Haldenhuhn (Tetraogallus himalayensis)

[80] Eine zweite Art der Sippe, welche ich Haldenhuhn nennen will, »Ullar« der Kirgisen »Iirmunel«, »Kebek« oder »Gurkaju« der Bewohner des Himalaya, von den englischen Jägern höchst unpassend »Schneefasan« genannt (Tetraogallus himalayensis und Nigelli, Lophophorus Nigelli), ist eingehender beobachtet worden als das Königshuhn. Seine Länge beträgt zweiundsiebzig, die Breite hundert, die Fittiglänge zweiunddreißig, die Schwanzlänge zwanzig Centimeter. Oberkopf, Hinterhals, Nacken sind licht fahlgrau, die Federn eines breiten Kragens auf dem Oberrücken, welcher auch die Brust umgibt, auf licht fahlgrauem Grunde mit seinen, aus Punkten bestehenden, gewellten Querbinden gezeichnet, Mantel, Unterrücken, Bürzel, Flügel- und Schwanzdecken dunkel fahlbräunlichgrau, äußerst fein licht gelblichgrau in die Quere gewellt, alle größeren Federn der Oberseite mit mehr oder minder breiten rostbraunen oder rostgelben Rändern geziert, wodurch eine streifige Zeichnung entsteht, ein hinter dem Ohre beginnendes, seitlich am Halse und dann scharf nach der Brust herablaufendes Band sowie ein zweites, welches am Kinnwinkel beginnt und hufeisenförmig die Kehle einschließt, dunkel kastanienbraun, die Kehle und ein von beiden Bändern begrenzter Halsstreifen weiß, die Federn des dem Kragen entsprechenden Kropfquerbandes fahlweiß, einzelne von ihnen mit theilweise verdeckten schwarzen Mondflecken wie gebändert, Brust und Bauch tief felsengrau, dunkler geschaftet und äußerst fein fahl braungelb quergewellt, die Seitenfedern lichter, mit breiten Außen- und schmäleren Innenrändern von rostbrauner oder rostrother Färbung, welche sich einende Längsstreifen bilden, die Handschwingen fast ganz, die Armschwingen nur an der Wurzel weiß, erstere gegen die Spitze, letztere bis gegen die Wurzel hin dunkelgrau, feinfleckig fahlgelb quergebändert, die Schulterfedern durchaus so gefleckt, aber nach Art der Rückenfedern rostfarben umrandet, die äußeren Schwanzfedern außen auf dunkel rostrothem Grunde fein dunkel gefleckt, innen und bandartig vor der Spitze röthlich dunkelgrau, gegen die Mitte des Schwanzes hin mehr und mehr in Felsengrau übergehend und stärkere Fleckung zeigend. Beide Geschlechter tragen dasselbe Kleid und unterscheiden sich nur durch die Größe.

Das Haldenhuhn findet sich im ganzen Höhengürtel des westlichen Himalaya bis nach Nepal hin und ebenso an geeigneten Orten der chinesischen Tatarei oder in Tibet, ebenso auch in Kaschmir [80] und wahrscheinlich auf allen von hier aus in nordöstlicher Richtung verlaufenden und zusammenhängenden Hochgebirgszügen bis zum Tarabagatai.

»Der Aufenthalt«, schildert Mountaineer, »beschränkt sich ausschließlich auf die mit Schnee bedeckten Höhen und Berge und die von ihnen auslaufenden Züge bis zur oberen Waldgrenze herab; doch treibt der Schnee im Winter auch diese harten Vögel zur Tiefe hernieder und zwingt sie, jährlich zweimal Wanderungen zu unternehmen. In Kunawur sind sie zu jeder Jahreszeit häufig, auf den Gangesbergen jedoch nur vom Juni bis zum August anzutreffen; gleichwohl wandert gar mancher Forscher oder Jäger über die höchsten ersteiglichen Gipfel und sieht ihrer doch nur wenige. Deshalb glaube ich, daß viele, wo nicht alle, welche zu gewissen Jahreszeiten sich hier umhertreiben, zeitweilig nach der Tatarei sich zurückziehen, um dort zu brüten. Gegen Anfang des September bemerkt man sie zuerst auf den grasigen Plätzen unter der Schneelinie, nahe dem Berggipfel, auch wohl noch tiefer, an der oberen Grenze des Holzwuchses. Nach dem ersten, allgemeinen Schneefalle kommen sie scharenweise auf unbewachsene, freistehende Bergkuppen des Waldgürtels herab, und hier verweilen sie bis zu Ende des März. Diese Streifzüge werden wahrscheinlich in der ersten Nacht nach dem Schneefalle ausgeführt; denn ich habe die Vögel unabänderlich frühestens am nächsten Morgen nach solchem Vorgange in ihrer Winterherberge gesehen. Es muß aber viel Schnee gefallen sein, bevor sie niederkommen; im milden Winter erscheinen sie, mit Ausnahme einzelner, nicht in der Tiefe. Wahrscheinlich wählt sich die Bewohnerschaft eines Berges auch eine gewisse Winterherberge, zu welcher sie alljährlich herunterkommt.

