Muti (Falco coerulescens)

[566] Die bekannteste Art ist der Muti der Indier oder Alap der Javanen (Falco coerulescens und fringillarius, Hierax coerulescens und malayanus), ein Vogel von höchstens zwanzig Centimeter Länge, dessen Fittig neun und dessen Schwanz sechs Centimeter mißt. Scheitel, Nacken, Schwanz und die aus langen, seidenweichen Federn gebildeten Hosen sind bläulichschwarz, Vorderkopf, Kehle, Brust und ein Streifen vom Schnabelwinkel bis auf die Schultern roströthlichweiß, die übrigen Untertheile rostroth. Runde weißliche Flecke im Schwanze bilden vier zierliche Binden; die Schwingen sind ähnlich gezeichnet. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel blauschwarz, der Fuß lichtblau.

Der Muti, ein allen Eingeborenen sehr bekannter Vogel, verbreitet sich über ganz Südasien. Ueber seine oder seiner Verwandten Sitten ist leider sehr wenig bekannt; selbst Jerdon weiß nichts wesentliches zu berichten. Es wird gesagt, daß alle Zwergedelfalken muntere und im hohen Grade muthige Vögel sind, welche auf alles kleine Geflügel eifrig jagen, aber selbst den Kampf mit größeren nicht scheuen. Diese Eigenschaften sind denn auch von den jagdliebenden Indiern wohl benutzt worden. Der Name Muti bedeutet »Eine Hand voll«, und diesen Namen hat sich der Falk dadurch erworben, weil er, wenn es zur Jagd geht, in der hohlen Hand getragen und wie ein Stein nach seiner Beute geworfen wird. Man läßt ihn nach Mundy's Bericht namentlich auf Wachteln und ähnliches Wild von entsprechender Größe steigen. Unser Gewährsmann versichert als Augenzeuge, daß diese Jagdart eine ganz eigenthümliche Unterhaltung gewähre. Das wohlabgerichtete Raubvögelchen reicht mit dem Kopfe auf der einen Seite und mit dem Schwanze auf der anderen Seite über die Hand hervor und sein Gefieder bleibt dabei sorgfältig geglättet. Auf zwanzig bis dreißig Meter in die Nähe des Wildes gekommen, schleudert der Falkner ihn wie einen Ball kräftig nach dem zu jagenden Thiere hin. Das Vögelchen gebraucht augenblicklich die Flügel und stößt mit größtem Muthe, nach Art des Habichts, auf seine Beute hernieder.

Von einigen Forschern und so auch von Jerdon wird bezweifelt, daß gerade der Muti zu solcher Jagd verwendet werde; die Beschreibung Mundy's läßt jedoch kaum einen Zweifel gegen die Richtigkeit dieser Angaben aufkommen, ganz abgesehen davon, daß gleiche Berichte schon von früheren Beschreibern gegeben worden sind.


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Eher als den bisher aufgeführten Unterabtheilungen der Falkengruppe dürfen wir den Röthelfalken (Tinnunculus) den Rang einer Sippe zugestehen. Sie ähneln in Gestalt, im Bau des Schnabels, der Flügel und des Schwanzes noch ihren edleren Verwandten, haben aber längeres und lockereres Gefieder, kürzere und minder hartschwinginge Flügel, längeren Schwanz, stärkere und kurzzehigere Füße und je nach dem Geschlechte verschieden gefärbtes Kleid.

Lebensweise und Betragen der Röthelfalken ähneln sich ebenso sehr als ihre Gestalt und Färbung. Man sieht es ihnen an, daß sie nicht so befähigte Mitglieder ihrer Familie sind wie die echten Edelfalken. Ihr Flug ist zwar noch leicht und ziemlich schnell, steht jedoch dem der letztgenannten bei weitem nach und zeichnet sich namentlich durch das Rütteln sehr aus. Gewöhnlich streichen sie in mäßiger Höhe über den Boden dahin, halten, wenn sie eine Beute erspähen, plötzlich an, bewegen die Flügel längere Zeit zitternd auf und ab, erhalten sich dadurch geraume Zeit fast genau auf derselben Stelle und stürzen sich dann mit ziemlicher Eile herab, um die erspähte Beute aufzunehmen. Doch steigen sie zu ihrem Vergnügen, an schönen Sommerabenden namentlich, zuweilen hoch empor und führen dabei die zierlichsten Schwenkungen aus. Im Sitzen tragen sie sich lässiger als die edleren Falken und erscheinen deshalb größer als sie sind; doch halten auch sie sich ausnahmsweise schlank. Auf dem Boden sind sie ziemlich geschickt; ihre längeren Läufe erlauben ihnen sogar ziemlich leichten Gang. An Sinnesschärfe stehen sie den übrigen Edelfalken durchaus nicht nach; in ihrem Wesen aber unterscheiden sie sich von ihnen. Sie sind munterer, fröhlicher als diese und dabei keck und necklustig. Größeren Raubvögeln werden sie durch eifriges Verfolgen oft recht lästig, und den Uhu ärgern sie nach Herzenslust. Selbst gegen den Menschen legen sie zuweilen [567] einen bewunderungswürdigen Muth an den Tag. Sie sind frühzeitig munter und gehen erst spät zur Ruhe; man sieht sie oft noch in der Dämmerung des Abends umherschweben. Ihr Geschrei ist ein helles fröhliches »Kli kli kli«, welches verschieden betont wird, je nachdem es Angst oder Freude ausdrücken soll. Im Zorn kichern sie. Je nach den Umständen ändern sie ihr Betragen dem Menschen gegenüber. Bei uns sind sie ziemlich scheu, wenn sie sich verfolgt wissen, sogar äußerst vorsichtig; im Süden leben sie mit dem Menschen auf dem besten Fuße, und zumal der eigentliche Röthelfalk scheut sich nicht vor jenem, dessen Wohnung ja auch zu der seinigen werden muß. In der Gefangenschaft werden sie bald sehr zahm, und wenn sie gute Behandlung erfahren, danken sie ihrem Gebieter solche durch wahre Anhänglichkeit. Sie lassen sich leicht zum Ein- und Ausfliegen gewöhnen, achten auf den Ruf, begrüßen ihren Brodherrn mit freudigem Geschreie und legen ihre Zuneigung auch noch in anderer Weise an den Tag.

