Einundzwanzigstes Capitel.

Von dem Beweis des allgemeinen Causalgesetzes.

[102] §. 1. Wir haben nun die Prüfung der logischen Processe, durch welche die Gesetze oder Gleichförmigkeiten der Folge von Naturerscheinungen und diejenigen Gleichförmigkeiten in ihrer Coexistenz, welche von den Gesetzen ihrer Folge abhängen, bestimmt oder geprüft werden, vollendet. Wir erkannten sogleich im Anfang, und im Verlauf unserer Untersuchung wurde es noch deutlicher, dass die Basis dieses logischen Verfahrens die Allgemeinheit (Universalität) des Causalgesetzes ist. Die Gültigkeit aller inductiven Methoden hängt von der Annahme ab, dass ein jedes Ereigniss, oder der Anfang eines jeden Phänomens eine Ursache, ein Antecedens haben muss, von dessen Existenz es unveränderlich und unbedingt die Folge ist. Bei der Methode der Uebereinstimmung ist dies einleuchtend, indem diese Methode nach der Voraussetzung verfährt, dass wir die wahre Ursache gefunden haben, sobald wir jede andere verneint haben. Die Behauptung ist von der Differenzmethode gleich wahr. Diese Methode erlaubt uns, ein allgemeines Gesetz aus zwei Fällen zu folgern; aus einem Fall, in welchem A mit einer Menge anderer Umstände existirt und B darauf folgt, und einem andern, in welchem, nachdem A entfernt ist, während alle anderen Umstände dieselben geblieben sind, B verhindert wird. Was beweist dies aber? Es beweist, dass B in dem besondern Falle keine andere Ursache gehabt haben kann als A, aber daraus zu schliessen, dass A die Ursache war, oder dass auf A auch bei anderen Gelegenheiten B folgen wird, ist nur unter der Voraussetzung erlaubt, dass B irgend eine Ursache haben muss, dass in einem jeden einzelnen Falle in dem es vorkommt, unter seinen Antecedentien eines sein muss welches die Fähigkeit besitzt, es wiederholt hervorzubringen.[102] Wenn dies zugegeben wird, so sieht man, dass in dem fraglichen Falle das Antecedens kein anderes gewesen sein kann als A, aber dass wenn es kein anderes als A ist, es A sein muss, ist durch diese Fälle wenigstens nicht bewiesen, sondern als zugestanden angesehen. Es wäre ein unnöthiger Zeitverlust, dasselbe von den übrigen inductiven Methoden zu beweisen. Die Allgemeinheit des Causalgesetzes ist bei allen vorausgesetzt.

Ist aber diese Annahme verbürgt? Ohne Zweifel, könnte man sagen, sind die meisten Naturerscheinungen als Wirkungen mit irgend einem Antecedens oder einer Ursache verknüpft, d.h. sie werden nie hervorgebracht, ohne dass ihnen eine nachweisbare Thatsache vorausgeht; aber der Umstand, dass oft verwickelte inductive Processe nothwendig sind, zeigt, dass es Fälle giebt, in welchen diese regelmässige Ordnung der Aufeinanderfolge unserm einfachen Fassungsvermögen nicht so zugänglich ist. Wenn daher das Verfahren, welches diese Fälle in dieselbe Kategorie wie die übrigen bringt, verlangt, dass wir die Allgemeinheit gerade des Gesetzes, wovon sie beim ersten Anblick nicht Fälle zu sein scheinen, voraussetzen, ist dies denn in der That nicht petitio principii? Können wir eine Behauptung durch ein Argument beweisen, welches die Behauptung als zugestanden annimmt? Und wenn sie so nicht bewiesen wird, worauf beruht denn der Beweis?

