Ani (Crotophaga Ani)

[250] Die bekannteste und verbreitetste Art der Sippe und Unterfamilie ist der Ani der Brasilianer (Crotophaga Ani, rugirostris, laevirostris und minor). Seine Länge beträgt fünfunddreißig, die Breite vierzig, die Fittiglänge dreizehn, die Schwanzlänge siebzehn Centimeter; der Ani kommt also, trotz seines längeren Schwanzes, unserem Kukuk kaum an Größe gleich. Die tiefschwarzen Federn schimmern auf dem Flügel und dem Schwanze in stahlblauem Scheine, die des Kopfes und Halses enden mit breiten, erzbraunen, die des Mantels und der Schultern, des Kropfes und der Brust mit breiten, schwarzblau scheinenden Säumen. Der Schnabel ist von der Wurzel an mit einem hohen, scharfen Kiele, vor der Spitze mit einer sanften Ausbuchtung versehen, an den Seiten glatt und ohne Längsfurchen, seine Färbung wie die der Beine schwarz, die des Auges graubraun.

Der Ani verbreitet sich über den größten Theil Südamerikas östlich der Kette der Andes. Sein Wohngebiet reicht vom Osten Brasiliens bis Mittelamerika, einschließlich Westindiens und der Antillen. Gelegentlich kommt er auch in den südlichen Vereinigten Staaten vor. In Brasilien findet er sich überall, wo offene Triften mit Gebüschen und Vorwaldungen abwechseln, meidet aber entschieden die großen geschlossenen Wälder; in Guayana tönt sein heiseres Geschrei dem Reisenden entgegen, sobald er die Ansiedelung verlassen hat; auf Jamaika sieht man ihn auf allen Ebenen, insbesondere in den Steppen und auf den Weiden, welche von Roß- und Rinderherden besucht werden, und zwar so häufig, daß Gosse behaupten kann, er sei möglicherweise der gemeinste aller Vögel der Insel. Auch auf St. Croix ist er sehr häufig und wegen seiner auffallenden Erscheinung allgemein bekannt.

Sein Betragen ist nicht unangenehm. »Der Ani«, sagt Hill, »ist einer meiner Lieblinge. Andere Vögel haben ihre Jahreszeit, aber die Madenfresser sind beständige Bewohner des Feldes und während des ganzen Jahres zu sehen. Wo immer es offenes Land und eine Weide gibt, welche mit einigen Bäumen oder Sträuchern bestanden ist, da bemerkt man auch gewiß diese geselligen Vögel. Dreist und anscheinend furchtlos, verabsäumen sie nie, die Ankunft eines Menschen durch [250] lautes Geschrei anzuzeigen. Nach einem vorübergegangenen Gewitter sind sie gewiß die ersten, welche das Dickicht verlassen, um ihre Schwingen zu trocknen und hierauf im freien Felde sich wieder zu zeigen; selbst die stets sangfertige Spottdrossel thut es ihnen nicht zuvor. ›Qui jotsch qui jotsch‹ hört man von einem nicht fernen Gebüsche, und ein kleiner Flug von Madenfressern wird sichtbar, mit lang ausgestrecktem Schwanze einem Platze zugleitend, auf welchem die Frische und Feuchtigkeit der Erde das Kerbthierleben geweckt hat. Die Sonne sendet ihre Strahlen schief auf die Ebene hernieder, die Seebrise verbreitet ihre Frische, und ein schnell und ängstlich wiederholtes ›Qui jotsch qui jotsch‹ wird wieder vernommen. Ein Falk stiehlt sich geräuschlos an der Buschgrenze dahin und schwebt gelegentlich über die Savanne hinaus; die Sturmglocke der schwarzen Vögel aber ist längst der gesammten Bewohnerschaft des Feldes geläutet worden: nicht ein Laut wird mehr gehört und nicht ein einziger Flügel bewegt! In den glühend heißen Tagen, wenn kein Thau mehr fällt und die ganze Pflanzenwelt verschmachtet, sieht man die Madenfresser in früher Nachmittagsstunde den Flüssen sich zuwenden und hier in kleine Gesellschaften zertheilen. Haben sie einen Ort erkundet, wo ein entwurzelter Baum in den Strom gefallen ist, so gewahrt man sie jetzt, in den verschiedensten Stellungen sitzend, den Schwanz nach oben richtend und von dem Gezweige austrinkend, oder still und in sich gekehrt, das Gefieder säubernd und sich auf dem Sande des Ufers beschäftigend.


Ani (Crotophaga Ani). 1/2 natürl. Größe.
Ani (Crotophaga Ani). 1/2 natürl. Größe.

Hier verweilen sie bis gegen Sonnenuntergang, dann fliegen sie nach einigem Zaudern von dannen, nachdem einer des Haufens das Zeichen gegeben, daß es nun Zeit ist, die nächtliche Ruhe zu suchen.« Andere Beobachter sprechen sich in ähnlicher Weise aus. »Sie sind ein höchst anziehendes Völkchen«, schildern Schomburgk, »deren ewig geschäftigem Treiben man stundenlang zusehen kann. Behend umhüpfen sie die Rinderherden oder schlüpfen sie durch das Gras, [251] um Grillen und andere Kerbthiere zu fangen. Geht es aber zur Flucht, dann hört ihre Schnelligkeit auf, da ihre Flügelmuskeln gerade nicht die stärksten sind und ihnen bald den Dienst versagen. Am häufigsten findet man sie an den Waldungen, Umzäunungen der Savannenflüsse, wo sie unter wildem Lärm von Strauch zu Strauch fliegen, seltener in der offenen Savanne und in dem Inneren des Waldes.« Gosse fügt vorstehendem noch einiges hinzu. »Sie lieben es, morgens auf niederen Bäumen mit ausgebreiteten Schwingen sich zu sonnen und verweilen in dieser Stellung oft lange Zeit vollkommen ruhig. In der Hitze des Tages sieht man viele in den tieferen Ebenen, auf den Umzäunungen oder Hecken sitzend, den Schnabel weit geöffnet, als ob sie nach Luft schnappten. Dann scheinen sie ihre gewöhnliche Geschwätzigkeit und Vorsicht gänzlich vergessen zu haben. Manchmal spielen zwei oder drei inmitten eines dicken, von Schlingpflanzen umwobenen Busches Verstecken und stoßen dann plötzlich ihr sonderbares Geschrei aus, gewissermaßen in der Absicht, andere aufzufordern, sie zu suchen.« Gundlach, welcher den Ani auf Cuba beobachtet hat, hebt ebenfalls die Neigung gesellig zu leben hervor und bemerkt, daß die Anis familienweise von einer Stelle zur anderen ziehen, jedoch stets innerhalb eines kleinen Wohngebietes bleiben. Da sie viel zusammenleben, muß natürlicherweise eines der Glieder der Gesellschaft eine annähernde Gefahr bemerken und das Lärmzeichen geben; dieses ahmen alle nach, bevor sie sich entfernen, und daher rührt zum guten Theile ihr beständiges Schreien her. Letzteres kann zwar sehr ergötzlich sein, einen Jäger aber auch oft in empfindlicher Weise ärgern, weil das Wild auch hier das Geschrei der wachsamen Vögel als Warnung betrachtet und vor dem Jäger sich zurückzieht.

In ihren Bewegungen sind sie keineswegs ungeschickt. Auf dem Boden hüpfen oder springen sie gewöhnlich umher, indem sie die Füße gleichzeitig erheben; gelegentlich aber sieht man sie auch über Hals und Kopf dahinrennen und dann mit einem Fuße um den anderen ausschreiten. Im Gezweige der Bäume klettern sie ziemlich behend umher, und zwar ebenso kopfaufwärts wie umgekehrt. Sie fußen auf dem Ende eines Hauptzweiges, gewinnen die Mitte der Krone, indem sie rasch auf dem Zweige dahinlaufen, durchsuchen den ganzen Baum ordentlich nach Kerbthieren und verlassen ihn von der anderen Seite, entweder einzeln in derselben Ordnung oder plötzlich alle zusammen unter lautem Geschrei. Der Flug ist schwerfällig, langsam und unregelmäßig; der fliegende Ani sieht dabei auch sonderbar aus, weil er den dünnen Leib mit dem langen Schwanze, dem große Kopfe und dem gewaltigen Schnabel geradeausstreckt und die Schwingen nur wenig bewegt und so, wie Gosse sagt, eher einem Fische als einem Vogel ähnelt.

Ani und Sperlingsfalk müssen, laut Newton, am meisten unter den Angriffen eines Tyrannen leiden. Es ist schwer zu sagen, ob der Ani oder gedachter Tyrann dem Beobachter das meiste Vergnügen gewährt. Wenn eine frische Brise weht, ist jeder wegen seines langen Schwanzes und der kurzen Flügel geradezu hülflos, verliert gänzlich seine Geistesgegenwart und fliegt mit dem Winde, während das Gegentheil das beste wäre. Dann erscheint der Tyrann und versetzt ihm derartige Stöße, daß ihm nichts übrig bleibt, als sich in eine unerquicklich aussehende Dornhecke oder in das Gras herabzustürzen. Eine Folge dieser Abenteuer ist, daß sein Gefieder, namentlich das des Schwanzes, sehr leidet. Man kann wirklich kaum einem einzigen bekommen, dessen Steuer in gutem Zustande ist.

Der sonderbare Ruf, welcher alle Augenblicke vernommen wird, klingt wie der Name des Vogels durch die Nase gesprochen, nach Kittlitz wie »Tru-i tru-i«, nach Azara wie »Oooi« oder »Aani«, nach Prinz von Wied wie »Ani« oder »Ai«, nach Gundlach wie das Wort »Ju-dio«, angenehm aber sicher nicht, da die Ansiedler den Vogel deshalb, laut Schomburgk, »alte Hexe« zu nennen pflegen. Zur Zeit der Liebe hört man, nach Gunlach, andere Laute, welche eine Art Gesang bilden, als solcher mindestens dann erscheinen, wenn mehrere zu gleicher Zeit singen. Diese Töne sind Kehllaute und werden nur auf eine kurze Strecke hin vernommen.

Die Nahrung ist gemischter Art. Kriechthiere, Kerfe und Würmer bilden wahrscheinlich das Hauptfutter; zeitweilig aber halten sich die Madenfresser fast ausschließlich an Früchte. Die Forscher fanden in dem Magen der von ihnen getödteten die Reste verschiedener Kerbthiere, namentlich der [252] Heuschrecken, Schmetterlinge, Fliegen und dergleichen, aber auch Beeren verschiedener Art und andere Früchte. Den Kühen lesen sie die Schmarotzer ab, und deshalb eben halten sie sich gern auf Weiden auf. Man sieht sie auf dem Viehe umherlaufen, ohne daß dieses Unwillen bekundet; zuweilen hängen mehrere Vögel zu gleicher Zeit auf ein und demselben Rinde, gleichviel ob es liegt oder sich bewegt. Der Prinz von Wied sah sie in Gesellschaft der Schwarzvögel und des weißen Caracara auf dem Rücken des Rindviehes sitzen; Gosse beobachtete, wie sie eifrig beschäftigt waren, eine Kuh von ihren Quälgeistern zu befreien; auch andere Reisende erwähnen der Freundschaft zwischen ihnen und den Rindern. Uebrigens bedrohen sie nicht bloß laufende Kerbthiere, sondern jagen auch fliegenden nach. »Im December«, sagt Gosse, »habe ich kleine Gesellschaften von ihnen abends beschäftigt gesehen, von einem Zweige aus in die Luft zu fliegen, unzweifelhaft, um schwirrende Kerbthiere zu fangen. Eines Tages im März und Mai wurde meine Aufmerksamkeit auf einige Madenfresser gelenkt, welche einen großen Schmetterling verfolgten, und die drittes Mal sah ich einen mit einer Wasserjungfer im Schnabel. Ich habe auch gesehen, daß sie gelegentlich kleine Eidechsen bedrohen.«

Ueber die Fortpflanzung liegen ausführliche, aber nicht ganz übereinstimmende Berichte vor. Azara bemerkt, daß der Ani, nicht aber eine andere Art der Gruppe, gesellschaftlich niste; Richard Schomburgk behauptet das Gegentheil, und d'Orbigny bestätigt Schomburgks Angaben. Das Nest des Ani ist, laut Burmeister, im Waldgebiet Brasiliens überall, auch nahe bei den menschlichen Ansiedelungen, in niedrigen Gebüschen zu finden. »Die Vögel, welche sich paarweise zusammenhalten, verrathen seine Stelle durch ihr beständiges Ab- und Zufliegen meist sehr bald. Vielleicht infolge der häufigen Störung, welcher sie hier ausgesetzt sind, bauen die verschiedenen Paare kein großes gemeinschaftliches Nest; vielmehr sind ihre Baue daselbst nur von sehr mäßigem Umfange: sie enthalten in den meisten Fällen nicht mehr als fünf oder sechs Eier. Das von Azara geschilderte Zusammenleben des Vogels in Ansiedelungen mag dagegen an solchen Orten, wo er von Menschen nicht viel beunruhigt wird, zwar ebenfalls noch vorkommen; in Brasilien jedoch ist diese Erscheinung nicht bekannt: ich habe ihrer auch von keinem Brasilianer erwähnen hören, obgleich die Leute gerade solche Einzelheiten der einheimischen Thiere sehr gut zu kennen pflegen und sogleich davon erzählen, wenn man sich bei ihnen nach der Lebensweise der Geschöpfe erkundigt.« Hiermit stimmt die Angabe von Schomburgk überein. »Die Indianer«, sagt er, »behaupten, daß nur eine Art ein gemeinsames Nest baue, während die beiden anderen Arten diese Eigenthümlichkeit nicht theilen, indem bei ihnen jedes Pärchen sein eigenes Nest besitzt.« Dagegen theilt uns Gosse folgendes mit. »Die Thatsache, daß der Ani in Gesellschaft baut und ein ungewöhnlich großes Nest aus Zweigen gemeinschaftlich herstellt, wird von allen Ansiedlern bestätigt. Gewöhnlich soll ein hoher Baum zur Anlage gewählt werden.« Hill, dessen Angaben durchaus glaubwürdig sind, bemerkt: »Etwa ein halbes Dutzend von ihnen baut nur ein einziges Nest. Dasselbe ist groß und geräumig genug, um alle aufzunehmen und die gesammte Kinderschar zu beherbergen. Sie betreiben die Bebrütung mit größter Hingebung und verlassen es, so lange sie brüten, niemals, ohne die Eier mit Blättern zu bedecken. Im Juli fand ich ein Nest dieser Vögel. Es bestand aus einer großen Masse von verflochtenen Zweigen, welche mit Blättern ausgekleidet waren. In ihm lagen acht Eier, aber gleichzeitig die Schalenstücke von vielen anderen und noch ein gutes Theil derselben unter dem Baume.« Auch Gundlach bezweifelt das gemeinschaftliche Brüten mehrerer Weibchen nicht; denn er sagt, daß er Nester mit sehr vielen Eiern, unter ihnen auch solche gefunden hat, in denen eine oder einige Lagen Eier mit neuem Stoffe bedeckt waren, weil noch sich hinzudrängende Weibchen fort und fort Niststoffe herbeitrugen. Der Nestbau oder wenigstens die Brutzeit dauert nach den Beobachtungen desselben Forschers auf Cuba vom April bis zum Oktober. Das Nest wird an dicht verzweigte Stellen von Bäumen oder auf Bambusrohr und zwischen dicht verwobene Schlingpflanzen gestellt und besteht aus kleinen Zweigen und trockenen Pflanzen. »Meine sechs Eier des Ani«, fährt Burmeister fort, »sind etwa so groß, wie gewöhnliche Taubeneier. Sie hatten, frisch gelegt, eine völlig weiße Farbe und ein kreidiges Ansehen, wobei jedoch ein grünlicher Ton hindurchschimmerte. [253] Hier und da waren Streifen und Striche in die Oberfläche eingerissen, durch welche ein schönes Seladongrün zum Vorscheine kam. Jede Berührung mit harten Gegenständen zerstörte den weißen Ueberzug und ließ die grüne untere Lage hervortreten; ja, als ich das Ei mit dem Messer schabte, ging der weiße Kreideüber zug vollends herunter. Ich halte denselben hiernach für eine besondere Stoffauscheidung, welche das Ei, während es vor oder in der Kloake verweilt, von dieser erhält, und zwar möchte ich den Stoff mit dem kreidigen Inhalte der Urinmasse vergleichen, womit der Koth der Vögel bekleidet zu sein pflegt. Entfernt man den Ueberzug, so erhält das vorher ganz matte, kreidige Ei einen leichten Glanzüberzug, eine sehr feinporige Oberfläche. Diese Farbe ist bald etwas mehr blaugrün, bald reiner meergrün.« Gundlach nahm auf fast allen Eiern die von Burmeister erwähnten Streifen und Striche wahr und bezweifelt nicht, daß dieselben von den Klauen des Vogels herrühren, welche sie im Laufe der Brutzeit einkratzen. Denn erst nach einigen Tagen bemerkt man besagte Risse in der Kalkschicht, welche das eigentlich bläulichgrüne Eiweiß erscheinen läßt. Newton fand im Juni ein Nest dieser Art. »Ich sah zwei Vögel dicht nebeneinander sitzen und zwar, wie sich später herausstellte, auf dem Neste, welches sich an den Stamm lehnte und von einigen jungen Schößlingen gehalten wurde, in einer Höhe von ungefähr anderthalb Meter über dem Boden. Es war ein roher Bau von Stöcken und Zweigen, groß und tief, theilweise mit trockenen Blättern ausgefüllt, zwischen denen ich vierzehn Eier entdeckte. Das Nest war augenscheinlich gemeinsames Eigenthum. Gewöhnlich saßen zwei oder drei Vögel dicht nebeneinander in ihm und manchmal vier oder fünf und darüber in der Baumkrone; sie schrieen so lange, als ich in der Nähe war.« Die Jungen verlassen, laut Schomburgk, das Nest, ehe sie noch flugfähig sind, und hüpfen in Gesellschaft der Alten mit gleicher Gewandtheit von Zweig zu Zweig. Sobald sich Gefahr naht, erheben sich die Alten mit wildem Geschrei, und in raschen Sprüngen eilen die Jungen vom Gebüsch oder von den Bäumen herab, um, auf dem Boden angekommen, im Grase zu verschwinden.

Dem Menschen gegenüber benehmen sich die Madenkukuke verschieden. Vor Reitern entfliehen sie entweder gar nicht oder doch nur bei großer Annäherung, beziehentlich wenn der Reiter anhält; Fußgängern trauen sie weniger. Da, wo sie wenig mit dem Herren der Erde verkehren, grenzt ihre Dreistigkeit an das unglaubliche. »Gleich mehreren Vögeln dieser Einöden«, berichtet Humboldt, »scheuen sie sich so wenig vor dem Menschen, daß Kinder sie oft mit der Hand fangen. In den Thälern von Aragua, wo sie sehr häufig sind, setzten sie sich am hellen Tage auf unsere Hängematte, während wir darin lagen.« Nur das Pfeifen können sie, wie Schomburgk versichert, nicht vertragen; wenigstens fliegen sie augenblicklich davon, sobald man einen pfeifenden Ton ausstößt. Abgesehen von einzelnen Kubanern, welche ihr Fleisch, trotz seines absonderlichen Geruches, verzehren, es sogar Genesenden als heilsam oder eßlusterregend anpreisen, oder einem über ihr verrätherisches Geschrei entrüsteten Jäger, welcher an ihnen sich rächen will, jagt man die Madenkukuke nicht. Diejenigen, welche man vom Baume herabschießt, fallen nicht immer in die Gewalt des Schützen, weil ihre Lebenszähigkeit erstaunlich groß ist. »Wird der Madenfresser«, berichtet Schomburgk noch, »nicht in den Kopf oder in das Herz geschossen, so kann der Jäger versichert sein, daß er ihn nicht in seine Gewalt bekommt. Mit fabelhafter Schnelligkeit läuft der angeschossene durch das Gebüsch oder Gras dahin, und von zehn bis zwölf, die ich oft auf einen Schuß verwundete, fand ich meist kaum einen oder zwei, wenn ich an die Stelle kam, wo sie herabgefallen waren. Gleich am anderen Tage nach unserer Ankunft in Zuruma schoß ich einen mit der Kugel vom Baume herab. Die Kugel hatte ihm den ganzen Bauch aufgerissen, so daß die Eingeweide heraushingen, und dennoch gelang es mir nicht, den fliehenden und seine eigenen Gedärme hinter sich herschleppenden Vogel einzuholen, bis ihn endlich einer der Indianer weiter als zweihundert Schritte von der Stelle, wo er zur Erde gefallen war, die Eingeweide um das Gestrüpp gewickelt und so an der Flucht verhindert, auffand und mir brachte.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 250-254.
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