Nachtreiher (Ardea nycticorax)

[382] Der Nachtreiher, Quak- oder Schildreiher, Nachtrabe, Focke (Ardea nycticorax, grisea, australasiae, obscura, ferruginea und naevia, Botaurus naevius, Nycticorax griseus, europaeus, badius, meridionalis, ardeola und Gardeni, Nyctiardea europaea, Scotaeus nycticorax), welchen ich hiermit vorgestellt haben will, unterscheidet sich durch seine gedrungene Gestalt, den kurzen, dicken, hinten sehr breiten, auf der Firste gebogenen Schnabel, die mittelhohen, starken Füße, die sehr breiten Schwingen und das reichliche, mit Ausnahme von drei fadenförmigen Schmuckfedern am Hinterkopfe, nirgends verlängerte Gefieder von den anderen Reihern, gilt daher mit mehr Recht als die vorhergenannten als Urbild einer besonderen Sippe (Nycticorax). Beim alten Vogel sind Oberkopf, Nacken, Oberrücken und Schultern grünlichschwarz, die übrigen Obertheile und die Halsseiten aschgrau, die Untertheile blaß strohgelb, die drei langen Schmuckfedern weiß, selten theilweise schwarz. Das Auge ist prachtvoll purpurroth, der Schnabel schwarz, an der Wurzel gelb, die nackte Kopfstelle grün, der Fuß grüngelb. Bei den Jungen ist das Obergefieder auf braunem Grunde rostgelb und gelblichweiß in die Länge gefleckt, der Hals auf gelbem, der Unterleib auf weißlichem Grunde braun gefleckt; der Zopf fehlt, und der Augenstern sieht braun aus. Die Länge beträgt sechzig, die Breite einhundertundacht, die Fittiglänge dreißig, die Schwanzlänge elf Centimeter.

Auch der Nachtreiher ist weit verbreitet. Er bewohnt Holland noch immer ziemlich zahlreich, Deutschland einzeln und nicht regelmäßig, die Donautiefländer und geeignete Gegenden ums Schwarze und Kaspische Meer massenhaft, kommt in Italien, Südfrankreich und Spanien vor, wandert allwinterlich durch ganz Afrika, tritt ebenso in Palästina, im östlichen Mittelasien, China, Indien und auf den Sundainseln als Brutvogel auf, fehlt endlich auch dem größten Theile Nord-, Mittel- und Südamerikas nicht und ist einzig und allein in Australien noch nicht gefunden worden. Im Norden erscheint er zu Ende des April oder zu Anfange des Mai; seinen Rückzug tritt er im September oder Oktober wieder an.

Die Gegend, in welcher es dem Nachtreiher gefallen soll, muß reich an Bäumen sein; denn auf diesen schläft er, und sie bedarf er zum Brüten. Sümpfe, in deren Nähe es keine Waldungen oder Bäume gibt, beherbergen ihn nicht oder doch nur unregelmäßig und stets bloß auf kurze Zeit, wasserreiche Niederungen aber, denen es wenigstens an einer geschützten Baumgruppe nicht fehlt, oft in unglaublicher Menge. Es ist nicht gerade nöthig, daß ein solcher Schlafplatz nahe am Sumpfe liegt; denn es ficht den Vogel wenig an, wenn er allnächtlich eine große Strecke durchfliegen muß, um von dem Ruheorte aus sein Jagdgebiet zu erreichen und wiederum nach jenem zurückzukehren.

