Steinröthel (Monticola saxatilis)

[138] Der Steinröthel und Steinreitling, die Steindrossel, Hoch- oder Gebirgsamsel (Monticola saxatilis, Turdus, Sylvia, Petrocincla und Petrocichla saxatilis, Saxicola montana, Petrocossyphus saxatilis, polyglottus und Gourcyi) ist nichts anderes als ein Rothschwanz im großen. Das Gefieder ist auf Kopf, Vorderhals, Nacken und Bürzel schön blaugrau, auf dem Unterrücken weißblau oder weiß, auf der ganzen Unterseite prächtig hochrostroth; die Schulterfedern sind dunkel aschgrau oder schieferschwarz, die Schwingen schwarzbraun, an den Spitzen heller, die großen Deckfedern an der Spitze rostgelblichweiß gesäumt; die Steuerfedern, mit Ausnahme der beiden mittelsten, welche gleichmäßig matt dunkelgrau sind, haben dieselbe Farbe wie die Unterseite. Im Herbste, nach der Hauptmauser, zeigen alle kleineren Federn lichtere Säume. Das Weibchen ist oben auf mattbraunem Grunde lichtgefleckt, am Vor derhalse weiß, auf dem Unterkörper blaß rostroth; die Federn sind hier dunkler gekantet. Die Jungen sind gefleckt. Das Auge ist rothbraun, der Schnabel mattschwarz, der Fuß röthlichgrau. Die Länge beträgt dreiundzwanzig, die Breite siebenunddreißig, die Fittiglänge dreizehn, die Schwanzlänge sieben Centimeter.

Der Steinröthel ist ein Vogel des Mittelmeergebietes und daher fast auf allen Hochgebirgen Südeuropas zu Hause. Nach Norden hin kommt er als Brutvogel vereinzelt vor, so ziemlich regelmäßig in Steiermark, Kärnten, Oberösterreich, Tirol, auf den Kotuschfelsen bei Stramberg in [138] Mähren und längs des Rheins, ausnahmsweise in Böhmen, in der Lausitz und am Harze; nach Osten hin reicht sein Verbreitungsgebiet bis Südsibirien. In Slavonien, Kroatien, Dalmatien, der Türkei und Griechenland ist er geeigneten Ortes gemein, in Italien, der Krim, Kleinasien und Syrien nicht selten, in Spanien auf die höheren Gebirge beschränkt. Auf seinem Zuge durchreist er einen großen Theil Nordafrikas: ich bin ihm noch in den Waldungen des Blauen Flusses begegnet. In der Heimat erscheint er mit dem Hausrothschwanz, oft schon um die Mitte des März, spätestens im April und verweilt hier bis Ende September oder Anfang Oktober. Zu seinem Aufenthalte wählt er mit Vorliebe Weinberge oder weite steinige, mit einigen alten Bäumen bestandene Thalmulden.


Steinröthel (Monticola saxatilis). 1/2 natürl. Größe.
Steinröthel (Monticola saxatilis). 1/2 natürl. Größe.

Sein Betragen ähnelt dem unserer Rothschwänze, mit denen er überhaupt die größte Aehnlichkeit hat. Auch er ist ein vorsichtiger, kluger, lebhafter und gewandter Vogel, welcher selten lange an einem und demselben Orte verweilt, sondern sich den ganzen Tag über in seinem Gebiete umhertreibt und nur auf seinen Lieblingssitzen einige Zeit sich aufhält. Mit der Gewandtheit des Steinschmätzers läuft er über den Boden dahin, wie dieser oder wie der Rothschwanz macht er seine Bücklinge, wie der eine oder der andere tänzelt er über Felsen und größere Steine hinweg. Der Flug ist leicht und schön, wenig bogig, vor dem Niedersitzen schwebend und kreisend, sonst eilfertig eine gerade Richtung verfolgend, rasch und gewandt genug, um fliegende Kerbthiere einzuholen. Die Lockstimme, ein schnalzendes »Tack tack«, ähnelt ebenso dem gleichen Laute der Amsel wie dem des Steinschmätzers; der Ausdruck des Schrecks oder der Angst, ein leises, oft wiederholtes »Uit uit«, erinnert an den betreffenden Stimmlaut des Rothschwanzes. Der Gesang ist vortrefflich, reich und abwechselnd, laut und volltönend, gleichwohl aber sanft und flötend, auch besonders dadurch ausgezeichnet, daß in ihn, je nach Lage des Wohnortes und Begabung des Sängers, ganze Schläge oder Strophen aus Gesängen anderer Vögel, beispielsweise der Nachtigall, Amsel, Singdrossel, Grasmücke, Feld- und Heidelerche und Wachtel, des Rothkehlchens, Finkens, Pirols und Rebhuhns, selbst Hahnenkrähen usw., verwebt werden.

