Blaumerle (Monticola cyana)

[140] Die Blaumerle oder Blaudrossel, Blau- oder Gebirgsamsel, Blauvogel, Einsiedler einsamer Spatz usw. (Monticola cyana, Turdus cyanus und solitarius, Sylvia solitaria, Petrocincla cyanea und longirostris, Petrocossyphus cyaneus), Vertreter der gleichnamigen Untersippe (Petrocossyphus), ist etwas größer als der Steinröthel: die Länge beträgt dreiundzwanzig bis fünfundzwanzig, die Breite siebenunddreißig, die Fittiglänge zwölf, die Schwanzlänge neun Centimeter. Das Gefieder des Männchens ist gleichmäßig schieferblau; die mattschwarzen Schwingen und Steuerfedern sind blau gesäumt. Beim Weibchen herrscht blaugrau vor; die Kehle ist licht rostbräunlich gefleckt und jeder Flecken schwarzbraun umsäumt; die übrige Unterseite zeigt dunkelbraune Mondflecken und bräunlichweiße Federkanten; die Schwingen und Steuerfedern sind dunkelbraun. Die Nestjungen ähneln dem Weibchen, unterscheiden sich aber durch lichtbräunliche Tropfenflecken auf der Oberseite. Nach der Mauser sind auch beim Männchen alle Federn gerandet; die Ränder schleifen sich jedoch bald ab, und das Gefieder erhält dann seine volle Schönheit. Das Auge ist braun, der Schnabel und die Füße sind schwarz.

[140] Ganz Südeuropa, Nordafrika und ein großer Theil Mittelasiens bis Mittelchina und zum westlichen Himalaya sind die Heimat der Blaumerle. In den südlichen Kronländern Oesterreich-Ungarns, namentlich in Dalmatien, Istrien, Kroatien und Südtirol, hier besonders in der Etschklause und am Gardasee, kommt sie, laut Tschusi, häufig, in Siebenbürgen und Krain seltener als Brutvogel, in Kärnten als Strichvogel vor; wie ich von Talsky erfahre, brütet sie ausnahmsweise aber auch mit dem Steinröthel auf dem Kotusch, einem fünfhundert Meter hohen Kalkfelsen in der Nähe von Stramberg im Nordosten Mährens. In Deutschland ist sie, wenn überhaupt, wohl nur im Bayrischen Hochgebirge als Strichvogel beobachtet worden. Häufig tritt sie in Griechenland, Italien, Südfrankreich und Spanien auf, ebenso in Palästina, Egypten bis Habesch und den Atlasländern. Während des Winters erscheint sie regelmäßig in Indien, obgleich man sie nicht eigentlich als Zugvogel betrachten darf; denn schon in Südeuropa begegnet man ihr jahraus, jahrein auf denselben Standorten, höchstens mit dem Unterschiede, daß sie im Winter sonnige Gehänge bevorzugt.

