Königsweih (Milvus regalis)

[684] Wohl der ausgezeichnetste aller Milane ist der Königsweih oder Rothmilan, Gabel-, Röthel-, Rüttel-, Hole- und Kürweih, Stein-, Stoß-, Hühner- und Gabelgeier, Gabler, Gabel- und Schwalbenschwanz, Schwimmer, Krümmer, Stert und Tyverl (Milvus regalis, ictinus, ruber und vulgaris, Falco milvus und austriacus, Accipiter milvus, Bild S. 689), nach Auffassung einzelner Vogelkundigen Vertreter einer besonderen Untersippe (Milvus), ein stattlicher Raubvogel von fünfundsechzig bis zweiundsiebzig Centimeter Länge, einhundertundvierzig bis einhundertundfunfzig Centimeter Breite, funfzig Centimeter Fittiglänge und, an den äußersten, längsten Federn gemessen, achtunddreißig Centimeter Schwanzlänge. Von seinen europäischen Verwandten und allen anderen Milanen überhaupt unterscheidet er sich durch seinen etwa zehn Centimeter tief gegabelten Schwanz. Beim alten Männchen sind Kopf und Kehle weiß, alle Federn in der Mitte durch einen schmalen schwarzbraunen Schaftstrich gezeichnet, die Kopffedern hell rostfarben überhaucht, Hinterhals, Nacken und Vorderbrust rostroth, die Rücken- und Schulterfedern in der Mitte schwarzbraun, rostroth eingefaßt, Bauch, Brust und Hosen schön rostroth, durch mäßig breite schwarze Schaftstriche geziert, die Handschwingen schwarz, an der Wurzel weiß, die mittleren schwarz, rostbraun überlaufen und mit dunklen, schmalen Querbinden geschmückt, die kleinen Unterflügeldeckfedern [684] rostroth und schwarz gefleckt, die großen schwarz, rostroth umsäumt, die mittleren Schwanzfedern rostroth, die äußeren schwärzlich, gegen die Spitze hin braun überlaufen, an dieser schmal schmutzigweiß gesäumt, Schwingen und Steuerfedern unterseits weiß, schmal schwärzlich quergebändert. Beim Weibchen ist der Kopf dunkler, der Rücken einfarbiger braun, die Rostfarbe in ganzen lichter, die schwarze Fleckenzeichnung und die weiße Federbesäumung schmäler, letztere auch schmutziger als beim Männchen. Das Auge hat silberfarbene, in hohem Alter blaßgelbe Iris, der Schnabel ist an der Wurzel gelb, bei mittelalten Vögeln bläulich, an der Spitze immer schwarz, die Wachshaut gelb wie der Fuß. Beim jungen Vogel sind alle Farben lichter und trüber als beschrieben, die Schaftstriche minder deutlich ausgedrückt, die Federn meist mit breiten gelben Kanten umsäumt, der Augenstern braun, der Schnabel schwarz, die Wachshaut wie der Fuß blaßgelb.

Ebene Gegenden Europas von Südschweden an bis Spanien und von hier bis Sibirien sind die Heimat des unedlen Raubvogels, welchen Schiller als »König der Lüfte« bezeichnet hat. Innerhalb dieses für einen Milan ausgedehnten Verbreitungsgebietes findet sich der Königsweih keineswegs überall, sondern nur hier und da und nicht immer in solchen Gauen, welche anderen von ihm bewohnten im wesentlichen ähneln. Im südlichen Skandinavien ist er häufiger, als man vermuthen möchte, hier und da sogar gemein, in Dänemark über alle Inseln verbreitet, in Holland und Belgien höchstens auf dem Zuge anzutreffen, in Frankreich, Portugal und Spanien, ebenso in Süd- und Mittelitalien an passenden Orten ständiger Ansiedler, in Griechenland nur durchreisender Wandervogel, in den Donautiefländern überall vorkommender, im ebenen Polen regelmäßiger, in Südrußland gelegentlich auftretender Brutvogel. In Deutschland horstet er im ebenen Thüringen, in der Mark, in Sachsen, Braunschweig, Hannover, Rheinpreußen, Mecklenburg, Pommern, Posen, West- und Ostpreußen geeigneten Ortes wohl überall, wogegen er in Westfalen und Oberschlesien strichweise gänzlich zu fehlen