54. Pflege des Schauens[58] 1

Was gut gepflanzt ist, wird nicht ausgerissen.

Was gut umfangen wird, wird nicht entgehen.

Wer sein Gedächtnis Söhnen und Enkeln hinterläßt, hört nicht auf.

Gestaltet man danach sein Ich,

so zeigt sich seines LEBENS Echtheit.

Gestaltet man danach sein Haus,

so zeigt sich seines LEBENS Fülle.

Gestaltet man danach seine Gegend,

so zeigt sich seines LEBENS Wachstum.

Gestaltet man danach sein Land,

so zeigt sich seines LEBENS Blüte.

Gestaltet man danach seine Welt,

so zeigt sich seines LEBENS Allgemeinheit.

Darum: nach deinem Ich beurteile das Ich des andern.

Nach deinem Haus beurteile das Haus der andern.

Nach deiner Gegend beurteile die Gegend der andern.

Nach deinem Land beurteile das Land der andern.

Nach deiner Welt beurteile die Welt der andern.

Und wie kann ich erkennen, daß es so steht in der Welt?

Eben auf diese Weise.


Erklärung

1 Die Reihenfolge der sozialen Stufen: Ich, Familie, Gegend (Gemeinde), Land, Reich (»Welt«) stimmt ziemlich mit der in der konfuzianischen »Großen Lehre« genannten: Ich, Familie, Land, Reich. Daß bei Laotse ein anderes Wort für Land steht, wird von chinesischen Kommentaren auf Redaktionsänderungen zurückgeführt. Interessant ist übrigens, daß Laotse die Landgemeinde erwähnt.

Zur letzten Zeile vgl. No. 21.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 58-59.