Für diese Schwierigkeit, welche ich absichtlich in den stärksten Ausdrücken, deren sie fähig ist, angegeben habe, hat die metaphysische Schule, welche in diesem Lande lange geherrscht hat, ein leichtes Auskunftsmittel gefunden. Sie behauptet, die Allgemeinheit des Causalgesetzes sei eine Wahrheit, wovon sich uns der Glaube aufdringt, der Glaube daran sei ein Instinct, eines der Gesetze unserer glaubenden Fähigkeiten. Als einen Beweis hiervon fuhrt sie an, und weiss nichts Anderes anzuführen, als dass Jedermann es glaubt; es wird unter den in ihrem Verzeichniss etwas zu häufig vorkommenden Behauptungen aufgeführt, welche logisch bestritten werden könnten und viel leicht logisch nicht zu beweisen sind, die aber von einer höhern Autorität als die Logik sind, und in Beziehung auf welche sogar derjenige, welcher sie in der Theorie läugnet, durch die gewohnte Praxis zeigt, dass seine eigenen Argumente keinen Eindruck auf ihn machen.[103]

Ich habe nicht die Absicht, in eine Erörterung der Verdienste dieser Frage als eines Problems der Psychologie einzugehen, ich muss aber wiederholt dagegen protestiren, dass man als Beweis der Wahrheit einer Thatsache in der äussern Natur die wenn auch noch so starke Neigung des menschlichen Geistes anführt, diese Wahrheit zu glauben. Glaube ist kein Beweis und befreit nicht von der Nothwendigkeit des Beweises. Ich weiss wohl, einen Beweis für ein Urtheil verlangen, von dem angenommen wird, dass wir es instinctiv glauben, heisst sich der Anklage aussetzen, man verwerfe alle Autorität der menschlichen Fähigkeiten, was natürlich kein Mensch consequenterweise thun könnte, da ein jeder nur vermittelst der menschlichen Fähigkeiten urtheilen kann. Und insofern die Bedeutung des Wortes Beweis der Voraussetzung nach etwas ist, was, wenn es dem Geiste dargeboten wird, diesen zu glauben veranlasst: so nimmt man an, dass einen Beweis verlangen, wenn der Glaube durch die Gesetze des Geistes selbst versichert ist, von dem Verstand an den Verstand appelliren heisse. Dies ist jedoch, wie ich glaube, ein Missverstehen der Natur des Beweises. Unter Beweis ist nicht etwas alles verstanden, was Glauben erzeugt. Es giebt viele Dinge, welche ohne Beweis Glauben erzeugen. Eine blosse starke Ideenassociation verursacht oft einen so starken Glauben, dass er durch Erfahrung oder Argumentation nicht zu erschüttern ist. Der Beweis ist nicht das, dem sich der Geist unterwirft oder dem er sich unterwerfen muss, sondern das, dem er sich unterwerfen sollte, d.h. dadurch dass er sich demselben unterwirft, wird sein Glaube in Ueberstimmung mit den Thatsachen gebracht. Es giebt im allgemeinen keine Berufung von den menschlichen Fähigkeiten aus, aber es giebt eine Berufung von der einen menschlichen Fähigkeit an eine andere; von dem Urtheilsvermögen an das Vermögen, welches von den Thatsachen Kenntniss nimmt, an das Vermögen der Sinne und des Bewusstseins. Die Rechtmässigkeit dieser Berufung ist zugegeben, so oft man zugesteht, dass unsere Urtheile mit den Thatsachen übereinstimmen müssen. Sagen, der Glaube genüge für seine eigene Rechtfertigung, heisst die Meinung zur Probe der Meinung machen; heisst die Existenz eines jeden äusseren Maassstabes, dessen Uebereinstimmung mit der Meinung deren Wahrheit ausmacht, läugnen. Wir nennen die eine Bildungsweise von Meinungen richtig und die andere falsch, weil die eine die[104] Meinung mit den Thatsachen in Einklang zu bringen sucht, die andere aber nicht, – weil sie die Menschen das zu glauben veranlasst, was wirklich ist, und sie das zu erwarten veranlasst, was wirklich sein wird. Nun ist aber eine wenn auch für instinctiv gehaltene blosse Neigung zu glauben keine Bürgschaft für die Wahrheit des geglaubten Dinges. Wenn sich der Glaube in der That zu einer unwiderstehlichen Nothwendigkeit erheben sollte, so wäre es nutzlos von ihm aus zu appelliren, weil dann keine Möglichkeit vorhanden wäre, ihn zu ändern. Aber sogar hieraus würde die Wahrheit des Glaubens nicht folgen; es würde bloss folgen, dass die Menschen einer beständigen Nothwendigkeit unterworfen sind, zu glauben was möglicherweise nicht wahr ist; mit anderen Worten, dass ein Fall eintreten könnte, in dem unsere Sinne oder unser Bewusstsein, wenn an sie appellirt werden könnte, für das eine Ding zeugen würden, und dass unsere Vernunft ein anderes Ding glauben würde. In der That ist aber eine solche beständige Nothwendigkeit nicht vorhanden. Es giebt kein Urtheil, von dem behauptet werden könnte, ein jeder menschliche Geist müsse es ewig und unwiderruflich glauben. Viele von den Urtheilen, von denen dies mit der grössten Zuversicht behauptet worden ist, fanden bei einer grossen Anzahl menschlicher Wesen nur Unglauben. Der Dinge, von denen man annahm, dass sie jemand unwiderstehlich glauben müsse, sind unzählige; aber nicht zwei Generationen würden einen gleichen Catalog von ihnen anfertigen. Ein Jahrhundert oder eine Nation glaubt unbedingt, was der andern unglaublich und unbegreiflich scheint; das eine Individuum hat nicht eine Spur von dem Glauben, den das andere für der Menschheit absolut inwohnend hält; kein einziger dieser supponirten instinctmässigen Glauben ist wirklich unvermeidlich. Es steht in der Macht eines jeden, Denkgewohnheiten zu pflegen, die ihn von diesen Glauben unabhängig machen.

