Schmarotzermilan (Milvus Forskali)

[693] Der afrikanische Vertreter unserer deutschen Arten, der Schmarotzermilan (Milvus Forskali, parasiticus, aegyptius und leucorhynchus, Falco Forskali, Forskahli, aegyptius, parasitus und parasiticus), steht dem Milan so nahe, daß einzelne Naturforscher seine Artselbständigkeit in Zweifel stellen, weicht auch in der That auf den ersten Blick hin nur durch den stets horngelben, anstatt schwarzen, Schnabel ab, läßt jedoch bei genauerer Beobachtung noch genügend sichere Unterscheidungsmerkmale erkennen. Seine Länge beträgt zweiundfunfzig bis [693] fünfundfunfzig, die Breite einhundertzweiunddreißig bis einhundertsechsunddreißig, die Fittiglänge dreiundvierzig bis fünfundvierzig, die Schwanzlänge zwanzig bis zweiundzwanzig Centimeter. Erstere Maße gelten für das Männchen, letztere für das Weibchen. Kopf, Hals und Unterseite sind rötlichbraun, die Hosen und unteren Schwanzdecken deutlich rostroth, Zügelgegend und Kinn ins Weiße spielend, alle Federn durch schmale schwarzbraune Schaftstriche gezeichnet, Mantel, Schultern und übrige Oberseite braun, die Federn an den Spitzen verwaschen und schwarz geschäftet, die Schwingen braunschwarz, die Handschwingen innen etwas heller, aber dunkler gewölkt, die Armschwingen dunkelbraun, durch fünf undeutliche Querbinden gezeichnet, die Schwanzfedern oberseits braun, die äußersten am dunkelsten, alle am Rande der Innenfahne heller und auf der Innenfahne mit acht bis neun verloschenen, dunklen Querbinden geziert, unterseits dagegen innen bräunlichweiß. Das Auge ist hellbraun, der Schnabel horngelb, der Fuß strohgelb.


Schmarotzermilan (Milvus Forskali).1/4 natürl. Größe.
Schmarotzermilan (Milvus Forskali).1/4 natürl. Größe.

Das Verbreitungsgebiet des Schmarotzermilans umfaßt ganz Afrika, mit Ausnahme der Atlasländer, außerdem Madagaskar, Palästina, Syrien, Kleinasien, wahrscheinlich sogar die europäische Türkei: wenigstens scheint es mir noch keineswegs festzustehen, daß die auf den Moscheen Konstantinopels horstende Art wirklich der Milan und nicht unser Schmarotzer ist. In Nordostafrika darf letzterer der häufigste aller Raubvögel genannt werden und gehört wesentlich [694] zur Kennzeichnung der Nilländer und des Rothen Meeres. Er ist der erste Landvogel Egyptens, welchen man gewahrt, und ihn sieht man noch in den oberen Nilländern über dem Urwalde schweben. Mehr als jeder andere seiner Verwandten hat er sich den Menschen fast ausschließlich zu seinem Ernährer ausersehen und eine Freundschaft mit ihm geschlossen, welche ihr sehr gutes wohl für ihn haben mag, dem Menschen aber oft recht lästig fällt.

Der Schmarotzermilan ist der frechste, zudringlichste Vogel, welchen ich kenne. Kein Thier kann seinen Namen besser verdienen als er. Sein Handwerk ist das Betteln; daher hat er sich die Ortschaften selbst zu seinem beliebtesten Aufenthalte erwählt, ist er im Hofe der tägliche Gast und siedelt er sich auf der Palme im Garten wie auf der Spitze des Minarets an. Gerade seine Allgegenwart ist es, welche ihn lästig und sogar verhaßt macht. Seinem scharfen Auge entgeht nichts. Sorgfältig achtet er auf das Treiben und Handeln des Menschen, und Dank seinem innigen Umgange mit diesem hat er eine Uebersicht, ein Verständnis der menschlichen Geschäfte erhalten wie wenige andere Vögel oder Thiere überhaupt. Dem Schafe, welches zur Schlachtbank geführt wird, folgt er gewiß, wogegen er sich um den Hirten nicht kümmert; dem ankommenden Fischer fliegt er entgegen, den zum Fischfange ausziehenden berücksichtigt er nicht. Er erscheint über oder sogar auf dem Boote, wenn dort irgend ein Thier geschlachtet wird, umkreist den Koch der feststehenden oder schwimmenden Behausung des Reisenden, sobald jener sich zeigt, ist der erste Besucher im Lagerplatze, der erste Gast auf dem Aase. Vor ihm ist kein Fleischstück sicher. Mit seiner Falkengewandtheit paart sich die Frechheit, mit seiner Gier die Kenntnis der menschlichen Gewohnheiten. Scheinbar theilnahmslos sitzt er auf einem der Bäume in der Nähe des Schlachtplatzes oder auf der Firste des nächsten Hauses am Fleischladen; kaum scheint er die leckere Speise zu beachten: da aber kommt der Käufer, und augenblicklich verläßt er seine Warte und schwebt kreisend über ihm dahin. Wehe dem unvorsichtigen, wenn er nach gewohnter Art das Fleisch im Körbchen oder in der Holzschale auf dem Kopfe heimträgt; er wird wahrscheinlich sein Geld umsonst ausgegeben haben. Ich selbst habe zu meinem Ergötzen gesehen, daß ein Schmarotzermilan aus solchem Körbchen das ganze, mehr als ein Kilogramm schwere Fleischstück erhob und trotz alles Scheltens des Geschädigten davontrug. In Habesch zerschnitt unser Koch auf einer im Hofe stehenden Kiste einen Hasen in mehrere Stücke, wandte, gerufen, den Kopf nach rückwärts und sah in demselben Augenblicke eines dieser Stücke bereits in den Fängen des Strolches, welcher die günstige Gelegenheit nicht unbenutzt hatte vorübergehen lassen. Aus den Fischerbarken habe ich ihn Fische aufnehmen sehen, obwohl der Eigner sich redlich bemühte, den unverschämten Gesellen zu verscheuchen. Er stiehlt buchstäblich aus der Hand der Leute weg.

