Rothkopfsperling (Passer italiae)

[314] In Südosteuropa, Kleinasien, Palästina, Syrien und den Ländern am Rothen Meere vertritt ihn der Rothkopfsperling (Passer italiae und cisalpinus, Fringilla italiae und cisalpina, Pyrgita italica und cisalpina), in Größe und allgemeiner Färbung ihm gleich, durch den einfarbig rothen Oberkopf und Nacken, den schwarzen, mit breiteren, graulichen Endsäumen gezierten Kropfschild, einen schmalen weißen Strich über dem Zügel und die graulichbraunen Bürzel- und Oberschwanzdeckfedern unterschieden.

[314] Bezeichnend für den Sperling ist, daß er überall, wo er vorkommt, in innigster Gemeinschaft mit dem Menschen lebt. Er bewohnt die volksbewegte Hauptstadt wie das einsame Dorf, vorausgesetzt, daß es von Getreidefeldern umgeben ist, fehlt nur einzelnen Walddörfern, folgt dem vordringenden Ansiedler durch alle Länder Asiens, welche er früher nicht bevölkerte, siedelt sich, von Schiffen ausfliegend, auf Inseln an, woselbst er früher unbekannt war, und verbleibt den Trümmern zerstörter Ortschaften als lebender Zeuge vergangener glücklicherer Tage.


Halsband-, Stein-, Haus- und Feldsperling (Passer hispaniolensis, Petronia stulta, Passer domesticus und montanus). 1/2 natürl. Größe.
Halsband-, Stein-, Haus- und Feldsperling (Passer hispaniolensis, Petronia stulta, Passer domesticus und montanus). 1/2 natürl. Größe.

Standvogel im vollsten Sinne des Wortes, entfernt er sich kaum über das Weichbild der Stadt oder die Flurgrenze der Ortschaft, in welcher er geboren wurde, besiedelt aber ein neu gegründetes Dorf oder Haus sofort und unternimmt zuweilen Versuchsreisen nach Gegenden, welche außerhalb seines Verbreitungsgebietes liegen. So erscheinen am Varanger-Fjord fast alljährlich Sperlingspaare, durchstreifen die Gegend, besuchen alle Wohnungen, verschwinden aber spurlos wieder, weil sie das Land nicht wirtlich finden. Aeußerst gesellig, trennt er sich bloß während der Brutzeit in Paare, ohne jedoch [315] deshalb aus dem Gemeinverbande zu scheiden. Oft brütet ein Paar dicht neben dem anderen, und die Männchen suchen, so eifersüchtig sie sonst sind, auch wenn ihr Weibchen brütend auf den Eiern sitzt, immer die Gesellschaft von ihresgleichen auf. Die Jungen schlagen sich sofort nach ihrem Ausfliegen mit anderen in Trupps zusammen, welche bald zu Flügen anwachsen. Sobald die Alten ihr Brutgeschäft hinter sich haben, finden auch sie sich wieder bei diesen Flügen ein und theilen nunmehr mit ihnen Freud und Leid. So lange es Getreide auf den Feldern gibt oder überhaupt, so lange es draußen grün ist, fliegen die Schwärme vom Dorfe aus alltäglich mehrmals nach der Flur hinaus, um dort sich Futter zu suchen, kehren aber nach jedem Ausfluge wieder ins Dorf zurück. Hier halten sie ihre Mittagsruhe in dichten Baumkronen oder noch lieber in den Hecken, und hier versammeln sie sich abends unter großem Geschreie, Gelärme und Gezänke, entweder auf dicht belaubten Bäumen oder später in Scheunen, Schuppen und anderen Gebäuden, welche Orte ihnen zur Nachtherberge werden müssen. Im Winter bereiten sie sich förmliche Betten, weich und warm ausgefütterte Nester nämlich, in denen sie sich verkriechen, um gegen die Kälte sich zu schützen. Zu gleichem Zwecke wählen sich andere Schornsteine zur Nachtherberge, ganz unbekümmert darum, daß der Rauch ihr Gefieder berußt und schwärzt.

