Sommergoldhähnchen (Regulus ignicapillus)

[209] Das gleich große Sommergoldhähnchen, Goldkronhähnchen oder Feuerköpfchen, der Feuerkronsänger usw. (Regulus ignicapillus, pyrocephalus und mystaceus) ist oberseits lebhaft olivengrün, seitlich am Halse orangegelb, der Stirnrand rostbräunlich, ein schmales Querband über dem Vorderkopf wie ein breites Längsband über dem weißen Augenstreifen schwarz, ein breites von beiden eingeschlossenes, den Scheitel und Hinterkopf deckendes Feld dunkel orangefarben, ein Strich durchs Auge wie der schmale Rand desselben schwärzlichgrau, ein schmaler, unterseits durch einen dunkleren Bartstreifen begrenzter Strich unter dem Auge weiß, die Ohrgegend olivengrau, die Unterseite gräulichweiß, an Kinn und Kehle rostfahlbräunlich; die olivenbraunen Schwingen und Steuerfedern sind außen schmal hell olivengelbgrün, erstere innen breiter weiß gesäumt, die des Armes außen, hinter der hellen Wurzel mit einer breiten schwarzen Querbinde, die Armschwingendecken und größten oberen Deckfedern mit weißem Endrande geziert, wodurch zwei undeutliche helle Querlinien über dem Flügel entstehen. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß bräunlich; das Weibchen unterscheidet sich durch orangegelben Scheitel.

Außer hin Deutschland ist der niedliche Vogel in Frankreich, Italien, Griechenland und Spanien, hier namentlich als Wintergast, aufgefunden worden.

[209] Beide Arten haben in ihrem Wesen und Treiben die größte Aehnlichkeit. Sie bewohnen sehr oft dieselben Oertlichkeiten gemeinschaftlich, nähren sich von denselben Stoffen und nisten in derselben Weise. Die erste ausführliche Beschreibung von ihnen und von ihrem Leben rührt von meinem Vater her, und sie ist es, welche ich dem nachfolgenden zu Grunde legen darf, da sie wesentliche Berichtigungen oder Bereicherungen nicht erfahren hat.

In Deutschland ist das Wintergoldhähnchen Stand-und Strichvogel. Oft hält es sich das ganze Jahr in dem kleinen Gebiete einer ganzen oder halben Geviertstunde; doch kommen im Oktober viele Vögel dieser Art aus dem Norden an, welche in Gärten, Nadel- und Laubhölzern oder in buschreichen Gegenden gesehen werden, zum Theile bei uns überwintern, zum Theile aber auch südlich ziehen, im März und April wieder bei uns durchstreichen und dieselben Orte wie im Herbste besuchen. Das Sommergoldhähnchen dagegen bringt den Winter nicht in Deutschland, sondern in wärmeren Ländern zu, und erscheint bei uns in den letzten Tagen des März oder in den ersten des April und verweilt bis zu den letzten Tagen des September oder den ersten des Oktober. Bei der Ankunft streicht es in den Hecken und Büschen umher, eilt aber bald in die Nadelwälder, wo es sich in Fichtenbeständen vereinzelt. Viele ziehen weiter nördlich, viele bleiben bei uns. Sie wanderndes Nachts und suchen am Tage ihre Nahrung. Im Sommer leben sie fast immer auf hohen Bäumen, und kommen nur selten in Dickichte oder in niederes Stangenholz; im September streichen sie. Beide Goldhähnchen halten sich vorzugsweise in den Nadelwaldungen auf, meist auf den Bäumen, aber auch in niederen Gebüschen, kommen nicht selten selbst zum Boden herab. Jenes bevorzugt die Kiefer, dieses die Fichte jedem anderen Baume; beide aber lieben kleinere Bestände von funfzig bis hundert Hektar mehr als ausgedehnte Waldungen. »Die Zuneigung zu den Nadelbäumen«, bemerkt Naumann, »ist auffallend. Wenn man im Spätherbste und Winter eine Gesellschaft in einem Garten ankommen sieht, wo nur eine einzelne Fichte oder Tanne steht, so besuchen sie diese gleich, treiben sich auch in solchen Gärten länger als in anderen und meistens bei jenen Bäumen herum. Allein sie durchstreifen auf ihren Wanderungen auch alle reinen Laubholzwaldungen.« Ihr Aufenthalt und ihr Streichen im Herbste und Winter richten sich nach den Umständen. Ist im Winter das Wetter schön, heiter und nicht zu kalt, dann sind sie hoch auf den Nadelbäumen, bei Regen, Wind und Sturm oder sehr strenger Kälte aber kommen sie auf niedrige Gebüsche und auf den Boden herab. Im Winter halten sie sich immer auf denjenigen Stellen des Waldes auf, welche von der Sonne beschienen werden.