Der Mensch ist nicht der einzige Brodherr unseres Vogels; denn dieser achtet nicht nur auf dessen Treiben, sondern auch auf das Thun seiner Mitgeschöpfe. Sobald ein Falk oder Adler Beute erobert hat, wird er umringt von der zudringlichen Schar. Schreiend, mit Heftigkeit auf ihn stoßend, verfolgen ihn die Schmarotzermilane, und je stürmischer die Jagd dahinrauscht, je größer wird die Zahl der Bettler. Die schwere Last in den Fängen hindert den Edelfalken so schnell als sonst zu fliegen, und so kann er es nicht vermeiden, daß die trägeren Milane ihm immer im Nacken sitzen. Viel zu stolz, solche schnöde Bettelei längere Zeit zu ertragen, wirft er den erbärmlichen Lungerern gewöhnlich bald seine Beute zu, läßt sie unter sich balgen, eilt zum Jagdplatze zurück und sucht anderes Wild zu gewinnen. Auch den Geiern ist der Schmarotzermilan verhaßt. Beständig umkreist er die schmausenden, kühn schwebt er zwischen ihnen hindurch, und geschickt fängt er jedes Fleischstück auf, welches die großen Raubvögel bei ihrer hastigen Mahlzeit losreißen und wegschleudern. Die Hunde knurren ihn an und beißen nach ihm, sobald er sich zeigt; denn auch sie wissen genau, daß er die eigennützige Absicht hegt, jeden Fleischbissen, den sie sich sauer genug erworben, zu stehlen, mindestens mit ihnen zu theilen. Zu eigener Jagd entschließt er sich selten, obgleich er keineswegs ungeschickt ist und kleineres Hofgeflügel, selbst junge Tauben, außerdem Mäuse, Kriechthiere und Fische, seine bevorzugte Beute, geschickt zu fangen weiß.

[695] Man sieht den Schmarotzermilan regelmäßig in zahlreichen Scharen, paarweise nur am Horste. Ueber den Schlachtplätzen größerer Städte treibt er sich zuweilen in Flügen von funfzig bis sechzig umher. Der Horst steht meist auf Palmen, nicht selten, in größeren Städten sogar regelmäßig, auch auf den schlanken Minarets der Moscheen. Die drei bis fünf Eier, welche einen Längsdurchmesser von funfzig bis fünfundfunfzig, einen Querdurchmesser von vierzig bis zweiundvierzig Millimeter haben und echt eigestaltig, an der oberen Seite etwas stumpfer als an der unteren zugerundet, ziemlich glatt, glanzlos, auf kalkweißem Grunde mit dunkleren und lichteren rothbraunen, am stumpfen Ende oft zusammenlaufenden Flecken gezeichnet sind, werden in den ersten Monaten des Jahres, vom Februar bis zum April, gelegt und von beiden Eltern ausgebrütet. Während der Brutzeit ist der Schmarotzermilan selbstverständlich noch zudringlicher, ebenso aber auch bei weitem lärmender als sonst. Denn er liebt seine Jungen über alles Maß, sucht ihnen so viel Nahrung zuzuschleppen, als er irgendwie habhaft werden kann, fürchtet beständig für sie Gefahr und stößt mit hohem Muthe nach dem Feinde, welcher sie bedroht. Ende Mai ist die Brut flugfähig geworden, folgt noch geraume Zeit unter unablässigem Geschrei beiden Eltern und macht sich erst gegen den Herbst hin selbständig.

Der arabische Name des Schmarotzermilans »Hitaie«, ist ein Klangbild und entspricht ziemlich genau dem gewöhnlichen Geschrei des Vogels. Dieses beginnt mit dem hohen, wi »Hi« klingenden Laute und endet mit einem lang gezogenen, zitternd ausgestoßenen »Tähähähä«. Ueber den Flug, die sonstigen Bewegungen, Eigenschaften und Begabungen, brauche ich weiteres nicht mitzutheilen: in dieser Beziehung ähnelt unser Vogel durchaus seinen deutschen Verwandten.

Bei den Eingeborenen gilt der Schmarotzermilan für das, was er ist, als höchst zudringlicher und belästigender Gesell. Gleichwohl wird er nicht verfolgt. Man glaubt, daß auch für ihn die Gesetze der Höflichkeit und Gastfreundschaft Gültigkeit haben müssen, und läßt ihn kommen und gehen, wie er will. Von seiner Zutraulichkeit erzählt man manche hübsche Geschichte, und in den Märchen spielt er hier und da ebenfalls seine Rolle.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 693-696.
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