Der Jirmunel ist gesellig und schlägt sich in Flüge zusammen, welche zuweilen aus zwanzig bis dreißig Stück bestehen, obwohl man gewöhnlich nicht mehr als ihrer fünf bis zehn bei einander findet. Mehrere solcher Flüge bewohnen ein und dasselbe Berggebiet. Im Sommer sieht man die wenigen, welche auf der indischen Seite blieben, in einzelne Paare gesprengt; gegen den Winter hin aber, bevor die Masse wandert, habe ich stets mehrere von ihnen vereinigt gefunden. Selten verlassen sie das Gebiet, auf welchem sie sich angesiedelt haben, fliegen vielmehr, wenn sie aufgescheucht werden, vorwärts und rückwärts. Niemals besuchen sie den Wald oder das Dickicht, meiden selbst solche Stellen, wo das Gras lang ist, oder wo irgend welches Gestrüpp den Boden bedeckt; es ist deshalb fast unnöthig, zu sagen, daß sie niemals bäumen. Wenn das Wetter schön und warm ist, sitzen sie während des Tages auf den Felsen oder auf rauhen Stellen der Gehänge, ohne sich, mit Ausnahme der Morgen- und Abendstunden, viel zu bewegen. Ist es aber kalt, nebelig oder regnerisch, so sind sie rege und munter, laufen beständig auf und nieder und äsen sich während des ganzen Tages. Beim Fressen gehen sie langsam bergauf und pflücken dann und wann zarte Blattspitzen, Gräser, junge Schoten verschiedener Pflanzen, unterbrechen ihren Gang auch wohl gelegentlich und scharren nach irgend einer zwiebelartigen Wurzel, welche sie sehr lieben. Erreichen sie den Gipfel eines Gebirgszuges, so pflegen sie hier ein wenig zu verweilen; dann fliegen sie nach einer anderen Stelle, fallen zu Boden und laufen wiederum nach der Höhe empor. Ihr Gang ist sehr ungeschickt; sie erheben dabei ihren Schwanz und machen, wenn sie sich in einiger Entfernung befinden, den Eindruck einer grauen Gans. Ganz besonders lieben sie solche Weideplätze, auf denen Schafherden genächtigt haben; wahrscheinlich, weil hier das Gras, auch wenn das übrige lange trocken und dürr ist, noch im frischesten Grün prangt. Ihre Nachtherberge wählen sie auf Felsen über Abgründen; zu solchen Plätzen kommen sie viele Nächte nach einander.

Ihr Geschrei, ein leises, sanftes Pfeifen, vernimmt man dann und wann während des Tages, am lautesten aber bei Tagesanbruch und sehr häufig bei nebeligem Wetter. Der Ruf beginnt mit einem lang ausgezogenen Tone und endigt mit einer Folge von raschen Pfiffen. Er ist bei weitem der angenehmste von allen, welche irgend ein Federwild vernehmen läßt. Uebrigens hört man diesen vollen Ruf nur dann, wenn der Vogel still sitzt; denn wenn er aufgestört wurde und wegläuft, stößt er in kurzen Zwischenräumen einfache, leise Pfiffe aus. Er schreit, wenn er aufsteht, [81] schnell, schrillend und heftig, gewöhnlich auch, so lange er fliegt, und selbst noch einige Sekunden, nachdem er wieder auf den Boden herabgekommen ist; dann aber geht sein Ruf in einige wenige Töne über, welche in einer auffallenden Weise Befriedigung darüber auszudrücken scheinen, daß er glücklich wieder Grund und Boden gewonnen. Ich glaube, daß ich das schrillende Geschrei dieser Vögel, welches sie beim Aufstehen und Fliegen vernehmen lassen, mit nichts besser vergleichen kann als mit dem Geräusche, welches eine Taubenschar hervorbringt, wenn sie fliegt und wenn sie sich auf einer gewissen Stelle niederlassen will, um hier zu fressen.

