b. Paschasius Radbertus

[581] Gegen 840 kam ferner auch die Streitfrage über die Geburt Jesu, ob sie natürlich oder übernatürlich gewesen sei, in Bewegung und veranlaßte langen Streit. Paschasius Radbertus schrieb zwei Bände: De partu beatae virginis; und es ist viel darüber geschrieben und disputiert worden. Man hat da sogar von einem Accoucheur gesprochen und dies behandelt; und es sind viel Fragen gedacht, woran wir mit Schicklichkeit nicht einmal denken können.

Gottes Weisheit, Allmacht, Vorhersehen und Vorherbestimmen führten ebenso zu einer Menge Gegensätze in abstrakten und abgeschmackten Bestimmungen. Bei Petrus Lombardus, wo von der Dreieinigkeit, Schöpfung, Fall, von den Engeln, Ordnungen und Klassen derselben gehandelt wird, finden sich solche quaestiones: »Ob ein Vorhersehen und Vorherbestimmen Gottes möglich gewesen wäre, wenn keine Geschöpfe gewesen wären? Wo war Gott vor der Schöpfung?« – Thomas von Straßburg antwortete: »Tunc ubi nunc, in se, quoniam sibi sufficit ipse.« – Jene Frage bezieht sich auf eine lokale, kleinliche Bestimmung, die Gott nichts angeht. Ferner: »Ob Gott mehreres wissen kann, als[581] er weiß?«, als ob noch Möglichkeit von Wirklichkeit unterschieden bliebe. »Ob Gott alle Zeit alles könne, was er gekonnt habe? Wo die Engel nach ihrer Schöpfung gewesen? Ob die Engel immer gewesen?« Ebenso kommen sonst noch eine Menge Fragen über die Engel vor. – »In welchem Alter ist Adam erschaffen worden? Warum ist Eva aus der Rippe und nicht aus einem anderen Teil des Mannes genommen worden? Warum während des Schlafs und nicht im wachenden Zustande des Menschen? Warum haben sich die ersten Menschen im Paradies nicht begattet? Wie sich die Menschen würden fortgepflanzt haben, wenn sie nicht gesündigt hätten? Ob im Paradies die Kinder mit vollkommen ausgewachsenen Gliedern und mit dem vollen Gebrauch der Sinne würden geboren worden sein? Warum der Sohn und nicht der Vater oder der Heilige Geist Mensch geworden seien?« Eben dies ist der Begriff des Sohnes. »Ob Gott den Menschen nicht auch in dem weiblichen Geschlechte habe annehmen können?«

Noch mehr sind von denen hinzugefügt, die diese Dialektik verspotteten, z.B. Erasmus in seinem Encomium moriae: »Ob in Christus mehrere Sohnschaften (filiationes) sein konnten? Ob der Satz möglich: Haßt Gott der Vater den Sohn? Ob Gott auch hätte als Weib suppositiert werden können? Ob in den Teufel fahren? Ob er nicht auch in Esels- oder Kürbisgestalt hätte erscheinen können? (Num Deus potuerit suppositare mulierem? num diabolum? num asinum? num cucurbitam?) Auf welche Weise (quemadmodum) der Kürbis gepredigt haben würde? Wunder getan? Wie gekreuzigt worden sein?« – So wurden Zusammenstellungen und Unterscheidungen von Verstandesbestimmungen ohne allen Sinn und Gedanken gemacht. Die Hauptsache ist, daß sie wie Barbaren göttliche Dinge nahmen, sie unter die sinnlichen Bestimmungen und Verhältnisse brachten.[582] Eine völlige sinnliche Festigkeit, diese ganz äußerlichen Formen der Sinnlosigkeit haben sie so in dies rein Geistige gebracht und es damit verweltlicht, – wie Hans Sachs die göttliche Geschichte vernürnbergert. Es liegt in solchen Darstellungen, wie in der Bibel vom Zorn Gottes, der Schöpfungsgeschichte Gottes, daß Gott dies und jenes getan, etwas Menschliches und Derbes; Gott ist nicht so fremd zu nehmen, sondern einen Mut, ein Herz gegen ihn zu haben, nicht das Unnahbare. Aber ein anderes ist, ihn in das Gebiet des Gedankens zu ziehen, Ernst daraus zu machen. Das Entgegengesetzte ist, argumenta pro und contra vorzubringen, sie entscheiden nicht, helfen nichts; Voraussetzungen sind solche sinnliche und endliche Bestimmungen, – also unendliche Unterscheidungen. Diese Verstandesbarbarei ist ganz vernunftlos. Es sah so aus, wie wenn man Schweinen ein goldenes Halshand angetan. Das eine ist die Idee der christlichen Religion und dazu die Philosophie des edlen Aristoteles; beides konnte nicht ärger in den Kot gezogen werden. So weit hatten die Christen ihre geistige Idee heruntergebracht.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 581-583.
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