Falkeneule (Surnia funerea)

[63] Im Norden Amerikas wird die Sperbereule durch die ihr sehr nahe stehende Falkeneule (Surnia funerea, canadensis und borealis, Strix funerea, canadensis,hudsonia und Caparoch, Syrnia und Noctua funerea) vertreten, welche sich ständig durch dunklere Oberseite und breitere, mehr oder minder lebhaft braune Sperberung der Unterseite von ihrer altweltlichen Verwandten unterscheidet. Nach Dressers Untersuchungen ist sie es, nicht aber die Sperbereule, welche bisher in Großbritannien erlegt wurde.

[63] Das Verbreitungsgebiet der Sperbereule erstreckt sich über alle nördlichen Länder der Alten, das der Falkeneule über die entsprechenden der Neuen Welt. Jene, auf welche ich mich im nachstehenden beschränken werde, findet sich als regelmäßiger Brutvogel erwiesenermaßen im nördlichen Skandinavien, Nord-und Mittelrußland sowie in Sibirien, vom Ural an bis zum Ochotskischen Meere und von der nördlichen Waldgrenze an bis in die Steppengebiete im Süden des Waldgürtels, ist bis jetzt aber in China noch nicht aufgefunden worden. Wie bei den meisten nordischen Eulen richtet sich ihr Vorkommen mehr oder weniger nach dem jeweiligen Gedeihen der Lemminge. Vermehren sich diese nach einem gelinden Winter mehr als gewöhnlich, so siedelt sich die Sperbereule ihnen zu Gefallen auch wohl in Gegenden an, in denen man sie als Brutvogel sonst nicht beobachtet.


Sperbereule (Surnia ulula). 1/3 natürl. Größe.
Sperbereule (Surnia ulula). 1/3 natürl. Größe.

Als Regel mag gelten, daß sie Birkwaldungen allen übrigen bevorzugt und demgemäß in Skandinavien erst in einem Höhengürtel auftritt, in welchem die Birken vorherrschen. Auf innigen Zusammenhang des genannten Baumes mit ihr deuten Färbung und Zeichnung des Gefieders. Es kommt vor, daß sie in Fichten- oder Föhrenwaldungen brütet; wenn sie aber innerhalb der Birkwaldungen genügende Nahrung hat verläßt sie dieselben gewiß nicht. Reichlicher [64] Schneefall, mehr vielleicht noch Armut an Lemmingen, zwingt sie, gegen den Winter hin ihre beliebtesten Aufenthaltsorte zu verlassen und entweder einfach nach der Tiefe oder nach niederen Breiten hinab zu wandern. Bei dieser Gelegenheit erscheint sie wahrscheinlich allwinterlich in den Ostseeprovinzen und Dänemark, nicht allzu selten auch in Deutschland, woselbst sie sehr oft in Ost- und Westpreußen, etwas seltener in Posen und Schlesien, Pommern, der Mark Brandenburg, nicht minder, wenn auch recht einzeln, in der Oberlausitz, in Thüringen, Hannover und Westfalen, ja selbst im Elsaß erlegt wurde, ebenso wie sie Polen, Mähren, Galizien, Ungarn und Niederösterreich, Südrußland, das ganze südlichere Sibirien und die Gebirge des nördlichen Turkestan zu besuchen pflegt. Ein und das andere Paar bleibt unter besonders günstigen Umständen wohl auch in der Fremde wohnen; für Deutschland wenigstens ist es keineswegs unwahrscheinlich, daß unsere Eule wiederholt in Ost- und Westpreußen genistet hat. Schon Löffler gedenkt eines solchen Falles; ein zweiter wird mir von Ehmcke in Danzig berichtet: »Anfang Juli des Jahres 1866 kaufte ich auf dem Markte eine junge Eule, welche durch ihr eigenthümliches Aussehen meine Aufmerksamkeit erregte. Bei reichlichem Futter wuchs sie schnell heran, und um die Mitte des August konnte man sie als ausgewachsen betrachten. Als ich sie kaufte, wußte ich nicht, welche Art ich vor mir hatte; Beobachtungen ihres Betragens aber ließen mich erkennen, daß ich es nur mit einer Tageule zu thun haben konnte, und als sie endlich ihr Nestkleid ab und das Jugendkleid angelegt hatte, erkannte ich sie als Sperbereule«.

