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[661] 209
Bequem und lässig, kleingesinnt,
Zu ernstem Leben unfähig,
Sein Wohl aufopfernd schnöder Lust,
Beneidet man den Standhaften.
210
Leb' im Verein mit Lieben nicht
Gleichwie auch nicht mit Unlieben:
Getrennt von Lieben sein ist Leid,
Leid ist Verein mit Unlieben.
211
Daher schließ' dich an Liebes nicht,
Geliebtes lassen ist so schlimm!
Kein Daseinsband verstricket den,
Dem nichts mehr lieb noch unlieb ist.
212
Aus Liebem sprießet Gram hervor,
Aus Liebem sprießet Furcht hervor:
Wer sich von Liebem losgesagt,
Hat keinen Gram und keine Furcht.
213
Aus Freude sprießet Gram hervor,
Aus Freude sprießet Furcht hervor:
Wer von der Freude losgelöst,
Hat keinen Gram und keine Furcht.
[662] 214
Aus Wollust sprießet Gram hervor,
Aus Wollust sprießet Furcht hervor:
Wer von der Wollust losgelöst,
Hat keinen Gram und keine Furcht.
215
Der Leidenschaft entsprießet Gram,
Der Leidenschaft entsprießet Furcht:
Wer von der Leidenschaft erlöst,
Hat keinen Gram und keine Furcht.
216
Dem Lebenstrieb entsprießet Gram,
Dem Lebenstrieb entsprießet Furcht:
Wer losgelöst vom Lebenstrieb,
Hat keinen Gram und keine Furcht.
217
Den Ordensregel Wahrenden,
Den klar die Lehre Kennenden,
Den Rechtlichen, Wahrhaftigen,
Den seine Pflicht Erfüllenden,
Den schätzt und liebet alles Volk.
218
Wer sich nach dem Unnennbaren1,
Im Innersten ergriffen, sehnt,
Erstorben aller Willensgier,
Der heißt: »ein Aufwärtssteigender«.
219
Den lang entbehrten teuern Mann,
Der heil aus fernen Landen kommt,
Begrüßet bei der Wiederkehr
All seiner Lieben traute Schar;
[663] 220
So, wahrlich, auch empfangen ihn,
Der Gutes tat, im neuen Sein
Die guten Taten insgesamt,
Wie Freunde einen lieben Freund.
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