VI. Die Ethik gibt nicht Gesetze für die Handlungen (denn das tut das Ius) sondern nur für die Maximen der Handlungen

[519] Der Pflichtbegriff steht unmittelbar in Beziehung auf ein Gesetz (wenn ich gleich noch von allem Zweck, als der Materie desselben, abstrahiere); wie denn das formale Prinzip der Pflicht im kategorischen Imperativ: »handle so, daß die Maxime deiner Handlung ein allgemeines Gesetz werden könne«, es schon anzeigt; nur daß in der Ethik dieses als das Gesetz deines eigenen Willens gedacht wird, nicht des Willens überhaupt, der auch der Wille anderer sein könnte: wo es alsdenn eine Rechtspflicht abgeben würde, die nicht in das Feld der Ethik gehört. – Die Maximen werden hier als solche subjektive Grundsätze angesehen, die sich zu einer allgemeinen Gesetzgebung bloß qualifizieren; welches nur ein negatives Prinzip (einem Gesetz überhaupt nicht zu widerstreiten) ist. – Wie kann es aber dann noch ein Gesetz für die Maxime der Handlungen geben?

Der Begriff eines Zwecks, der zugleich Pflicht ist, welcher der Ethik eigentümlich zugehört, ist es allein, der ein Gesetz für die Maximen der Handlungen begründet, indem der subjektive Zweck (den jedermann hat) dem objektiven (den sich jedermann dazu machen soll) untergeordnet wird. Der Imperativ: »du sollst dir dieses oder jenes (z.B. die Glückseligkeit anderer) zum Zweck machen«, geht auf die Materie der Willkür (ein Objekt). Da nun keine freie Handlung möglich ist, ohne daß der Handelnde hiebei zugleich einen Zweck (als Materie der Willkür) beabsichtigte, so muß, wenn es einen Zweck gibt, der zugleich Pflicht ist, die Maxime der Handlungen, als Mittel zu Zwecken, nur die Bedingung der Qualifikation zu einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung enthalten; wogegen der Zweck, der zugleich Pflicht ist, es zu einem Gesetz machen kann, eine solche Maxime zu haben, indessen daß für die Maxime selbst die bloße Möglichkeit, zu einer allgemeinen Gesetzgebung zusammen zu stimmen, schon genug ist.[519]

Denn Maximen der Handlungen können willkürlich sein und stehen nur unter der einschränkenden Bedingung der Habilität zu einer allgemeinen Gesetzgebung, als formalem Prinzip der Handlungen. Ein Gesetz aber hebt das Willkürliche der Handlungen auf und ist darin von aller Anpreisung (da bloß die schicklichsten Mittel zu einem Zwecke zu wissen verlangt werden) unterschieden.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 8, Frankfurt am Main 1977, S. 519-520.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Metaphysik der Sitten
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Die Metaphysik der Sitten
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (suhrkamp studienbibliothek)
Werkausgabe in 12 Bänden: VII: Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Immanuel Kant Werkausgabe Band VIII: Die Metaphysik der Sitten