Weidenammer (Emberiza aureola)

[288] Ein nicht minder schöner Vogel, der Weidenammer (Emberiza aureola, sibirica, dolichonia, pinetorum und Selysii, Euspiza, Hypocenter und Passerina aureola), gehört Nordasien an, bewohnt jedoch auch den Nordosten Europas in zahlreicher Menge und verfliegt sich von hier aus nicht allzu selten nach Westeuropa, während die Hauptmenge ihre Winterreise nach Südchina, Cochinchina, Assam, Burma und die übrigen Länder des westlichen Himalaya richtet. Die Länge beträgt einhundertundachtzig, die Breite zweihundertundachtzig, die Fittiglänge achtundachtzig, die Schwanzlänge fünfundvierzig Millimeter. Die Obertheile, ein Querband unter der gelben Kehle und die Kropfseiten sind tiefrostbraun, Mantel- und Schulterfedern mit undeutlichen Schaftflecken und schmalen weißlichen Außensäumen, Zügel, Kopfseiten und Kinn schwarz, die Untertheile gelb, seitlich durch rothbraune Schaftstriche geziert, die Unterschwanzdecken weiß, die Schwingen dunkelbraun mit fahlbraunen, die hinteren Armschwingen mit breiten rostbraunen Außensäumen, die rothbraunen Handschwingendecken mit breiten fahlweißen, eine Querbinde bildenden Endrändern gesäumt; ein großes Feld auf den oberen und die unteren Flügeldecken sind weiß, die äußerste Schwanzfeder weiß, innen an der Wurzel und am Ende dunkel, die zweite innen durch einen weißen Längsstreifen geschmückt, die übrigen haben die Färbung der Handschwingen. Das Auge ist röthlichbraun, der Schnabel gelblich, der Unterschnabel röthlich, der Fuß bräunlich hornfarben. Beim Weibchen sind die Obertheile rostbräunlich, dunkel geschaftet, die Bürzelfedern rothbraun, ein über die Kopfmitte verlaufender, ein Augenbrauen- und ein über die Unterbacken ziehender Streifen sowie die Untertheile gilblich, an den Seiten etwas dunkler und hier ebenfalls durch Schaftstriche gezeichnet.

[288] Im ganzen mittleren Sibirien, und zwar in Niederungen wie im Gebirge, bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe, zählt der Weidenammer zu den häufigsten Arten seiner Unterfamilie. Nicht minder zahlreich tritt er auch in Osteuropa, namentlich im mittleren und südlichen Ural, auf, von hier aus bis zur Dwina und dem Südwesten des Onegasees sich verbreitend. Auf unserer Reise haben wir ihn auffallenderweise nur an wenigen Stellen, und zwar im Krongute Altai, gefunden. Wasserreiche Gegenden, welche mit buschigen Weiden gut bestanden sind, bilden seine bevorzugten Aufenthaltsorte. Nächstdem herbergt er in sonnigen Birkenhainen, nie aber in Nadelwaldungen. Auch er trifft, von seiner Winterreise kommend, erst spät im Frühjahre, selten vor den ersten Tagen des Mai, am Brutgebiete ein, treibt sich hier ganz nach Art des Goldammers umher, läßt wie dieser den so vielen Arten gemeinsamen Lockton, ein scharfes »Zip, zip«, vernehmen, singt aber, auf hohen Zweigspitzen sitzend, besser als die meisten Ammer, da der einfache Gesang sich durch drei kurze, von einander wohl unterschiedene, flötende Strophen auszeichnet. Die Nester, welche Henke auf den Dwinainseln nördlich von Archangel am sechzehnten Juni fand, standen niedrig am Boden oder nicht hoch über demselben im Grase, Gestrüppe und Gesträuche versteckt, waren auf einer Unterlage aus trockenen Halmen, Blättern und Gewürzel erbaut und mit feinen Würzelchen, Bastfasern, zarten Grasblättern, zuweilen auch mit einzelnen Haaren und Federn ausgelegt. Die fünf bis sechs Eier, deren Längsdurchmesser dreiundzwanzig und deren Querdurchmesser siebzehn Millimeter beträgt, sind auf grünlichem oder bräunlich grauweißem Grunde mit kleinen und großen, theilweise ineinander geflossenen verwaschenen Schalenflecken von grünlicher oder bräunlichgrauer Färbung und mit brandfleckiger Zeichnung, Punkten, unregelmäßigen Flecken, Haarzügen und Schnörkeln von brauner und schwarzer Farbe geziert. Nach der Brutzeit schart sich alt und jung in zahlreiche Flüge und begibt sich allmählich auf die Wanderung. Bei dieser Gelegenheit werden in der Umgegend von Moskau oft sehr viele berückt, und sie sind es, welche dann auch lebend bis in unsere Käfige gelangen.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 288-289.
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