scheint, in Bayern nur die weiten Ebenen bewohnt und im Südwesten Deutschlands durch seinen Verwandten vertreten wird. Gebirgige Gegenden unseres Vaterlandes berührt er nur während seines Zuges. Er erscheint regelmäßig zu Anfang des März und verweilt im Lande bis zu den ersten Tagen des Oktober, bleibt auch wohl in gelinden Wintern einzeln in der Heimat, falls er glaubt, sich hier durch das Leben schlagen zu können. Auf seinen Zügen vereinigt er sich oft zu zahlreichen Flügen von funfzig bis zu zweihundert Stück, und solche Reisegesellschaften scheinen während des ganzen Winters zusammenzuhalten. Bei Toledo beobachteten wir mitten im Winter einen Flug, welcher mindestens achtzig Stück zählte, in inniger Verbindung, bei Tage gemeinschaftlich jagend, nachts ein kleines Wäldchen am Ufer des Tajo zum Schlafplatze erwählend, wogegen zur Sommerszeit in derselben Gegend der Königsweih höchstens paarweise getroffen wird. Seine Wanderung führt ihn durch Nordwestafrika, bis zu den Inseln des Grünen Vorgebirges. Die Straße von Gibraltar kreuzt er jährlich zweimal in größerer Anzahl. Einzelne Wandervögel bleiben wohl auch in der Fremde wohnen und vermehren diejenigen, welche schon von Alters her in den Atlasländern oder auf den Kanarischen Inseln seßhaft sind.

In früheren Zeiten spielte der Königsweih dieselbe Rolle, welche gegenwärtig der Schmarotzermilan übernommen hat. »In den Tagen König Heinrichs des Achten«, sagt Pennant, »schwärmten über die britische Hauptstadt viele Milane umher, welche von den verschiedenen Auswurfsstoffen in den Straßen herbeigezogen worden und so furchtlos waren, daß sie ihre Beute inmitten des größten Getümmels aufhoben. Es war verboten, sie zu tödten.« Der Böhme Schaschek, welcher England im Jahre 1461 besuchte, bemerkt, daß er niemals eine so große Anzahl von Königsweihen gesehen habe als in London, und Belon versichert, zwischen Kairo und London hinsichtlich der hier wie dort wohnenden Milane keinen Unterschied wahrgenommen zu haben. Heutzutage sind die Verhältnisse andere geworden; denn der vormals so häufige Vogel ist in ganz Großbritannien beinahe ausgerottet und nur in Schottland noch hier und da als Brutvogel zu finden.

Der Königsweih ist nichts weniger als ein königlicher Vogel, weil träge, ziemlich schwerfällig und widerlich feig. Sein Flug ist langsam, aber ungemein anhaltend und sanft schwimmend, [685] wird zuweilen Viertelstunden lang durch keinen Flügelschlag unterbrochen und dann nur durch den breiten Schwanz geregelt, hebt den Vogel, scheinbar ohne jegliche Anstrengung, zu ungemessenen, dem menschlichen Auge kaum noch erreichbaren Höhen empor und trägt ihn ein anderes Mal durch weite Strecken, auch dicht über den Boden dahin. Der Gang ist schlecht, mehr ein Hüpfen als ein Schreiten, die Haltung des aufgebäumten Vogels, dadurch bezeichnend, daß er den Hals so viel als möglich einzieht, weshalb der Kopf zwischen den Schultern zu sitzen scheint, und ebenso dadurch, daß er den Schwanz nicht immer gerade herabhängen laßt, sondern meistens ein wenig nach vorn biegt, wodurch die Gestalt, von der Seite gesehen, durch eigenthümlich geknickte Umrißlinien auffällt. Unter den Sinnen steht offenbar das Gesicht obenan, wie schon das schöne Auge, deutlicher aber das Benehmen des in unendlicher Höhe dahinziehenden Vogels beweist, wenn ihm irgend welche Beute winkt oder eine größere Eule sich zeigt; nächstdem dürften Gehör und vielleicht noch Gefühl, Geschmack und Geruch dagegen, mindestens nicht nach unserem Behagen, als entwickelt bezeichnet werden. An