Yurumi (Myrmecophaga jubata)

[520] Die größte und bekannteste Art der Unterfamilie (Myrmecophaga jubata) wird in Paraguay Yurumi, was in dem Guaranischen so viel wie »kleiner Mund« bedeutet, in Brasilien dagegen Tamandu genannt. Der Pelz dieses sehr großen und auffallenden Thieres besteht aus dichten, steifen, rauh anzufühlenden Borstenhaaren. Kurz am Kopfe, verlängern sich dieselben längs des Nackens und Rückgrates, wo sie eine Mähne bilden, bis auf 24 Centim., und am Schwanze von 26 bis 40 Centim. Länge, während sie am übrigen Körper, um und an den Beinen, bloß 8 bis 11 Centim. lang sind. Diese Haare liegen entweder mit rückwärts gedrehter Spitze am Körper oder hängen an der Seite herunter; nur am Kopfe stehen sie senkrecht empor. Die, welche die Schwanzquaste bilden, sind seitwärts zusammengedrückt und erscheinen lanzettartig. Nackt sind bloß die Schnauzenspitze, die Lippen, die Augenlider und die Fußsohlen. Die Farbe des Pelzes ist ziemlich verschieden. Am Kopfe erscheint als Gesammtfarbe Aschgrau mit Schwarz gemischt, weil hier die Haare abwechselnd schwarz und aschgrau geringelt sind. Fast die nämliche Färbung haben der Nacken, der Rücken und zum Theil auch die Seiten des Rumpfes, die vorderen Beine und der Schwanz. Die Kehle, der Hals, die Brust, der Bauch, die Hinterfüße und die untere Seite des Schwanzes sind schwarzbraun. Ein schwarzer, anfangs 13 bis 15 Centim. breiter, nach hinten spitz zulaufender Streifen erstreckt sich vom Kopfe und der Brust über den Rücken in schiefer Richtung bis zum Kreuze und wird eingefaßt von zwei schmalen, blaßgrauen Streifen, die mit ihm gleichlaufen. Eine schwarze Binde bedeckt das Ende des Vorderarmes, und auch die Zehen der Vorderfüße sowie die nackten Theile des Körpers sind schwarz. In der Jugend sind die Ameisenfresser im allgemeinen lichter als im Alter; die Haare haben auch noch nicht die lichten Ringe wie später. Die Länge des erwachsenen Yurumi beträgt 1,3 Meter, die Länge des Schwanzes ohne Haare 68 Centim., mit den Haaren aber wenigstens 95 Centim., oft etwas darüber. Somit erreicht das Thier eine Gesammtlänge von 2,3 Meter; aber man findet zuweilen alte Männchen, welche noch größer sind.

»Das Aussehen des Yurumi«, sagt Rengger, »ist äußerst häßlich. Sein Kopf hat die Gestalt eines langen, schmächtigen, etwas nach unten gebogenen Kegels und endet mit einer kleinen, stumpfen Schnauze. Beide Kinnladen sind gleich lang; die untere hat nur wenig Bewegung, indem der Mund bloß wie eine Spalte erscheint, welche höchstens einen starken Mannsdaumen aufnehmen kann; die Nasenlöcher sind halbmondförmig, die Augen klein und tief im Kopfe sitzend, die Ohren gleichfalls klein, etwas über 2,5 Centim. breit, ebenso lang und oben abgerundet. Der Hals scheint seiner langen Haare wegen dicker als der Hinterkopf; der Rumpf ist groß, unförmig und von oben nach unten etwas breitgedrückt; die Glieder sind kurz, die Vorderarme breit und sehr muskelig. Die vorderen Füße sind mit vier Zehen versehen, an denen sich ein dicker, gleich Adlerskrallen zusammengedrückter Nagel findet. Dieser ist an der ersten oder innersten Zehe 4,5 Centim. lang und beinahe gerade, an der zweiten 1 Centim. lang, gebogen und am innern Rande scharf; an der dritten hat er eine Länge von 6,5 Centim. und die nämliche Gestalt wie der vorhergehende, nur daß er an seinen beiden Rändern scharf ist; an der vierten Zehe endlich gleicht er in Größe und[520] Form dem ersten. Im Gehen und im Ruhezustande legt das Thier diese Nägel, wie die Finger einer geschlossenen Hand, gegen die Fußsohle zurück, indem es nicht mit der Fläche, sondern mit dem äußern Rande der Sohle auftritt, wo sich gleich hinter der äußersten Zehe eine große Schwiele vorfindet. Es kann übrigens die Zehen nur soweit ausstrecken, daß die Nägel mit der Fußsohle kaum mehr als einen rechten Winkel bilden. Auf der Sohlenfläche bemerkt man mehrere kleine und gegen ihren hintern Rand eine große Schwiele. Die hinteren Glieder sind bei weitem nicht so stark gebaut wie die vorderen; ihr Fuß ist mit fünf Zehen versehen, deren Nägel bloß 1 bis 2 Centim. lang, von den Seiten etwas zusammengedrückt, schwach gebogen und nach vorn gerichtet sind.«