Ueber Lebensweise, Betragen, Nahrung und Fortpflanzung liegen mehrere Berichte vor; die ausführlichsten und besten Beobachtungen sind aber keineswegs von den Naturforschern, welche die Sperbereule in ihrer Heimat sahen, sondern von meinem Vater in Deutschland angestellt worden. Ich selbst habe die im hohen Norden keineswegs seltene Eule nur auf unserer letzten Reise nach Sibirien am unteren Ob gesehen, leider jedoch nicht eingehend beobachten können. Nur über ihren Flug vermag ich einiges zu sagen, was ich anderswo nicht erwähnt finde. Sie fliegt nicht nach Art anderer mir bekannten Eulen, sondern nach Art eines Weih; man muß sogar scharf hinblicken, wenn man sie in geraumer Entfernung vom Wiesenweih unterscheiden will. Hat man sie erst einige Male gesehen, so erkennt man sie nicht allein an dem dickeren Kopfe, sondern, und sicherer noch, an ihrem, doch auch vom Weih bestimmt verschiedenen Fluge. Sie wiegt sich nicht, von einer Seite auf die andere sich neigend, hebt beim gleitenden Dahinschweben die Flügel höher und schaltet zwischen die schwebende Bewegung viel mehr, durch ihre Weichheit ausgezeichnete Flügelschläge ein, der Flug ist minder stetig, im ganzen merklich langsamer als der des Weih; endlich rüttelt sie sehr häufig und setzt sich während ihrer Jagd oft nieder. Mittheilungen von Wallengren, Collett, Wheelwright und Wolley lehren uns zusammengefaßt ungefähr das folgende: In guten Lemmingjahren, verläßt die Sperbereule ihr Brutgebiet nicht; höchstens Junge unternehmen Wanderungen nach südlicher gelegenen Gegenden und werden dann auch an solchen Oertlichkeiten gesehen, welche ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte wenig entsprechen, so beispielsweise in unbewaldeten Geländen. In ihrem Auftreten erinnert sie sehr an die Falken. Ein Tagvogel wie diese, vereinigt sie mit dem leisen obwohl raschen Fluge der Eule jener Lebendigkeit und Muth, ähnelt ihnen auch hinsichtlich ihres Geschreies. Oft sieht man sie auf den dürren Wipfeln einer abgestorbenen Föhre sitzen und von hier nach Beute sich umschauen. Ein ihr nahender Mensch behelligt sie dann so gut als nicht. Mit ihren hellgelben Augen starrt sie alles ruhig an, und ihr Blick gewinnt dabei den Anschein halb verlegener Verschmitztheit; ihren gefährlichsten Gegner aber fest ins Auge zu fassen, fällt ihr nicht ein. Sie gebart sich, als ob sie es unter ihrer Würde halte, solches zu thun, dreht vielleicht auch, angesichts des sie bedrohenden Schützen, ihr Haupt gemächlich nach einer anderen Richtung, als ob sie sich willentlich nicht um ihn kümmern wolle. Ganz anders benimmt sie sich einer Beute oder einem ihrer gefiederten Feinde sowie auch demjenigen gegenüber, welcher ihr Nest bedroht. Kaum ein einziger Waldvogel ist vor ihren Angriffen gesichert. Wheelwright sah, daß sie einen unglücklichen Heher, ihren gewöhnlichen Nachbar, im Fluge schlug, und überraschte sie mehr als einmal beim Kröpfen eines Morasthuhnes, dessen Gewicht das des ihrigen[65] fast um das doppelte übersteigt. Allerlei Vögel, Lemminge und Waldmäuse, ebenso auch Kerbthiere bilden ihre gewöhnliche Nahrung. Wie ein Falk stürzt sie sich von ihrem Hochsitze hernieder, um einen der kleinen Nager zu ergreifen, packt denselben sicher, erdolcht oder erwürgt ihn mit den scharfen Fängen und trägt ihn dann nach einem passenden Sitzplatze, oft länger zwischen dem einen oder dem anderen wählend, um ihn hier zu verzehren. Wird sie von Waldgeflügel, insbesondere Hehern, Krähen, Meisen geneckt, so läßt sie sich dies oft lange gefallen, wirft sich dann aber plötzlich in die Mitte der Widersacher und ergreift einen von ihnen. Nur gegen die Elstern, welche sie laut schreiend umringen und necken, scheint sie nichts ausrichten zu können. In die Enge getrieben, beispielsweise flügellahm geschossen, wehrt sie sich auf das verzweifeltste, deckt ihren Rücken und streckt beide Klauen angriffsfertig ihrem Feinde entgegen.

