Kugelgürtelthier (Dasypus tricinctus)

[506] Apar oder Matako nennen die Eingebornen, Bolita die Spanier eine noch wenig bekannte Art der Gruppe, unser Kugelgürtelthier (Dasypus tricinctus, D. und Tatusia apar, T. und Tolypeutes tricinctus), Vertreter einer Untersippe, von welchem behauptet wurde, daß die erste Beschreibung von einem zusammengesetzten Balge herrühren sollte. Azara gibt jedoch eine so klare Schilderung, daß an dem Vorhandensein des betreffenden Thieres gar nicht gezweifelt werden kann. Er sagt, daß sich der Matako nicht in Paraguay vorfinde, sondern erst ungefähr unter dem sechsunddreißigsten Grade südl. Breite vorkomme. »Einige nennen ihn Bolita, weil er der einzige unter allen Tatus ist, welcher, wenn er sich fürchtet oder gefangen werden soll, den Kopf, den Schwanz und die vier Beine versteckt, indem er aus dem ganzen Leibe eine Kugel bildet, welche man wie einen Ball nach allen Richtungen rollen kann, ohne daß sie sich auflöst. Man kann die Kugel auch nur mit großer Gewalt aufrollen. Die Jäger tödten das Thier, indem sie es heftig gegen den Boden werfen. Ich habe bloß einen einzigen gesehen, welcher mir geschenkt wurde; aber er war so schwach und krank, daß er schon am andern Tage starb. Er hielt sich beständig in einer sehr zusammengezogenen Stellung, gleichsam kugelartig, und lief tölpisch, ohne seinen Leib auszustrecken, erhob dabei kaum die Beine und trat, anstatt auf die Sohlen, auf die Spitzen der größeren Zehen, welche er senkrecht stellte (also auf die Spitzen der Nägel), hielt auch den Schwanz so, daß er beinahe den Boden berührte. Die Hände und Füße sind viel schwächer als bei allen anderen und die Nägel nicht eben günstig zum Scharren. Deshalb zweifle ich auch, daß er sich Höhlen gräbt; wenn er wirklich in solche eintritt, sind sie wahrscheinlich von anderen seiner Sippschaft gemacht. Ich habe mich darnach erkundigt, und alle behaupteten, daß man den Matako immer auf dem Felde finde. Es ist geradezu unmöglich, seinen Leib gegen seinen Willen auszustrecken, wie ich es oft bei anderen Thieren gethan, um sie zu messen. Die Maße, welche ich gebe, habe ich von dem getödteten genommen. Seine Länge von der Schnauzenspitze bis zum Schwanzende beträgt 45 Centim., und der Schwanz mißt 7 Centim., er ist unten an der Spitze rund oder kegelförmig, an der Wurzel dagegen breitgedrückt. Die Schuppen sind auch nicht wie bei den übrigen, sondern ähneln mehr dicken Körnern und ragen weit hervor; der Harnisch der Stirne aber ist oben viel stärker als bei den übrigen und zusammengesetzt aus Schilderreihen und unregelmäßigen Stücken. Die Ohren erreichen, obgleich sie 2,5 Centim. messen, nicht die Höhe des Harnisches, welcher ganz bedeutend den eigentlichen Kopf überragt. Das Rückenschild ist 6,5 Centim. hoch und zeichnet sich durch eine bemerkenswerthe Spitze an jeder Seite aus, mit welcher das Thier nicht bloß sein Auge, sondern auch den größten Theil des Kopfes bedecken und schützen kann (wahrscheinlich wenn es sich zusammenrollt). Die drei Binden, welche der Matako besitzt, sind auf dem Rücken 1,7 Centim. lang, verschmälern sich aber nach den Seiten zu, das Kreuzschild ist 15 Centim. hoch. Alle einzelnen Schuppen der Schilder und Binden sind unregelmäßig, rauh, holprig, und [506] jede ist wieder aus einer Menge kleinerer, unregelmäßiger Stückchen zusammengesetzt. Die Färbung des ganzen Thieres ist dunkelbleigrau, glänzend oder bräunlich, die Haut zwischen den Binden weißlich, an der Unterseite aber dunkel. Hier findet man kaum Schildchen, aber dieselben sind sehr dicht und groß auf den Außenseiten der vier Beine und an den Seiten, wo sich die Binden vereinigen. Dort bemerkt man auch die Muskeln, welche die Schilder zusammenziehen, um eine Kugel dar aus zu gestalten. Die einzelnen Pfoten sind schuppenlos, obgleich sie einzelne Schildchen zeigen.«

Andere Reisende erzählen ebenfalls von diesem Gürtelthiere und heben namentlich hervor, daß die Hunde dasselbe mit großer Wuth angreifen, weil sie nicht im Stande sind, den Panzer zu zerbeißen und umsonst versuchen, das zusammengeroltte Thier fortzuschleppen.