[139] Kerbthiere aller Art, im Herbste auch Beeren und Früchte, bilden die Nahrung. Die Kerfe liest der Steinröthel größtentheils vom Boden ab; die fliegenden fängt er, wie der Rothschwanz, in der Luft und jagt ihnen dabei oft auch weithin nach.

Bald nach Ankunft in der Heimat schreitet das Steinröthelpaar zur Fortpflanzung. Das Männchen singt jetzt, auf einem erhöhten Felsvorsprunge sitzend, eifriger als je, tanzt, wie Alexander von Homeyer beobachtete, »in aufrechter Haltung mit ausgebreiteten, auf dem Boden schnurrenden Flügeln und Schwanze, die Rückenfedern weit gelockert, den Kopf hintenüberwerfend, mit weit geöffnetem Schnabel und oft halb geschlossenen Augen«, erhebt sich zuletzt, flattert und schwebt, nach Art der Lerche steigend, in die Höhe, singt hierbei lauter und kräftiger als zuvor und kehrt sodann zum früheren Sitzplatze zurück. Das Nest wird sehr versteckt in möglichst unzugänglichen Mauer- und Felsenspalten, selten niedrig über begehbaren Boden, in Steinhaufen, unter Baumwurzeln oder selbst in dichtem Gestrüppe angelegt. Feine Wurzeln und Zweige von Heide oder anderen niederen Gesträuchen, Holzsplitterchen oder Strohhalme, Grasblätter und Baummoos, welche leicht und unordentlich über einander geschichtet werden, bilden den Außenbau; dieselben, nur sorgfältiger gewählten Stoffe kleiden die Mulde, einen schön gerundeten Napf, zierlich aus. Die vier bis sechs zartschaligen Eier sind durchschnittlich achtundzwanzig Millimeter lang, neunzehn Millimeter breit und einfarbig blaugrün, denen unseres Gartenrothschwanzes ähnlich. Beide Geschlechter brüten und nehmen an der Aufzucht der Jungen gleichmäßig theil. Bei Gefahr stößt das Männchen einen eigenen, wie »Fritschikschakschak fritschikschakschak« lautenden Warnungsruf aus und begleitet jeden Laut mit Bücklingen und Schwanzbewegungen. Die Jungen werden häufig aus dem Neste gehoben und mit Nachtigallen- oder Drosselfutter aufgezogen, oder aber, laut Talsky, von Vogelhändlern bis zum Flüggwerden der Pflege eines Hausrothschwanz-, nöthigenfalls eines in der Nähe der Wohnungen brütenden Bachstelzenpaares anvertraut. Wenn man sich viel mit ihnen beschäftigt, zeigen sie sich bald äußerst zutraulich und beweisen ihre Anhänglichkeit an den Menschen dadurch, daß sie zu singen beginnen, sobald man ihnen naht. »Ich hatte und sah«, bemerkt schon Graf Gourcy, »mehrere, welche ihren Herrn, wenn er nach Hause kam, zu jeder Stunde des Tags oder der Nacht anpfiffen und nicht eher aufhörten, als bis das Licht ausgelöscht wurde. In diesem Falle wiederholen sie aber immer und zwar sehr oft nur ein paar Strophen eines gelernten Liedes und lassen gar nichts von ihrem angeborenen Gesange hören, gleichsam als glaubten sie durch das vom Menschen erlernte mit ihm sprechen und sich ihm verständlich machen zu können. Ist aber niemand im Zimmer, dann ertönt gewöhnlich anstatt des erlernten Gesanges der natürliche.« Bei sorgsamer Pflege schreiten sie auch zur Fortpflanzung im Käfige oder bemuttern fremder Vögel Kinder, bethätigen hier überhaupt so treffliche und verschiedenartige Eigenschaften, daß man sie als die ausgezeichnetsten Stubenvögel, welche Europa liefert, bezeichnen darf.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 138-140.
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