Rohrweih (Circus aeruginosus)

[704] Die letzte Art der Sippe, deren ich Erwähnung zu thun habe, ist der Rohrweih oder die Rohrweihe, Sumpf-, Frost-, Schilf-, Moos-, und Brandweih, Rohrvogel, Rohrgeier, Rohrfalk, Sumpfbussard, Weißkopf und wie er sonst noch genannt werden mag (Circus aeruginosus, rufus und arundinaceus, Falco aeruginosus, rufus und arundinaceus, Buteo aeruginosus, Pygargus rufus, Accipiter circus). Das Kleid unterscheidet sich nicht allein nach Geschlecht und Alter, sondern auch nach der Jahreszeit ziemlich erheblich. Beim alten Männchen sind die Federn der Stirne und des Scheitels braungelb gerändert, die der übrigen Oberseite kaffeebraun, die der Wangen und Kehle blaßgelb, dunkler geschäftet, die des Vorderhalses und der Vorderbrust gelbbraun in die Länge gefleckt, die des übrigen Unterkörpers rostroth, an der Spitze heller, die Handschwingen schwarzbraun, ein Theil der Armschwingen und die großen Flügeldecken schön aschgrau, die Steuerfedern heller grau, röthlich überflogen, von unten gesehen weißlich. Beim alten Weibchen ist die Färbung stets minder lebhaft und eintöniger, namentlich das Aschgrau der Flügel- und Schwanztheile selten ausgeprägt, der Schwanz vielmehr von oben gesehen graubraun, der Kopf gelblichweiß, durch die dunklen Schaftstreifen gestrichelt; ein Fleck im Nacken jederseits, die Schultern, der Schleier und die Brust haben ebenfalls lichtere Färbung. Beim jungen Vogel, welcher im ganzen dem Weibchen ähnelt, herrscht einfarbiges Dunkelbraun vor; Oberkopf, Genick und Kehle sind gelblichweiß oder doch sehr licht und mehr oder weniger dunkel gefleckt oder durch Schaftstriche gezeichnet. Die Länge beträgt fünfundfunfzig, die Breite einhundertsechsunddreißig, die Fittiglänge dreiundvierzig, die Schwanzlänge vierundzwanzig Centimeter. Das Weibchen ist um drei bis vier Centimeter länger und sieben bis neun Centimeter breiter.

Vom siebenundfunfzigsten Breitengrade an nach Süden hin fehlt der Rohrweih keinem Lande und keinem Gaue Europas, vorausgesetzt, daß derselbe den Bedingungen entspricht, welche dieser [704] Vogel an seinen Aufenthalt stellt. Außerdem kommt er in ganz Westasien, etwa von der Breite des Altaigebirges nach Süden hin, regelmäßig vor, tritt aber je weiter nach Osten je seltener, beispielsweise am Amur und in China nur sehr vereinzelt auf. Gelegentlich seines Zuges durchstreift er das festländische Südasien und ebenso einen großen Theil Afrikas. Mehr als jeder andere Weih ist er an Niederungen gebunden; denn Sumpf und Wasser gehören so unbedingt zu den Bedürfnissen seines Lebens, daß man behaupten darf, er lasse beide niemals außer Sicht. Bei uns zu Lande Zugvogel, welcher erscheint, sobald die Gewässer im Frühjahre aufgehen, also frühestens im März, spätestens im April eintrifft, schon im August zu wandern beginnt und spätestens bis Ende Oktober uns gänzlich verlassen hat, beobachtet man ihn bereits im Süden Europas, namentlich in Griechenland und Spanien, ebenso aber auch in Nordafrika, insbesondere in Egypten, und nicht minder häufig in Persien und Indien während des ganzen Jahres als eigentlichen Standvogel. Gesellig, wie alle Weihen, sucht er während seiner Reise nicht allein die Gesellschaft seinesgleichen, sondern vereinigt sich sogar zeitweilig mit Bussarden und Sperbern, in deren Gesellschaft er sodann, jedoch immer in seiner eigenen Weise, umherstreift und jagt. Obwohl ich den Rohrweih in drei Erdtheilen und dann und wann in namhafter Menge beobachtet habe, ziehe ich es doch vor, anstatt meiner Erzherzog Rudolf reden zu lassen. Hier und da schiebe ich beachtenswerthe Beobachtungen anderer Forscher und eigene Wahrnehmungen ein.