Die Gewohnheit der philosophischen Analyse (deren sicherste Wirkung ist, den Geist zu befähigen, die Gesetze des bloss passiven Theiles seiner eigenen Natur zu beherrschen, anstatt davon beherrscht zu werden), indem sie uns zeigt, dass Dinge nicht nothwendig thatsächlich verknüpft sein müssen, weil die Ideen von ihnen in unserem Geiste verknüpft sind, ist vermögend, unzählige Ideenassociationen, welche despotisch über den ungebildeten Geist[105] herrschen, zu lösen; und diese Gewohnheit ist nicht ohne Gewalt sogar über diejenigen Associationen, welche die erwähnte philosophische Schule als angeboren und instinctiv betrachtet. Ich habe die Ueberzeugung, dass ein Jeder, der an Abstraction und Analyse gewöhnt ist, und der seine Fähigkeiten aufrichtig dazu gebraucht, wenn seine Einbildungskraft einmal gelernt hat, die Vorstellung aufzunehmen und zu hegen, keine Schwierigkeit finden wird, sich vorzustellen, dass z.B. in einem der vielen Firmamente, in welche die Astronomie jetzt das Universum eintheilt, Ereignisse aufs Gerathewohl und ohne ein bestimmtes Gesetz auf einander folgen können; auch liegt in unserer Erfahrung oder in unserem Geiste nichts, was einen hinreichenden oder in der That auch nur irgend einen Grund abgeben könnte, zu glauben, dass dies nirgends der Fall sei.

