A. Anthropologie. Die Seele
§ 388

[43] Der Geist ist als die Wahrheit der Natur geworden. Außerdem, daß in der Idee überhaupt dies Resultat die Bedeutung der Wahrheit und vielmehr des Ersten gegen das Vorhergehende hat, hat das Werden oder Übergehen im Begriff die bestimmtere Bedeutung des freien Urteils. Der gewordene Geist hat daher den Sinn, daß die Natur an ihr selbst als das Unwahre sich aufhebt und der Geist so sich als diese nicht mehr in leiblicher Einzelheit außer sich seiende, sondern in ihrer Konkretion und Totalität einfache Allgemeinheit voraussetzt, in welcher er Seele, noch nicht Geist ist.


§ 389

Die Seele ist nicht nur für sich immateriell, sondern die allgemeine Immaterialität der Natur, deren einfaches ideelles Leben. Sie ist die Substanz, die absolute Grundlage aller Besonderung und Vereinzelung des Geistes, so daß er in ihr allen Stoff seiner Bestimmung hat und sie die durchdringende, identische Idealität derselben bleibt. Aber in dieser noch abstrakten Bestimmung ist sie nur der Schlaf des Geistes; – der passive nous des Aristoteles, welcher der Möglichkeit nach Alles ist.

Die Frage um die Immaterialität der Seele kann nur dann noch ein Interesse haben, wenn die Materie als ein Wahres einerseits und der Geist als ein Ding andererseits vorgestellt wird. Sogar den Physikern ist aber in neueren Zeiten die Materie unter den Händen dünner geworden; sie sind auf imponderable Stoffe als Wärme, Licht usf. gekommen, wozu sie leicht auch Raum und Zeit rechnen könnten. Diese Imponderabilien, welche die der Materie eigentümliche Eigenschaft der Schwere, in gewissem Sinne auch die Fähigkeit, Widerstand zu leisten, verloren, haben[43] jedoch noch sonst ein sinnliches Dasein, ein Außersichsein; der Lebensmaterie aber, die man auch daruntergezählt finden kann, fehlt nicht nur die Schwere, sondern auch jedes andere Dasein, wonach sie sich noch zum Materiellen rechnen ließe. In der Tat ist in der Idee des Lebens schon an sich das Außersichsein der Natur aufgehoben, und der Begriff, die Substanz des Lebens ist als Subjektivität, jedoch nur so, daß die Existenz oder Objektivität noch zugleich an jenes Außersichsein verfallen ist. Aber im Geiste, als dem Begriffe, dessen Existenz nicht die unmittelbare Einzelheit, sondern die absolute Negativität, die Freiheit ist, so daß das Objekt oder die Realität des Begriffes der Begriff selbst ist, ist das Außersichsein, welches die Grundbestimmung der Materie ausmacht, ganz zur subjektiven Idealität des Begriffes, zur Allgemeinheit verflüchtigt. Der Geist ist die existierende Wahrheit der Materie, daß die Materie selbst keine Wahrheit hat.

Eine damit zusammenhängende Frage ist die nach der Gemeinschaft der Seele und des Körpers. Diese Gemeinschaft war als Faktum angenommen, und es handelte sich allein darum, wie sie zu begreifen sei. Für die gewöhnliche Antwort kann angesehen werden, daß sie ein unbegreifliches Geheimnis sei. Denn in der Tat, wenn beide als absolut Selbständige gegeneinander vorausgesetzt werden, sind sie einander ebenso undurchdringlich, als jede Materie gegen eine andere undurchdringlich und nur in ihrem gegenseitigen Nichtsein, ihren Poren, befindlich angenommen wird; wie denn Epikur den Göttern ihren Aufenthalt in den Poren angewiesen, aber konsequent ihnen keine Gemeinschaft mit der Welt aufgebürdet hat. – Für gleichbedeutend mit dieser Antwort kann die nicht angesehen werden, welche alle Philosophen gegeben haben, seitdem dieses Verhältnis zur Frage gekommen ist. Descartes, Malebranche, Spinoza, Leibniz haben sämtlich Gott als diese Beziehung angegeben, und zwar in dem Sinne, daß die Endlichkeit der Seele und die Materie nur ideelle Bestimmungen[44] gegeneinander sind und keine Wahrheit haben, so daß Gott bei jenen Philosophen, nicht bloß, wie oft der Fall ist, ein anderes Wort für jene Unbegreiflichkeit [ist], sondern vielmehr als die allein wahrhafte Identität derselben gefaßt wird. Diese Identität ist jedoch bald zu abstrakt, wie die Spinozistische, bald wie die Leibnizische Monade der Monaden zwar auch schaffend, aber nur als urteilend, so daß es [zwar] zu einem Unterschiede der Seele und des Leiblichen, Materiellen kommt, die Identität aber nur als Kopula des Urteils ist, nicht zur Entwicklung und zum Systeme des absoluten Schlusses fortgeht.
[45]

§ 390

Die Seele ist zuerst

a. in ihrer unmittelbaren Naturbestimmtheit, – die nur seiende, natürliche Seele;

b. tritt sie als individuell in das Verhältnis zu diesem ihrem unmittelbaren Sein und ist in dessen Bestimmtheiten abstrakt für sich – fühlende Seele;

c. ist dasselbe als ihre Leiblichkeit in sie eingebildet und sie darin als wirkliche Seele.[49]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 43-46,49-51.
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