Rohrweih (Circus aeruginosus) 1/4 natürl. Größe.
Rohrweih (Circus aeruginosus) 1/4 natürl. Größe.

"In den ausgedehnten Sümpfen Ungarns", so schildert der Erzherzog, "ist der Rohrweih vielleicht noch häufiger als in der Norddeutschen Tiefebene und den Marschen Schleswigs und Hollands, in den übrigen Ländern Oesterreichs dagegen entweder gar nicht anzutreffen oder auf eng begrenzte Gebiete beschränkt, so beispielsweise in Niederösterreich, woselbst große Waldungen und trockenere, zu Feldern umgewandelte Landstriche mit einander abwechseln, auf die sumpfigen Stellen der Auwaldungen und die Ufer der Donau. Dies tritt um so mehr hervor, als der [705] Rohrweih weniger noch als andere Arten seiner Sippe zu weiteren Streifzügen Veranlassung findet. Fast ängstlich vermeidet er, sein Wohngebiet zu verlassen, und niemals wird man ihm im Walde oder im Gebirge begegnen. Schon trockenen Kornfeldern weicht er aus. Noch niemals habe ich ihn im Hügellande und Mittelgebirge gesehen. Selbst in jenen Waldgebieten, welche höchstens zehn Kilometer von seinem Wohnorte entfernt sind, vermißt man ihn, und zwar während der Zugzeit ebenso wie während der Brutzeit. In den Donauauen, welche er alljährlich in ziemlicher Anzahl bevölkert, hält er sich ebenfalls an ganz bestimmte Plätze. Es fällt auf, daß man ihn in hochstämmigen Gehölzen niemals antrifft, obgleich häufig einige hundert Schritte davon entfernt sein Horst gefunden werden mag.

»Lebensweise und Wesen kennzeichnen den Rohrweih als unedlen Raubvogel, welcher die hervorstechenden Eigenthümlichkeiten dieser Thiergruppe nicht an sich trägt. Sein schwacher Bau erlaubt nur gemeine Jagd auf kraftloses Wild, welches er am Boden oder im Verstecke des Morastes im wahrsten Sinne des Wortes mordet. Dem Menschen weicht er ängstlich aus, weiß sich auch geschickt durch die Flucht ins Schilf oder nach ungangbaren Sumpfstellen zu retten und entrinnt so, ohne eigentlich scheu zu sein, in den meisten Fällen der Verfolgung. Außer der Paarungszeit bemerkt man den großen Raubvogel viel weniger, als man glauben sollte. Ueber Tages verhält er sich ruhig im Schilfe und betreibt hier seine Jagd in aller Stille, jedenfalls aber mit genügendem Erfolge. Dies gilt besonders dann, wenn er seine Wohnstätte in ausgedehnten Morästen, an stehenden Gewässern und in Brüchen aufgeschlagen hat. Hier sitzt er den Tag über auf starken Rohrstengeln, Schilfköpfen, umherschwimmenden Holzstücken, alten herausstehenden Pfählen und dergleichen, immer aber soweit als möglich vom Gestade entfernt. Einen Kahn, welcher durch das Röhricht fährt, oder einen umherschwimmenden Jagdhund läßt er so nahe herankommen, als ob er sich auf sein dunkles Gefieder verlassen wolle, und erst wenn ihm ernstere Bedenken ankommen, erhebt er sich, nicht aber nach Art anderer Raubvögel, welche so schnell als möglich eine gewisse Entfernung zu erreichen trachten, sondern langsam mit schwerem Schlage der runden Flügel, niedrig über dem Rohre dahinziehend. In den ersten Augenblicken nach dem Auffliegen, oder wenn er nun einen kurzen Flug beabsichtigt, läßt er seine langen Ständer schlaff herunterhängen und kann dann selbst von nicht ungeübten Jägern leicht mit einer Rohrdommel oder dem Purpurreiher verwechselt werden. Zum ersten Male aufgetrieben, sucht er nicht in der Flucht sein Heil, sondern läßt sich baldmöglichst wieder nieder und trachtet, sich zu verstecken. Am Neusiedler See sah ich einmal aus einem dichten Röhricht, welches bis tief in den See hinein das Ufer umgibt, ein Rohrweihpaar nicht weit von unserem Kahne sich erheben und längere Zeit in der Nähe des letzteren, unmittelbar über dem Schilfe, umherkreisen. Beide Vögel hielten sich eben so weit entfernt, daß ein Schrotschuß sie nicht erreichen konnte, ließen sich von Zeit zu Zeit nieder, erhoben sich wieder und setzten ihr Spiel während der ganzen Zeit meiner Jagd fort, ohne sich durch die Schüsse, welche ich auf Möven, Enten und Rohrdommeln abfeuerte, vertreiben zu lassen. Ganz anders benimmt sich der Rohrweih auf solchen Wohnplätzen, auf denen er sich vor den Nachstellungen des Menschen nicht gesichert fühlt, so z.B. in den Auen an der Donau, wo sein Nistplatz und Aufenthaltsort in den oft nur dreißig bis vierzig Schritte breiten Rohrwänden der Altwässer und kleinen, stillen Armen zwischen den Auen sich befindet, oder er sogar gezwungen ist, in dichten Junghölzern, Grasbüschen und Stauden auf den Inseln, also an Plätzen sich anzusiedeln, welche alle von Menschen betreten werden können. Hier zeigt er sich merklich vorsichtiger als in den Sümpfen; aber gerade deshalb bekommt man ihn hier weit häufiger zu sehen als dort. Die einzige Zeit, während welcher er seine träge Langsamkeit, sein kriechendes Leben, wie ich sagen möchte, verleugnet, während welcher er Sumpf und Schilf verläßt und sich unter den wunderbarsten Flugkünsten in den höchsten Lüften umhertummelt, gleichsam als wolle er zeigen, was er im Fliegen vermöge, ist die seiner Liebe. Ein Paar dieser sonst so verborgen lebenden Vögel, welche man fast das ganze Jahr über nicht bemerkt, ist im Stande, im Monate April die ganze Gegend [706] zu beleben. Bevor das Weibchen seine Eier legt, also während der Begattungszeit, steigt das Paar oft in die höchsten Luftschichten und führt, in höherem Grade noch als die Milane, kunstvolle und wechselreiche Spiele aus, welche sich von denen der Milane hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß die Vögel sich dann und wann aus bedeutender Höhe auf den Boden herabfallen lassen, daselbst einige Augenblicke verweilen und von neuem zu spielen beginnen, ganz ähnlich wie andere Weihen ebenfalls thun. An den Ufern der Donau erblickt man im April nicht selten vier oder fünf, zuweilen noch mehr Rohrweihen, welche gemeinschaftlich ihre Flugkünste ausführen, hierauf niedrig über dem Wasserspiegel von einem Ufer zum anderen gleiten, über den Sandbänken dahinschweben und gelegentlich unter den Möven umherkreisen. Gesellen sich ihnen, wie dies die Regel, Milane und silberfarbglänzende Wiesenweihen, vielleicht auch noch ein Königsweih, und üben die verschiedenen Vögel gemeinschaftlich ihre Flugkünste aus, so bieten die so belebten Auen dem Beobachter ein reizendes Frühlingsbild.