Verstand steht er sicherlich hinter keinem einzigen unserer deutschen Falken zurück. Mehr als jeder andere richtet er sein Benehmen den Umständen entsprechend ein, unterscheidet den Jäger mit großer Sicherheit von dem Landmann, meidet Ortschaften, in denen er üble Erfahrungen gemacht hat, und wird in anderen zu einem ebenso dreisten und zudringlichen Bettler wie seine Verwandten. Ein Königsweih, welchen Stölker beobachtete, suchte das ganze Dorf tagtäglich ab und ließ sich mitten zwischen Häusern auf niedrigen Bäumchen nieder. Seiner Zahmheit wegen begann unser Gewährsmann ihn zu füttern und hatte die Genugthuung, daß er das kaum zehn Schritte vor das Haus gelegte Fleisch, namentlich abgebälgte Vogelkörper, davontrug. Als ihm eine Falle gestellt wurde, umkreiste er dieselbe ganz nahe, stieß sein Geschrei aus und strich von dannen. War man auf dem Anstande, so war er nirgends vorhanden und blieb deshalb unbehelligt. Ein anderer besuchte regelmäßig die Brunnen, um hier die Eingeweide von Fischen oder die Abfälle von Fleischern zu holen, kümmerte sich wenig um die Leute, welche zugegen waren, und ließ sich nicht einmal durch ihm geltende Schüsse vertreiben. Anderweitige Beweise seines Verstandes gibt der Königsweih bei dem Horste oder in der Gefangenschaft. Seine Stimme ist wenig anmuthig, langgezogen und lachend meckernd; die Silben »Hihihiää« geben sie ungefähr wieder. Zur Begattungszeit hört man ein eigenthümliches Getriller.

Kleine Säugethiere und noch nicht flugfähige Vögel, Echsen, Schlangen, Frösche und Kröten, Heuschrecken, Käfer und Regenwürmer bilden die Nahrung des Königsweihes. In den Bauergehöften raubt er junge Küchlein weg, dem Gänsehirten macht er Sorgen, den Jäger erbittert er wegen seiner Angriffe auf junge Hasen oder Rebhühner, dem Edelfalken treibt er durch schamloses Betteln die erworbene Beute ab. Aller dieser Sünden ungeachtet gehört er kaum zu den schädlichen Vögeln unseres Vaterlandes. Wenn eine Mäusepest die Felder heimsucht, stellt auch er sich ein, und nunmehr lebt er wochenlang herrlich und in Freuden. Rechnet man ihm die Vertilgung der Mäuse und verderblicher Kerbthiere gebührend an, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß ihm ein junges Häschen oder Gänslein wenigstens nicht zu mißgönnen ist. Wäre er minder frech, bettelte er nicht so unverschämt und zwänge er dadurch die Edelfalken nicht, mehr zu rauben, als sie bedürfen: wir würden ihm einen Ehrenplatz unter den natürlichen Wohlfahrtswächtern unserer Felder anweisen. Unter der Jägerei aber gilt es als unbestreitbare Thatsache, daß er der Wildbahn unendlichen Schaden zufügt, und jedermann fühlt sich deshalb berufen, ihn sammt seiner Brut zu zerstören, wo dies immer möglich. In Wahrheit zählt er zu den harmlosesten aller unserer Raubvögel. Der erwähnte Königsweih z.B., welchen Stölker beobachtete, setzte weder die Hühner noch die Tauben des von ihm besuchten Dorfes in Schrecken und zeigte jedenfalls stärkeres Gelüst nach todten als nach lebendigen Vögeln. Auch seine Fischereien, welche er ziemlich regelmäßig betreibt, und denen zu Liebe er eine Strecke von fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer zu durchfliegen nicht scheut, sehen gefährlicher aus, als sie in Wirklichkeit sind. Ganz abgesehen davon, daß er nur selten ein von ihm in das Auge gefaßtes Fischlein glücklich erhebt, gilt seine [686] Anstrengung überhaupt mehr den Fröschen als den geschuppten Wasserbewohnern. Nur während der Fortpflanzungszeit wird er im Gehöfte wie in der Wildbahn wirklich schädlich.