Der Jirmunel ist nicht besonders wild oder scheu. Wenn man von unten anschleicht und sich bis auf ungefähr achtzig oder hundert Schritt genaht hat, geht er langsam bergauf oder seitwärts, dreht sich oft um, um zurück zu sehen, läuft aber, falls er nicht verfolgt wird, selten weit weg; naht man sich ihm dagegen von oben her, so steht er auf, ohne erst weit zu laufen. Ueberhaupt geht er selten weit bergab, und niemals beschleunigt er seinen Lauf bis zum Rennen, es sei denn auf wenige Meter hin vor dem Aufstehen. Die ganze Kette erhebt sich stets zu gleicher Zeit, raschen Fluges, senkt sich zuerst regelmäßig in die Tiefe herab, wendet sich dann und steigt wieder bis zu ungefähr derselben Höhe empor. Wenn ein Gehänge auf eine größere Strecke hin dasselbe Gepräge zeigt, fliegen die Vögel oft über eine englische Meile weit und erheben sich dabei hoch in die Luft, während sie auf kleineren Berggipfeln, namentlich auf solchen, welche sie im Winter besuchen, selten weit und meist nur um die nächste Ecke herum streichen.

Sie fressen die Blätter verschiedener Pflanzen und Gras, gelegentlich wohl auch Moos, Wurzeln und Blumen; Gras bildet aber immer die Hauptmahlzeit. Jung aufgeschossenen Weizen und Gerste lieben sie sehr, und wenn sie ein vereinzeltes Feld in der Nähe ihres Standortes wissen, besuchen sie dasselbe während der Nacht und am Morgen; niemals jedoch kommen sie in das regelmäßig bebaute Land herab. Gewöhnlich sind sie unmäßig fett; ihr Wildpret ist aber nicht besonders gut und hat, wenn der Vogel in bedeutenden Höhen erlegt wurde, oft einen unangenehmen Geruch, welcher von gewissen Nährpflanzen herrührt.

Obgleich ich manchen Sommer im Schneegürtel des Gebirges zubrachte, habe ich doch niemals Nest oder Eier dieses Vogels gefunden; dagegen bin ich in Tibet oft Familien mit Jungen begegnet. Bei diesen Ketten waren aber immer mehr alte Vögel und möglicher Weise mehr als ein Volk zusammen, so daß ich mir keine bestimmte Meinung über die Anzahl einer Brut habe bilden können. Die Eier, welche von Reisenden gefunden wurden, haben ungefähr die Größe von denen des Truthuhnes, sind aber, wie die der Rauchfußhühner, von einer länglicheren Gestalt; ihre Grundfärbung ist ein helles Olivenbraun; die Zeichnung besteht aus einzelnen kleinen, licht nußbraunen Flecken.«

Wie richtig Mountaineers Schilderung ist, sollte ich auf unserer Reise nach Sibirien und Turkestan Gelegenheit haben zu erfahren. Ein im Museum zu St. Petersburg stehender Ullar im Prachtkleide entstammte, wie uns mitgetheilt wurde, dem Tarabagataigebirge, welches wir zu berühren gedachten, und ich beschloß schon damals, mit allen Kräften dahin zu streben, den herrlichen Vogel in seiner Heimat beobachten zu können. Am 28. Mai 1876 trat ich unter Führung eines alten kirgisischen Jägers und in Begleitung eines Reisegenossen und eines deutschrussischen Arztes von dem Städtchen Saisanposten aus einen Jagdausflug an, um meinen lange gehegten Wunsch zur Ausführung zu bringen. Nach Versicherung unseres Kirgisen, welche sich auch als vollständig richtig erwies, bewohnt der Ullar nicht allein die höchsten, um die angegebene Zeit noch mit Schnee bedeckten Gipfel des von uns Tarabagatai genannten Gebirges, sondern auch einen niedrigen Zug derselben Gebirgsgruppe, den Manrak, vielleicht denjenigen Theil des ganzen Gebirges, welcher durch seine eigenartige Zerklüftung vor allen übrigen sich auszeichnet. Hunderte von Bergen, durch tief eingerissene Thäler und Schluchten von einander getrennt, bauen sich, mehr und mehr ansteigend, über einander auf. Fast alle sind auf der Nordseite wenn auch steil, so doch nicht felsig, vielmehr mit einer frischen Grasnarbe und niedrigem Steppengestrüppe bekleidet, [82] stürzen aber auf der Südseite regelmäßig jäh und tief ab und bilden hier Felsenwirrsale, so wild, so zerrissen, so zerklüftet, wie nur irgend ein Gebirge der Erde sie aufweisen kann. Selbst das Wasser scheint in Verlegenheit zu gerathen, welchen Weg es wählen soll, und in der That sieht man sehr häufig in tieferen Thälern nach beiden Seiten hin rinnende Wässerchen abfließen. Diese Gegend ist es, welche sich der Ullar zum Standorte ausgewählt hat und in nicht ganz unbedeutender Anzahl bevölkert.