In ihrem Wesen und Betragen ähnelt sie dem Steinröthel sehr, unterscheidet sich aber doch in mancher Hinsicht. Mehr als der letztgenannte liebt sie die Einöde, Felswände und enge Gebirgsschluchten, denen der Baumschlag mangelt, besonders felsige Flußthäler. Regelmäßig besucht sie Ortschaften und treibt sich hier auf Thürmen, Wallmauern und hochgelegenen Dachfirsten oder in Egypten auf Tempeltrümmern umher. Nichtsdestoweniger trägt sie den Namen »Einsiedler« mit vollem Rechte. Sie lebt stets für sich, befreundet sich nie mit den Menschen und bewahrt sich auch dann, wenn sie in die Ortschaften kommt, ihre Selbständigkeit, vereinigt sich nicht einmal mit ihresgleichen in derselben innigen Weise wie andere Vögel. Nur während der Brutzeit sieht man das Paar unzertrennlich zusammen und kurz nachher die Familie gesellt; schon gegen den Herbst hin aber trennen sich die Glieder eines derartigen Verbandes, und jeder einzelne geht seinen eigenen Weg. Doch will ich bemerken, daß ich im Winter in Egypten zuweilen kleine Gesellschaften des sonst so ungeselligen Vogels gesehen habe. »Dieser Vogel, Cyanus genannt«, schreibt schon unser alter Freund Geßner, »hasset von Natur den Menschen, fleucht derhalben alle versammlungen derselbigen, auch alle Wildnussen, darinnen Menschen wonen, hat lieb die einöden Ort vnd hohen Gibel der Bergen. Epirum und andere Insulen so behauset werden, hasset er, liebet dagegen Scyrum, vnd andere dergleichen einöde vnd vnfruchtbare Ort.« Die Blaumerle hat übrigens auch ihre guten Seiten. Sie ist ein außerordentlich munterer, regsamer, bewegungslustiger Vogel und singt sehr fleißig. Ihr Gesang steht dem des Steinröthels zwar nach, darf aber noch immer als vorzüglich gelten und wird beinahe zu jeder Jahreszeit vernommen. In ihren Bewegungen ähnelt auch sie den Steinschmätzern, nicht aber den Drosseln, mit denen sie überhaupt nur die flüchtigste Betrachtung vergleichen kann. Sie ist vielleicht noch gewandter als alle übrigen Schmätzer, und zwar nicht bloß im Laufen, sondern auch im Fliegen. Keine andere von den mir bekannten Arten der Familie fliegt so viel und so weit in einem Zuge wie sie, welche oft Entfernungen von einem Kilometer in einem Zuge durchmißt und, von einem ihrer Lieblingssitze in der Höhe ausgehend, ohne sich auf den Boden herabzusenken, von einem Bergesgipfel zum anderen streicht. Der Flug selbst erinnert an den unserer gewandtesten Drosseln; doch schwebt die Blaumerle mehr als diese, namentlich kurz vor dem Niedersetzen, und ebenso steigt sie, wenn sie singt, ganz gegen Drosselart in die Luft. Der Gesang vereinigt die Klänge mehrerer Vögel, hat beispielsweise von dem Steinröthel die zusammenhängenden Halstöne, nur daß sie rauher und stärker sind, von der Singdrossel die lauten, nachtigallähnlichen Pfiffe und von der Amsel ebenfalls mehrere Strophen. Doch ist die Stimme des Steinröthels viel biegsamer, sanfter und angenehmer, sein Gesang mehr abwechselnd und minder durchdringend, und deshalb eben eignet er sich für das Zimmer mehr als seine Verwandte. Diese wiederholt die einzelnen Strophen gewöhnlich zwei- bis drei-, ja selbst fünf-bis zehnmal; demzufolge dünkt uns der Gesang nicht so mannigfaltig, wie er es wirklich ist. Zuweilen läßt die Blaumerle so leise und zwitschernde Töne vernehmen, wie sie nur der kleinste Vogel hervorbringen[141] kann. Sie singt gern und viel in der Abenddämmerung, zuweilen auch bei Kerzenlicht: eine trug besonders bei starker Beleuchtung, wenn laut gesprochen wurde, ihre leisen und angenehmen Töne vor. Auch sie hat eine Lieblings- und Begrüßungsstrophe, mit welcher sie einen sich nahenden Bekannten empfängt, wiederholt dieselbe aber sechs bis zwanzigmal ohne Unterbrechung und kann deshalb lästig werden. Auch dies wußte schon der alte Geßner: »Er singt gar vnderschiedlich, ordentlich, lieblich, vielfaltig vnd mancherley. Er ist darzu gar gelehrig, vnd nimpt aller dingen so eben war, daß er mehrerertheils dieselbigen gar verständiglich mit seiner Stimm bedeut vnd anzeigt. So er in der mitten in der vngestümmen Nacht erwecket wirt, singt er, als geheißen, gantz hell, meint derhalben er wölle seinen Befolch gar fleißig und trewlich außrichten.« Der Lockton ist das übliche »Tack tack«, der Ausdruck der Furcht das »Uit uit« des Steinröthels.