Wirklich anziehend wird das Winterleben der Röthelfalken. Auch sie sammeln sich auf der Reise zu Gesellschaften, und diese halten zusammen, so lange der Aufenthalt in der Fremde währt. Durch Jerdon und andere indische Vogelkundige erfahren wir, daß die beiden europäischen Arten gewöhnliche Wintergäste Südasiens sind; ich meinestheils habe sie, zu großen Flügen vereinigt, während unserer Wintermonate im Inneren Afrikas angetroffen. Unbekümmert um ihre Artverwandten, welche in Egypten leben und dort jahraus jahrein wohnen bleiben, wandern sie bis tief in die Gleicherländer hinein und erwählen sich hier in den Steppen oder Urwaldungen geeignete Stellen zu ihrem Aufenthalte. Bedingung zu längerem Bleiben ist reichliche Nahrung; deshalb findet man sie regelmäßig da, wo die Wanderheuschrecke massenhaft auftritt. Wer nicht selbst die Schwärme dieser Kerbthiere gesehen, macht sich keinen Begriff davon. Es gibt Waldstrecken, in denen man nächst den Stämmen und Aesten der Bäume nichts anderes als Heuschrecken sieht. Aufgescheucht verdunkelt die gefräßige Gesellschaft die Luft. Sehr bald finden sich bei den Heuschrecken aber auch die Verfolger ein und unter allen zuerst unsere Röthelfalken. Hunderte von ihnen sitzen regungslos auf den höchsten Spitzen der Mimosen oder schweben, rütteln und gleiten in wechselvollem, nicht ermüdendem Fluge über der schwarzgrauen Schar umher. So lange die Heuschrecken an den Zweigen hängen, verwehren die langen Stacheln und Dornen der Bäume den flinken Räubern, herabzustürzen unter die Kerbthierwolke; sobald die Heuschrecken aber sich erheben, eilen die Falken herbei, jagen durch die dichtesten Scharen hindurch und ergreifen mit gewandter Klaue eines der schädlichen Thiere. Es wehrt sich und beißt mit den scharfen Freßzangen in die beschildeten Läufe seines Feindes; doch dieser ist stärker. Ein Biß mit dem kräftigen Schnabel zermalmt den Kopf der Heuschrecke, und der Sieger beginnt nun sofort, sie zu verzehren. Ohne Zeit zu verlieren, reißt er ihr die Flügel aus, zerbricht die dürren Springfüße und speist den leckeren Fraß in der Luft, in welcher er sich schwebend zu erhalten weiß. Binnen zwei Minuten hat der geübte Jäger eine Heuschrecke gefangen, zerrupft und verzehrt, und von neuem eilt er wieder unter die noch nicht zur Ruhe gekommenen Schwärme, um sich noch eines oder zwei ihrer Mitglieder zu rauben. Dieses Schauspiel hatte für uns stets etwas so anziehendes, daß wir es uns nicht verdrießen ließen, die Heuschrecken durch Schütteln aufzuscheuchen, und die Falken bewiesen sich insofern dankbar, als sie unmittelbar vor unseren Augen ihren Fang betrieben. Auffallend war es uns übrigens, daß die Heuschrecken ihren Hauptfeind wohl zu kennen schienen. Die Schwärme weichen im Fluge auseinander, wenn sich einer der Vögel jählings unter sie stürzt.

Schon diese Angabe genügt, den niedlichen Raubvögeln unsere Zuneigung zu sichern. Sie wirken aber während ihres Sommerlebens in ebenso ersprießlicher Weise als im fernen Afrika, und somit verdienen sie wohl, daß jeder Verständige sie nach Möglichkeit schont, hegt und pflegt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 566-568.
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