So plump der Sperling auf den ersten Blick erscheinen mag, so wohl begabt ist er. Er hüpft schwerfällig, immerhin jedoch noch schnell genug, fliegt mit Anstrengung, unter schwirrender Bewegung seiner Flügel, durch weite Strecken in flachen Bogenlinien, sonst geradeaus, beim Niedersitzen etwas schwebend, steigt, so sehr er erhabene Wohnsitze liebt, ungern hoch, weiß sich aber trotz seiner anscheinenden Ungeschicklichkeit vortrefflich zu helfen. Geistig wohl veranlagt, hat er sich nach und nach eine Kenntnis des Menschen und seiner Gewohnheiten erworben, welche erstaunlich, für jeden schärferen Beobachter erheiternd ist. Ueberall und unter allen Umständen richtet er sein Thun auf das genaueste nach dem Wesen seines Brodherrn, ist daher in der Stadt ein ganz anderer als auf dem Dorfe, wo er geschont wird, zutraulich und selbst zudringlich, wo er Verfolgungen erleiden mußte überaus vorsichtig und scheu, verschlagen immer. Seinem scharfen Blicke entgeht nichts, was ihm nützen, nichts, was ihm schaden könnte; sein Erfahrungsschatz bereichert sich von Jahr zu Jahr und läßt zwischen Alten und Jungen seiner Art Unterschiede erkennen, wie zwischen Weisen und Thoren. Ebenso, wie mit dem Menschen, tritt er auch mit anderen Geschöpfen in ein mehr oder minder freundliches Verhältnis, vertraut oder mißtraut dem Hunde, drängt sich dem Pferde auf, warnt seinesgleichen und andere Vögel vor der Katze, stiehlt dem Huhne, unbekümmert um die ihm drohenden Hiebe, das Korn vor dem Schnabel weg, frißt, falls er es thun darf, mit den verschiedenartigsten Thieren aus einer und derselben Schüssel. Ungeachtet seiner Geselligkeit liegt er doch beständig mit anderen gleichstrebenden im Streite, und wenn die Liebe, welche bei ihm zur heftigsten Brunst sich steigert, sein Wesen beherrscht, kämpft er mit Nebenbuhlern so ingrimmig, daß man glaubt, ein Streit auf Leben und Tod solle ausgefochten werden, obschon höchstens einige Federn zum Opfer fallen. Nur in einer Beziehung vermag der uns anziehende Vogel nicht zu fesseln. Er ist ein unerträglicher Schwätzer und ein erbärmlicher Sänger. »Schill, schelm, piep«, seine Locktöne, vernimmt man bis zum Ueberdrusse, und wenn eine zahlreiche Gesellschaft sich vereinigt hat, wird ihr gemeinschaftliches »Tell, tell, silb, dell, dieb, schilk« geradezu unerträglich. Nun läßt zwar der Spatz noch ein sanftes »Dürr« und »Die« vernehmen, um seinem Weibchen Gefühle der Zärtlichkeit auszudrücken; sein Gesang aber, in welchem diese Laute neben den vorher erwähnten den Haupttheil bilden, kann trotzdem unsere Zustimmung nicht gewinnen, und der heftig schnarrende Warnungsruf: »Terr« oder der Angstschrei bei plötzlicher Noth: »Tell, terer, tell, tell, tell« ist geradezu ohrenbeleidigend. Trotzdem schreit, lärmt und singt der Sperling, als ob er mit der Stimme einer Nachtigall begabt wäre, und schon im Neste schilpen die Jungen.

