Adjag (Canis sumatrensis)

[523] Wahrscheinlich stimmt der Urhund der Sundainseln und Japans, dort Andjingadjag, hier Jamainu genannt (Canis sumatrensis oder Cuon rutilans, hadophylax und hippophylax), mit einer der beiden beschriebenen festländischen Arten überein; möglicherweise bildet er eine selbständige Art: bestimmtes dürfte erst zu sagen sein, wenn man Kolsum, Buansu und Adjag oder Jamainu lebend nebeneinander gesehen und verglichen haben wird. In der Größe und Färbung scheint sich der letztgenannte wenig von den beschriebenen Verwandten zu unterscheiden; im Gebisse aller drei lassen sich, nach mündlichen Mittheilungen Hensels und den Angaben Murie's, durchgreifende Unterschiede nicht nachweisen. Auch der Adjag steht dem Wolfe an Stärke merklich nach und trägt einen gelblichfuchsrothen, unten lichteren Pelz.

Die großen Sundainseln und Japan bilden die Heimat des Adjag; auf ersteren kommt er bis zu tausend Meter unbedingter Höhe über dem Meere vor. »Als ich«, schildert Junghuhn, »am 14. Mai 1846 aus dem Küstengebüsche des Tandjung-Sodong hervortrat und über das breite Sandgestade hinsah, bis zur jenseitigen Landzunge Pangarok oder Schildkrötenkrieg, glaubte ich ein Schlachtfeld vor mir zu erblicken. Hunderte von Gerippen der ungeheuer großen Schildkröten lagen auf dem Sande umher zerstreut. Einige schon in der Sonne gebleichte bestanden nur aus glatten Knochen, andere waren zum Theil noch von faulenden, stinkenden Eingeweiden erfüllt und wieder andere noch frisch und blutend: aber alle lagen auf dem Rücken. Hier ist der Ort, wo die Schildkröten auf ihrer nächtlichen Wanderung vom Saume des Meeres bis zu den Dünen und von da zurück zum Meere von den Wildhunden angefallen werden. Diese kommen in Trupps [523] von zwanzig bis dreißig Stücken, packen die Schildkröte an allen zugänglichen Theilen ihres umpanzerten Leibes, zerren an den Füßen, am Kopfe, am After, und wissen durch ihre vereinigte Kraft das Thier, ungeachtet seiner ungeheueren Größe, umzuwälzen, so daß es auf den Rücken zu liegen kommt. Dann fangen sie an allen Enden an zu nagen, reißen die Bauchschilder auf und halten an den Eingeweiden, dem Fleische und den Eiern ihr blutiges Mahl. Viele Schildkröten entfliehen ihrer Wuth und erreichen, oft die zerrenden Hunde hinter sich herschleppend, glücklich das Meer. Auch eine erlangte Beute verzehren die Hunde nicht immer in Ruhe. In manchen Nächten geschieht es, daß der Herr der Wildnis, der Königstiger, aus dem Walde hervorbricht, einen Augenblick stille hält, stutzt, mit funkelnden Augen den Strand überspäht, dann leise heranschleicht und endlich mit einem Satze, unter dumpfschnaufendem Geknurre unter die Hunde springt, welche nun nach allen Seiten auseinander stieben und in wilder Flucht dem Walde zueilen. Ein abgebrochener, mehr pfeifender als knurrender Laut begleitet ihren Abzug. So führen sie in Wahrheit einen Kampf mit Bewohnern des Weltmeeres an einem Orte, außerordentlich wüst und schauervoll, welcher niemals von Javanen besucht wird, dem Wanderer aber, welcher die Wildnis durchirrt, schon aus der Ferne erkenntlich ist an der Menge von Raubvögeln, welche hoch in der Luft darüber kreisen.«

Aber auch in bevölkerten Gegenden, bis hoch ins Gebirge hinauf, betreibt der Adjag seine wilde Jagd. Wie Junghuhn im Jahre 1844 erfuhr, durchzieht er zuweilen in Meuten von einem Dutzend und darüber die halbbebauten Gauen eines Höhengürtels von ungefähr tausend Meter über dem Meere, überfällt nachts Ziegen und selbst Pferde, welche man auf der Weide gelassen oder in der Nähe der Dörfer im Freien an einen Pfahl gebunden hat, greift sie gemeinschaftlich und gleichzeitig an, beißt sich am After und den Geschlechtstheilen fest, reißt ihnen die Augen aus und die weichen Theile des Bauches auf und weiß sie so zu bewältigen. Nach Versicherung der Javanen vergehen nach solchem Ueberfalle Jahre, in denen keine Spur von den wüsten Gästen bemerkt wird, ein Beweis, daß sie wie unser Wolf weit im Lande umherschweifen.

Ich sah einen Adjag im Thiergarten von Amsterdam, wohin er von Cheribon gebracht worden war. In mancher Hinsicht ähnelt er dem zahmen Hunde. Er läuft, sitzt, liegt zusammengekauert wie dieser,


»Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,

Er wedelt – alles Hundebrauch«. –


Aber der erste Blick auf ihn genügt, um in ihm ein von unserem Hunde durchaus verschiedenes Thier zu erkennen. Allerdings läßt sich nicht so leicht beschreiben, worin der Unterschied liegt; allein der vergleichende Blick eines Naturkundigen, welcher lebende Thiere zu beobachten gewohnt ist, will meiner Ansicht nach mehr sagen, als etwaige Maßunterschiede oder ein kleines Höckerchen mehr oder weniger auf einem beliebigen Zahne. Dem Adjag schaut der Wildhund so klar aus dem Gesichte heraus, daß man gar nicht zweifeln kann, weß Geistes Kind man vor sich hat. Kein einziger Haushund hat einen solchen Gesichtsausdruck wie irgend ein wilder; selbst der Hund der Eskimo's ist, wenn man ihm ins Gesicht schaut, vom Wolfe zu unterscheiden: der Adjag aber sieht so wild aus wie nur irgend einer seiner freilebenden Verwandten.

Der Gefangene in Amsterdam wurde nur mit Fleisch gefüttert; andere Stoffe rührte er nicht an. Gegen seine Wärter zeigte er nicht die geringste Anhänglichkeit. Er lebte in Feindschaft mit Menschen und Thieren. Bei Tage schlief er fast immer, nachts war er lebendig und raste oft wie unsinnig im Käfige umher. Mehr habe ich leider nicht erfahren können.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DXXIII523-DXXIV524.
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