Berghänfling (Cannabina flavirostris)

[308] Im hohen Norden Europas vertritt ihn der Berghänfling, Steinhänfling, Gelbschnabel, Quitter, Greinerlein, Felsfink (Cannabina flavirostris, montium, media und microrhynchos, Fringilla flavirostris und montium, Linaria flavirostris und montium, Linota flavirostris und montium, Acanthis montium). Oberkopf, Schultern und Rücken sind braungelb, streifig schwarzbraun gefleckt, Nacken und Halsseiten etwas heller, die Bürzelfedern schmutzig purpurroth, Augenbrauenstreifen und die Gegend unter dem Auge, den bräunlichen Zügel begrenzend, dunkelroth, gelblich überflogen, die Wangen nach hinten bräunlich gefleckt, die Kehlfedern dunkel rostgelb, Kropf- und Brustseiten heller, mit schwarzen Längsflecken gezeichnet, Brustmitte und Bauch gelblichweiß bis weiß, die Schenkel rostgelblich, die Schwingen außen rothbraun, die vier vordersten mit schmalen bräunlichweißen, die folgenden mit breiten schneeweißen Säumen, alle mit breiten weißen Endkanten geziert, die Oberflügeldecken dunkelbraun, rostgelblichbraun gekantet und die größten auch an der Spitze rostgelblichweiß gesäumt, die Steuerfedern braunschwarz, die mittleren mit lichtbraunen, die übrigen außen mit weißen Säumen geschmückt. Der Augenring ist braun, der Schnabel hell wachsgelb, im Frühjahre citrongelb, der Fuß horngrau. Dem Weibchen fehlt das Roth auf dem Bürzel. Die Länge beträgt einhundertunddreißig, die Breite zweihundertfünfundzwanzig, die Fittiglänge dreiundsiebzig, die Schwanzlänge fünfundsechzig Millimeter.

Unter unseren Finken gehört der Hänfling zu den liebenswürdigsten und anmuthigsten, abgesehen von seiner Gesangskunst, welche ihn zu einem der beliebtesten Stubenvögel stempelt. »Der Bluthänfling«, sagt mein Vater, welcher ihn sehr eingehend beschrieben hat, »ein gesellschaftlicher, munterer, flüchtiger und ziemlich scheuer Vogel, ist außer der Brutzeit immer in kleinen und großen Flügen bei einander; selbst während der Brutzeit habe ich mehrere zusammen gesehen. Im Herbste, gewöhnlich schon im August, schlagen sich die Bluthänflinge in große Herden zusammen, so daß ich bis hundert und mehr in einem Zuge beobachtet habe. Im Winter mischen sie sich unter die Grünlinge, auch unter Edel- und Bergfinken, Feldsperlinge und Goldammer. [308] Im Frühjahre sondern sie sich nach der Paarung von einander ab, brüten aber oft in friedlicher Nähe neben einander. Merkwürdig ist, wie sehr dieser Vogel selbst während der Brutzeit hin- und herstreicht. In meinem Garten singt im Frühjahre und Vorsommer fast alle Morgen ein Bluthänfling, welcher eine Viertelstunde weit davon sein Nest hat. So lange das Weibchen nicht über den Eiern oder Jungen sitzt, fliegt es mit dem Männchen umher. Deswegen sieht man sie dann immer beisammen. Wie treu sich beide Gatten lieben, habe ich oft mit Bedauern bemerkt: wenn ich ein Männchen oder Weibchen von einem Paare geschossen hatte, flog das übrig gebliebene, ängstlich lockend, lange in der Nähe herum und wollte sich nicht von dem Orte trennen, ohne den treuen Gatten mitzunehmen. Ebenso zärtlich lieben sie ihre Eier und Jungen; sie lassen sich bei den letzteren sehr leicht fangen. Der Flug ist leicht, ziemlich schnell, in Absätzen und schwebend, besonders wenn der Vogel sich setzen will, oft im Kreise sich herumdrehend. Oft nähert sich der Hänfling im Fluge dem Boden, so daß man glaubt, er wolle sich niederlassen; er erhebt sich aber nicht selten wieder und fliegt eine große Strecke weiter. Auf der Erde hüpft er ziemlich geschickt herum. Wenn er auf Bäumen singt, sitzt er gewöhnlich auf der höchsten Spitze oder auf einem einzeln stehenden Aste; dies thut er auch auf Büschen, besonders auf Fichten-und Tannenbüschen; überhaupt sitzt er gern auf dem Wipfel, auch wenn er nicht singt.«

Lockstimme und Gesang werden von meinem Vater als ganz bekannt vorausgesetzt, und er sagt deshalb ferner nur, daß der Hänfling den Gesang sitzend und fliegend hören lasse, vom März an bis in den August hinein, und daß die Jungen gleich nach ihrer Herbstmauserung und an schönen Wintertagen im November und December eifrig singen. Ich habe also hier einiges hinzuzufügen. Die Lockstimme des Hänflings ist ein kurzes, hartes »Gäck« oder »Gäcker«, welches häufig mehrmals schnell hintereinander ausgestoßen wird. Ihm wird oft ein wohlklingendes »Lü« zugefügt, zumal wenn die Vögel etwas verdächtiges bemerken. Der Gesang, einer der besten, welchen ein Fink überhaupt vorträgt, fängt gewöhnlich mit dem erwähnten »Gäckgäck« an; diesen Lauten werden aber flötende, klangvolle Töne beigemischt und sie wie jene mit viel Abwechselung und Feuer vorgetragen. Jung eingefangene Männchen lernen leicht Gesänge anderer Vögel nachahmen oder Liedchen nachpfeifen, fassen aber leider auch unangenehme Töne auf und werden dann zu unleidlichen Stümpern. Mein Vater erwähnt eines Bluthänflingmännchens, welches den Schlag des Edelfinken täuschend nachahmte, und eines anderen, welches den Zeisiggesang vollständig erlernt hatte; Naumann berichtet von solchen, welche die Lieder der Stieglitze, Lerchen und selbst den Schlag der Nachtigallen vortrugen.

Bereits im April schreitet der Hänfling zum Nestbaue, und während des Sommers nistet er mindestens zwei-, gewöhnlich aber dreimal. Das Nest wird am liebsten in Vor- oder Feldhölzern, aber auch in einzelnen Büschen, meist niedrig über dem Boden, angelegt, besteht äußerlich aus Reiserchen, Würzelchen und Grasstengeln, Heidekraut und dergleichen, welche Stoffe nach innen zu immer feiner gewählt werden und so gleichsam eine zweite Lage bilden, und ist in der Mulde vorzugsweise mit Thier- und Pflanzenwolle, namentlich aber auch Pferdehaar, ausgelegt. Das Gelege enthält vier bis fünf Eier von siebzehn Millimeter Längs- und dreizehn Millimeter Querdurchmesser, welche auf weißbläulichem Grunde mit einzelnen blaßrothen, dunkelrothen und zimmetbraunen Punkten und Strichelchen gezeichnet sind. Sie werden vom Weibchen allein in dreizehn bis vierzehn Tagen ausgebrütet, die Jungen aber, namentlich die der letzten Brut, von beiden Eltern gemeinschaftlich mit vorher im Kropfe erweichten Sämereien aufgefüttert. Während das Weibchen auf dem Neste sitzt, kommt das Männchen oft herbeigeflogen und singt von einem der nächsten Bäume herab sehr eifrig. Im Gegensatze zu den Edelfinken leben die Hänflinge auch während der Brutzeit in Frieden zusammen. Die Männchen mehrerer nahe beieinander brütenden Weibchen machen ihre Ausflüge nicht selten gemeinschaftlich und singen dann auch, ohne sich zu zanken, zusammen neben den Nestern.