Erwartungsvoll ritten wir unter Führung unseres kirgisischen Jägers und seines in der Fülle der Mannheit stehenden Sohnes in eines der Thäler ein, bald Hügel, bald Berge überkletternd, bald wiederum in eine der zerrissenen Schluchten uns hinabsenkend. Um die Felsen schwebten Alpendohlen; auf allen Gehängen liefen Steinhühner umher; die Gipfel umflogen Adler und Falken; von Platten und Vorsprüngen herniedertönte der frische Gesang des Steinröthels, des Steinschwätzers und einer Rothschwanzart. Wir zogen weiter, bis der alte Kirgise am Fuße eines neuen Berges Halt gebot und uns aufforderte, jetzt uns zu theilen, damit die eine Hälfte der Jagdgesellschaft von dieser, die andere von jener Seite her den Berg erklimmen möge. Und nun begann ein Reiten, bei welchem die Pferde ihre außerordentliche Fertigkeit, zu klettern, im vollsten Maße bethätigten. In einer vom Wasser eingerissenen Schlucht ritt ich empor; sprungweise suchte mein Pferd Boden zu gewinnen, und mit ebensoviel Geschicklichkeit wie Ausdauer trug es mich endlich zu den Höhen hinauf, über denen Steinadler ihre Kreise zogen und auf denen Steinhühner vertrauensvoll, wie ich es noch nie beobachtet, unmittelbar vor uns einherliefen, ohne sich zum Auffliegen zu bequemen. Weiter führte unser Weg bergauf, bergab, bald auf einem Grate, bald an der beraseten Nordwand eines Berges dahin. Nach welcher Seite wir auch unseren Blick wandten, überall sahen wir dasselbe Wirrsal von Bergen und Thälern vor uns. Nach etwa stündigem Ritte in diesen Höhen machte mein Führer mich auf das Geschrei des Ullar aufmerksam. Ein eigenthümlich wohllautender, pfeifender, mehrsilbiger oder doch mehrtöniger, langgezogener Laut traf, anscheinend aus nächster Nähe kommend, mein Ohr. Aber noch mußten wir einen weiten Weg zurücklegen, bevor wir den Vogel, welcher diese Rufe ausgestoßen hatte, zu sehen bekamen und unsere Jagd beginnen konnten. Ich will letztere nicht schildern, sondern nur sagen, daß ich so glücklich war, eines der stolzen Hühner zu erlegen, und daß ich an diesem und den folgenden Tagen, oft stunden lang auf einer und derselben Stelle im Verstecke liegend, mit dem Fernglase vor dem Auge mich mühte, so viel wie möglich ihm von seinem Thun und Treiben abzusehen, ebenso wie ich jede Gelegenheit wahrnahm, durch Vermittelung meines russischen Freundes den scharf beobachtenden kirgisischen Jägern ihre Erfahrungen abzufragen.