Bald nach seiner Ankunft im Frühjahre schreitet der Königsweih zur Fortpflanzung. Falls irgend möglich, bezieht er wiederum den Brutplatz, welchen er im vorigen Jahre innehatte, nicht aber immer auch denselben Horst. Wenn er es haben kann, nimmt er mit einem alten Krähenneste oder Falkenhorste vorlieb; sonst führt er den Bau selbst aus. Nachdem das Paar längere Zeit in herrlichen Flugspielen über dem ausersehenen Walde sich vergnügt, entscheidet es sich endlich für einen bestimmten Baum, in den meisten Fällen einen möglichst hohen, zuweilen aber auch einen in jeder Beziehung ungeeigneten, schwachen, gleichviel, ob für einen Laub- oder Nadelbaum, und beginnt nun entweder in den Wipfelzweigen oder auf einem Seitenaste den etwa einen Meter im Durchmesser haltenden Horst zu errichten. Dieser unterscheidet sich in der Bauart nicht wesentlich von dem eines Bussards oder eines anderen Raubvogels, wohl aber regelmäßig dadurch, daß der Königsweih die Nestmulde mit Lumpen und Papier verschiedener Art auszukleiden beliebt und nicht immer dazu die saubersten Lumpen oder Fetzen erwählt. König-Warthausen versichert, daß die Untersuchung des Horstes zuweilen recht unerquicklich werden könne, weil dieser Milan die benöthigten Zeitungspapiere oft in ekelhaftem Zustande auflese; andere Beobachter erfuhren fast ausnahmslos dasselbe. Selbst die Zeuglappen und Lumpen werden in der Regel nirgends anders als von den Düngerhaufen auf den Feldern zusammengesucht und stehen daher jenen Papierfetzen wenig nach. Einzelne Paare des Königsweihes haben ganze Vogelscheuchen in ihren Horst geschleppt, andere der Wäscherin Vorhänge von den Trockenleinen gestohlen, um mit ihnen die Nestmulde auszupolstern. Die zwei bis drei, in sehr seltenen Fällen auch wohl vier Eier ähneln denen des Mäusebussards in hohem Grade, sind jedoch in der Regel etwas größer. Ihr Längsdurchmesser beträgt neunundfunfzig bis zweiundsechzig, ihr Querdurchmesser fünfundvierzig bis siebenundvierzig Millimeter. Ihre Schale ist feinkörnig, jedoch glanzlos, die Grundfärbung ein schwach ins Grünliche spielendes Weiß, die Zeichnung aus bunten Spitzenflecken und grobem Gekritzel von dunkel rothbrauner Färbung hergestellt. Wie es scheint, brütet nur das Weibchen; wenigstens sieht man, so lange es sitzt, das Männchen eifrig beschäftigt, die Gattin mit der nöthigen Nahrung zu versorgen. Nach einer Brutzeit von etwa vier Wochen entschlüpfen die Jungen, und nunmehr wetteifern beide Eltern, ihnen Nahrung in Hülle und Fülle herbeizuschleppen. Ihre Gefräßigkeit steht der anderer Raubvögel vollkommen gleich, spornt die Alten zu fast ununterbrochener Jagd an und wird Ursache zu den meisten Uebergriffen, welche sie sich gestatten. So lange das Weibchen brütet, sitzt es sehr fest auf den Eiern und fliegt oft erst nach wiederholtem Klopfen vom Horste ab; wenn jedoch die Jungen erst einigermaßen groß geworden sind und der elterlichen Hülfe nicht dringend bedürfen, setzen sich die Alten nicht mehr so rücksichtslos der Gefahr aus, entfliehen vielmehr bei Ankunft eines Menschen rechtzeitig, lassen sich auch durch die hungrigen, schreienden Jungen nicht in den Bereich des Gewehres locken und versuchen höchstens aus sicherer Höhe herab Nahrung auf den Horst zu werfen. Wie verständig sie sich der flüggen Jungen annehmen, erfuhr Stölker; denn als er den aufgefundenen Horst eines Königsweihes ersteigen ließ, wurde das noch im Nest sitzende, kleinste Junge, welches seinen beiden auf die Zweige geflatterten Geschwistern nicht folgen wollte, von den Alten hinausgestoßen und ihm weiter fortgeholfen, so daß bei Ankunft des Besuchers alles glücklich ausgeflogen war.