Yurumi (Myrmecophaga jubata). 1/12 natürl. Größe.
Yurumi (Myrmecophaga jubata). 1/12 natürl. Größe.

Das Thier tritt mit der ganzen Sohle des Hinterfußes auf. Der lange zottige Schwanz ist hoch und schmal und bildet eine wahre Fahne. Die Zunge, deren Dicke nicht mehr als 9 Millim. beträgt, hat die Gestalt eines langen, allmählich sich zuspitzenden Kegels und besteht aus zwei Muskeln und zwei drüsenartigen Körpern, welche auf ihrer Grundlage sitzen. Sie ist der Länge nach sehr ausdehnbar, indem das Thier sie beinahe 50 Centim. weit zum Maule herausstrecken kann.

»Der Yurumi kommt nicht häufig in Paraguay vor und bewohnt die menschenleeren oder doch wenig besuchten Felder im Norden des Landes. Er hat weder ein bestimmtes Lager noch sonst einen festen Aufenthaltsort, sondern schweift bei Tage auf den Ebenen umher und schläft, wo ihn die Nacht überfällt; jedoch sucht er zu letzterem Zwecke eine Stelle zu gewinnen, wo das Gras sehr hoch ist, oder wo sich einige Büsche vorfinden. Man trifft in gewöhnlich allein an, es sei denn, daß ein Weibchen sein Junges mit sich führe. Sein Gang ist ein langsamer Schritt oder zuweilen, wenn er verfolgt wird, ein schwerfälliger Galopp, mit welchem er aber so [521] wenig vorrückt, daß ihn ein Mensch im Schritte einholen kann. Seine Nahrung besteht einzig und allein aus Termiten, Ameisen und den Larven von beiden. Um sich diese zu verschaffen, kratzt und reißt er mit den Nägeln seiner Vorderfüße die Erdhügel und die Erdhaufen, welche denselben zur Wohnung dienen, auf, streckt dann seine lange Zunge unter die von allen Seiten herzuströmenden Kerbthiere und zieht sie, von denselben überzogen, wieder in den Mund zurück. Dieses wiederholt er so lange, bis er gesättigt ist, oder bis keine Ameisen oder Termiten mehr zum Vorscheine kommen.

Der Zeitpunkt der Begattung sowie die Tragzeit des Weibchens ist mir unbekannt. Es wirft im Frühjahr ein einziges Junges und trägt dasselbe einige Zeit lang mit sich auf dem Rücken umher. Das Junge scheint während mehrerer Monate zu saugen und soll, wenn es auch schon von Kerfen sich nähren kann, seine Mutter nicht verlassen, bis sie wieder trächtig ist. Wahrscheinlich gebraucht es, da ihm die Kraft zum Aufreißen der Termitenhügel noch mangelt, während dieser Zeit die Hülfe der Mutter, um leichter zu seiner Nahrung zu gelangen.

