Wüstengimpel (Erythrospiza githaginea)

[339] Der Wüstengimpel, Wüstenfink, Wüstentrompeter, Moro (Erythrospiza githaginea, Fringilla githaginea und thebaica, Pyrrhula githaginea und Payraudaei, Carpodacus crassirostris und Payraudaei, Serinus und Bucanetes githagineus), trägt ein prachtvoll gefärbtes, wie aus Atlasgrau und Rosenroth gemischtes Gefieder. Das Roth gewinnt mit vorschreitendem Alter an Ausdehnung und Stärke und tritt im Frühlinge, wann das Gefieder den höchsten Grad der Ausfärbung erreicht, am vollendetsten auf, so daß es dann den purpurnen Schmelz der unsere Saaten schmückenden Radeblume, welche dem Vogel seinen wissenschaftlichen Namen lieh, an Schönheit weit hinter sich zurückläßt. Gegen den Herbst hin verblaßt es zusehends und ähnelt dann mehr dem Weibchen, dessen Hauptfärbung ein gesättigtes Gelbroth ist. Mannigfache Farbenabstufungen sind zu bemerken: einzelne Männchen erscheinen wie in Blut getaucht, andere sind wüstengrau. Der rothe Farbstoff beschränkt sich nicht auf das Gefieder allein, sondern breitet sich auch über die Oberhaut des Körpers, so daß ein gerupfter Wüstentrompeter als eine wahre kleine »Rothhaut« erscheint. Scheitel und Nacken sind auch im Hochzeitskleide rein aschgrau mit seidenartigem Glanze, Schultern und Rücken mehr oder weniger bräunlich aschgrau mit röthlichem [339] Anfluge, die größeren Flügeldecken blaßbräunlich, breit rosenroth gerandet, die Schwingen und Steuerfedern dunkel braungrau, an der äußersten Fahne karminroth, an der inneren weißlich gesäumt, an der Spitze licht gerandet. Das Weibchen ist am ganzen Oberleibe bräunlichgrau, auf der Unterseite heller grau, röthlich überflogen, auf dem Bauche schmutzig weiß. Die Länge beträgt dreizehn, die Breite zweiundzwanzig, die Fittiglänge neun, die Schwanzlänge fünf Centimeter. Wer die Wohnsitze dieses Gimpels kennen lernen will, muß der Wüste zuwandern; denn ihr ausschließlich, aber ihr im weitesten Sinne, gehört der Vogel an. Bolle fand ihn als häufigen Brutvogel auf den Kanarischen Inseln, und zwar vorzugsweise auf Lanzarote, Fuertaventura und Gran Canaria; ich traf ihn nicht minder häufig in dem größten Theile Oberegyptens und Nubiens bis gegen die Steppen hin, wo er allgemach verschwindet, begegnete ihm aber auch vereinzelt in dem wüstenhaften Arabien; außerdem verbreitet er sich über Persien und Sind.


Wüstengimpel (Erythrospiza githaginea). 5/6 natürl. Größe.
Wüstengimpel (Erythrospiza githaginea). 5/6 natürl. Größe.

