Zwergohreule (Scops carniolica)

[95] Die Zwergohreule, Posseneule, Ohrkauz, Waldteufelchen usw. (Scops carniolica, zorca, giu, ephialtes, asio, Aldrovandi, minuta, europaea, senegalensis, vera, minor, rupestris, rufescens, pygmaea und longipennis, Strix scops, giu, zorca, carniolica und pulchella, Ephialtes scops und zorca, Asio und Bubo scops, Bild S. 90), ist funfzehn bis achtzehn Centimeter lang und sechsundvierzig bis einundfunfzig Centimeter breit; die Fittiglänge beträgt vierzehn, die Schwanzlänge sieben Centimeter. Auf der Oberseite herrscht ein durch Aschgrau gedämpftes Rothbraun vor, welches schwärzlich gewässert und längsgestreift, auf dem Flügel aber weiß und in der Schultergegend röthlich geschuppt ist; die Färbung der ganzen Unterseite mag als ein verworrenes Gemisch von Braunrostgelb und Grauweiß bezeichnet werden. Der Schleier ist undeutlich, die Federohren sind mittellang. Der Schnabel ist blaugrau, der Fuß dunkel bleigrau, das Auge hell schwefelgelb. Männchen und Weibchen lassen sich kaum unterscheiden; die Jungen sind etwas trüber gefärbt und minder bunt gezeichnet als die Alten.

Erst von Süddeutschland an nach Mittag hin ist die Zwergohreule eine gewöhnliche Erscheinung; nach Nord- und Mitteldeutschland oder Großbritannien verirrt sie sich nur. Horstend trifft man sie einzeln am Rheine und in dem Alpengebiete, namentlich in Steiermark, Kärnten, Krain, Tirol und Kroatien, öfter aber schon in Südfrankreich und häufig in ganz Südeuropa; außerdem kommt sie in Mittelasien, nach Osten hin bis Turkestan, mehr oder weniger regelmäßig vor. In Europa ist sie Zugvogel, welcher ziemlich früh im Jahre, in den letzten Tagen des März oder in den ersten des April erscheint, aber auch ziemlich bald, im September, spätestens Anfang Oktober wieder wegwandert und seine Reisen bis in das tiefste Innere von Afrika ausdehnt. Ich habe sie in den oberen Nilländern niemals paarweise, wohl aber in zahlreichen Gesellschaften gefunden, welche unzweifelhaft auf dem Zuge begriffen waren.

In Spanien hält sich die Zwergohreule in ebenen, mit einzelnen Bäumen bestandenen Gegenden auf, namentlich in Feldern und Weinbergen, Gärten und Spaziergängen. Ob sie im eigentlichen Walde vorkommt, vermag ich nicht zu sagen; gefunden habe ich sie hier nie. Sie scheut sich nicht vor dem Menschen, sondern siedelt sich unmittelbar in dessen Nachbarschaft an, bewohnt zum Beispiel recht häufig die Bäume des belebtesten Spazierganges in Madrid. Aber es ist doch nicht leicht, sie aufzufinden. Auch sie hält sich bei Tage ganz ruhig, dicht an einen Baumstamm gedrückt oder auch unter Weinlaub verborgen, niedrig über dem Boden sitzend, und schmiegt sich trotz ihrer bunten Zeichnung so innig der Rindenfärbung an oder verliert sich so vollständig in dem Gelaube, daß nur der Zufall sie in Sicht bringt. Erst nach Sonnenuntergang sieht man sie in gewandtem, mehr falken- als eulenartigem Fluge jagend niedrig über dem Boden. Die Stimme, welche ich auffallenderweise nie vernommen habe, ist ein weithin tönender Laut, von welchem die italienischen Volksnamen des Vogels, »Chiu«, »Ciu« und »Cioui«, Klangbilder sind. Junge Zwergohreulen wispern in eigenthümlicher Weise.

Im Verhältnisse zu ihrer geringen Größe ist die Zwergohreule ein tüchtiger Räuber. Ihre Jagd gilt vorzugsweise kleinen Wirbelthieren, nicht aber Kerfen, wie man geneigt ist, zu glauben. In dem Magen der getödteten fand ich hauptsächlich Mäuse; meine gefangenen aber fielen mörderisch auch kleine Vögel an, und eine von ihnen, welche ich frei im Zimmer herumfliegen ließ, fing mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit vor meinen Augen eine Fledermaus, welche durch die offene Thüre hereingekommen war, und erwürgte sie im Umsehen.

Die Niststätte befindet sich, nach Versicherung aller Spanier, welche mir Auskunft geben konnten, in Baumhöhlungen und enthält frühestens gegen Ende des Mai kleine, rundliche, weiße Eier, deren Längsdurchmesser einunddreißig, und deren Querdurchmesser sechsundzwanzig Millimeter beträgt. In den ersten Tagen des Juli erhielten wir ein noch blindes Junges, wenige Tage später deren drei, welche von uns mit Sorgfalt gepflegt und nach kurzer Gefangenschaft ungemein zahm wurden. Sie ließen sich von uns nicht bloß berühren, sondern auch, ohne wegzufliegen, auf dem Finger im Zimmer umhertragen, nahmen uns vorgehaltene Speise aus der Hand und ergötzten [96] uns durch ihr munteres, possenhaftes Wesen aufs höchste. Das ingrimmige Fauchen vernahm ich nie, ein schwaches Schnabelknacken nur im Anfange der Gefangenschaft. Nach und nach aber wurden die Thierchen selbständig, und eins nach dem anderen entwischte, sorgsamer Beaufsichtigung ungeachtet. Von einer jung aufgezogenen Zwergohreule schreibt mir mein Bruder, daß sie der liebste Gespiele seines Kindes sei. Bei Tage sitzen gefangene Eulen dieser Art in den verschiedensten Stellungen aufpassenden Stellen in ihrem Gebauer, die eine mit glatt anliegendem Gefieder, die andere zu einem Federballen aufgedunsen. Diese legt das eine Federohr nach hinten, während sie das andere erhebt, jene richtet beide auf und blinzelt dabei unendlich komisch nach dem Beschauer, welcher dicht an sie herantreten kann, ohne daß sie sich rührt. Im Käfige sucht sich jede ein Plätzchen aus und weiß sich so vortrefflich zu verstecken, daß man oft lange suchen muß, ehe man sie auffindet. Ihr Gefieder verschmilzt förmlich mit der Umgebung: es ist mir wiederholt begegnet, daß ich die eine dicht vor mir hatte, ohne sie zu sehen. Die Haltung verursacht keine Schwierigkeit. Ich zweifle nicht, daß es gelingen wird, von gefangenen Zwergohreulen Junge zu erzielen. Zwei meiner Pfleglinge hatten sich gepaart und drei Eier gelegt. Das Weibchen brütete eifrig, starb aber leider, ehe die Eier gezeitigt waren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 95-97.
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