Da der Spatz durch sein Verhältnis zum Menschen sein ursprüngliches Loos wesentlich verbessert und seinen Unterhalt gesichert hat, beginnt er bereits frühzeitig im Jahre mit dem Nestbaue und brütet im Laufe des Sommers mindestens drei-, wenn nicht viermal. Aeußerst brünstig, oder, [316] wie der alte Geßner sagt, »über die Maßen vnkeusch«, bekundet das Männchen sein Verlangen durch eifriges Schilpen, und gibt das Weibchen seine Willfährigkeit durch allerlei Stellungen, Zittern mit den Flügeln und ein überaus zärtliches »Die, die, die« zu erkennen. Hierauf folgt die Begattung oder wenigstens ein Versuch, sich zu begatten, darauf nach kurzer Zeit neue Liebeswerbung und neue Gewährung. Das Nest wird nach des Ortes Gelegenheit, meist in passenden Höhlungen der Gebäude, ebenso aber in Baumlöchern, Schwalbennestern, im Unterbaue der Storchhorste und endlich mehr oder minder frei im Gezweige niederer Gebüsche oder hoher Bäume angelegt, je nach diesen Standorten verschieden, immer aber liederlich gebaut, so daß es nur als unordentlich zusammengetragener Haufen von Stroh, Heu, Werch, Borsten, Wolle, Haaren, Papierschnitzeln und dergleichen bezeichnet werden darf, innerlich dagegen stets dick und dicht mit Federn ausgefüttert. Wenn es frei auf Bäumen steht, ist es oben überdeckt, wenn es in Höhlen angelegt wurde, bald geschlossen, bald unbedacht. Bei einigermaßen günstiger Witterung findet man bereits im März das vollzählige Gelege, welches aus fünf bis sechs, ausnahmsweise wohl auch sieben bis acht, dreiundzwanzig Millimeter langen und sechzehn Millimeter dicken, zarten, glattschaligen, in Färbung und Zeichnung sehr abweichenden, meist auf bräunlichbläulich oder röthlichweißem Grunde braun und aschgrau gefleckten, bespritzten und bepunkteten Eiern besteht. Beide Eltern brüten wechselweise, zeitigen die Brut in dreizehn bis vierzehn Tagen, füttern sie zuerst mit zarten Kerbthieren, später mit solchen und vorher im Kropfe aufgequellten Körnern, endlich hauptsächlich mit Getreide und anderen Sämereien, auch wohl mit Früchten groß, führen sie nach den Ausflügen noch einige Tage, um sie für das Leben vorzubereiten, verlassen sie sodann und treffen bereits acht Tage, nachdem jene dem Neste entflogen, zur zweiten Brut Anstalt. Wird einer der Gatten getödtet, so strengt sich der andere um so mehr an, um die hungrige Schar zu ernähren; vermag ein Junges das Nest nicht zu verlassen, so füttern es die Eltern, so lange es seiner Freiheit entbehrt.

Ueber Nutzen und Schaden des Sperlings herrschen sehr verschiedene Ansichten; doch einigt man sich neuerdings mehr und mehr zu der Meinung, daß der auf Kosten des Menschen lebende Schmarotzer dessen Schutz nicht verdient. In den Straßen der Städte und Dörfer verursacht er allerdings keinen Schaden, weil er sich hier wesentlich vom Abfalle ernährt; auf großen Gütern, Kornspeichern, Getreidefeldern und in Gärten dagegen kann er empfindlich schädlich werden, indem er dem Hausgeflügel die Körnernahrung wegfrißt, das gelagerte Getreide brandschatzt und beschmutzt, in den Gärten endlich die Knospen der Obstbäume abbeißt und später auch die Früchte verzehrt. In Gärten und Weinbergen ist er daher nicht zu dulden. Der wesentlichste Schaden, welchen er verursacht, besteht übrigens, wie Eugen von Homeyer richtig hervorhebt, darin, daß er die allernützlichsten Vögel, namentlich Staare und Meisen, verdrängt und den Sängern den Aufenthalt in solchen Gärten, welche er beherrscht, mehr oder weniger verleidet. Ob man wirklich den Schaden jedes durchwinterten Sperlingspaares und seiner Jungen zu zwei bis drei Mark veranschlagen darf, wie Eugen von Homeyer gethan, bleibe dahingestellt; nach den Untersuchungen dieses trefflichen Forschers aber muß man sich wohl oder übel zu der Ansicht bekehren, daß der Sperling der für ihn früher auch von mir erbetenen Nachsicht und Duldung nicht würdig ist.

Zum Käfigvogel eignet sich der Sperling nicht, obwohl er sehr zahm werden kann. Die Dienerin eines meiner Kärntner Freunde zeigte mir mit Stolz ihren Schützling und Liebling, einen Spatz, welcher nicht nur frei umher und aus- und einfliegen, sondern sich auch gestatten durfte, unter ihrem Busentuche zu ruhen und zu schlafen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 314-317.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon