Bussarde (Buteoniae)

[709] Die Bussarde oder Busaare (Buteoniae), welche eine anderweitige, nach außen wohl abgegrenzte Unterfamilie bilden, sind plump gestaltete Falken von mittlerer Größe. Ihr Schnabel ist kurz, von der Wurzel an gekrümmt, seitlich zusammengedrückt, am Rande zahnlos, der Fuß mittelhoch, kurz und schwachzehig, aber mit spitzigen, scharf gekrümmten Krallen bewehrt, der Flügel ziemlich lang und rundlich, die vierte Schwinge gewöhnlich über die anderen verlängert, der Schwanz mittellang, das Gefieder reich und mehr oder weniger schlaff; die Federn sind groß, lang und breit, die Kopffedern gewöhnlich schmal und spitzig, ausnahmsweise wohl auch zu Hauben verlängert. Düstere Färbung ist vorherrschend, die Zeichnung aber mannigfachem und oft zufälligem Wechsel unterworfen.

Die Bussarde, Weltbürger, von denen man einige funfzig Arten kennt, bewohnen Gebirge und Ebenen, am liebsten kleinere Waldungen, welche von Feldern umgeben werden. Letztere oder ihnen entsprechende Gefieder bilden die Jagdgründe unserer Vögel. Während der Brutzeit siedelt sich das Paar fest an und bemächtigt sich der Herrschaft über ein gewisses Gebiet, welches an das des nächsten Paares grenzt. Doch vertreiben die Bussarde, durchgehends sehr friedliche Vögel, nur aus der nächsten Nähe des Horstes eifersüchtig andere ihrer Art oder Raubvögel überhaupt. Unsere nordischen Arten sind Wander- oder Strichvögel; diejenigen, welche in wärmeren Ländern leben, können als Standvögel angesehen werden. Alle Arten fliegen langsam, aber anhaltend und lange Zeit schwebend, mehr nach Art der Adler als nach Art der Weihen. Wenn sie eine Beute erspäht haben, rütteln sie über ihr, wie die kleineren Falken thun; beim Angriff stoßen sie verhältnismäßig [709] langsam in schiefer Richtung nach unten. Sehr gern jagen sie von einer Warte aus. Sie setzen sich auf einen erhöhten Gegenstand im Felde, am liebsten auf einen Baum oder hohen Erdhaufen und beobachten von hier aus den Boden in ihrer Nähe. Regt sich hier etwas, so erheben sie sich und gehen nun zum Angriffe über. Auf dem Boden sind auch sie noch ungeschickt: ihr Gang ist ein Hüpfen, kein Schreiten. Unter ihren Sinnen steht das Gesicht unzweifelhaft obenan: ihr Auge kommt an Schärfe dem Adlerauge gleich. Das Gehör ist gut, Gefühl und Geschmack sind ziemlich entwickelt. Die geistigen Fähigkeiten scheinen geringer zu sein, als sie es wirklich sind. Klüger als die meisten Weihen sind die Bussarde gewiß, obwohl sie sich oft recht herzlich dumm benehmen. Doch lernen sie bald gefährliches vom ungefährlichen unterscheiden, und werden nach einiger Verfolgung ungemein vorsichtig. Listig kann man sie nicht nennen; sie gehen bei allem, was sie thun und treiben, eher plump zu Werke. Man schilt sie träge, weil sie stundenlang auf einer und derselben Stelle sitzen, thut ihnen aber, strengt genommen, unrecht; denn gerade während dieser Stellung sind sie sehr eifrig beschäftigt, wenn auch nur mit den Augen. Einen fliegenden Bussard kann man gewiß nicht träge heißen, am allerwenigsten dann, wenn er des Spielens halber stundenlang prachtvolle Kreise zieht und gleichsam zwecklos zu ungeheueren Höhen sich emporschraubt. Aber freilich sind sie nicht in dem Sinne Räuber wie viele andere ihrer Verwandten. Es fehlt ihnen das ungestüme und insbesondere der Blutdurst, welcher jene, nicht immer zu ihrem Vortheil, auszeichnet. Sie sind tüchtige Fresser; haben sie aber einmal das nöthige erlangt, so begnügen sie sich und jagen nicht weiter. Mit anderen Raubvögeln leben sie in leidlichem Frieden; nur gegen den Uhu bekunden sie tödtlichen Haß. Sie dagegen werden von kleinen Raubvögeln vielfach angegriffen, wie es scheint, hauptsächlich deshalb, weil es den schnellen und munteren Falken Vergnügen gewährt, mit ihrer Ungeschicklichkeit neckend zu spielen.

Kleine Wirbelthiere und Kerfe, Schnecken, Würmer, Larven, ja sogar Pflanzenstoffe bilden die Nahrung der Bussarde. Alle Arten der Familie erweisen sich nützlich, einzelne in hohem Grade. Sie vertilgen die lästigen Mäuse in unzählbarer Menge, kämpfen außerdem wacker mit Schlangen und anderem widerwärtigen Gezücht und greifen höchstens dann und wann ein Thier an, welches wir ihnen mißgönnen, weil wir selbst es jagen. Alle uns nützlichen Vögel sind, so lange sie gesund und bewegungsfähig, vor ihnen gesichert. Täppische Junge oder verwundete Vögel greifen sie freilich an; aber der Schaden ist wirklich kaum in Betracht zu ziehen.

Der ziemlich kunstlose, dem anderer Raubvögel im wesentlichen ähnliche Horst, wird auf hohen Bäumen angelegt. Die Anzahl der Eier eines Geleges schwankt zwischen eins und vier, beträgt gewöhnlich aber drei bis vier. Die Jungen werden von beiden Eltern ernährt, reichlich versorgt, warm geliebt, gegen Angriffe vertheidigt und nach dem Ausfliegen noch längere Zeit geführt, belehrt und unterrichtet.

Jung aus dem Neste genommene Bussarde werden so zahm, daß sie zum Aus- und Einfliegen gewöhnt werden können. Auch alt eingefangene überwinden bald den Verlust ihrer Freiheit und schließen sich nach kurzer Zeit ihrem Pfleger innig an. Sie sind zwar nicht gerade liebenswürdige, immerhin aber angenehme Raubvögel, welche man mit der Zeit lieb gewinnt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 709-710.
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