II. Die Ânandavallî.

[224] Auf der Çikshâvallî (die mit ihren mannigfachen Materialien und in ihrer abgeschlossenen Form vielleicht ursprünglich die ganze Upanishad der Taittirîyaka's ausmachte, zu einer Zeit, wo man noch an einem kindlichen Spiele mit Symbolen sein Genügen fand) erhebt sich, gleichwie ein zweites Stockwerk, unvergleichlich entwickelter und aus der reifsten Zeit des Upanishad-Denkens stammend, die Ânandavallî, in Komposition und Gedanken ein völlig einheitliches Werk und eines der schönsten Erzeugnisse altindischer Vertiefung in die Geheimnisse der Natur und des menschlichen Innern, wenn auch nicht eines der am leichtesten verständlichen. Denn wie in einer gross angelegten Symphonie wogen hier die mannigfachsten Gedankenelemente durcheinander, verschlingen sich und trennen sich wieder, treten hervor und verschwinden, indem sie durch scheinbar fernliegende Gedanken unterbrochen werden, bis sie dann, durch eben diese geklärt, wieder auftauchen und zuletzt in der Harmonie eines grossen, alles umfassenden Grundgedankens zusammenklingen. Dieser Grundgedanke aber ist, dass der Âtman, der innerste Kern des Menschen wie der ganzen Schöpfung, nicht erreichbar ist auf dem Wege des von egoistischen Wünschen getragenen Götterkultus (manomaya), aber auch nicht auf dem Wege des sein Objekt als ein anderes sich gegenüberstellenden Erkennens (vijñânamaya), sondern nur auf dem Wege der[224] völligen, alles Erkennen einer Realität als Schale abstreifenden Einswerdung mit ihm und seiner unerkennbaren, unaussprechlichen Überwesenheit und Wonne (ânandama ya).

Eine kurze Übersicht des Inhalts wird dies bestätigen.

Sehr klar wird das Thema des Ganzen in den Anfangsworten bezeichnet: wer Brahman als satyam, jñânam, anantam kennt, und zwar sowohl psychisch in der Höhle des Herzens als auch physisch in dem höchsten Raume, der erlangt dadurch alle Befriedigung, die das geistige Brahman selbst besitzt. Brahman ist also 1) satyam die eigentliche Realität, wenn auch nicht die empirische; 2) jñânam Erkenntnis, wenn auch nicht die in Subjekt und Objekt gespaltene; 3) anantam unendlich; – freilich ist Brahman unendlich, aber darauf kam es hier doch nicht an, sondern auf etwas andres; und wenn ich an das schon in gewissen spätern Upanishad's wiederholt vorkommende sac-cid-ânanda denke, dazu Bṛih. 3,9,28 vijñânam ânandam brahma nehme, endlich erwäge, dass gerade an unsrer Stelle, zu Eingang der im Begriff des ânanda kulminierenden Ânandavallî das Wort ânanda weniger als irgendwo entbehrt werden kann, so wird mir sehr wahrscheinlich, dass anantam hier ein uralter, nachmals durch die Tradition geheiligter Fehler ist, und dass die ursprüngliche Lesart satyam, jñânam, ânandam das erste Auftauchen der drei spätern Attribute des Brahman sac-cid-ânanda »Sein, Denken und Wonne« ist. Veranlasst mochte der Fehler dadurch werden, dass man die Konstruktion nicht mehr verstand und die drei Epitheta für Nominative hielt, als welches ânandam sehr ungewöhnlich ist.

Es folgt sodann die vielzitierte Schöpfungsstelle, welche in kurzen Zügen die Genealogie des Âtman durch die Elemente, durch Erde, Pflanzen, Nahrung, Same hindurch bis auf den Menschen, und zwar den materiellen Menschen (annarasamaya purusha) herabführt, wodurch dessen Âtman-Wesenheit festgestellt, zugleich aber das Problem aufgegeben wird, die in dem körperlichen Menschen wie in einer Hülle (koça) versteckte eigentliche Essenz und tiefste Wesenheit des Âtman aufzusuchen. Und hier zieht nun das tiefer und immer tiefer dringende Denken dem Menschen eine Hülle nach der andern ab, den annarasamaya, prâṇamaya, manomaya und vijñânamaya purusha, um so schliesslich den ânandamaya als den innersten Kern des Menschen und das tiefste und letzte Wesen des Âtman herauszuschälen. Diese Ausschälung des Âtman aus dem Menschen ist aber zugleich eine solche aus der ganzen Natur; der annarasamaya, prâṇamaya, manomaya und vijñânamaya purusha sind ebensogut in der ganzen Schöpfungswelt wie im Menschen verwirklicht, wie zunächst schon daraus erhellt, dass am Schlusse von Anuvâka 8 dem Wissenden verheissen wird, nach dem Tode in stufenweisem Fortschreiten zum annamaya, prâṇamaya, manomaya, vijñânamaya, ânandamaya hinaufzugelangen (upasamkrâmati). Aber auch viele andre Anzeichen weisen darauf hin, dass diese fünf ineinander steckenden Purusha's oder Âtman's ebensosehr im Ganzen der Natur wie im einzelnen Menschen zu suchen sind, und man muss sich diese ihre kosmische Bedeutung neben der psychischen immer gegenwärtig halten.


[225] 1) Der annarasamaya, d.h. aus Nahrungssaft bestehende, Âtman ist der materielle Mensch und die materielle Natur; beide stammen von Brahman, sind Brahman; und schon wer sie als Brahman verehrt, erntet reichen Lohn. Aber beide sind Brahman in seiner dichtesten Ver hüllung, in seiner äussersten Entfremdung von seinem ursprünglichen Wesen. Ziehen wir die nahrungsartige Hülle ab, so gelangen wir


2) zum prâṇamaya, lebenshauchartigen Âtman, d.h. dem Lebensprinzip im Menschen wie in der ganzen Natur. In letzterm Sinne ist es zu verstehen, wenn der ganze Raum oder Äther (âkâça) sein Leib, die ganze Erde sein Untergestell und Fundament heisst. In ihm steckt weiter:


3) der manomaya Âtman, das aus manas (Gedanke, Wille, Wunsch) bestehende Selbst, d.h. der Mensch und die, in den Göttern Agni, Vâyu, Indra usw. personifizierte, Natur, sofern sie vom Willen, vom egoistischen Streben nach Wohlfahrt beseelt sind, welches seinen Ausdruck in dem, auf einem Tauschgeschäft beruhenden, Kultus der vedischen Götter findet. Daher bilden die vier Veden nebst Brâhmana's (âdeça) die Körperteile1 dieses Purusha. Das Unzulängliche dieses Standpunktes wird in zartfühlender Weise nur versteckt angedeutet durch den Schlussvers, der seine volle Bedeutung erst in einem spätern Zusammenhange findet und daher dort nochmals wiederkehrt, hier aber nur steht, um auszudrücken, dass weder Reden, hier das Vedawort, noch Manas, hier die in ihm ausgesprochenen Wunschgedanken, imstande sind, das Höchste zu erfassen. – Eine Stufe höher hebt uns sodann:


4) der vijñânamaya Âtman, d.h. das im Menschen wie in der Natur verwirklichte Brahman, sofern es ein Gegenstand der (notwendigerweise inadäquaten) Erkenntnis und der Verehrung ist und dem erkennenden und verehrenden Subjekte als Objekt gegenübersteht. Daher ist der Glaube sein Haupt, die Hingebung (yoga) sein Leib, die Herrlichkeit (mahas) sein Untergestell und Fundament, und der angehängte Vers besagt, richtig übersetzt, »er bringt die Erkenntnis als Opfer und Werke, d.h. statt derselben, dar«. Wer so Brahman als (Objekt der) Erkenntnis weiss, der erlangt nach dem Tode die Wunscherfüllung der Brahmanwelt. Aber das Höchste hat nicht er erreicht, sondern nur der, welcher, noch tiefer dringend,


5) den ânandamaya Âtman findet, der mit seinen Gliedern ganz aus Wonne besteht, aber, nachdem ihm der vijñânamaya als letzte Hülle abgestreift worden, kein Gegenstand der Erkenntnis, kein empirisch reales Objekt und daher, wie der Vers besagt, für den, welcher in der Unrealität[226] der Erscheinungswelt befangen bleibt, ein blosses Nichtseiendes, in Wahrheit und in höherm Sinne aber das allein Seiende ist.

Diesen Widerspruch aufzuhellen dient der folgende, wichtigste Teil des Ganzen. Er beginnt mit der Doppelfrage: Ist es der Nichtwissende oder der Wissende, welcher nach dem Tode jene Welt, d.h. das Brahman, erreicht? Die aus dem Folgenden zu entnehmende Antwort lautet: Weder der eine noch der andre, sondern der, welcher schon hier mit Brahman eins geworden ist; welches nicht auf dem Wege der Erkenntnis geschieht, weil das Brahman nur soweit es zur Welt geworden, nicht aber seinem eigentlichen ursprünglichen Wesen nach ein Reales, ein Objekt der Erkenntnis ist, wie das Folgende tiefsinnig entwickelt. – Brahman hat, wie in Anlehnung an die konventionelle Schöpfungsformel der Brâhmaṇa's (so 'kâmayata, bahu syâm, usw). entwic kelt wird, durch eine Art Selbstentäusserung (tapas) aus sich diese Welt geschaffen, ist auch in dieselbe eingegangen, aber nicht seinem ganzen Wesen nach; vielmehr besteht das wahre und tiefste Wesen Brahman's dem Seienden, Sagbaren, Erkennbaren, Realen dieser Welt gegenüber als ein Jenseitiges, Unsagbares, Unerkennbares, empirisch Unreales (anṛitam). Denn: »als Reales ward er zu allem, was in dieser Welt vorhanden ist, denn dies ist, wie man sagt, das Reale«. Brahman hingegen ist, wie der Vers besagt, ein Nichtseiendes (asad), jedoch ein solches, welches die Kraft hatte, sich selbst als Welt seiend zu machen (tad âtmânam svayam akuruta), weil es, wie mit einem schwer übertragbaren Wortspiele gesagt wird, ein in sich Wohlbeschaffenes (sukṛitam), – weil es, wie Platon sagen würde, die Idee des Guten ist. Diese Wohlbeschaffenheit des Urwesens wohnt als Essenz (rasa) allen Wesen ein und ist Quelle aller Wonne, ja wer könnte leben und atmen, wenn in dem Nichts, in dem Leeren (âkâçe), d.h. in dem transzendenten Brahman, nicht diese Wonne wäre? Aber voll und ganz erfährt diese Wonne nur der, welcher in jenem Unsichtbaren, Unwesenhaften, Unaussprechlichen, Grundlosen den Frieden, die Gründung findet, indem er ganz zu demselben wird, während hingegen derjenige, welcher zwischen sich und Brahman noch ein Trennendes annimmt (udaram antaram »eine Höhlung, einen Zwischenraum«, oder, ziemlich einerlei, ud aram antaram »einen wenn auch kleinen Zwischenraum«), d.h. Brahman noch als Objekt der Erkenntnis festhält, aus seinem Wissenswahne den Unfrieden erntet, der überall ist, wo noch eine Zweiheit ist; daher, wie der Vers besagt, auch alle Götter dieser Sphäre des Unfrie dens, der Furcht anheimfallen.

Es folgt dann als ânandasya mîmâṅsâ jener (ähnlich Bṛih. 4,3,33 wiederkehrende) Hymnus über die Wonne des Brahman, welcher zwar unserm ästhetischen Gefühl so wenig zusagen will wie die indische Musik, für den Inder aber, so wie diese, vielleicht um so angemessener ist. Der Sinn desselben ist, dass die Wonne des Brahman aller menschlichen und göttlichen Wonne unendlich überlegen ist, und dass sie dem zuteil wird, welcher, auf Grund der Schriftlehre, sich mit Brahman eins und daher aller, in der Zweiheit wurzelnden, Begierde enthoben weiss. Wer dieses[227] weiss, dass alles eins in Brahman, dass der Âtman im Menschen und der in der Sonne einer ist, der wird nach dem Tode eins mit dem in der Welt verwirklichten annamaya, prâṇamaya, manomaya, vijñânamaya und zuhöchst mit dem ânandamaya Âtman, »vor dem die Worte umkehren und das Denken, nicht findend ihn«, mit dessen Erreichung alle Furcht schwindet, wie auch alle Qual über die eigne Vergangenheit, mag sie nun eine gute oder böse gewesen sein.


1. Om!

Der Brahmanwissende erlangt das Höchste. Darüber ist dieser Vers:


Als Realität, als Erkenntnis, als Wonne [Vulgata: als unendlich],

Wer so das Brahman kennt, in der Höhle [des Herzens] verborgen und im höchsten Raume,

Der erlangt alle Wünsche

In Gemeinschaft mit Brahman, dem allweisen.


Aus diesem Âtman, fürwahr, ist der Äther [Raum] entstanden, aus dem Äther der Wind, aus dem Winde das Feuer, aus dem Feuer das Wasser, aus dem Wasser die Erde, aus der Erde die Pflanzen, aus den Pflanzen die Nahrung, aus der Nahrung der Same, aus dem Samen der Mensch.


Dieser Mensch, fürwahr, ist aus Nahrungssaft bestehend (annarasamaya); an ihm ist dieses [hinzeigend] das Haupt, dieses die rechte Seite, dieses die linke Seite, dieses der Rumpf, dieses das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers [freie Çloka's]:


2. Aus Nahrung geboren sind die Geschöpfe,

Alle, wie sie auf Erden sind,

Durch Nahrung haben sie ihr Leben,

In diese gehn sie ein zuletzt.

Nahrung ist der Wesen ältestes,

Drum wird allheilend sie genannt.


Alle Nahrung erlangt einer,

Der Brahman als die Nahrung ehrt,

Nahrung ist der Wesen ältestes,

Drum wird allheilend sie genannt.
[228]

Aus Nahrung entstehn die Wesen,

Durch Nahrung wachsen sie weiter,

Wesen durch sich, sich durch Wesen,

Nährt sie, darum heisst Nahrung sie.


Von diesem aus Nahrungssaft bestehenden verschieden, dessen innerer Âtman (Selbst) ist der aus Lebenshauch bestehende (prâṇamaya); mit dem ist jener gefüllt [wie ein Schlauch mit Wind, Ça k.]; jener nun ist menschengestaltig, und gemäss seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist der Einhauch das Haupt, der Zwischenhauch die rechte Seite, der Aushauch die linke Seite, der Raum (Äther) der Rumpf, die Erde das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers:


3. Dem Lebensodem nachatmen Götter,

Auch die Menschen und Tiere all',

Odem ist ja der Wesen Leben,

Drum wird All-Leben er genannt.


Zur vollen Lebensdauer kommt,

Wer Brahman als den Odem ehrt,

Odem ist ja der Wesen Leben,

Drum wird All-Leben er genannt.


Bei diesem ist sein [als Leib] verkörpertes Selbst2 das nämliche wie bei dem vorigen.


Von diesem aus Lebenshauch bestehenden verschieden, dessen innerer Âtman (Selbst) ist der aus Manas (Vorstellung, Wille, Wunsch) bestehende (manomaya); mit dem ist jener gefüllt; jener nun ist menschengestaltig, und gemäss seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist das Yajus das Haupt, die Ṛic die rechte Seite, das Sâman die linke Seite, die Anweisung [d.h. das Brâhmaṇam][229] der Rumpf, die Atharva- und Angiras-Lieder das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers:


4. Vor dem die Worte umkehren

Und das Denken, nicht findend ihn,

Wer dieses Brahman's Wonne kennt,

Der fürchtet nun und nimmer sich.