Von seiner Heimat aus besucht er jeden Winter als Gast die Insel Malta, hat sich auch auf die griechischen Inseln, in die Provence und bis nach Toscana verflogen. Die Oertlichkeit, welche er bevorzugt, muß vor allem baumlos und von der heißen Sonne beschienen sein. »Der schüchterne Vogel«, sagt Bolle, welcher auch ihn eingehender als jeder andere vor ihm geschildert hat, »will sein Auge frei über die Ebene oder das Hügelgelände schweifen lassen. Was er vorzieht, sind die dürrsten und steinigsten Orte, wo der in der Mittagshitze aufsteigende Luftstrom über verbranntem Gesteine zittert. Nur wenig Gras, im Sommer verdorrt und gelb gebleicht, darf zwischen den Steinen hervorragen, nur hin und wieder niederes Gestrüppe zerstreut der Erde entsprießen, damit dem Wüstengimpel wohl sei an einer Stelle. Da lebt er denn, mehr Geröll- als Felsenvogel, ein Dickschnäbler mit den Sitten eines [340] Steinschmätzers, stets gesellig, wenn die Sorgen der Fortpflanzung ihn nicht vereinzeln, familienweise oder in kleinen Truppen. Von Stein zu Stein tanzt das muntere Vögelchen, oder es gleitet in meist niedrigem Fluge dahin. Selten vermag der Blick, es weit in die Landschaft hinaus zu verfolgen; denn das röthlichgraue Gefieder der Alten verschmilzt so unmerkbar mit der gleichartigen Färbung der Steine und mehr noch der blattlosen Euphorbienstämme und Zweige wie das Isabell der Jungen mit dem fahlen Gelb von Sand, Tuffstein oder Kalk. Gar bald würden wir seine Spur verlieren, wenn nicht die Stimme, welche eine der größten Merkwürdigkeiten des Vogels ist, unser Wegweiser, ihn aufzusuchen, würde. Horch! ein Ton, wie der einer kleinen Trompete schwingt durch die Luft: gedehnt, zitternd, und wenn unser Ohr ein feines ist und wir gut gehört haben, werden wir diesem seltsamen Klange vorhergehend oder unmittelbar nach ihm ein paar leise, silberhelle Noten vernommen haben, welche glockenrein durch die stille Wüste hinklangen. Oder es sind sonderbar tiefe, dem Gequake des kanarischen Laubfrosches nicht unähnliche, nur weniger rauhe Silben, welche, hastig wiederholt, hinter einander ausgestoßen und mit fast gleichen, aber schwächeren Lauten, bauchrednerisch, als kämen sie aus weiter Ferne, beantwortet werden. Nichts ist wohl mißlicher, als Vogeltöne durch Buchstaben wiedergeben zu wollen: beim Moro dürfte es vorzugsweise schwierig sein. Es sind eben Stimmen aus einer besonderen, für sich bestehenden Sphäre, welche man vernommen haben muß, um sich eine richtige Vorstellung davon zu machen. Niemand wird einen wirklichen Gesang von einem Vogel so beschaffener Gegenden erwarten. Die erwähnten, abenteuerlichen Klänge, denen er oft noch eine Reihenfolge krähender und schnurrender anhängt, vertreten bei ihm die Stelle eines solchen. Sie passen in ihrer Seltsamkeit so vollkommen zu der gleichfalls ungewöhnlichen Umgebung, daß man ihnen stets freudig lauscht und auf sie horcht, sobald sie schweigen. Da, wo das Erdreich aus nichts als Flugsand besteht, verschwindet der Moro. Er ist nicht dazu gemacht, wie ein Brachhuhn oder wie ein Wüstenläufer über den Sand zu laufen. Auch steiles, felsiges Gebirge scheint er nicht gerade aufzusuchen; desto mehr liebt er jene öden, schwarzen Lavaströme voll gletscherartig klaffender Risse und Schlünde, auf denen kaum ein Hälmchen grünt, die ihn aber durch die sicheren Schlupfwinkel, welche sie in ihren Höhlungen darbieten, anzulocken scheinen. Nie sieht man den Wüstengimpel auf einen Baum oder Strauch sich niederlassen. In bewohnteren Gegenden sind diese Vögel ziemlich scheu; da aber, wo die Einsamkeit und das Schweigen der Wüste sie umgibt, noch recht zutraulich, am meisten die Jungen, welche man oft unvermuthet auf einem Steine neben sich sitzen und einem mit den munteren schwarzen Aeugelein ins Gesicht schauen sieht.«

Ganz ähnlich ist es in den Nilländern. Hier belebt der Wüstengimpel von Siut an stromaufwärts die felsigen Ufer des Nils, und zwar an manchen Stellen in erstaunlicher Menge. Da, wo die Wüste bis an das Stromthal herantritt, darf man sicher sein, ihm zu begegnen. In Nord- und Mittelnubien fällt er wie unsere Finken in Flügen von funfzig bis sechzig Stück auf den Feldern ein oder streicht auf ihnen und zwischen dem Gebirge umher. Je wilder und zerklüfteter die Felsen sind, um so sicherer ist er zu finden. In der eigentlichen Wüste begegnet man ihm auch, jedoch fast ausschließlich in der Nähe der Brunnen. Hier ist er gewöhnlich der häufigste Vogel oder theilt mit den kleinen Wüstenlerchen und Wüstenammern das arme Gebiet.