Kugelgülterthier (Dasypus tricinctus). Nach Zeichnungen von Göring. 1/4 natürl Größe.
Kugelgülterthier (Dasypus tricinctus). Nach Zeichnungen von Göring. 1/4 natürl Größe.

Wenn sie die Bolita von der einen Seite packen, entschlüpft die große, glatte Kugel ihren Zähnen, und der Ball rollt auf den Boden, ohne Schaden zu nehmen. Dies erbittert alle Hunde aufs höchste, und ihre Wuth steigert sich mehr und mehr, je weniger ihre Bemühungen von erwünschtem Erfolg sind, gerade so wie es bei unserem Igel auch der Fall ist.

Anton Göring erhielt eine lebende Bolita aus San Luis, ihrer eigentlichen Heimat oder derjenigen Gegend, wo sie am häufigsten vorkommt. Dort lebt das Thier, ganz wie Azara angibt, im freien Felde, ob auch in selbstgegrabenen Höhlen, konnte Göring nicht erfahren. Die Eingebornen nehmen es beim Fange der anderen Gürtelthiere, welche, wie bemerkt, eine Lieblingsspeise der Gauchos bilden, gelegentlich mit und tödten es, falls sie es verzehren wollen, noch heute in der Weise, wie Azara es angegeben hat. Weil aber der Matako ein niedliches Geschöpf ist, findet er gewöhnlich Gnade vor ihren Augen und wird für die Gefangenschaft erhalten. Da spielen dann die Kinder des Hauses mit ihm, kugeln ihn hin und her oder lassen ihn auf einem Brete weglaufen und erfreuen sich an dem Geklapper, welches er durch sein sonderbares Auftreten hervorbringt. Göring wurde oft besucht und gebeten, seinen Gefangenen den Leuten vorzuführen. Obgleich [507] das Thier noch nicht lange in der Gefangenschaft gewesen war, zeigte es sich doch vom ersten Augenblick an zutraulich und nahm ohne weiteres das Futter, welches ihm vorgehalten wurde, aus der Hand. Es fraß allerlei Früchte und Blätter, namentlich Pfirsichen, Kürbisse und Salat, zwar nur, wenn man es ihm vorhielt, aber mehrmals am Tage, so oft man ihm etwas gab. Die Nahrung mußte man ihm, seiner kleinen Mundöffnung wegen, in dünne Stückchen schneiden; diese nahm es dann sehr zierlich zu sich. Es schlief ebensowohl bei Tage als bei Nacht. Dabei streckte es die Vorderbeine gerade vor sich hin, zog die Hinterbeine ein und legte sich auf sie und den Bauch, bog den Kopf herab und verbarg ihn zwischen den Vorderbeinen. Der Rücken zeigte sich in jeder Stellung sehr gewölbt: das Thier war nicht im Stande, sich eigentlich auszustrecken. Obgleich es in Gegenwart von mehreren Personen ganz ruhig fraß und umherlief, zog es sich doch augenblicklich zusammen, sobald man es berührte, wenn man es drückte, so stark, daß es zur fast vollendeten Kugel wurde. Ließ man von ihm ab, so streckte es sich allmählich wieder aus und setzte seine Wanderung fort. Auch wenn man die Kugel in die flache Hand legte, mit dem Rücken nach unten, rollte es sich langsam auf und streckte alle vier Beine gerade nach oben vor sich hin, zuckte auch manchmal mit dem Kopfe und den Vorderbeinen, machte aber sonst keine Anstrengung, sich zu befreien. Berührte man es an der Brust, so schnellte es die Vorderbeine hin und her; am Kopfe dagegen ließ es sich betasten, ohne dabei sich zu bewegen.