Auffallend ist die außerordentliche Unruhe der Goldhähnchen. Das Feuerköpfchen hüpft unaufhörlich von einem Zweige zum anderen und verhält sich nur selten kurze Zeit ruhig, hängt sich, nach Meisenart, unten an die Zweige, erhält sich flatternd auf einer Stelle, um nach Laubsängerart ein Kerbthier von einer Zweigspitze wegzunehmen, und fliegt leicht und geräuschlos von einem Baume zum anderen. Die Brutzeit ausgenommen, findet man es selten allein, gewöhnlich in Gesellschaft seinesgleichen und anderer Vögel. Wir haben beide Arten besonders unter den Hauben- und Tannenmeisen, weniger oft in Gesellschaft von Baumläufern und Kleibern, Sumpf-, Blau-und Kohlmeisen gesehen.

Der Lockton klingt schwach »Si si«, auch »Zit«, und wird von beiden Geschlechtern im Sitzen ausgestoßen. Den Gesang, welchen man von den Alten im Frühjahre und im Sommer, von den Jungen im August, September und Oktober, selbst von denen, welche mitten in der Mauser stehen, vernimmt, fängt mit »Si si« an, wechselt aber dann hauptsächlich in zwei Tönen von ungleicher Höhe ab und hat einen ordentlichen Schluß. An warmen Wintertagen singen die Goldköpfchen herrlich, während der Paarungszeit ungemein eifrig und überraschend laut; während der Nistzeit dagegen sind sie sehr still. Ein eigenes Betragen zeigen sie oft im Herbste, vom Anfange des September bis zum Ende des November. Eines von ihnen beginnt »Si si« zu schreien, dreht sich herum und flattert mit den Flügeln. Auf dieses Geschrei kommen mehrere herbei, betragen sich ebenso und jagen einander, so daß zwei bis sechs solch außergewöhnliches Spiel treiben. Sie sträuben dabei die Kopffedern [210] ebenso wie bei der Paarung, bei welcher das Männchen sein Weibchen so lange verfolgt, bis es sich seinem Willen fügt. Streben zwei Männchen nach einem Weibchen, dann gibt es heftige Kämpfe. Das Feuerköpfchen ist viel gewandter und unruhiger und in allen seinen Bewegungen rascher, auch ungeselliger als sein Verwandter. Während man letzteren, die Brutzeit ausgenommen, immer in Gesellschaft und in Flügen sieht, lebt dieses einsam oder paarweise. Im Herbste trifft man öfters zwei Stück zusammen, welche immer ein Pärchen sind. Schießt man eines davon, dann geberdet sich das andere sehr kläglich, schreit unaufhörlich und kann sich lange Zeit nicht zum Weiterfliegen entschließen. Auch der Lockton unseres Vogels ist ganz anders als der seines Sippenverwandten: denn das »Si si si« ist viel stärker und wird anders betont, so daß man beide Arten sogar am Locktone unterscheiden kann, obgleich man nicht im Stande ist, die Verschiedenheit so anzugeben, daß auch ein Unkundiger sie richtig auffassen würde. Viel leichter ist dies beim Gesange möglich. Beim Wintergoldhähnchen wechseln in der Mitte des Gesanges zwei Töne mit einander ab, und am Ende hört man die Schlußstrophe; beim Sommergoldhähnchen dagegen geht das »Si« in einem Tone fort und hat keinen Schluß, so daß der ganze Gesang weit kürzer, einfacher und nichts als ein schnell nach einander herausgestoßenes »Si si si« ist. Zuweilen hört man von dem Männchen auch einige Töne, welche an den Gesang der Haubenmeise erinnern. Im Frühjahre und Hochsommer singt dieses Goldhähnchen oft, selbst auf dem Zuge, im Herbste aber, und auch darin weicht es vom gewöhnlichen ab, äußerst selten. Der Gesang der beiden verwandten Arten ist so verschieden, daß man bei stillem Wetter den einer jeden Art auf weithin unterscheiden kann.

Bei der Paarung sträubt das Männchen des Feuerköpfchens die Kopffedern, so daß eine prächtig schimmernde Krone aus ihnen wird, umhüpft sodann unter beständigem Geschreie, mit etwas vom Körper und Schwanze abstehenden Flügeln und in den sonderbarsten Stellungen sein Weibchen, welches ein ähnliches Betragen annimmt, und neckt es so lange, bis die Begattung geschieht.