"Anfang Mai ist die Zeit für diese Scherze vorüber; die Weibchen sitzen bereits auf ihren Horsten, und nur die Männchen unterhalten sich und sie dann und wann noch durch ihre Flugkünste. Wenn man sie immer auf einer Stelle umherkreisen sieht, darf man bestimmt darauf rechnen, daß der Horst in der Nähe sein müsse; es ist daher nicht schwer, ihn zu finden. Aufstehenden Gewässern, im Röhricht und in Sümpfen steht er auf erhöhten Grasbülten, welche den Wasserspiegel überragen, oder nahe am Ufer im Riedgrase, unter Umständen sogar im Getreide, falls Felder unmittelbar an das von Rohrweihen bewohnte Ufer grenzen. Ist kein anderer Platz vorhanden oder der ganze Sumpf unter Wasser, so wird der Horst einfach wie das Nest der Wasserhühner zwischen das hohe Rohr auf das Wasser gebaut, schwimmt also im letzteren Falle. In den Auen findet man ihn am häufigsten in den Rohrsäumen der Altwasser und schmalen Arme, sehr regelmäßig aber auch auf Holzschlägen und in jungen Wäldern, welche sich nicht weit entfernt vom Ufer befinden. Als Ausnahme habe ich beobachtet, daß einzelne Horste auffallend weit vom Wasser auf ganz trockenem Boden stehen. Der Horst pflegt dann ein ziemlich großer, aus Aesten und Gräsern zusammengesetzter Bau zu sein, welcher flach wie ein Teller am Boden liegt, wogegen er in Sümpfen und Röhricht regelmäßig aus Rohr, Schilf und anderen Wasserpflanzen besteht, welche man das Weibchen in den Fängen, oft von weither, heranschleppen sieht. Bedingung für die Wahl des Nistplatzes ist, daß derselbe dem Vogel beim Zu- und Anstreichen keine Hindernisse biete. Daher steht der Horst auf Schlägen und in jungen Hölzern, in denen die dichten Aeste auf Strecken hin dem langflügeligen großen Vogel Raum zu raschem Aufflattern nicht gewähren, stets auf kleinen Blößen. Das Weibchen baut noch, nachdem es bereits einige Eier gelegt hat, am Horste fort und erachtet denselben erst dann für vollendet, wenn es zu brüten beginnt. Frühestens in den letzten Tagen des April, meist nicht vor den ersten Tagen des Mai, findet man das vollzählige, aus vier bis fünf, im selteneren Falle sechs Eiern bestehende Gelege im Horste. Die Eier, deren größter Durchmesser vierzig bis sechsundvierzig und deren Querdurchmesser einunddreißig bis siebenunddreißig Millimeter beträgt, haben eine rauhe, mindestens matte, glanzlose Schale von grünlichweißer Färbung, wogegen das Innere lebhaft grün aussieht.

"Die Rohrweihen sind die zärtlichsten Eltern, welche man sich denken kann. Während alle übrigen Raubvögel, die Feldweihen ausgenommen, nach einmaligen Verscheuchen vom Neste sich mehr oder minder lange besinnen, ehe sie auf dasselbe zurückkehren, läßt sich der Rohrweih einige Male hintereinander vertreiben und kommt immer sogleich wieder zurück, häufig sogar angesichts seines Gegners. Wenn der Horst frei steht, versucht das Weibchen, welches wie bei anderen Weihen allein dem Brutgeschäfte obliegt, durch Niederlegen auf den Boden und Abplatten seines Leibes, dem Auge sich zu entziehen, und steht erst, wenn man sich auf zwei bis drei Schritte genähert hat, unter lautem Geräusche vom Horste auf, eilt dann aber nicht nach Art anderer Raubvögel so rasch als möglich davon, sondern streicht langsam dicht über dem Boden dahin, und erst, wenn es sich auf etwa hundert Schritte entfernt hat, ein gutes Stück senkrecht in die Höhe, beschreibt aber dann [707] einen weiten Kreis um den Horst und kehrt von der anderen Seite zurück. Bemerkt es auch jetzt noch den Eindringling unmittelbar neben demselben, so kreist es mit jämmerlichem Geschrei umher; aber kaum daß sich der Friedenstörer auf hundert Schritte entfernt hat, fällt es, senkrecht aus der Luft sich herablassend, wieder auf das Nest. Ich fand einmal einen Horst in der Rohrwand eines Altwassers der Donauauen. Das Weibchen, durch den Lärm aufgeschreckt, entfernte sich höchstens einen Schritt vor meinen Füßen vom Neste und wurde von mir sofort erlegt. Das Männchen kreiste in der Nähe, kam auf den Schuß herbei und beschrieb schreiend immer engere Kreise um mich, trotzdem ich ganz frei auf einer Blöße stand, bis ich es durch einen schlecht gezielten Schuß verscheuchte. Bei einem anderen Horste, welchen ich in einem mit dichtem Unterwuchse bedecktem Holzschlage in ziemlich weiter Entfernung von der Donau auffand, verließ wenige Schritte vor uns das Weibchen das Nest. Drei vergebliche Schüsse wurden abgegeben. Ziemlich langsam strich der Vogel einem hohen Jungholze zu und entschwand in ihm unseren Augen; einige Augenblicke darauf aber erschien er wieder an dem entgegengesetzten Saume eines hohen Auwaldes. Wir entfernten uns rasch bis auf beiläufig zweihundert Schritte und waren kaum in dieser Entfernung angelangt, als sich der Weih bereits seinem Neste näherte und rasch auf demselben sich niederließ. Jetzt schlich ich mich wiederum bis auf wenige Schritte an, schoß und streckte die treue Mutter, als sie wiederum aufflog, mit einem wohlgezielten Schusse nieder. So leicht man unseren Weih am Horste zu erlegen vermag, so schwer läßt er sich sonst blicken. Mit dem Uhu vermag man nichts auszurichten, da er kein echter Stößer ist. Zwar nähert er sich rasch der verhaßten Eule, überfliegt sie aber höchstens ein- oder zweimal und sucht sogleich darauf das weite."

Unter den Weihen muß der Rohrweih unbedingt als der schädlichste angesehen werden. Seine Nahrung besteht fast ausschließlich aus Wasser- und Sumpfvögeln und deren Brut, Eiern nicht minder als jungen Nestvögeln. Nur wenn letztere fehlen, begnügt er sich mit Lurchen, Fischen und Kerbthieren. Seine Jagd betreibt er im wesentlichen ganz nach Art seiner Verwandtschaft, stellt aber viel eifriger als diese, welche immerhin viele kleine Nager und Kerbthiere fangen, der Vogelbrut nach und verübt in dieser Beziehung Uebelthaten wie kein einziger anderer Raubvogel. "Auf dem Felde", schildert Naumann, "späht er Lerchen- und andere Vogelnester aus, und die Eier sind ihm so lieb als die jungen Vögel. Er weiß die größeren Eier sehr geschickt auszusaufen; die kleineren verschluckt er aber mit der Schale. Er thut daher sowohl an den Nestern der Feldvögel als in den Rohrbrüchen an den Nestern der wilden Gänse und Enten schrecklichen Schaden; denn so lange die Brutzeit währt, nährt er sich bloß aus den Nestern der Vögel. Daß er ein ebenso geschickter als boshafter Nestspürer ist, wissen auch die alten Vögel sehr gut, suchen ihn daher auf alle Art von den Nestern zu entfernen und verfolgen ihn mit kläglichem Geschrei und grimmigen Bissen. Die Wildgänse, Enten und andere Schwimmvögel, bedecken, wenn sie selbst von den Eiern gehen müssen, diese mit den Neststossen, und suchen sie vor den Augen des Weihs sorgfältig zu verbergen; allein um die Eier desjenigen, welches durch Zufall vom Neste verscheucht wird und nicht mehr Zeit hat, die Eier verbergen zu können, ist es augenblicklich geschehen: denn der erste Rohrweih, welcher die Eier liegen sieht, säuft sie ohne Umstände aus. Die harten Schalen der Schwaneneier scheinen