Der vorzüglichste unter den Sinnen des Yurumi ist der Geruch, dessen Organe sehr ausgebildet sind; auf diesen folgt das Gehör; das Gesicht scheint nur schwach zu sein. Der einzige Laut, den er von sich gibt, und nur wenn er in Zorn geräth, ist eine Art von Brummen.

Es ist ein stilles, friedliches Thier, welches weder dem Menschen noch den anderen Säugethieren den geringsten Schaden zuzufügen sucht, es sei denn, daß es heftig gereizt werde. Man kann den Yurumi auf offenem Felde weite Strecken vor sich hertreiben, ohne daß er widersteht. Wird er aber mißhandelt, so setzt er sich, wie schon Azara bemerkt, auf die Sitzbeine und die Hinterfüße und breitet die Arme gegen seinen Feind aus, um ihn mit seinen Nägeln zu fassen.

Ich habe lange Zeit einen Yurumi besessen, welcher noch kein Jahr alt war, als ich ihn erhielt. Man hatte ihn in einer Meierei am linken Ufer des Nexay zugleich mit seiner Mutter eingefangen, welche aber nach wenigen Tagen starb. Ich zog ihn mit Milch, Ameisen und gehacktem Fleische auf. Die Milch nahm er schlürfend zu sich oder auch, indem er die Zunge darin badete und sie dann mit der wenigen, ihr anhangenden Flüssigkeit in den Mund zurückzog. Die Ameisen suchte er im Hofe und in den Umgebungen des Hauses auf. Sowie er einen Haufen ausgewittert hatte, fing er gleich an, denselben aufzukratzen, und that dies so lange, bis dessen Bewohner in großer Anzahl zum Vorscheine kamen; dann wälzte er seine Zunge unter ihnen herum und zog sie, mit hunderten von ihnen übersät, in den Mund zurück. Azara behauptet, daß der Yurumi seine Zunge in einer Sekunde zweimal ausstrecke und zurückziehe, was aber bei dem meinigen nicht der Fall war, indem er, um dieses nur einmal zu bewerkstelligen, schon mehr als eine Sekunde brauchte. Die Ameisen bleiben übrigens nicht sowohl, wie von den meisten Schriftstellern angeführt wird, auf der Zunge kleben, als daß sie sich zu ihrer Vertheidigung mit ihren Freßzangen auf derselben anklammern, was sie immer thun, wenn sie, gereizt, auf einen fremden Körper stoßen. Die schwachen und wehrlosen Termiten hingegen werden auf dem klebrigen Ueberzuge der Zunge wie auf einer Leimruthe festgehalten. Mein Yurumi fraß nicht alle Gattungen von Ameisen gleich gern, sondern liebte besonders diejenigen, welche weder große Freßzangen, noch Stacheln besitzen; eine ganz kleine Gattung, welche einen sehr stinkenden Geruch von sich gibt, verschmähte er gänzlich. Das feingehackte Fleisch, mit dem ich ihn zuweilen ernährte, mußte ihm anfangs in den Mund gestoßen werden; später aber nahm er dasselbe gleich den Ameisen vermittels der Zunge zu sich.

Die Hälfte des Tages und die ganze Nacht brachte er schlafend zu, ohne sich dafür einen eigenen Platz zu wählen. Er schlief auf der Seite liegend und etwas zusammengerollt, indem er den Kopf zwischen die Vorderbeine steckte, die Glieder einzog, so daß sie sich berührten, und sich mit dem Schwanze bedeckte. War er wach, so ging er im Hofe umher und suchte Ameisen. Da er anfangs nicht nur die Zunge, sondern auch die Schnauze in die aufgescharrten Haufen steckte, so liefen ihm zuweilen die Kerfe über die Nase hinauf, wo er sie dann mit den Vorderfüßen recht [522] gut wieder abzustreifen wußte. Er befaß, so jung er auch war, große Kraft. Ich vermochte nicht, mit meinen Händen seine zwei größeren Nägel an dem Vorderfuße zu öffnen, wenn er sie gegen die Fußsohle angedrückt hatte.

