11. Rücksicht auf das Volk des besiegten Staates

[60] Der Staat Tsi hatte Yän angegriffen und annektiert. Da hielten die anderen Landesfürsten einen Rat, wie sie Yän zu Hilfe kämen. König Süan sprach: »Die Fürsten schmieden viele Pläne, mich anzugreifen. Wie soll ich Ihnen begegnen?«

Mong Dsï erwiderte: »Ich habe wohl gehört, daß einer, der nur siebzig Meilen Land besaß, die Herrschaft über die ganze Welt in die Hand bekam. Tang ist ein Beispiel dafür. Ich habe noch nie gehört, daß einer mit tausend Meilen sich vor anderen fürchtet.

Im Buch der Urkunden heißt es21: ›Sobald Tang begonnen hatte mit seinem Angriff auf Go, fiel alle Welt ihm zu. Wenn er sich nach Osten wandte und das Land unterwarf, so waren die Grenzvölker im Westen unbefriedigt. Wenn er sich nach Süden wandte und das Land unterwarf, so waren die Grenzvölker im Norden unbefriedigt. Sie alle sprachen: ›Warum nimmt er uns zuletzt dran?‹

Das Volk sehnte sich nach ihm, wie man sich in großer Dürre nach Wolken und Regenbogen sehnt. Die Leute gingen auf den Markt wie gewöhnlich, die Bauern unterbrachen ihre Arbeit nicht. Er richtete wohl den Fürsten hin, aber tröstete das Volk. Wie wenn ein Regen zu seiner Zeit herniedergeht, also war das Volk hocherfreut. Im Buch der Urkunden heißt es: ›Wir harren unseres Herrn. Kommt unser Herr, so werden wir wieder leben‹.

Nun hat der Herrscher von Yän sein Volk bedrückt, Eure Hoheit gingen hin und griffen ihn an. Das Volk war der Meinung, daß Ihr es retten wolltet aus Feuers- und Wassersnot. So brachten sie Essen in Körben und Suppe in Töpfen Euren Heeren[60] entgegen. Aber wenn Ihr die kräftigen Männer tötet und die unmündigen Kinder in Bande legt; wenn Ihr den Reichstempel zerstört und seine kostbaren Geräte wegführt, wie sollte das hingehen?

Die Welt ist ohnehin in Furcht vor der Macht des Staates Tsi. Wenn Ihr nun abermals Euer Gebiet verdoppelt habt, ohne ein mildes Regiment einzuführen, so werden dadurch die Waffen der ganzen Welt gegen Euch in Bewegung gesetzt. Eure Hoheit mögen schleunigst den Befehl ausgeben, daß dem Staate Yän seine Gefangenen, alt und jung, zurückgeschickt werden und daß seine kostbaren Geräte an Ort und Stelle bleiben, darauf mit allem Volk von Yän beraten und ihm einen Fürsten setzen und dann es sich selbst überlassen. So wird's vielleicht noch möglich sein, das Unheil abzuwenden.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 60-61.
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