Anfang Mai, unter Umständen bereits im April, schreitet sie zur Fortpflanzung. Zu ihrer Niststätte wählt sie sich entweder eine Baumhöhlung, beziehentlich einen Nistkasten, wie man sie in Lappland für die Gänsesäger an die Bäume hängt, oder ein altes Krähennest, erbaut sich auch wohl auf höheren Bäumen einen der Hauptsache nach aus Aesten und Reisern bestehenden, mit Laub und Moos ausgekleideten flachmuldigen Horst und belegt denselben mit sechs bis acht abgerundeten, rein weißen Eiern, welche etwas kleiner als die des Baumkauzes sind, beziehentlich einen Längendurchmesser von fünfunddreißig bis fünfundvierzig und einen Querdurchmesser von neunundzwanzig bis einunddreißig Millimeter haben. Auf der Spitze eines abgestorbenen Baumes in möglichster Nähe des Nestes sitzend, hält das Männchen sorgsam Wache, erhebt, sobald sich irgend ein lebendes Wesen dem Horste nähert, Kopf und Schwanz, läßt einen schrillen, dem des Thurmfalken nicht unähnlichen Schrei vernehmen und stößt wüthend auf den Störenfried herab. Wheelwrights Steiger fürchtete sich so vor der Sperbereule, daß er sich weigerte, deren Horst zu erklettern, denn er hatte gelegentlich des Ausnehmens eines Nestes erfahren müssen, daß er von dem alten Männchen des bedrohten Paares auf das heftigste angegriffen und nicht allein seiner Kopfbedeckung, sondern auch einiger Büschel seiner Haupthaare beraubt worden war. Ein Jagdhund wird nicht bloß während der Brutzeit, sondern in allen Monaten des Jahres aufs heftigste angegriffen. Beachtenswerth ist, daß nach den Beobachtungen des letztgenannten Forschers das Männchen sein Weibchen im Brüten ablöst. Noch bevor die Jungen flugbar geworden sind, tritt bei den Alten die Mauser ein, und wenn jene ihr volles Gefieder erlangt haben, prangen auch diese in neuem Kleide.