Bei diesem ist sein [als Leib] verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen.


Von diesem aus Manas bestehenden verschieden, dessen innerer Âtman (Selbst) ist der aus Er kenntnis bestehende (vijñânamaya); mit dem ist jener gefüllt; jener nun ist menschengestaltig, und gemäss seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist der Glaube das Haupt, die Gerechtigkeit die rechte Seite, die Wahrheit die linke Seite, die Hingebung (yoga) der Rumpf, die Macht (mahas) das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers:


5. Erkenntnis bringt er als Opfer,

Erkenntnis als die Werke dar,

Als Erkenntnis alle Götter

Ehren Brahman, das älteste.


Wer das Brahman als Erkenntnis

Weiss und nicht von ihm weichet ab,

Der lässt im Leibe die Übel

Und erlangt alles, was er wünscht.


Bei diesem ist sein [als Leib] verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen.


Von diesem aus Erkenntnis bestehenden verschieden, dessen innerer Âtman (Selbst) ist der aus Wonne bestehende (ânandamaya); mit dem ist jener gefüllt; jener nun ist menschengestaltig, und gemäss seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist Liebes das Haupt, Freude die rechte Seite, Freudigkeit die linke Seite, Wonne[230] der Rumpf, Brahman das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers:


6. Nichtseiend ist der gleichsam nicht,

Wer Brahman als nichtseiend weiss;

Wer Brahman weiss als Seiendes,

Ist dadurch selbst ein Seiender.


Bei diesem ist sein [als Leib] verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen.


Da nun entstehen Fragen wie diese:


Ob irgend ein Nichtwissender

Abscheidend geht in jene Welt?

Oder ob wohl der Wissende

Abscheidend jene Welt erlangt?


Er begehrte: »Ich will vieles sein, will mich fortpflanzen.« Da übte er Kasteiung. Nachdem er Kasteiung geübt, schuf er die ganze Welt, was irgend vorhanden ist. Nachdem er sie geschaffen, ging er in dieselbe ein. Nachdem er in sie eingegangen, war er

Seiendes und Jenseitiges,

Aussprechliches und Unaussprechliches,

Gegründetes und Grundloses,

Bewusstsein und Unbewusstsein,

Realität und Nichtrealität.

Als Realität ward er zu allem, was irgend vorhanden ist; denn dieses nennen sie die Realität. Darüber ist auch dieser Vers:


7. Nichtseiend war dies zu Anfang;

Aus ihm entstand das Seiende.

Er schuf sich selbst wohl aus sich selbst,

Daher dies »wohlbeschaffen« heisst.


Was dieses Wohlbeschaffene ist, fürwahr, das ist die Essenz. Denn wenn einer diese Essenz empfängt, so wird er wonnevoll. Denn wer könnte atmen, wer leben, wenn in dem[231] leeren Räume [âkâçe, in dem Nichts, aus dem die Welt entstanden] nicht jene Wonne wäre. Denn er ist es, der die Wonne schaffet. Denn wenn einer in jenem Unsichtbaren, Unrealen, Unaussprechlichen, Unergründlichen den Frieden, den Standort findet, alsdann ist er zum Frieden gelangt. Wenn aber einer in jenem einen Zwischenraum, eine Trennung [oder »eine wenn auch kleine Trennung«, zwischen sich als Subjekt und dem Âtman als Objekt] annimmt, dann besteht sein Unfriede fort; es ist aber der Unfriede des, der sich weise dünket [indem er Brahman zum Objekt der Erkenntnis macht]. Darüber ist auch dieser Vers:


8. Aus Furcht vor ihm der Wind läutert,

Aus Furcht vor ihm die Sonne scheint,

Aus Furcht vor ihm eilt hin Agni

Und Indra und der Tod zu fünft.