Er zeigte mehr Verstand, als man bei den anderen sogenannten zahnlosen Säugethieren antrifft. Ohne die Menschen von einander zu unterscheiden, war er doch gern um sie, suchte sie auf, gab sich ihren Liebkosungen mit Vergnügen hin, spielte mit ihnen und kletterte ihnen besonders gern in den Schoß. Folgsam war er übrigens nicht und gehorchte nur selten dem Rufe, obschon man an den Bewegungen seines Kopfes wohl sah, daß er denselben verstanden hatte. Er vertrug sich mit allen Hausthieren und ließ sich von einigen Vögeln, wie von den Helm- und Höckerhühnern, welche ich gezähmt hatte, manchen kleinen Angriff gefallen, ohne sich zu erzürnen. Wurde er aber mißhandelt, so fing er an zu murren und suchte sich mit den Klauen seiner Vorderfüße zu vertheidigen.

Fleisch und Fell des Yurumi werden bloß von den wilden Indianern benutzt; jedoch gibt es Landleute in Paraguay, welche das letztere, unter das Betttuch gelegt, für ein untrügliches Mittel gegen das Lendenweh halten und es auch dagegen gebrauchen. Selten macht Jemand auf diesen Ameisenfresser Jagd; trifft man ihn aber zufälliger Weise auf dem Felde an, so ist es ein leichtes, ihn mit jedem Stocke durch einige Schläge auf den Kopf zu tödten. Diese Thiere sollten übrigens vom Menschen eher beschützt als verfolgt werden; statt schädlich zu sein, gewähren sie im Gegentheile großen Nutzen, indem sie die Termiten und die Ameisen vermindern, welche in einigen Gegenden von Paraguay so überhand genommen haben, daß dort keine Pflanzungen gedeihen können.

Der Jaguar und der Cuguar sind neben dem Menschen wohl die einzigen Feinde des Yurumi. Die fabelhaften Erzählungen der Einwohner von Paraguay über Kämpfe, welche zwischen ihm und dem Jaguar stattfinden sollen, hat schon Azara widerlegt.«

Von anderen Naturforschern erfahren wir, daß der Ameisenfresser außer in Paraguay fast den ganzen übrigen Osten von Südamerika bewohnt und sich daher vom La Plata-Strome bis zum Karaibischen Meere verbreitet. Beim Gehen soll er den Kopf zur Erde senken und mit der Nase auf dem Boden dahinschnoppern. Den Schwanz trägt er dabei geradeaus gestreckt, aber die Rückenmähne hoch emporgesträubt, so daß er weit größer erscheint, als er wirklich ist. Außer Ameisen und Termiten haben neuere Beobachter auch noch viele Erde und Holztheile in seinem Magen gefunden, welche das Thier beim Aufnehmen der Ameisen mit verschlingt. Man hat des halb voreilig den Schluß gezogen, daß der Ameisenfresser auch Pflanzenstoffe verzehre, während andere die Erklärung geben, daß der Genuß dieser Holz- und Erdtheilchen bloß dazu diene, um die Verdauung zu erleichtern. Daß der Yurumi außer seiner Hauptnahrung sehr gern auch Wurmasseln und Tausendfüße sowie Würmer verzehrt, falls diese nicht zu groß sind, unterliegt keinem Zweifel. Den Würmern soll er oft lange nachspüren und dabei mit seinen starken Klauen die morschen Stämme ganz zersplittern. Ueber die Fortpflanzung erfahren wir noch, daß das Junge der Mutter ein ganzes Jahr und darüber folgt und von dieser bei Gefahr durch kräftige Schläge mit den geballten Vorderpfoten vertheidigt wird. Anfangs soll der junge Yurumi nicht im Stande sein, sich selbst die Nahrung zu schaffen, weil er noch zu schwach ist, um die Termitenbaue aufzubrechen, und es soll deshalb die Alte für ihn sorgen.