Beide Goldhähnchen brüten zweimal im Jahre, das erste Mal im Mai, das zweite Mal im Juli. Die ballförmigen, sehr dickwandigen, außen neun bis elf, innen nur sechs Centimeter im Durchmesser haltenden, etwa vier Centimeter tiefen, bei beiden Arten gleichen Nester stehen sehr verborgen auf der Spitze langer Fichten- und Tannenäste, zwischen dichten Zweigen und Nadeln und auf herabhängenden Zweigen, welche von der ersten Lage der Neststoffe ganz oder zum Theil umschlossen sind und bis an den Boden oder über ihn hinausreichen. Das Weibchen, welches beim Herbeischaffen der Baustoffe zuweilen vom Männchen begleitet, aber hierbei ebenso selten wie beim Verarbeiten unterstützt wird, bedarf mindestens zwölf, zuweilen auch zwanzig Tage, bis es den Bau vollendet hat, umwickelt zunächst, zum Theil fliegend, mit großer Geschicklichkeit die Zweige, füllt sodann die Zwischenräume aus und beginnt nunmehr erst mit Herstellung der Wandungen. Die erste, fest zusammengewirkte Lage besteht aus Fichtenflechten und Baummoos, welche zuweilen mit etwas Erdmoos und Rehhaaren untermischt werden und durch Raupengespinst, welches besonders um die das Nest tragenden Zweige gewickelt ist, gehörige Festigkeit bekommen, die Ausfütterung aus vielen Federn kleiner Vögel, welche oben alle nach innen gerichtet sind und am Rande so weit vorstehen, daß sie einen Theil der Oeffnung bedecken. Bei zwei Nestern des Feuerköpfchens, welche mein Vater fand, ragten aus der äußeren Wand Reh- und Eichhornhaare hervor. Die Ausfütterung bestand zu unterst zum größten Theil aus Rehhaaren, welche bei dem einen über wenige Federn weggelegt waren, oben aber aus lauter Federn, welche so künstlich in den eingebogenen Rand des Nestes eingebaut waren, daß sie die oben sehr enge Oeffnung fast oder ganz bedeckten. Das erste Gelege enthält acht bis zehn, das zweite sechs bis neun sehr kleine, nur dreizehn Millimeter lange, zehn Millimeter dicke, auf weißlichgrauem oder blaß fleischfarbenem Grunde mit lehmgrauen, am dickeren Ende gewöhnlich dichter zusammenstehenden Punkten gezeichnete auch wohl geaderte oder gewässerte Eier. Sie sind so zerbrechlich, daß man sie mit der größten Vorsicht behandeln muß, will man sie nicht mit den Fingern zerdrücken. Die Jungen werden von beiden Eltern mit vieler Mühe, weil mit den kleinsten Kerfen und Kerbthiereiern, aufgefüttert, sitzen im Neste dicht auf- und nebeneinander [211] und müssen, um Platz zu finden, ihre Wohnung nach und nach mehr und mehr erweitern. Eine Goldhähnchenfamilie bleibt nur kurze Zeit zusammen; denn die Alten trennen sich wegen der zweiten Brut entweder bald von den Jungen des ersten Genistes, oder schlagen sich nach der zweiten Brut mit anderen Familien zu Flügen zusammen.

Verschiedene Kerbthiere und deren Larven, aber auch feine Sämereien, bilden die Nahrung der Goldhähnchen. Im Sommer fressen sie kleine Käferchen und Räupchen, im Winter fast ausschließlich Kerbthiereier und Larven. Sie lesen gewöhnlich von den Zweigen ab, zwischen den Nadeln oder dem Laube hervor, erhalten sich vor einer erspähten Beute flatternd und jagen einer fliegenden nach.

In der Gefangenschaft sieht man Goldhähnchen selten, weil es schwierig ist, sie an Stubenfutter zu gewöhnen und sie sehr hinfällig sind, oft sogar bereits beim Fange sterben. Haben sie sich einmal eingewöhnt, so können sie, geeignete Pflege vorausgesetzt, jahrelang im Käfige ausdauern und sind dann allerliebste Stubengenossen. Frei im Zimmer gehalten, erwerben sie sich durch Wegfangen von Fliegen nicht geringere Verdienste, als draußen im freien Walde durch Aufzehren von forstschädlichen Kerbthieren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 209-212.
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