Buch IV

[200] Dieses Buch, das nach dem in Abschnitt 1 auftretenden Konfuzius benannt ist, gibt eine Lösung der Spannung, die der Skeptizismus des letzten hervorruft, in der Hingabe des Individuums ans All, dem großen »Stirb und Werde«.


1 Dieser Abschnitt gibt die denkbar beste und zugleich wohlwollendste Kritik dessen, was Kungtse erstrebt und was er erreicht.[200]

Von dem Versuch, den er die größte Zeit seines Lebens machte, praktisch, d.h. durch Gewinnung eines Fürsten für seine Ideen, der Wahrheit Bahn zu brechen, ist gar nicht die Rede, sondern nur von dem Werk der Resignation, der Revision der Literatur und Kunst, um einen Kanon für die Nachwelt zu gewinnen. Auch das ist noch nicht etwas, das zur Welterlösung ausreicht. Die Bücher, die Kung revidiert und herausgegeben hat, sind: 1. Liederbuch (Schï Ging); 2. Buch der Urkunden (Schu Ging); 3. Buch der Wandlungen (I Ging); 4. Frühlings- und Herbstannalen (Tschun Tsiu); dazu kommt 5. die Neuordnung der Lebensregeln – die später im sogenannten Li Gi aufgezeichnet wurde. Das sind die 5 heiligen Bücher. (Die Musikneuordnung ging verloren). An diese schlossen sich später die heutzutage noch mehr gelesenen 4 »Bücher« an: 1. Lun Yü (Gespräche); 2. Da Hüo (Große Lehre); 3. Dschung Yung (Maß und Mitte); 4. Meng Dsï (Menzius).

»Yän Hui stand mit gefalteten Händen nach Norden gewandt«: die Stellung der Ehrfurcht. Der Herr sitzt, mit dem Gesicht nach Süden.

Das Verhältnis zwischen Yän Hui, dem Lieblingsjünger, und Dsï Gung, dem Mann der äußeren Form, ist ähnlich gegeben wie in III, 8. Vgl. Lun Yü, V, 8. Vgl. zur Sache übrigens Lun Yü XIV, 37.


2 Der Staat Tschen lag südlich von Sung, im Osten der heutigen Provinz Honan.

Schu Sun war eines der drei herrschenden Adelsgeschlechter in Kungtses Heimatland Lu. Sehr fein ist die Haltung Kungs dem »Heiligen« Geng Sang Dsï gegenüber wiedergegeben: »Ein vielsagendes Lächeln, sonst nichts« (vgl. Dschuang Dsï XXIII).


3 Schang soviel wie Sung (im heutigen Honan), weil dort die Nachkommen der Schangdynastie regierten.

Zu Kungs Selbstbeurteilung vgl. Lun Yü VII, 19 und 33. Die drei Könige und die fünf Herrscher vgl. Erkl. zu III, 3. Die drei Erhabenen sind noch früher, Tiän Huang (Himmelsherr), Di Huang (Erdherr), Jen Huang (Menschenherr).

Da der Statthalter von Schang die Ablehnung Kungs nicht bemerkt, geht dieser zur Ironie über und spielt auf Laotse an – denn der ist mit dem »Heiligen im Westen« gemeint – um dann schließlich auch ihm gegenüber seinen Standpunkt des »Nichtwissens« festzuhalten. Der Gouverneur von Schang hat Kung jedenfalls besser verstanden als mancher europäische Ausleger, der in der Stelle eine verkappte messianische Weissagung sehen möchte.


[201] 4 Dieser Abschnitt könnte ebensogut in Lun Yü stehen. Die Beurteilung der vier Jünger stimmt ganz mit der in Lun Yü an mehreren Stellen gegebenen überein.


5 Der Sinn dieses Abschnittes ist nicht ganz klar. Es wird erzählt, daß Wand an Wand mit Liä Dsï ein anderer Philosoph namens Nan Go Dsï lebte, mit dem er aber keinerlei Verkehr pflegte. Auf Wunsch seiner Jünger besucht ihn Liä Dsï. Doch jener vermag nicht mit ihm zu reden. Nur mit einem seiner Jünger unterhält er sich fließend. Liä Dsï macht dann einige Bemerkungen über ihn, die sehr dunkel sind. Vgl. übrigens Dschuang Dsï II, 1.


6 Vgl. II, 3.

Hier wohl später eingeschoben.


7 Die Gedanken, die Hu Kiu Dsï dem Liä Dsï gegenüber über das Wandern äußert, sind dem Gedankenkreis des Taoteking sehr verwandt. Vgl. Taoteking No. 47.