Dieses ist die Betrachtung über die Wonne.

Gesetzt, es sei ein Jüngling, ein wackerer Jüngling, ein lernbegieriger, der schnellste, kräftigste, stärkste, und ihm gehörte diese ganze Erde mit all ihrem Reichtum, so ist das eine menschliche Wonne.

Aber hundert menschliche Wonnen sind eine Wonne der Mensch-Gandharven [Gandharva gewordene Menschen oder Mensch gewordene Gandharva's], – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen der Mensch-Gandharven sind eine Wonne der Gott-Gandharven, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen der Gott-Gandharven sind eine Wonne der Väter, welche die langdauernde Himmelswelt bewohnen, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen der Väter, welche die langdauernde Himmelswelt bewohnen, sind eine Wonne der geborenen Götter [»der Götter, die zu Menschen geworden sind« (Dvivedaga ga), oder einfach: der devâḥ pratyaksham, d.h. der Brahmanen?], – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.[232]

Und hundert Wonnen der geborenen Götter sind eine Wonne der Werkgötter, die durch ihr Werk zu den Göttern eingehen, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen der Werkgötter sind eine Wonne der Götter, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen der Götter sind eine Wonne des Indra, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen des Indra sind eine Wonne des Bṛihaspati, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen des Bṛihaspati sind eine Wonne des Prajâpati, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.

Und hundert Wonnen des Prajâpati sind eine Wonne des Brahman, – und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist.


Er, der hier im Menschen wohnt, und jener dort in der Sonne, die sind eins.

Wer, solches wissend, aus dieser Welt dahinscheidet, der gelangt in jenen aus Nahrungssaft bestehen den Âtman, und gelangt in jenen aus Lebenshauch bestehenden Âtman, und gelangt in jenen aus Manas bestehenden Âtman, und gelangt in jenen aus Erkenntnis bestehenden Âtman, und gelangt in jenen aus Wonne bestehenden Âtman.


Darüber ist auch dieser Vers:


9. Vor dem die Worte umkehren

Und das Denken, nicht findend ihn,

Wer dieses Brahman's Wonne kennt,

Der fürchtet sich vor keinem mehr.


Ihn, fürwahr, quälen nicht mehr die Fragen: »Welches Gute habe ich unterlassen?« – »Welches Böse habe ich begangen?« –

Wer, solches wissend, sich von diesen hin zum Âtman[233] rettet, der rettet sich zugleich von beiden [Gutem und Bösem] hin zum Âtman3, – wer solches weiss. – So lautet die Upanishad.

Fußnoten

1 Vgl. Ait. Br. 6,27,5: âtmasamskṛitir vâva çilpâni; chandomayam vâ' etair yajamâna' âtmânam samskurute (er weiht sein Selbst so, dass es nur aus Hymnen besteht), Çatap. Br. 10,5,1,5: ṛi mayam, yajurmayam, sâmamayam âtmânam samskurute (er weiht sein Selbst so, dass es nur aus Ṛic, Yajus, Sâman besteht).


2 Zur Bestätigung unsrer Auffassung vgl. Ça k. zu Brahmasûtra p. 115,9. 117,6. Der annamaya, prâṇamaya, manomaya, vijñânamaya, ânandamaya sind alle in demselben Leibe verkörpert.


3 Der Gedanke, »wer das Böse aufgibt, der gibt zugleich Böses und Gutes auf«, ist klar, aber die Konstruktion: spṛiṇute (er rettet sich) ete (von diesen, diese überwindend) âtmânam (zum Âtman), ist ungewöhnlich und nur daraus erklärlich, dass im Begriffe des spṛiṇute zweierlei liegt: dass man das eine (Akkus). überwindet und dadurch zum andern (Akkus). gelangt.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 224-234.
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