Unter geeigneter Pflege wird der Königsweih in der Gefangenschaft bald zahm. Ist er beim Einfangen bereits erwachsen, so pflegt er sich, wie Stölker erfuhr, angesichts des Menschen in höchst absonderlicher Weise zu gebaren, indem er sich todt stellt, sich platt auf den Boden legt und sich regungslos verhält, sich wohl auch von einer Sitzstange herabfallen und Flügel und Schwanz schlaff hängen läßt, selbst den Schnabel öffnet und die Zunge hervorstreckt, gestattet, ohne ein Lebenszeichen zu geben, daß man ihn an einem Fange aufhebt, und, wenn man ihn wieder auf den Boden bringt, genau ebenso liegen bleibt, wie man ihn hinlegte. Solch heuchlerisches Spiel [687] treibt er geraume Zeit, verstellt sich aber bald immer seltener, spielt nicht mehr den vollständig, höchstens den Halbtodten, sieht endlich ein, daß alle Täuschung nichts fruchtet, gibt fernere Versuche auf, vertraut mehr und mehr und bethätigt endlich größte Hingebung an den fütternden Gebieter. Von mir gepflegte Vögel dieser Art verfehlten nie, mich zu begrüßen, so bald ich mich von weitem sehen ließ, gleichviel, ob ich ihnen Futter brachte oder nicht, unterschieden mich auf das bestimmteste von anderen Leuten und erkannten mich in jeder Entfernung, selbst im dichtesten Menschenstrome. Genügsam sind die Königsweihen in hohem Grade, mit ihresgleichen und mit anderen Thieren höchst verträglich, daher wohl als liebenswürdige Raubvögel zu bezeichnen. Hinsichtlich ihrer Verträglichkeit kommen jedoch Ausnahmen vor. »Ich hielt«, erzählt Berge, »längere Zeit einen Milan auf einer geräumigen Bühne. Diese mußten später zwei halb erwachsene Katzen mit ihm theilen. Sie erhielten täglich Brod in Milch aufgequellt zur Nahrung. Anfangs schien der Vogel seine Gesellschafter nicht zu beachten; bald aber verjagte er sie stets von ihrem Futtergeschirr, wenn sie fressen wollten, und binnen kurzem steigerten sich diese Aeußerungen des Neides so weit, daß der Königsweih alles Fleisch, welches er erhielt, unberührt ließ und täglich zweimal den mit Brod und Milch gefüllten Katzenteller leerte. Schließlich mußte man die Katzen entfernen, weil man befürchtete, daß sie verhungern würden. Während der ganzen Zeit genoß der Vogel kein Fleisch, duldete aber auch nicht, daß die Katzen dieses zu sich nahmen.« Andere Gefangene zeigten sich liebenswürdiger. »Einer meiner Bekannten«, sagt Lenz, »besaß einen flügellahmen Königsweih und ließ ihn im Garten frei gehen. Dort baute er ein Nest, legte zwei Eier und brütete fleißig. Dies wiederholte der Vogel im nächsten Jahre und nun wurden ihm drei Hühnereier untergelegt. Er brütete drei Küchlein aus, holte sie, so oft sie aus dem Neste liefen, mit dem Schnabel zurück, stopfte sie unter sich und versuchte, sie mit Fleischstückchen zu füttern. Die Thierchen gingen aber leider durch das viele Unterstopfen zu Grunde.« Es ist dies nicht das einzige Beispiele dieser Art. Bezirksförster von Girardi pflegte dreiundzwanzig Jahre lang einen Königsweih, welchen er vor dem Flüggewerden aus dem Horste genommen und vom Anfange an wie andere Raubvögel gehalten hatte. Hamatz kam auf den Ruf seines Herrn wie ein Huhn zur Mahlzeit, oft auch ungerufen in das Zimmer und nahm das ihm gereichte aus der Hand der Hausbewohner, benahm sich aber auch in anderer Hinsicht wie ein Huhn, indem er eine lange Reihe von Jahren hindurch die ihm jedes Jahr untergelegten Hühnereier ausbrütete und die entschlüpften Küchlein mit wahrhaft bewunderungswürdiger Sorgfalt und Treue pflegte. Ein eigener Anblick war es, wenn die jungen Hühnchen ihm das Fleisch aus den Fängen oder aus dem Schnabel wegnahmen und verzehrten. Leider verlor Hamatz, welcher auch als Wetterprofet in hohem Ansehen stand, durch einen Jagdhund auf gewaltsame Weise sein Leben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 684-688.
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