ihm zu fest zu sein: ich habe ihn eine lange Weile an denselben herumpicken und unverrichteter Sache abziehen sehen. Die kleineren Schwimmvögel, welche selbst nicht vor seinen Klauen sicher sind, jagt er, um ihre Eier zu erlangen, selbst vom Neste. Nach der Brutzeit verfolgt er die jungen wilden Gänse, Enten, Wasserhühner, Strandläufer, Kiebitze und dergleichen Vögel. Der vorzüglichste Gegenstand seines Raubes von dieser Zeit an bis in den Herbst sind die Wasserhühner, welche, wenn sie zerstreut umherschwimmen und ihren Feind ankommen sehen, sich durch hastiges Geschrei schnell zusammenrufen und dem nächsten Schilfe zueilen. Verfolgt sie der Raubvogel auch hier, so flüchten sie wieder nach dem blanken Wasser und suchen sich durch Untertauchen zu retten; denn im Rohre macht er sie leicht müde, indem er von einem Rohrstengel zum anderen so lange hinter ihnen herspringt, bis er einen ertappt. Den alten Enten thut er nichts [708] zu Leide, und wenn das alte Weibchen zugegen ist, darf er sich auch nicht an die jungen Entchen wagen; denn die Mutter fliegt, sobald der Räuber Miene macht, auf ein Entchen zu stoßen, ihm entgegen, oft höher als das Schilf, und schnappt nach ihm, unterdessen die kleinen in ein Klümpchen sich dicht aneinander drängen und ängstlich an die Mutter halten. So lange die jungen Wildgänse beide Eltern haben, kann ihnen kein Rohrweih schaden; denn die beiden Eltern, besonders der Gansert, sind beständig wach für sie." Wie verheerend der Rohrweih unter den mit ihm denselben Teich bewohnenden Vögeln haust, erfuhr Nehrkorn, welcher über dem unter seiner Pflege stehenden Riddagshäuser Teiche bei Braunschweig als kundiger und wohlwollender Schutzherr aller Vögel waltet. Zu seinem Bedauern mußte er wahrnehmen, daß übertriebener Schutz nur schadet. Um die Rohrweihen, welche in früheren Jahren wohl ab und zu aber nicht regelmäßig auf einem der Teiche brüteten, zu fesseln, gab Nehrkorn den Auftrag, dafür zu sorgen, daß ein Paar seine Jungen großzöge, hatte auch im nächsten Jahre schon die Genugthuung, zwei Paare nisten zu sehen und dieselben fortan als regelmäßig wiederkehrende Brutvögel zu beobachten. Um die Jungen dem Berliner Thiergarten zuzusenden, begab er sich im Jahre 1876 zur Horststelle und lernte dabei erkennen, wie es seine Schützlinge getrieben hatten. "Wenngleich mir wohlbekannt war", sagt er, "daß die Rohrweihen arge Räuber sind und besonders, so lange die Teiche noch nicht in ihrem Rohrschmucke prangen, alle Nester der Wasserhühner plündern, hatte ich doch von ihrem Treiben noch keine Vorstellung gewonnen. In der Nähe des Horstes, auf einem Raume von ungefähr funfzig Geviertmetern, lagen auf den Bülten die Kopffedern und sogar Ueberbleibsel hauptsächlich von jungen Rohrhühnern und Enten in solcher Menge, daß ich mir die sonst unerklärliche Abnahme genannter Vögel nunmehr erklären konnte. Während in anderen Jahren hunderte von Wasserhühnern die Teiche bevölkerten, zählte ich in diesem Frühjahre kaum zehn Paare, und eine ähnliche Abnahme zeigte sich auch bei den verschiedenen Steißfüßen. An den Rohrsängern scheinen sich die Weihen nicht so vergriffen zu haben; denn ihre Menge ist noch unzählbar. Doch will ich trotzdem jener Treiben bald ein Ende machen und lieber diejenigen Vögel hegen, welche mir ab und zu wohl ein Fischchen stehlen, als solche, welche meinen Schutz so mißbrauchen."

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 704-709.
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