Der Ullar ist ein in jeder Hinsicht fesselnder Vogel, wohl geeignet, ebenso den Jäger wie den Naturforscher zu begeistern. Er lebt, soviel wir erfahren konnten, auf allen Hochgebirgen Innerasiens, in den von uns durchreisten Gegenden mit Bestimmtheit im Alatau, Tarabagatai und Semistau, gewöhnlich unmittelbar unter der Schneegrenze, mit dem Steinbocke auf demselben Gebiete. Daß er auch im Manrakgebirge, dessen unbedingte Höhe eintausendsechshundert Meter kaum übersteigen dürfte, gefunden wird, gehört zu den Ausnahmen, welche jedoch vielleicht nicht so selten sein mögen, wie wir glauben, und in diesem Falle durch die Wildheit des Gebirges genügende Erklärung finden. Im eigentlichen Hochgebirge steigt er im Sommer bis zu den höchsten Gipfeln empor und im Winter bis zur Holzgrenze herab; Bedingung für seinen Anfenthalt aber ist, daß sein Wohngebiet nicht bewaldet sei; denn er ist Felsenvogel im wahren Sinne des Wortes. In die Ebene hinab geht er auch im strengsten Winter nicht. Je wilder die Felsen, je höher die Abstürze, je unwegsamer für Menschen und Thiere die Felswände, um so sicherer wird man ihn finden. So viel wie möglich sucht er stets die höchsten Gipfel auf, fliegt aber von ihnen aus im Laufe des Tages auch in Thäler hinab, in denen ein Pferd ohne besondere Mühe aufsteigt, und hält sich an Gehängen auf, an denen zwischen grün beraseten oder mit Gestrüppe bedeckten Stellen einzelne Felskuppen zu Tage treten. Sämmtliche Berge des Manrak, auf denen ich ihn beobachten konnte, waren [83] von der Nordseite her, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, zu Pferde zu besteigen; sämmtliche aber fielen auf der Südseite steil zur Tiefe ab und bestanden hier ausschließlich aus wild aneinander gethürmten, mit Trümmerhaufen oder Halden überlagerten Felswänden, welche nur der kletternden Ziege oder dem im Bergsteigen wohlgeübten Menschen stellenweise zugänglich erschienen. Auch erkundete ich, daß ausschließlich solche Berge zu Standorten gewählt worden waren, in deren Nachbarschaft sich ähnliche, von ihnen durch sehr tiefe Thäler getrennte Felsenwildnisse befanden.

Jedes Ullarpaar behauptet einen bestimmten Stand, hier im Manrakgebirge jahraus, jahrein denselben. In ihm duldet es kein anderes Paar. Fliegt ein männlicher Ullar zu, so stürzt sich der den Platz behauptende Hahn sofort auf den Eindringling und zwingt denselben unter lautem, fast gellendem Geschreie, das weite zu suchen, worauf er, wie ich selbst einmal sah, die Stellung des balzenden Steinhuhnes einnimmt, das heißt, mit niedergesenktem Kopfe, hängenden Flügeln, halbaufgerichtetem und etwas gebreitetem Schwanze eine kurze Strecke weit dahinläuft. Gleichwohl kommt es vor, daß sich zwei Paare gegenseitig Besuche abstatten. Ich fand mehrmals auf einem verhältnismäßig kleinen Raume vier Stück, welche beim Ansichtigwerden von uns gemeinschaftlich einem und demselben Orte zuflogen, hier aber sogleich sich trennten. Freilich hatten die Paare jetzt sämmtlich Junge, ein Umstand, welcher bekanntlich auch bei den streitsüchtigsten Hühnern zum Frieden bestimmt. Gegen die Balzzeit hin, welche hier mit den ersten Tagen des März beginnt und bis zum Ende des Monats währt, sind die Hähne natürlich streitsüchtiger als je, schreien jedoch, nach Versicherung meines Gewährsmannes, eben des alten kirgisischen Jägers, auch nicht mehr als jetzt. Dieses Geschrei ist bezeichnend für den Ullar und unterscheidet ihn von allen anderen Feldhühnern, mag aber den Stimmlauten seiner Sippschaftsgenossen sehr ähnlich sein. Der Ruf läßt sich, weil die einzelnen Töne, mit alleiniger Ausnahme des letzten, klar und bestimmt von einander geschieden sind, pfeifend sehr gut nachahmen, nicht so leicht aber durch Silben ausdrücken. Nach meiner Auffassung überträgt man sie am besten mit den Silben »U-o-i-e-it«, wobei festzuhalten, daß jeder Selbstlauter nicht allein betont, sondern die drei ersten auch lang gezogen und nur das letzte »E-it« etwas kreischend ausgestoßen wird. Dieser, ungeachtet seiner nicht bedeutenden Stärke auf eine Entfernung von mindestens einem Kilometer Luftlinie hörbare Ruf scheint nur zur gegenseitigen Unterhaltung zu dienen; denn der Lockton wie der Warnungsruf sind von ihm gänzlich verschieden. Beim Führen der Jungen vernahm ich, nach meinem Dafürhalten nur vom Weibchen, nach Behauptung des Kirgisen von beiden Geschlechtern, ein dem Gackern anderer Hühner im Tone ähnelndes, jedoch langsam aufeinander folgendes »Back, back, tock, tock, tock, tack«, vom Männchen das offenbar zärtliche Rufen nach dem Weibchen »Buck, buck, buck, beck, beck, kick, kick, kick«, wogegen der Warnungsruf ein lautes und gellendes »Tschilli, tschilli, tschi, klick, klick, kli« ist und das beim Kampfe mit anderen Männchen ausgestoßene Geschrei wie »Zwibilir« in meine Ohren klang. Obgleich ich alle diese Laute mit dem Bleistifte in der Hand abhörte und unmittelbar, nachdem ich sie vernommen, niederschrieb, auch so genau wie möglich wiederzugeben versuchte, muß ich doch sagen, daß nur das »U-o-i-e-it« den wirklich gehörten Lauten annähernd gleichkommt, wogegen alle übrigen so eigenthümlicher Art sind, daß es überaus schwer hällt, falls es überhaupt möglich ist, sie in Silben zu fassen. In ihren Bewegungen ähneln die stolzen Vögel den Steinhühnern mehr als den Rebhühnern, ohne jedoch jenen zu gleichen. Der Lauf ist rasch und behend, auch ebenso gewandt beim Auf- wie beim Absteigen, die Haltung dabei eine etwas gebückte; der Flug besteht aus einigen rasch aufeinander folgenden Schlägen, auf welche dann ein längeres Gleiten ohne Flügelschlag zu folgen pflegt, da der Ullar beim Auffliegen fast stets in die Tiefe des Thales hinabfällt und dann erst wieder etwas nach oben fliegt. Infolge der verhältnismäßig sehr kurzen Flügel ist das Flugbild ein durchaus eigenartiges; denn der fliegende Vogel erscheint ungemein gestreckt, während er im Laufe im Gegentheile den Eindruck eines sehr gedrungen gebauten Huhnes macht. Das Flugbild selbst läßt sich am besten mit einem kurzarmigen, aber langschaftigen Kreuze vergleichen. Vor dem Auffliegen ersteigt der Ullar, falls er dazu Zeit hat, [84] gern einen erhöhten Punkt, wie er überhaupt zum Sitzen und Umherlaufen zu wählen pflegt; beim Fußen auf der entgegengesetzten Bergwand dagegen läßt er sich regelmäßig auf einer mit Steinen bedeckten Stelle nieder und springt oder hüpft erst dann auf einen größeren Felsblock, um von diesem aus Umschau zu halten. Im Laufe des Tages besucht das Paar sehr verschiedene Plätze innerhalb des von ihm bewohnten Gebietes; gegen Abend dagegen fliegt es stets zu bestimmten, möglichst gesicherten Stellen, um auf ihnen die Nacht zu verbringen.

Die Nahrung besteht größtenteils in Pflanzenstoffen. Ob die Ullare, wie anzunehmen, auch Kerbthiere und Gewürm fressen, wußte mein Kirgise mir nicht zu sagen, wohl aber anzugeben, daß sie in strengen Wintern bei tiefem Schnee Gänge unter letzterem graben, um zu ihren Nährpflanzen zu gelangen.