Mit Ausnahme der Brutzeit verbringt er den ganzen Tag schlafend oder ruhend, und erst mit Einbruche der wirklichen Dämmerung tritt er seine Streifereien und Jagdzüge an. Seine Bewegungen unterscheiden ihn in mancher Hinsicht von anderen Reihern. Der Gang zeichnet sich durch die kurzen Schritte, der Flug durch verhältnismäßig schnelle, aber vollkommen geräuschlose, oft wiederholte Flügelschläge und nur kurzes Gleiten aus. Gewöhnlich sieht man das nächtliche Heer in einer bedeutenden Höhe, stets in regellos geordneten Haufen dahinziehen, da, wo er häufig ist, oft auf weithin den Nachthimmel erfüllend. In der Nähe der Sümpfe angekommen, senkt sich die Gesellschaft mehr und mehr herab, und vor dem Niedersetzen bemerkt man auch wohl ein kurzes [382] Schweben. In der Regel zeigt sich der Nachtreiher jeder schnellen Bewegung abhold; denn unfähig ist er einer solchen durchaus nicht. Eine Fertigkeit besitzt er in hohem Grade: er kann vortrefflich klettern und bewegt sich demgemäß im Gezweige der Bäume fast mit derselben Gewandtheit wie die Zwergreiher, welche als die eigentlichen Kletterkünstler der Familie bezeichnet werden müssen. Die Stimme ist ein rauher, auf weithin vernehmbarer Laut, welcher allerdings an das Krächzen der Raben erinnert und zu dem Namen Nachtrabe Veranlassung gegeben hat. Sie mit Buchstaben auszudrücken, ist schwer, da man ebenso gut ein »Koa« wie »Koau« oder »Koei« zu hören glaubt. Sein Wesen unterscheidet sich von dem anderer Reiher ungefähr ebenso wie das einer Eule von dem eines Falken. Eigentlich scheu kann man ihn nicht nennen, obwohl er immer eine gewisse Vorsicht bekundet. Aber man trifft gewöhnlich auch nur bei Tage mit ihm zusammen und hat dann eben einen schlafenden oder doch schläferigen Vogel vor sich. Dieser läßt in der Regel den Jäger bis unter den Baum kommen, auf welchem er ruht, und entschließt sich, zumal an Orten, wo er durch die Gutmüthigkeit des Menschen verwöhnt wurde, auch dann nicht immer zum Auffliegen. Derselbe Vogel zeigt sich, wenn die Nacht hereinbricht, munter und regsam, wenn auch nicht gerade sehr lebendig und dabei unter allen Umständen vorsichtig, weicht furchtsam jedem Menschen aus, welcher sich ihm nähert, und wird, wenn er sich verfolgt sieht, ungemein scheu. Seine Fischerei betreibt er ungefähr in derselben Weise wie die Tagreiher, jedenfalls vollkommen lautlos. In einer Hinsicht unterscheidet er sich von vielen seiner Verwandten: er ist entschieden geselliger als sie, mindestens ebenso gesellig wie der Kuhreiher. Allerdings trifft man in Nordostafrika zuweilen auch einzelne Nachtreiher an, in der Regel jedoch stets Gesellschaften, und zwar solche, welche hunderte von Stück zählen, größere, als sie irgend ein anderer Reiher eingeht; und wenn man die Vögel des Nachts beobachtet, muß man sehr bald bemerken, wie ihr beständiges Schreien und Krächzen zur Folge hat, daß immer neue Zuzügler dem Schwarme sich anschließen.