Ausführlicher als die zuletzt genannten Forscher zusammengenommen schildert mein Vater, welcher vor nunmehr fast sechzig Jahren das Glück hatte, eine Sperbereule in Thüringen zu beobachten, Wesen und Gebaren. »Es gereicht mir zur besonderen Freude«, sagt er, »über das Betragen dieses seltenen Vogels einiges sagen zu können. Ich erhielt ein Weibchen lebendig. Ein Knabe hatte es auf dem Hegewische eines Schlages gegen Abend sitzen sehen und so lange nach ihm geworfen, bis es, an den Kopf getroffen, herabtaumelte und ergriffen werden konnte. Ich ließ es im Zimmer frei und fand gleich im Betragen desselben viel eigenes. Andere Eulen verschließen die Augen großentheils und suchen eilig den dunkelsten Winkel, um sich in ihm zu verbergen; diese Habichtseule aber flog mit ganz geöffneten Augen sofort dem Fenster zu und stieß so heftig daran, daß sie wie todt zur Erde niederfiel und gewiß bei erneuerten Stößen eine Fensterscheibe zerbrochen haben würde. Sie wurde nun in ein anderes Behältnis gebracht und war, obgleich sie immer sich an der hellsten Stelle aufhielt, doch gleich anfangs so wenig schüchtern, daß sie sich ruhig angreifen ließ und eine ihr vorgehaltene Maus mit dem Schnabel, aus dem sie augenblicklich in die Fänge überging, abnahm. Ihre Stellung war sehr verschieden. Auf der Erde trug sie den Leib fast wagerecht, die Füße weit hervorgestreckt, den Schwanz aber zusammengelegt und aufgerichtet; auf erhöhten Gegenständen saß sie mit beinahe senkrechtem Körper, so eingezogenen Füßen, daß nur die Zehen vorstanden, oft ausgebreitetem und stets gerade herabhängendem Schwanze und über die Flügel gelegten Trag- und Schulterfedern. In dieser Stellung entfaltete sie ihre ganze [66] Schönheit und nahm sich herrlich aus. Bei allen Stellungen dieser Eule waren die Seitenfedern des Kopfes gesträubt und die Stirnfedern glatt angelegt, so daß sie ein Falkengesicht hatte, und der Kopf an Breite dem Leibe wenig oder nichts nachgab. In allen ihren Bewegungen war sie sehr rasch und gewandt, auf der Erde hüpfte sie aber ungern herum. Ihr Geschrei, welches sie, besonders wenn man sie angriff, hören ließ, klang dem Angstgeschrei eines Thurmfalken nicht unähnlich; doch wurde man dabei auch an das Kreischen einer Haushenne, welche in den Händen getragen wird, erinnert. Bei großer Wuth knackte sie mit dem Schnabel wie die anderen Eulen und ebenso laut; war sie aber nur einigermaßen böse, dann rieb sie die Spitze der unteren Kinnlade von der Spitze der oberen an, bis sie in die rechte Lage kam. Sie streckte dabei den Unterschnabel weit vor und schrapelte mit ihm auf dem oberen hin wie die Papageien, wenn sie etwas zerstückeln wollen. Dies gab ein langgezogenes, wenig hörbares Knacken, so daß ich anfangs glaubte, es sei ihr ein Knochen zerbrochen und gäbe dieses Geräusch bei den starken Bewegungen, die sie machte. In den Nachmittagsstunden war sie besonders munter bis zu einbrechender Nacht.

Nach einiger Zeit entkam sie durch einen unglücklichen Zufall. Ich ließ sie in unseren Wäldern überall suchen und suchte selbst, aber ohne Erfolg. Einige Tage darauf wurde mir gemeldet, sie sei wieder auf derselben Stelle des Waldes, auf demselben Schlage, ja auf demselben Hegewische, wo sie früher gewesen war. Sie hatte also diesen Platz, ob er gleich eine Wegstunde von meiner Wohnung liegt, wahrscheinlich denselben Tag, als sie mir entflohen, wiedergefunden und allen anderen Orten vorgezogen. Diese Nachricht war mir um so angenehmer, weil ich nicht nur Hoffnung hatte, mein seltenes Thier wieder zu bekommen, sondern es auch im Freien zu beobachten, eine Hoffnung, welche auf das schönste erfüllt wurde.

