleger mit ihren auffallend großen und schönen, schwarzen Nachtaugen vertrauensvoll an, fraßen Haselnüsse aus der Hand, verschmähten jedoch die ihnen gereichten Baumknospen verschiedener Art gänzlich. »Anfangs«, schreibt mir Löwis, »hatte ich sie in einem Drahtkäfige eingesperrt, später ließ ich sie in einem Zimmer frei umherlaufen und klettern. Als aber eines Tages mein Vater plötzlich in das Zimmer trat, erschrak das eine und warf sich, geblendet oder angezogen durch das im Ofen flackernde Feuer, mit ausgespannter Flatterhaut vom Fenster aus in die Oeffnung des Ofens. Obgleich es sogleich hervorgeholt ward, hatte es sich doch so verletzt, daß ich es aus Mitleid umbrachte. Das zweite wurde ein Opfer der Wissenschaft: Grube, dem ich es sandte, tödtete es, um es zu zergliedern.«

Auch ich erhielt einmal ein lebendes Flatterhörnchen aus Rußland, hatte damals jedoch nicht Gelegenheit, es so genau zu beobachten wie später seinen nordamerikanischen Vertreter. Ich will deshalb von diesem, obwohl ich meine Beobachtungen bereits veröffentlicht habe, auch hier einiges mittheilen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 281-282.
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