Die Liebeswerbungen der Blaumerle erinnern an den Tanz des Steinröthels; das Männchen nimmt aber, wie Homeyer sagt, eine wagerechte Haltung an, bläht sich auf und erscheint deshalb viel größer, »ballartig«, duckt den Kopf nieder und schnellt den hochgehobenen, zusammengelegten Schwanz dann und wann nach Art der Amsel in die Höhe. Das Nest steht in Felsspalten, auf Kirchthürmen, verfallenen Bergschlössern und anderen hochgelegenen oder erhabenen Gebäuden, ist ansehnlich groß, aber kunstlos, äußerlich aus Grasstücken, groben und feinen Halmen gebaut, in der flachen Mulde mit gekrümmten Wurzelfasern ausgelegt, und enthält Anfang Mai vier bis sechs eirunde, glänzende, entweder einfarbig grünlichblaue oder auf so gefärbtem Grunde spärlich und namentlich gegen das dicke Ende hin mit schwach violettgrauen Unter- und röthlich- oder rothbraunen Oberflecken gesprenkelte Eier, deren Längsdurchmesser achtundzwanzig und deren Querdurchmesser neunzehn Millimeter beträgt. Irby hatte treffliche Gelegenheit, Blaumerlen bei ihrem Brutgeschäfte zu beobachten; denn ein Paar von ihnen nistete in einer Höhlung der Mauer seines Stalles in Gibraltar. Den fünf Eiern entschlüpften am zwanzigsten Juni die Jungen, und beide Eltern bemühten sich nun auf das eifrigste, dieselben groß zu ziehen. Um sie hierbei belauschen zu können, befestigte der Beobachter, nachdem er von innen ein Loch durch die Mauer gebrochen hatte, im Inneren des Stalles einen kleinen Käfig, brachte in denselben die Jungen und überdeckte den Käfig bis auf ein Guckloch mit dichtem Zeuge. Durch das Loch konnte er das Treiben der Alten wahrnehmen. Beide Vögel fütterten und brachten ungefähr alle fünf Minuten einmal Nahrung, fast ausschließlich Tausendfüße, dann und wann auch große Spinnen und Schmeißfliegen. Wie die Alten im Stande waren, so viele Tausendfüße zu finden, blieb unerforschbar, da diese Kerbthiere bekanntlich unter Steinen leben. Der Kopf mit den gifteinflößenden Beißwerkzeugen war stets abgebissen, die zur Atzung verwendeten Thiere überhaupt immer getödtet. Zwei von den Jungen starben im Käfige, weil die Alten nicht gut zu ihnen kommen konnten; die übrigen gediehen und wurden später vollends künstlich aufgefüttert.

Alte Blaudrosseln sind schwer zu berücken; deshalb erhält man für den Käfig meist junge Vögel, welche dem Neste entnommen wurden. Sie halten sich bei geeigneter Pflege, wie der Steinröthel, jahrelang, gewöhnen sich aber sehr an eine bestimmte Oertlichkeit und ertragen etwaigen Wechsel schwer. »Als in Valetta der neue Markt eröffnet worden war«, erzählt Wright, »brachten viele von den Marktleuten ihre gefangenen Blaumerlen in den gewohnten Käfigen von dem alten Märkte her mit sich in ihre neuen Buden. Aber einer der Vögel nach dem anderen welkte dahin, und wenige Wochen später war nicht einer von ihnen mehr am Leben.« In Italien, auf Malta und in Griechenland sind sie als Stubenvögel sehr beliebt. Von Griechenland aus werden viele nach der Türkei ausgeführt, auf Malta gute Sänger so hoch geschätzt, daß man für ein Männchen vierzig bis sechszig Mark bezahlt. Eine reiche Malteserin dünkte sich, nach Wright, glücklich, eine besonders ausgezeichnete Blaumerle für hundertundfunfzig Mark erstanden zu haben, »und der frühere Besitzer hatte sich dennoch nur schwer von seinem Vogel getrennt«. Alle Malteser verfehlen nicht, das Gebauer, in welchem eine Blaumerle lebt, durch ein in geeigneter Weise angebrachtes Stück Tuch von rother Farbe gegen das »böse Auge« zu schützen.

[142] Vom Raubzeuge hat die Blaumerle wenig zu leiden; ihre Vorsicht entzieht die Alten, der stets vortrefflich gewählte Standort des Nestes die Brut den meisten Nachstellungen. Die Edelfalken fangen sie übrigens, wie ich mich selbst überzeugt habe, zuweilen doch.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 140-143.
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