Gefangengehaltene Wüstengimpel, welche Bolle pflegte, waren sanft, friedlich, gesellig und verträglich, keck und anmuthig. Sie riefen und antworteten sich gegenseitig fortwährend, bald mit schönen und hellen, aber kurzen, bald mit lang gedehnten, dröhnenden Trompetentönen, bald mit reinen und leisen Lauten, welche an den Klang eines Silberglöckchens erinnerten, bald mit ammerartigem Geschnarre. Dem quakenden Tone »Kä, kä, kä«, welchen sie am häufigsten wiederholen, antwortet in der Regel ein viel tieferer, leise und kurz ausgestoßener. Diese bald rauh, fast krächzend, bald flötend klingenden, immer aber höchst ausdrucksvoll vorgetragenen Silben drücken durch ihre Verschiedenheit jede Aenderung in der Gemüthsstimmung des Vogels aus. Selten hört man ein zwar unzusammenhängendes, aber langes Geplauder wie das kleiner Papageien; sie rufen auch, [341] kakelnd wie Hühnchen, »Kekek, kekek«, drei- bis viermal hinter einander. Ein lautes, »Schak, schak« ist der Ausdruck des Erstaunens oder Mißtrauens beim Anblicke ungewohnter Dinge. Am lautesten trompeten die Männchen (die Weibchen haben diesen Ton überhaupt nicht) im Frühlinge. Dabei legen sie den Kopf ganz nach hinten über und richten den weit geöffneten Schnabel gerade in die Höhe. Die leiseren Töne werden mit geschlossenem Schnabel hervorgebracht. Beim Singen, auch sonst zur Paarungszeit, führen sie die erheiterndsten Bewegungen aus. Sie tanzen förmlich um einander herum und treiben sich scharf, wenn sie in erregter Stimmung sind. Bei der Verfolgung des Weibchens nehmen die Hähnchen nicht selten mit senkrecht emporgerichtetem Körper und weit ausgebreiteten Flügeln die Figur eines Wappenbildes an. Es scheint dann, als seien sie im Begriffe, den Gegenstand ihrer Zärtlichkeit in die offenen Arme zu schließen.

Die Nahrung des Vogels besteht in der Freiheit fast oder ganz ausschließlich aus verschiedenen Sämereien, vielleicht auch aus grünen Blättern und Knospen; Kerbthiere scheint er zu verschmähen. Wasser ist ihm Bedürfnis. »Wie spärlich, trüb und lau auch die Quelle rinnt, sie muß durch einen, wenn auch meilenweiten Flug täglich einmal wenigstens erreichbar sein.« Er erscheint morgens und nachmittags in Gesellschaften an der Tränke, trinkt viel und in langen Zügen und badet sich dann wohl auch in seichterem Wasser.

Im März beginnt die Brutzeit. Die männlichen Vögel haben ihr Prachtkleid angelegt und sich mit dem erkorenen Weibchen vom Fluge getrennt, sind jedoch nicht aus dem Verbande der Gesammtheit geschieden. Vereint sieht mau die verschiedenen Pärchen auf den zerklüfteten Felsen sitzen; lauter und öfter als sonst erdröhnt der lang gezogene Trompetenton des Männchens, und lerchenartig umgeht dieses das Weibchen. Obgleich ich am Nile die Paare Baustoffe eintragen sah, wollte es mir doch nicht gelingen, mehr zu entdecken. Auch Bolle hat, so vielfach er sich nach dem Neste umgeschaut, keines auffinden können, wohl aber von den Ziegenhirten der gedachten Inseln erfahren, daß die Wüstengimpel in den Schlünden der Lavamassen oder auf der Erde unter großen überhängenden Steinen nisten; Tristram nur berichtet, daß das Nest ausschließlich aus feinen Würzelchen und schmiegsamen Halmen besteht. Die drei bis vier Eier sind etwa achtzehn Millimeter lang, zwölf Millimeter dick und auf blaß meergrünem Grunde mit rothbraunen Pünktchen und Flecken gezeichnet, welche am spitzigen Ende sehr vereinzelt, auch übrigens zerstreut stehen, gegen das stumpfe Ende hin aber einen aus feinen Schnörkeln, Zickzacklinien und großen hell rothbraunen, an den Rändern verwaschenen Flecken gebildeten Kranz zu zeigen pflegen.

Gefangene Wüstengimpel sind, weil man sie in ihrer Heimat nicht verfolgt, seltene Erscheinungen in unseren Käfigen. Ihr Betragen ist höchst anmuthig, ihre Anspruchslosigkeit ebenso bemerkenswerth wie ihre leichte Zähmbarkeit. Bolle's Pfleglinge schritten mehrmals zur Brut und erzielten kräftige Junge.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 339-342.
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