Einige bemerkenswerthe Mittheilungen über den Yurumi gibt Bates. »In den ersten Tagen meines Aufenthaltes in Caripé«, erzählt er, »litt ich an frischem Fleische Mangel. Das Volk der Nachbarschaft hatte mir alle Hühner verkauft, und ich hatte damals noch nicht gelernt, die Hauptnahrung desselben, gesalzenen Fisch, zu essen. Eines Tages fragte mich meine Wirtin, ob ich wohl das Fleisch des Ameisenbären essen könne, und als ich darauf erwiderte, daß ich mit jeder Sorte von Fleisch zufrieden sein würde, machte sie sich in Gesellschaft eines alten Negers mit Hunden auf und kehrte abends mit einem Yurumi zurück. Das absonderliche Wildpret [523] wurde gebraten und erwies sich als vortrefflich, dem Fleische der Gans einigermaßen ähnlich. Die Bewohner von Caripé rührten es nicht an, weil es, wie sie sagten, hier nicht üblich wäre, es zu essen. Während der nächsten drei oder vier Wochen wurde die Jagd, wenn an Fleisch Mangel war, stets wiederholt, und der Neger brachte auch regelmäßig Beute heim. Eines schönen Tages aber kehrte er in größter Betrübnis zurück und theilte mir mit, daß sein Lieblingshund von einem Ameisenbären gepackt und getödtet worden wäre. Wir begaben uns nach dem Kampfplatze und fanden den Hund zwar noch nicht todt, aber furchtbar von den Krallen seines Gegners zerrissen, welcher selbst im Verscheiden war.« Auch aus dieser Angabe geht hervor, daß die Mittheilungen älterer Berichterstatter über die Vertheidigungsfähigkeit des Ameisenbären keineswegs aus der Luft gegriffen sind. Tschudi erfuhr an sich selbst, daß mit einem gereizten Ameisenbären nicht zu spaßen ist. »Ein sonderbarer, unförmlicher, sich bewegender Klumpen«, so erzählt er, »fesselte meine Aufmerksamkeit; ich ritt näher und erkannte bald einen sehr großen Ameisenbären, welcher mit dem Aufreißen eines Termitenbaues emsig beschäftigt war. Von meinem Thiere herab schoß ich mit dem Revolver nach ihm, und unter Geschrei stürzte er zusammen. Ich sprang aus dem Sattel, um meine Beute näher zu untersuchen. In demselben Augenblicke raffte sich das verwundete Thier wieder auf, stellte sich auf die Hinterbeine und packte mich mit seinem ungemein kräftigen Arme. Ein zweiter Schuß streckte es leblos nieder. Mehrere Tage lang waren die Eindrücke der langen gekrümmten Krallen auf meinem linken Arme als braune und blaue Flecken sichtbar. Ich habe öfter Ameisenbären erlegt, aber nur dies eine Mal so innige Begegnung mit ihnen gehabt.«

In der Neuzeit sind gefangene Ameisenbären wiederholt nach Europa gebracht und bei zweckentsprechender Pflege auch Jahre lang am Leben erhalten worden. Ich habe solche in den Thiergärten von London und Berlin gesehen, ohne sie jedoch längere Zeit beobachten zu können, und will deshalb einen Bericht Noll's im Auszuge wiedergeben. Der Ameisenbär zeichnet sich nach Angabe dieses Beobachters durch ruhiges und sanftes Wesen aus, läßt sich gern streicheln und kratzen, und zeigt sich bei guter Laune Bekannten gegenüber sogar zum Spiele aufgelegt. Ganz ungefährlich ist solches Spiel allerdings nicht, weil das Thier unter Umständen auf den Hinterbeinen sich aufrichtet und mittels der beweglichen Krallen der Vorderfüße hierbei mit erstaunlicher Schnelligkeit Schläge austheilt. Große Kraft bekundet er beim Wühlen im Boden seines Geheges; denn mit drei oder vier Hieben seiner Krallen hat er in der harten Erdschicht eine so lange und tiefe Grube hergestellt, daß er bequem den Kopf darin verbergen kann. Nach Nahrung suchend scharrt er täglich wohl an zehn bis zwanzig Stellen derartige Gruben aus. Ameisen erhält er dabei freilich nicht, sondern höchstens einen Regenwurm, den er aber auch begierig verzehrt. Viel Beweglichkeit besitzt das Thier in seinen Beinen, trotzdem sein Vorwärtskommen kein rasches genannt werden kann. Die Vorderbeine werden oft zum Kratzen des Hinterrückens benutzt, während die Hinterbeine bis in die Mähne vorgreifen können.