8 Der Abschnitt erinnert an III, 9. Von den genannten Personen ist sonst nichts bekannt.

Zu der ärztlichen Untersuchung ist zu bemerken, daß nach chinesischer Theorie das Herz sieben Öffnungen hat. Sind diese Öffnungen alle durchbrochen, so ist der Mensch ein vollkommener Heiliger mit genial intuitiver Erkenntnis. Je mehr von diesen Öffnungen verklebt sind, desto niedriger steht der Mensch.


9 Die Gegensätze des Unbedingten, frei Schaffenden, das Leben hat in sich selber, und des Bedingten, von Mitteln Abhängigen, das notwendig vergänglich ist. Bemerkenswert ist, daß außerdem noch dem glücklichen bezw. unglücklichen Zufall eine Macht zugeschrieben wird (vgl. Einleitung). Gi Liang ist der Freund Yang Dschus, der über Leben und Tod erhaben war; vgl. VI, 6. Daher keine Trauer bei seinem Scheiden.

Über Sui Wu ist nichts Näheres bekannt. Dem Kommentar nach handelt es sich hier um einen Todesfall von der Art, die oben als Unglück bezeichnet worden ist.


10 Vgl. Taoteking No. 2 und bes. No. 36.


11 Das hübsche Geschichtchen gibt ein überaus plastisches Bild von den Zuständen zur Zeit Liä Dsïs, die einigermaßen an die Sophistenzeit in Griechenland erinnern. Von den verschiedenen Staatstheorien,[202] die hier aufeinander platzen, läßt namentlich die der »weltabgewandten Eremiten« – wir würden sie heute Anarchisten nennen – an Radikalismus nichts zu wünschen übrig.

Ostdorf (Dung Li) ist die Heimat des Staatsmannes und Kanzlers von Dscheng. Dsï Tschan, der mit Konfuzius persönlich befreundet war. Auch der hier genannte Deng Si, der auch VI, 4 und VII, 8 erwähnt wird, war ein bekannter Staatsmann der Zeit. Von ihm stammt ein auf Bambustafeln aufgezeichnetes Gesetzbuch, das im Staate Dscheng eingeführt wurde. Sein persönlicher Charakter scheint jedoch, wie aus der vorliegenden Stelle sowie namentlich aus dem Schluß von VII, 8 hervorgeht, etwas beißend Ironisches gehabt zu haben. Das konnte man in jenen alten Zeiten nicht gut vertragen. Der Mann wurde hingerichtet. In VI, 4 steht, daß Dsï Tschan, nachdem er viel unter seinen zweideutigen Redensarten zu leiden gehabt, ihn eines Tages ganz plötzlich töten ließ. Wahrscheinlicher immerhin ist die Nachricht von Dso Dschuan, daß erst der Nachfolger Dsï Tschans, Dsï Yän, ihn habe töten lassen im Jahr 501.

Be Feng Dsï erscheint I, 4 in der Umgebung des Liä Dsï auf seiner Wanderung. Er scheint trotz seiner Zurückgezogenheit auch Schüler um sich gesammelt zu haben.


12 Die vorkommenden Namen sind mit Ausnahme des Königs Süan aus dem Hause Dschou (vgl. II, 7. 20) sonst nicht genannt. Vgl. zur Sache Taoteking No. 64.


13 Der weggelassene Abschnitt ist höchstwahrscheinlich auch späterer Zusatz. Er hat mit dem Thema des Buches gar nichts zu tun. Es sind nur einige logische Spitzfindigkeiten des Philosophen Gung Sun Lung (vergl. Dschuang Dsï XXXIII) aufgezählt, die in frappanter Weise an die paradoxen Gedankenspielereien der griechischen Sophisten erinnern. Da heißt es unter anderm: »Wer Gedanken hat, hat keine Seele. Was man hofft, trifft nicht ein. Die Dinge nehmen nie ein Ende. Der Schatten bewegt sich nicht. Ein Haar kann 1000 Zentner ziehen. Ein weißes Pferd ist nicht das Pferd. Ein verwaistes Kalb hat nie eine Mutter.« Natürlich haben alle diese Paradoxe eine Lösung, die zum Teil auf begrifflichen Distinktionen beruht, zum Teil aber auch in leere Wortspielereien ausmündet.


14 Yau ist der bekannte, halb legendarische Herrscher zu Beginn der chinesischen Geschichte nach der Annahme des Kungtse. Schun ist sein Nachfolger.[203]

Zu dem hier erwähnten alten Lied vgl. das in den Erklärungen zu Laotse, Taoteking Abschn. 17 erwähnte, das zu dem hier genannten die konträre Ergänzung gibt.


15 Guan Yin Hi, der Grenzwart von Han Gu Guan, vgl. II, 4; vgl. zur Sache Taoteking 32, 34, 35 und sonst oft.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 200-204.
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