Der Paarung gehen langwährende und oft wiederholte Kämpfe zwischen den Männchen voraus, bis endlich die Paare bestimmt vereinigt und die etwa übrig bleibenden Männchen endgültig vertrieben sind. Auch während der Balze schreien die Männchen viel, aber genau in derselben Weise wie im Frühsommer, wogegen sie im Frühjahre nur die Warnungslaute beim Auffliegen vernehmen, ihren bezeichnenden Pfiff aber nicht hören lassen. Die Anzahl der Eier eines Geleges beträgt nach Angabe meines Kirgisen sechs bis neun. Sie sind größer als Enteneier, ziemlich rund und auf grünlichgelbem Grunde dunkler, zumal bläulich gefleckt, wobei jedoch zu bemerken, daß die Kirgisen wenig Sinn für Farben und geringe Fähigkeit haben, dieselben genau anzugeben. Das Nest steht an felsigen Abhängen auf einer etwas erdigen Stelle, ist eine seicht ausgescharrte Vertiefung und wird bloß mit wenig Grashalmen ausgelegt. Wohl nur das Weibchen brütet; das Männchen aber hält in der Nähe des Nestes, auf einem erhöhten Platze sitzend, Wacht und warnt jenes bei drohender Gefahr, ist auch während der Brutzeit selbst vorsichtiger und scheuer als je. Nach etwa vierwöchentlicher Bebrütung entschlüpfen die Jungen und werden nun von beiden Eltern geführt, von der Mutter auch bei der größten Gefahr nicht verlassen. Sie müssen sehr bald fliegen lernen; denn die, welche ich beobachtete, hatten noch nicht die Größe unserer Rebhühner erlangt, flogen jedoch bereits vorzüglich, ganz nach Art ihrer Eltern, stießen auch schon deren Warnungsruf, nur verschwächt und in höherem Tone, beim Auffliegen aus. Trifft die Alten ein Unfall, oder sind die Jungen nicht im Stande ihnen zu folgen, so verbergen sie sich zwischen dem Gesteine, und zwar so vorzüglich, daß es mir und meinem Begleiter nicht gelang, eines von ihnen aufzufinden, obgleich wir wenige Minuten nach dem Niederfallen die von ihnen aufgesuchte Stelle auf das genaueste durchstöberten. Wenn sie sich überzeugt zu haben glauben, daß die Gefahr vorüber ist, rennen sie eilfertig, offenbar geleitet durch der Eltern Lockton, in der von diesen fliegend angegebenen Richtung dahin, und man sieht dann eines nach dem anderen, meist in ziemlich langen Zwischenräumen, über die nackten Felsen huschen. Zu Ende des November sollen sie ausgewachsen sein, schon viel früher aber bereits genau wie die Alten sich betragen. Mit letzteren bleiben sie während des ganzen Winters vereinigt; dann, kurz vor der Paarungszeit trennen sich die Ketten. Wird das Weibchen getödtet, so übernimmt das Männchen die Führung auch ganz kleiner Jungen, wogegen es, so lange das Weibchen lebt, nur als Warner und Vorläufer der Familie zu dienen scheint. Bei Verfolgung einer Kette sah ich es stets ein- bis zweihundert Schritt vor der Mutter auf hervorragenden Felsenspitzen erscheinen, für kurze Zeit verschwinden und wieder auftauchen, hörte es dann auch jedesmal rufen, so daß seine Absicht, die Sicherheit des zu wählenden Weges zu erkunden und des von ihm erwählten kundzuthun, unmöglich verkannt werden konnte.

Die natürlichen Feinde der Ullare sind alle stärkeren Raubvögel, zumal der Steinadler und ein anderer seiner Sippschaft mit weißem Bauche, wahrscheinlich der Habichtsadler, von welchem sie noch mehr zu leiden haben als von jenem. Nimmt der Adler ein Paar oder eine Kette von Haldenhühnern wahr, so ist eines derselben verloren; es sei denn, daß es ihnen gelingt, noch rechtzeitig unter Steinen sich zu verbergen. Vor den Füchsen und Wölfen sichert sie ihre außerordentliche [85] Wachsamkeit. Von den Menschen haben sie hier wenig zu leiden. Unter den Kirgisen befassen sich immer nur einzelne mit der Jagd unserer Hühner, da die Steppenleute lieber auf Füchse, Wölfe und Marder jagen als auf ein so schwer zu berückendes Federwild. Das Wildpret ist nach einstimmiger Aussage aller von mir befragten Russen schneeweiß und von ausgezeichnetem Geschmacke, zart und würzig, mit dem des Auer- oder Birkhuhnes nicht zu vergleichen.

Mountaineer versichert, daß sich die Felsenhühner bald an das Leben im Käfige gewöhnen und dann auch Körnerfutter zu sich nehmen, bezweifelt aber, und gewiß mit Recht, daß man sie mit solchem Futter allein auf die Dauer erhalten könne. Englische Naturforscher und die für Einbürgerung fremdländischer Thiere schwärmenden Franzosen betrachten schon gegenwärtig das eine oder das andere Felsenhuhn als einstige Bewohner des schottischen Hochlandes oder unserer Alpen; wir unsererseits werden wohl thun, einstweilen bescheidenere Hoffnungen zu hegen und uns zunächst mit dem Wunsche zu begnügen, die stolzen Hühner in den Käfigen unserer Thiergärten zu sehen. So viel mir bekannt, ist bisher nur ein einziges Felsenhuhn lebend nach Europa gelangt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 80-86.
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