Der Ameisenbär ist entschieden ein Tagthier, welches seine Zeit regelmäßig eingetheilt hat. Im Sommer um sieben Uhr, später um acht Uhr erwacht er, nimmt sein Frühstück ein und ist darauf je nach Laune zwei bis vier Stunden in Bewegung, worauf er sich bis zum Mittagsmahle niederlegt. Auch nach diesem pflegt er wieder der Ruhe, um gegen drei Uhr zur Hauptthätigkeit zu erwachen; denn immer zeigt er sich um diese Zeit am muntersten. Jetzt am meisten zum Spielen aufgelegt, galoppirt er zuweilen selbstvergnügt in seinem Gemache umher. Mit Eintritt der Dunkelheit legt er sich nieder, um die ganze Nacht bis zur Zeit der Morgenfütterung ruhig zu verschlafen. In der Ruhe nimmt er eine eigenthümliche Stellung ein: er legt sich auf die Seite, zieht die Beine an, schiebt den Kopf zwischen die Vorderbeine und breitet den buschigen Schwanz so über den ganzen Körper aus, da dieser unter der schützenden Decke vollkommen verschwindet.

Die Gefangenen des Londoner Thiergartens erhalten rohes, fein geschabtes Fleisch und Eidotter als Futter; der von Noll beobachtete Ameisenbär fraß außerdem sehr gern einen [524] Brei aus Maismehl, welches mit heißer Milch angerührt und mit einem Löffel Syrup versüßt wurde, und es gewährte einen absonderlichen Anblick, das fremdartige Thier vor seiner Breischüssel stehen und diese mit seiner merkwürdigen Zunge ausfressen zu sehen. Mit kaum glaublicher Schnelligkeit, etwa einhundertundsechzigmal in der Minute, fährt die schwärzliche, walzenrunde Zunge wohl funfzig Centimeter weit aus dem Maule heraus und in den Brei, biegt sich darin um und zieht ebenso rasch kleine Theile der Speise mit in den Mund. Bei dieser Thätigkeit sondert sich reichlich Speichel ab, welcher die Zunge klebrig überzieht und besonders am Rande der Schüssel sich anhängt.

Höchst überraschend war das Verhalten des Thieres zum Wasser. Bei seiner Ankunft zeigte es sich bezüglich der Reinhaltung entschieden verwahrlost; die Kopfhaare waren durch Schmutz verklebt und alle Körpertheile voller Schorf. Gegen die mit Wasser versuchten Reinigungen wehrte sich der Ameisenbär derart, daß man, um Schaden zu verhüten, davon abstehen mußte, und da er auch ihm in Gefäßen vorgestelltes Trinkwasser niemals berührte, so glaubte man schon, das Thier besitze überhaupt Widerwillen gegen alles Wasser. Bald aber erfuhr man, daß er sich in einem größeren Becken mit ersichtlichem Vergnügen badete und nach mehrmaligem Wiederholen desselben Verfahrens seine Haut vollkommen reinigte. Ebenso gern ging er in einen Teich und schwamm sogar an den tiefen Stellen desselben munter umher.

Daß der Ameisenfresser, schließt Noll, nicht bloß für die Begriffe des Menschen eine abenteuerliche Gestalt besitzt, sondern auch auf die meisten Thiere die Wirkung der Ueberraschung und selbst des Schreckens hervorbringt, zeigte sich, als das Thier im Affenhause untergebracht werden sollte. Mächtiger Schrecken ergriff sämmtliche Bewohner des Hauses; die Affen lärmten und tobten, so daß man ihre Käfige verhüllen mußte, und selbst ein Schimpanse vergrub sich angesichts des ihm entsetzlichen Thieres angsterfüllt in dem Stroh seines Wohnraumes.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 520-525.
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