Das Brutgeschäft fällt in die Monate Mai bis Juli. Um diese Zeit bezieht der Vogel entweder mit Verwandten gewisse Reiherstände oder bildet selbst Siedelungen. In Holland muß er sehr häufig brüten, weil man von dort aus alljährlich lebende Junge erhalten kann; in Deutschland nistet er selten, wahrscheinlich aber doch häufiger, als wir wähnen. So fand Wicke im Jahre 1863 eine von ihm geschilderte Siedelung in der Nähe von Göttingen. Auf den ungarischen Reiherständen ist er stets zahlreich vertreten: Baldamus zählte auf einer einzigen, mäßig großen Weide unter sechzehn Reihernestern elf des Nachtreihers. Seine Nester werden in der Regel in der Mitte der Wipfel auf Gabelästen angelegt oder auch auf den Rand von Fischreihernestern gestützt. Höhere Bäume zieht er den niederen vor, ohne jedoch besonders wählerisch zu sein. Der Horst ist verhältnismäßig nachlässig gebaut, außen von trockenem Gezweige nach Art eines Krähennestes zusammengeschichtet, innen mit trockenen Schilf- oder Riedblättern sparsam ausgelegt. Vor Anfang des Mai findet man auch in Südungarn selten Eier in den Nestern, zu Ende des Monats hingegen sind fast alle mit vier bis fünf Stück belegt. Die grünen Eier, deren Längsdurchmesser etwa fünfundfunfzig und deren Querdurchmesser vierzig Millimeter beträgt, sind sehr länglich und auffallend dünnschalig. Wahrscheinlich brütet nur das Weibchen; wenigstens scheint dies bei Tage zu geschehen. Die Männchen sitzen, nach den Beobachtungen von Baldamus, ungestört in der Nähe des brütenden Weibchens, haben aber auch noch gewisse Sammelplätze, zu denen sie sich begeben, wenn sie behelligt werden; denn es tritt nur auf Augenblicke vollkommene Ruhe ein. »Wenn kein Räuber sie aufstörte«, berichtet genannter Forscher, »fanden sie unter einander Anlaß genug, sich gegenseitig zu necken, schreiend zu verfolgen und zur Wehre zu setzen. Dies geschah größentheils steigend. Sie erschienen dabei oft in sonderbar lächerlichen Stellungen und schrieen beständig. Während nämlich das brütende Weibchen oft ein Reis oder dergleichen von einem nachbarlichen Neste sich zueignete und schreienden Widerstand erfuhr, fiel es vielleicht dem nebenstehenden Männchen ein, seinem über ihm stehenden Nachbar in die Ständer oder in die Zehen zu zwicken. Dieser breitet seine Flügel abwehrend aus, sperrt den Schnabel weit auf und sucht zu vergelten, wird aber vom Angreifer [383] steigend verfolgt, bis das Ende eines Astes nach dem Stamme oder nach außen dem verfolgten entweder den Muth der Verzweiflung oder die Flucht durch die Schwingen gebietet. Im letzteren Falle wird er in der Regel nicht weiter verfolgt, im ersteren Falle der Angreifer in ähnlicher Weise zurückgetrieben. Lächerlich wirkt der Gegensatz zwischen dem großartig erscheinenden Aufwande von Mitteln und dem geringen Erfolge. Der weit aufgesperrte Schnabel, die unendlichen Veränderungen ihrer rauhen ›Koau‹, ›Krau‹, ›Kräü‹, ›Krää‹ usw., die gleichsam von Zornesfeuer und blutroth leuchtenden großen Augen, die drohend erhobenen Flügel, das Zurückbiegen und Vorschnellen des Kopfes, die abenteuerlichen Wendungen des ganzen Körpers, das Anlegen und Aufrichten der Scheitel- und Genickfedern lassen einen Kampf auf Tod und Leben befürchten, und siehe, kaum berühren sie sich, und zwar nur wenig mit den Flügelspitzen, höchst selten einmal gegenseitig mit dem Schnabel. Sie drohen und schreien wie die homerischen Helden und Götter, aber das ist auch alles.« Beachtenswerth ist, daß der Nachtreiher während der Brutzeit sich auch bei Tage mit Fischfange beschäftigt. Freilich treibt ihn der niemals zu stillende Hunger seiner Jungen zu ungleich größerer Thätigkeit an als sonst, und wohl oder übel sieht er sich genöthigt, seine gewohnte Lebensweise zu verändern. »Von allen Seiten, hoch und niedrig«, schildert Landbeck, »zieht der Nachtreiher, den Kropf mit Fischen, Fröschen und Kerbthierlarven angefüllt, zu seinen Nestern. Ein im tiefsten Basse ausgestoßenes ›Quak‹ oder ›Gewäk‹ kündigt seine Ankunft schon in bedeutender Entfernung an, und ein katzenartiges ›Quäht, quäht‹ oder ›Queaohaaeh, queoeah‹ der Jungen ist die Antwort beim Füttern. Haben sich die Alten entfernt, dann beginnt die Musik der Jungen aufs neue, und aus allen Nestern tönt ein ununterbrochenes ›Zikzikzik, zäkzäkzäk, zgäzgäzgä‹ und ›Gättgättgättgätt‹. Zur Abwechselung klettern die jungen Reiher auf den Aesten hinaus auf die Wipfel der Nestbäume, wo sie eine freiere Aussicht genießen und ihre Eltern schon in der Ferne kommen sehen, sich aber auch sehr oft täuschen«. Der Boden unter den Bäumen ist mit zerbrochenen Eierschalen, faulenden Fischen, todten Vögeln, zertrümmerten Nestern und anderem Unrathe übersäet; ein durchdringender Gestank verbreitet sich ringsum. Junge Nachtreiher, welche aus ihren Nestern gestoßen wurden, laufen unten umher, die Fische aufsammelnd, welche von den gefräßigen Nestjungen oben in den Bäumen herabgeworfen werden, falls sich nicht die Alten bequemen, sie auch unten zu füttern. Schon in bedeutender Entfernung vernimmt man ein sonderbares Prasseln und Plumpen, herrührend von dem dichten Kothregen und dem Herabfallen von Fischen oder Herabstürzen der Jungen. Niemand kann unten umhergehen, ohne grün und blau bemalt zu werden. In der Nähe ist der Lärm fürchterlich, der Gestank fast unerträglich und der Anblick von Dutzenden verwesender junger Reiher, welche mit tausenden von Fleischfliegen und Maden bedeckt und dadurch tausendfältig wieder belebt sind, äußerst ekelhaft.

In früheren Jahrhunderten scheint man an der Jagd auf Nachtreiher absonderliches Vergnügen gefunden zu haben, weil man diesen Vogel zur hohen Jagd rechnete und als Wildpret in Ehren hielt. Gegenwärtig erlegen ihn Raubschützen wegen seiner drei weißen Genickfedern, »Bismarckfedern« genannt, welche von Federschmückern gesucht und zu Federbüschen verarbeitet werden. Gefangene sieht man in den meisten Thiergärten. Zu den anziehenden Vögeln gehören sie nicht, da sie auch in der Gefangenschaft den ganzen Tag verschlafen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 382-384.
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