Von einem Pärchen, welches unter den Augen meines Vaters brütete, erzählt dieser folgendes: »Ich entdeckte das Nest, als die Jungen kielten, und hatte viele Gelegenheit, das Betragen der Alten [309] und Jungen genau zu beobachten. Die letzteren saßen ruhig im Neste und ließen, so lange sie noch keine Federn hatten, ihre Stimme nur hören, wenn die Alten geflogen kamen oder sie fütterten. Als sie befiedert waren, verhielten sie sich ganz ruhig, selbst wenn sie Nahrung bekamen. Sie wurden ziemlich schnell flügge. Eines Tages, als sie völlig befiedert waren, flatterten sie alle mit den Flügeln und versuchten die Bewegungen mit denselben bis gegen Abend; am Morgen darauf, und zwar mit Tagesanbruch, waren sie alle ausgeflogen. Sie hielten sich nun in der Nähe des Nestes in dicht belaubten Bäumen verborgen und waren bald da, bald dort, bis sie sich mit den Alten entfernten. Diese gewährten mir außerordentliche Freude; sie waren so zahm, daß sie sich im Füttern der Jungen nicht stören ließen, wenn ich in der Laube saß, selbst nicht, wenn mehrere Personen darin sprachen. Sie fütterten ihre Jungen stets in Zwischenräumen von zwölf bis sechzehn Minuten, kamen immer zusammen geflogen, setzten sich auf einen über die Laube emporragenden Apfelbaum, lockten ganz leise und flatterten nun dem Neste zu. Sie näherten sich ihm jedesmal von einer und derselben Seite und gaben jedem Jungen etwas in den Kropf, so daß nie einer derselben verkürzt wurde. Das Männchen fütterte immer zuerst, und wenn dieses fertig war, kam das Weibchen; das erstere wartete, bis jenes den Kropf geleert hatte, und dann flogen beide miteinander fort, wobei sie gewöhnlich ihren Lockton hören ließen. Ein einziges Mal kam das Weibchen allein, und ein einziges Mal fütterte es die Jungen früher als das Männchen. Ehe das Weibchen das Nest verließ, reinigte es dasselbe von dem Unrathe der Jungen, warf aber den Koth derselben nicht herab, sondern verschluckte ihn und spie ihn fern vom Neste wieder aus. Das Männchen unterzog sich dieser Reinigung nicht; ein einziges Mal nur sah ich, daß es den Koth der Jungen aufnahm. Als die Jungen ausgeflogen waren, hielten sich die Alten immer in ihrer Nähe auf und führten sie noch lange Zeit.«

Das Hänflingspaar verläßt seine Eier nur äußerst selten, seine Jungen nie; die Alten füttern diese vielmehr auch dann noch groß, wenn man sie mit dem Neste in einen Käfig sperrt. Dies geschieht häufig, um sich die Mühe des Selbstauffütterns zu ersparen, und meines Wissens ist noch kein Fall vorgekommen, daß die alten Hänflinge sich dadurch hätten abhalten lassen, ihren elterlichen Pflichten Genüge zu leisten. Man kann das Elternpaar nach und nach durch die Jungen aus ihrem eigentlichen Wohngebiete weglocken, indem man den Bauer, in welchem letztere eingesperrt sind, allgemach weiter und weiter von der ursprünglichen Brutstelle entfernt, vielleicht seinem Wohnhause nähert. Doch hat dies Auffütternlassen der Jungen den einen Nachtheil, daß letztere wild und scheu bleiben, während diejenigen, welche man selbst groß zieht, bald ungemein zahm werden.

Der Hänfling ernährt sich fast ausschließlich von Sämereien, wird aber demungeachtet nirgends als erheblich schädlich angesehen, es sei denn, daß man ihm Uebergriffe auf Kohl-, Rüben-, Salatsämereien und andere Nutzpflanzen unseres Gartens, welche er sich allerdings zuweilen zu Schulden kommen läßt, ungebührlich hoch anrechnen wolle. Unkraut liefert ihm wohl die Hauptmasse seiner Mahlzeiten. Er frißt die Samen von Wegebreit, Löwenzahn, die Sämereien aller Kohl-, Mohn-, Hanf- und Rübsenarten und namentlich Grasgesäme.

Mit Recht gilt der Hänfling als einer der beliebtesten Stubenvögel. Er ist anspruchslos wie wenig andere, befreundet sich nach kurzer Gefangenschaft innig mit seinem Gebieter und singt fleißig und eifrig fast das ganze Jahr hindurch. Im Zimmer echter Liebhaber fehlt er selten.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 308-310.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon