Moorhuhn (Lagopus albus)

[63] So lernte ich einen der häufigsten und anziehendsten Vögel des hohen Nordens, das Moorhuhn, kennen. Später bin ich noch manche Nacht hinausgezogen, um Schneehühner zu erlegen, und oben in Lappland und Sibirien habe ich sie auch unter anderen Verhältnissen ihres Lebens beobachtet: nicht bloß in jenen stillen Stunden, in denen die


»Mitternachtssonn' auf den Bergen lag,

Bluthroth anzuschauen«,


sondern auch um die Mittagszeit, wenn sie ihrer Nahrung nachgehen, oder wenn die mütterliche Henne die Schar ihrer reisenden Küchlein führt. Und immer und unter allen Umständen hat mich dieser Vogel zu fesseln gewußt.

Das Moorhuhn, Morast-, Weiden-, Thalschnee- oder Weißhuhn (Lagopus albus und subalpinus, Tetrao albus, lapponicus, cachinnans, saliceti und brachydactylus), steht in der Größe zwischen Birk- und Rebhuhn ungefähr mitten inne: die Länge des Hahnes beträgt vierzig, die Breite vierundsechzig, die Fittiglänge neunzehn, die Schwanzlänge elf Centimeter; das Weibchen ist um zwei Centimeter kürzer und fast ebensoviel schmäler. Im Winter trägt das Moorhuhn ein zwar einfaches, aber dennoch schönes Kleid. Sein ganzes Gefieder ist bis auf die [63] äußeren Schwanzfedern blendend weiß; die Schwanzfedern hingegen sind tief schwarz, weiß gekantet und weiß an der Wurzel; die sechs großen Schwungfedern zeigen auf der Außenfahne einen langen braunschwarzen Streifen. Im Hochzeitskleide sind Oberkopf und Hinterhals rostfarbig, fuchsroth oder rostbraun, schwarz gefleckt und gewellt, die Schulter-, Rücken-, Bürzel- und die mittleren Schwanzfedern schwarz, zur Hälfte rostbraun oder dunkel rostgelb in die Quere gebändert und alle Federn weiß gesäumt, die Schwanzfedern verblichen und ihre Endkanten abgeschliffen, die Handschwingen weiß wie im Winter, die Armschwingen braun wie der Rücken, Gesicht, Kehle und Gurgel rostroth, gewöhnlich ungefleckt, Kopf, Oberbrust und Weichen rostfarben oder rostbraun, fein schwarz gespitzt und gewellt, die Federn der Mittelbrust schwarz, rostfarbig und weiß gefleckt, die des Bauches und der Beine weiß, die Unterschwanzdeckfedern schwarz mit rostgelben und braunen Bändern und Zickzacklinien gezeichnet; unter dem Auge und an dem Mundwinkel stehen weiße Flecke.


Moorhuhn (Lagopus albus), Sommer. 1/3 natürl. Größe.
Moorhuhn (Lagopus albus), Sommer. 1/3 natürl. Größe.

Die Grundfärbung kann lichter oder heller sein; es kann vorkommen, daß die Federn auf lichtbraunem Grunde schwarz gezeichnet sind usw. Im Laufe des Sommers bleichen die Federn aus. Das Weibchen ist stets lichter, erhält auch sein Sommerkleid immer früher als das Männchen. Gleichzeitig mit der Anlegung der dunkeln Befiederung hebt und röthet sich der Brauenkamm, und während der Paarungszeit trägt er zum Schmucke des Vogels nicht unwesentlich bei.

[64] Viele Forscher nehmen an, daß eine zweimalige Mauser stattfindet: eine im Herbste, welche sich über das ganze Gefieder erstreckt, und eine zweite im Frühjahre, durch welche das Kleingefieder gewechselt wird. Nun aber geht das Winterkleid keineswegs unmittelbar in das Sommerkleid und dieses ebensowenig in das Winterkleid über. Deshalb hat man zu der Annahme gelangen können, daß das Moorhuhn viermal im Jahre mausere. Dagegen glauben amerikanische Forscher beobachtet zu haben, daß das Kleingefieder, im Herbste wenigstens, nicht neu ersetzt, sondern einfach verfärbt werde, und zwar soll diese Verfärbung, laut Richardson, an der Spitze der Federn beginnen und so rasch überhand nehmen, daß in acht bis zehn Tagen der Wechsel vollendet ist. Mein norwegischer Jäger versicherte mich nun aber wieder, daß das Moorschneehuhn im Herbste, wenn plötzlich starker Schneefall eintrete, die noch braunen Federn ausrupfe, daß eines dabei dem anderen helfe, und daß man dann die dunklen verrätherischen Federn des Sommers oft massenweise finde. Leider habe ich noch keine Gelegenheit gefunden, über den Farbenwechsel eigene Beobachtungen zu sammeln.


Moorhuhn (Lagopus albus), Winter. 1/4 natürl. Größe.
Moorhuhn (Lagopus albus), Winter. 1/4 natürl. Größe.

Ein Moorhuhn, welches ich geraume Zeit pflegte, wurde im Herbste, gerade vor der Mauser, von einem Raubthiere getödtet; ein anderes habe ich weder selbst erhalten, noch irgendwo in Gefangenschaft gesehen. Aber nur gefangene Hühner dieser Art, welche im Freien gehalten und allem Einflusse des Wetters preisgegeben werden, können uns aufklären über den Wechsel der Kleider.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 63-65.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon