Seeadler (Haliaëtus albicilla)

[653] An allen Seeküsten Europas lebt häufig der See- oder Meeradler, Hafen- und Gänseadler, Fisch-und Steingeier, Bein- und Steinbrecher, »Oere« der Dänen, »Assa« der Isländer, »Hafsöre« der Schweden, »Orel« der Russen, »Merikotka« der Finnen, »Schometa« der Araber (Haliaëtus albicilla, nisus, orientalis, borealis, islandicus, groenlandicus, cinereus, funereus und Brooki, Vultur und Aquila albicilla, Falco albicilla, albicaudus, ossifragus, pygargus und hinnularius), ein gewaltiger, je nach der Gegend in der Größe, weniger in der Färbung erheblich abändernder Adler von fünfundachtzig bis fünfundneunzig Centimeter Länge, fast zwei und einem halben Meter Breite, fünfundsechzig bis siebzig Centimeter Fittig- und dreißig bis zweiunddreißig Centimeter Schwanzlänge. Der ausgefärbte Vogel ist auf Kopf, Nacken, Kehle und Oberhals licht fahlgraugelb, durch die düster braune Färbung der Federwurzeln und die dunklen Schaftstriche undeutlich in die Länge gezeichnet; Oberrücken und Mantel sind düster erdbraun, alle Federn licht fahlgelblichgrau umrandet und durch dunkelbraune Schaftstriche geziert, Unterrücken und Unterseite einfarbig düster erdbraun, nach dem Schwanze zu etwas dunkler, die Schwingen schwarzbraun, die Schäfte der Federn weißlich, die Armschwingen lichter braun als die Handschwingen, die Federn des etwas zugerundeten Schwanzes endlich rein weiß. Vor der Mauser pflegt das Gefieder bis zu Gelblichfahlgrau verschossen zu sein. Augenring, Schnabel, Wachshaut und Füße sind erbsengelb. Junge Vögel unterscheiden sich von den alten durch dunklen Kopf und Schwanz, sowie das vorherrschend licht graubraune, infolge der dunkelbraunen Federenden überall streifig gefleckte Kleingefieder. Ihr Augenstern ist braungelb, der Schnabel hornbläulich, der Fuß grünlichgelb.

Das Verbreitungsgebiet des Seeadlers fällt mit dem des Steinadlers fast zusammen. Der mächtige Vogel bewohnt ganz Europa, als Brutvogel erwiesenermaßen Deutschland, insbesondere Ost- und Westpreußen, Pommern, vielleicht auch einzelne Theile der Mark sowie Mecklenburg, außerdem Schottland, Skandinavien, Nord- und Südrußland, Ungarn, Siebenbürgen, die Donautiefländer, die Türkei und Griechenland, Italien, Kleinasien, Palästina und Egypten, nach Osten hin endlich ganz Nord- und Mittelsibirien. Am Ob erstreckt sich sein Brutgebiet anscheinend nicht weiter südlich als bis zum Norden des Altaigebirges: denn schon am oberen Irtisch wird er durch den Bandseeadler vertreten; nach Norden hin beobachtete ich ihn, soweit die Ufer des Ob bewaldet waren, wiederholt aber auch noch in der Tundra der Samojedenhalbinsel nördlich vom Ural, und es läßt sich wohl annehmen, daß er ebenso an den nördlichen Küsten der genannten Halbinsel gefunden wird, da er erwiesenermaßen auf Island, Spitzbergen, Nowaja Semlja und anderseits in Grönland vorkommt, und von Middendorf noch unter dem fünfundsiebzigsten Grade nördlicher Breite am Taimyr beobachtet wurde. Am Amur und im Norden Chinas ist er häufig, da sein Wohngebiet selbst die japanischen Inseln in sich schließt. Ob er im Norden des festländischen Amerika vorkommt, ist fraglich; eingesammelt hat man ihn hier, so viel mir bekannt, noch nicht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 653.
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