Flötenwürger (Laniarius aethiopicus)

[493] Der Flötenwürger (Laniarius aethiopicus, Turdus, Lanius, Telephonus, Dryoscopus und Malaconotus aethiopicus) ist auf der ganzen Oberseite, mit Ausnahme einer weißen Flügelbinde schwarz, auf der Unterseite reinweiß mit rosenrothem Anfluge, das Auge rothbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß blaugrau. Seine Länge beträgt fünfunddreißig, die Breite dreiunddreißig, die Fittiglänge zehn, die Schwanzlänge neun Centimeter.

Der Scharlachwürger findet sich im ganzen östlichen Mittelafrika, jedoch mehr in den Urwaldungen der Ebenen als im Gebirge. Er ist ein wahrer Schmuck der Wälder. Seine hochrothe Brust schimmert schon von weitem durch das dichteste Geäst der üppig grünenden Bäume, und der Vogel muß selbst dem ungeübten Beobachter auffallen, da er nicht blos schön, sondern auch beweglich, und nicht nur beweglich, sondern auch redselig ist. Im Gebirge scheint ihn der Flötenwürger, welcher hier noch in einem zwischen zwei- bis dreitausend Meter unbedingter Höhe gelegenen Gürtel vorkommt, zu vertreten, ersetzt ihn wenigstens, so weit es sich um die Stimme handelt. Beide Arten leben immer paarweise. An geeigneten Orten sind sie sehr häufig: es wohnt Paar bei Paar, und die hellen Flötentöne, welche im Anfange entzückten, vernimmt man hier so oft, daß sie fast, zur Plage wer den. Das Paar behauptet ein kleines Gebiet, dessen Durchmesser hundertundfunfzig Schritte betragen mag, mit Hartnäckigkeit und vertheidigt es gegen jeden Eindringling. Dazu ist es gezwungen, denn bei der Häufigkeit dieser Vögel ist jeder zusagende Ort besetzt, und das einzelne Paar muß sich begnügen. In der Regel vernimmt man die Flötenwürger viel eher, als [493] man sie sieht; denn das dichteste Gebüsch ist ihr bevorzugter Aufenthalt, und von ihm aus fliegen sie nur dann auf Hochbäume empor, wenn diese geschlossene Kronen besitzen, welche sie möglichst verdecken. Sie halten sich im laubigen Geäste auf, freilich ohne sich thatsächlich zu verbergen; denn ihre lebhaften Farben schimmern eben doch auch durch das dichteste Grün hindurch, und wenn sie wirklich dem Auge entrückt sind, dann findet der Beobachter sie bald durch das Gehör auf. Hinsichtlich ihres Betragens haben sie unzweifelhaft größere Aehnlichkeit mit den Drosseln als mit den Würgern. Ich erinnere mich nicht, sie jemals auf der Spitze eines hervorragenden Zweiges, nach Würgerart auf Kerbthiere lauernd, gesehen zu haben; sie bewegten sich stets im Inneren der Gebüsche und Baumkronen und liefen hier mit sängerartiger Gelenkigkeit längs der Zweige dahin, diese und die Blätter gründlich nach Nahrung absuchend. Auf dem Boden sieht man sie seltener; doch geschieht es wohl bisweilen, daß sie hier umher hüpfen; bei der geringsten Störung aber fliegen sie augenblicklich wieder in ihre dichten Wipfel empor. Ihr Flug ist schlecht und von dem der Würger durchaus verschieden.


Flötenwürger (Laniarius aethiopicus). 2/5 natürl. Größe.
Flötenwürger (Laniarius aethiopicus). 2/5 natürl. Größe.

Er besteht fast ausschließlich aus schnell wiederholten Flügelschlägen, welche kaum durch gleitendes Schweben unterbrochen werden. Das bemerkenswertheste [494] im Betragen dieser Vögel ist aber unbedingt die Art und Weise, wie sie ihren Gesang zum besten geben. Es handelt sich hier nicht um ein Lied, sondern nur um einzelne Töne, klangvoll wie wenig andere, welche sehr häufig wiederholt, aber von beiden Geschlechtern gemeinschaftlich hervorgebracht werden. Der Ruf des Scharlachwürgers ähnelt dem verschlungenen Pfiffe unseres Pirols; der Ruf des Flötenwürgers besteht aus drei, seltener zwei glockenreinen Lauten, welche sich etwa im Umfange einer Oktave bewegen. Er beginnt mit einem mittelhohen Tone, auf welchen erst ein tieferer und dann ein bedeutend höherer folgt. Die ersten beiden liegen im Umfange einer Terz, die letzten beiden im Umfange einer Oktave auseinander. Diese drei Glockentöne werden ebenso, wie der Pfiff des Scharlachwürgers, nur vom Männchen vorgetragen; unmittelbar auf sie aber folgt die Antwort des Weibchens, ein unangenehmes Kreischen oder Krächzen, welches sich schwer nachahmen und noch viel schwerer beschreiben läßt. Das Weibchen des Scharlachwürgers schließt sein Kreischen erst nach Schluß des ganzen Tonsatzes seines Gatten an, das des Flötenwürgers fällt gewöhnlich schon beim zweiten Tone ein; die eine wie die andere Art aber beweist einen Taktsinn, welcher in Erstaunen setzen muß: es läßt nie auf sich warten. Zuweilen kommt es auch vor, daß das Weibchen anfängt; dann kreischt es gewöhnlich drei-, vier-, sechsmal nach einander, ehe das Männchen einfällt. Geschieht es endlich, so beginnt das Pfeifen von neuem und geht mit gewohnter Regelmäßigkeit weiter. Ich habe mich durch die verschiedensten Versuche überzeugt, daß beide Geschlechter zusammenwirken; ich habe bald das Männchen, bald das Weibchen erlegt, um mich der Sache zu vergewissern. Schießt man das Weibchen vom Baume herab, so verstummt natürlich sofort das Kreischen, und das Männchen wiederholt ängstlich seinen Pfiff mehrmals nach einander. Erlegt man das Männchen, so kreischt oder knarrt das Weibchen. Die Beobachtung und Belauschung dieser Vögel gewährt im Anfange viel Vergnügen; das fortwährend wiederholte Tonstück aber wird zuletzt doch unerträglich: die Regelmäßigkeit, die ewige Gleichförmigkeit ermüdet. So entzückt man anfangs ist von der Reinheit der Flötentöne, so verwundert über das Kreischen, so erstaunt über die Art und Weise des Vortrags, schließlich bekommt man das ganze so satt, daß man es verwünscht, wenn man es hört.

Leider bin ich nicht im Stande, mit Sicherheit anzugeben, welche Kerbthiere die Flötenwürger bevorzugen. Daß sie sich zu gewissen Zeiten vorzugsweise von Ameisen nähren, hat schon Rüppell beobachtet; nebenbei stellen sie aber auch den verschiedensten anderen Käfern nach und namentlich den Raupen und Larven derselben. Ob sie auch Nester plündern, muß dahin gestellt bleiben; mir scheint es nicht wahrscheinlich. Das Fortpflanzungsgeschäft ist zur Zeit noch gänzlich unbekannt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 493-495.
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