In den Vormittagsstunden war sie niemals sichtbar; sie hielt sich zu dieser Zeit in dichten Fichten und Tannen, welche nicht weit von jenem Schlage standen, verborgen, und zwar so, daß man zehnmal unter ihr vorübergehen konnte, ohne sie zu sehen. In den Nachmittagsstunden, gewöhnlich um ein Uhr, kam sie zum Vorscheine und setzte sich auf die Spitze eines niedrigen Baumes, auf einen weit unten stehenden Seitenast oder auf den Hegewisch. Sie kam zuweilen von Bäumen geflogen, welche gar nicht geeignet schienen, sie gut zu verbergen, und auf denen sie früher doch durchaus nicht zu entdecken gewesen war. Saß sie frei, dann blickte sie unverwandt auf die Erde herab und richtete sich immer nach dem Gegenstande hin, welcher sich ihr näherte. Der Hegewisch, von welchem aus sie einen großen Theil des Schlages übersehen konnte, war oben von ihrem beständigen Daraufsitzen niedergedrückt, so daß kein Strohhalm mehr senkrecht stand. Wollte man sich ihr, wenn sie darauf saß, von hinten nähern, dann drehte sie sich sogleich um, aber ohne den Ort zu verlassen, und man konnte, wenn man rund um sie herumging, sie im Kreise sich drehen sehen. Sie ließ einen Mann bis auf zehn, ja bis auf sechs Schritte an sich kommen und achtete die Steinwürfe so wenig, daß sie einem an ihr vorbeifliegenden Steine verwundert nachsah und einst, als sie getroffen wurde, zwei Meter in die Höhe flog, aber doch ihre alte Stelle wieder einnahm. Dies alles scheint mir zu beweisen, daß sie in ganz unbewohnten Gegenden ihren eigentlichen Aufenthalt hat; denn sie kennt den Hauptfeind aller Thiere und seine Fähigkeit, in der Ferne zu wirken, durchaus nicht. Mir ist ein so wenig menschenscheuer Vogel, welcher wie diese Eule völlig gesund und wohlbeleibt war, nie vorgekommen.

Gelingt es ihr, eine oder zwei Mäuse zu fangen, so geht sie zur Ruhe, und man sieht sie deswegen vor der Abenddämmerung schon nicht mehr; ist sie aber in der Jagd unglücklich, dann lauert sie bis zum Einbruche der Nacht und bis nach demselben ihrem Raube auf. Auffallend war es mir, in der Nähe jenes Schlages hier und da, aber nicht beim Hegewische, auf dem sie doch täglich mehrere Stunden saß, ihren Koth zu finden. Ich vermuthe, daß sie ihn da, wo sie den Mäusen auflauert, absichtlich nicht fallen läßt; durch das Wegspritzen desselben könnten die hervorkommenden Mäuse verscheucht werden. Sie hat einen leichten und geschwinden Flug, welcher dem des Finkenha bichts sehr ähnlich ist. Sie bewegt, wie dieser, die Flügel streckenweise schnell und streckenweise, wo sie [67] schwebt, gar nicht. Doch trägt sie dieselben wie die anderen Eulen und kündigt sich auch von weitem durch ihren dicken Kopf als Eule an. Sie fliegt ungern weit, wenn sie verfolgt wird, oft nur funfzig, sechzig, hundert Schritte, und nur als ihr die Krähen hart zusetzten, sah ich sie dreihundert bis vierhundert Schritte weit fliegen. Als die Krähen nach ihr stießen, schrie sie heftig miauend und langgezogen ›äh‹ und begab sich gleich auf die Flucht, auf welcher sie ihnen in kurzer Zeit so weit vorauseilte, daß sie die Verfolgung aufgaben. Sie lebt wahrscheinlich im Sommer an solchen Orten, wo es gar keine Krähenarten gibt; denn diese würden ihr, wenn sie sich am hellen Tage ganz frei hinsetzte, so mitspielen, daß sie ihre ganze Jagd aufgeben müßte.