Es war ungemein zierlich und jede seiner Bewegungen, trotz ihrer Sonderbarkeit, wirklich anmuthig. Der Gang auf den Spitzen der gegen drei Centim. langen, gebogenen Nägel hatte etwas höchst überraschendes und verfehlte nie, die Verwunderung aller Zuschauer zu erregen. Wenn man es frei ließ, versuchte es so eilig als möglich zu entfliehen; kam ihm aber ein Verfolger, z.B. ein Hund, auf die Fersen, so rollte es sich zur Kugel zusammen. Wenn man diese Kugel auf der Erde hinkollerte, blieb sie fest geschlossen; sobald aber die Bewegung aufhörte, wickelte das Thier sich auf und lief davon. Die Hunde bewiesen keine größere Erbitterung gegen die Bolita als gegen alle übrigen Gürtelthiere. Diese hassen sie freilich womöglich noch mehr als unsern Igel und fallen sie mit Wuth an, wo sie dieselbe erblicken. Man kann jeden Hund ohne alle Abrichtung zum Fange der Gürtelthiere benutzen; sein natürlicher Haß treibt ihn von selbst zur Jagd derselben an.

Die letzte Art der Gruppe, auf welche wir noch flüchtig einen Blick werfen wollen, das Riesengürtelthier, von den Brasilianern Tatu-Canastra, von den Botokuden Kuntschung-gipakiu, von den Paraguanern der große Tatu der Wälder genannt, bewohnt Brasilien. Prinz von Wied erhielt in allen Gegenden, welche er bereiste, Nachricht von ihm, bekam es aber niemals zu Gesicht. Er glaubt, daß es über den größten Theil von Brasilien verbreitet, ja vielleicht in ganz Südamerika zu treffen ist. In den großen Urwaldungen fanden seine Jäger oft Höhlen oder Baue, namentlich unter den Wurzeln der alten Bäume, und man konnte von deren Weite einen Schluß auf die Größe des Thieres fällen. Die eingebornen Jäger versicherten, daß es hierin einem starken Schweine gleichkomme, und die Baue und noch mehr die Schwänze, welche der Prinz bei den Botokuden fand, schienen diese Aussage nur zu bestätigen. Am Rio grande de Belmonte fand letzterer unter den Botokuden Sprachrohre, welche geradezu »Tatuschwanz« genannt wurden, von 36 Centim. Länge und von 8 Centim. Durchmesser an der Wurzel. Azara bemerkt, daß das Riesengürtelthier sehr selten in Paraguay wäre und keinen eigentlichen Namen habe. »Man findet es«, sagt er, »bloß in den ungeheuren Wäldern des nördlichen Theiles unseres Landes. Wenn einer von den Tagelöhnern, welche in der Gegend arbeiten, wo das Riesengürtelthier sich aufhält, stirbt und, der Entfernung von Friedhöfen wegen, an Ort und Stelle eingegraben werden muß, sind, wie man erzählt, die ihn zur Erde bestattenden Leute genöthigt, das Grab mit starken und doppelten Stämmen auszulegen, weil sonst der Riesentatu den Leichnam ausgrabe und zerstückle, sobald er durch den Geruch an das Grab geführt werde.«

[508] »Ich selbst habe das Riesengürtelthier nur ein einziges Mal gesehen, und zwar zufällig. In einem Landhause erkundigte ich mich nach den Thieren der Umgegend und erfuhr von einem Alten, daß einige Nächte vorher die Knechte seines Hauses nahe am Walde einen großen Packt entdeckt hatten, vor dem sich die Pferde entsetzten. Einer der Burschen stieg ab und erkannte im Scheine des Vollmondes einen Tatu, welcher grub. Er packte ihn am Schwanze, erhob ihn, band ihm seine und seines Gefährten Wurfschlinge um den Leib und schleppte ihn vermittels dieser nach Hause. Dort aber erhoben die Weiber aus Furcht ein Geschrei und ruhten nicht eher, bis die beiden Fänger ihre Beute getödtet hatten. Am folgenden Tage erschienen dann die Nachbarn, um das merkwürdige Geschöpf zu sehen. Man zerstückelte seinen Leib, und der eine nahm den Harnisch mit sich, in der Absicht, Geigen- oder Guitarrenböden daraus zu fertigen, der andere die Klauen.«

»Nachdem ich dies gehört, versuchte ich zu erhalten, was ich konnte, und fand, daß die Vögel und Würmer fast alles Fleisch gefressen hatten, und daß auch der Kopf und der Schwanz bereits vollständig in Fäulnis übergegangen waren; doch sah ich noch außerdem ein Stück des Panzers, und zwar das Schulter-und Kreuzschild und die Schilder dazwischen, an welchen freilich viele Platten ihren Glanz verloren hatten. Nach diesen Resten habe ich meine Beschreibung entworfen.«


Riesengülterthier (Dasypus gigas).1/8 natürl. Größe.
Riesengülterthier (Dasypus gigas).1/8 natürl. Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 506-509.
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