Die Sperbereule zeichnete sich vor vielen anderen Gattungsverwandten schon dadurch aus, daß sie nicht absuchte, das heißt, daß sie nicht, niedrig über die Erde hinfliegend, ihren Raub zu überraschen strebte. Sie erwartete ihn vielmehr, wie die Würgerarten, sitzend. Deswegen mußte sie solche Stellen zu ihrem Aufenthaltsorte wählen, wo es von Mäusen wimmelte. Dies war auf dem oben erwähnten Schlage der Fall. Auf ihm waren alle Erhöhungen mit Mäuselöchern so durchgraben, daß ihre Ränder einem Durchschlage glichen. Einen ähnlichen Platz kenne ich in unseren Wäldern nicht, und daraus wird ihre merkwürdige und hartnäckige Anhänglichkeit an diesen Schlag und den darauf befindlichen Hegewisch begreiflich genug. Sie wählte also wenig erhöhte Gegenstände, welche ihr eine freie Aussicht, wo möglich ringsum, gewähren, damit sie eine hervorkommende Maus sogleich bemerken und erhaschen könne. Einst sahen wir sie fangen. Sie war vom Hegewische, welcher ihr durchaus den besten Standort gewährte, verscheucht worden und hatte sich auf die Spitze einer etwa funfzehn Meter hohen Fichte gesetzt. Von ihr aus fuhr sie plötzlich auf die Erde herab, und das Schreien einer Maus zeigte an, wie richtig sie gefaßt hatte; gleich darauf kam sie mit einem Klumpen Grashalmen in den Fängen empor und trug die darin befindliche Maus nahe stehenden hohen Tannen zu, in denen sie dem Auge entschwand. Sie verzehrte ohne Zweifel dort ihren Raub; denn sie braucht, da sie ihn, wie die Gattungsverwandten, fast ganz verschlingt, es nicht auf der Erde zu thun. Ich bin überzeugt, daß ihr bei ihrer Jagd ihr leises Gehör so gut wie ihr scharfes Gesicht behülflich ist. Die Maus, welche sie vor unseren Augen fing, war wenigstens fünfundzwanzig Schritte von ihr entfernt und in tiefem Grase verborgen. Offenbar hatte sie das geringe Geräusch, welches die Maus im dürren Grase verursachte, sogleich gehört, nun erst ihren Blick nach dieser Seite hingewandt und ihre Beute entdeckt.«

In der Gefangenschaft erhielt diese Eule Hausmäuse vorgeworfen. Sie biß ihnen zuerst den Kopf ab und verschluckte, wenn dieser verzehrt war, das übrige ganz. Am liebsten fraß sie an solchen Orten, an denen ihr Schwanz frei herabhängen konnte; doch nahm sie ihr Futter auch auf dem Boden sitzend zu sich. Des Nachts warf sie die Haare und Knochen in Gewöllen wieder aus.

»Die Habichtseule«, schließt mein Vater, »scheut starkes Schneegestöber. Am vierzehnten December 1820 schneite es sehr stark und unter heftigem Winde; dennoch gingen die anderen Vögel ihrer Nahrung nach. Die hier überwinternden Drosselarten waren in Bewegung, die Sperlinge, Bergfinken, Zeisige und Ammer, die Meisen, Kleiber und Baumläufer suchten ihre Nahrung, selbst eine Feldlerche lief und flog auf den Stoppeläckern herum. Unsere Habichtseule aber kam erst nach zwölf Uhr hervor, setzte sich auf einen niedrigen Seitenast, besah sich das fürchterliche Wetter und verbarg sich wieder auf einer dichten Fichte. Nach zwei Uhr hörte es auf zu schneien, und jetzt erschien dieser schöne Vogel, setzte sich auf einen Fichtenwipfel und wollte seine Jagd beginnen. Ich schoß ihn, da ich ihn hinlänglich beobachtet hatte und nicht ohne Furcht war, er möchte sich doch bald aus der Gegend entfernen, herab und fand seinen Kopf mit Schnee, welcher wie Eiszapfen an den Scheitelfedern angefroren war, bedeckt.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 63-68.
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