Wenn wir annehmen würden (was wir vollkommen möglich finden zu denken), die gegenwärtige Ordnung des Weltalls ginge zu Ende, und es folgte ein Chaos, in dem keine feste Ordnung in der Succession der Ereignisse bestände, und wo das Vergangene keine Sicherheit für das Zukünftige gäbe, und wenn ein menschliches Wesen wunderbarerweise am Leben erhalten worden wäre, um diese Veränderung zu sehen, so würde es, da Gleichförmigkeit nicht länger mehr vorhanden wäre, bald aufhören an irgend eine Gleichförmigkeit zu glauben. Wenn dies zugegeben wird, so ist der Glaube an Gleichförmigkeit entweder überhaupt kein Instinct, oder er ist ein Instinct, der wie jeder andere Instinct durch erlangtes Wissen überwunden werden kann.

Aber wir brauchen nicht Betrachtungen anzustellen über das, was sein würde, wenn wir positive und gewisse Kenntniss von dem haben, was gewesen ist. Es ist thatsächlich nicht wahr, dass die Menschen immer geglaubt haben, alle Successionen von Vorgängen seien gleichförmig und fänden nach festen Gesetzen statt. Die griechischen Philosophen, sogar Aristoteles nicht ausgenommen, anerkannten den Zufall und die Willkür (tyxê und to automaton) als zu den Agentien in der Natur gehörig, mit anderen Worten, sie glaubten, dass soweit keine Gewähr dafür vorhanden wäre, dass die Vergangenheit sich selbst gleichgeblieben sei, oder dass die Zukunft der Vergangenheit gleichen werde. Gegenwärtig sogar betrachtet die halbe philosophische Welt, mit Einschluss gerade derjenigen Metaphysiker, welche für den instinctiven[106] Charakter des Glaubens an Gleichförmigkeit streiten, eine sehr wichtige Classe von Erscheinungen, die Willensacte, als eine Ausnahme von der Gleichförmigkeit, und als nicht unter der Herrschaft fester Gesetze stehend.137

[107] §. 2. Es ist schon früher erwähnt worden,138 dass der Glaube an die Allgemeinheit des Causalgesetzes selbst eine Induction und zwar keineswegs eine der frühesten sei, welche die Menschen gemacht haben konnten. Wir gelangen zu diesem universalen Gesetz durch Generalisationen von vielen Gesetzen von einer geringeren Allgemeinheit. Wir würden niemals den Begriff von Causalität (im philosophischen Sinn) als von einer Bedingung aller Erscheinungen gehabt haben, wenn wir nicht mit vielen Fällen von Verursachung, oder, mit anderen Worten, mit vielen partiellen Gleichförmigkeiten der Folge vorher vertraut geworden wären. Die deutlicheren der besonderen Gleichförmigkeiten leiten auf die allgemeine Gleichförmigkeit und beweisen dieselbe, und wenn diese allgemeine Gleichförmigkeit einmal dargethan ist, so setzt sie uns in den Stand, den Rest der besonderen Gleichförmigkeiten, aus denen sie zusammengesetzt ist, zu beweisen. Da indessen eine jede strenge Induction die allgemeine Gleichförmigkeit voraussetzt, so war unsere Kenntniss der besonderen Gleichförmigkeiten, aus denen sie zuerst gefolgert wurde, natürlicherweise nicht aus einer strengen Induction, sondern sie war aus der lockeren und ungewissen Art von Induction per enumerationem simplicem abgeleitet, und da das allgemeine Causalgesetz aus so erhaltenen Resultaten gefolgert wurde, so kann es nicht selbst auf einer besseren Grundlage beruhen.

Es dürfte daher scheinen, dass die Induction per enumerationem simplicem nicht allein nicht nothwendig ein unerlaubtes logisches Verfahren, sondern dass sie in Wirklichkeit die einzig mögliche Art Induction ist, indem das vollkommnere Verfahren in Beziehung auf Gültigkeit von einem Gesetz abhängt, das selbst in dieser kunstlosen Weise erhalten wurde. Ist es denn nicht inconsequent, die Lockerheit der einen Methode mit der Strenge der anderen zu vergleichen, wenn letztere ihre Strenge der lockern Methode verdankt?

Die Inconsequenz ist aber nur eine scheinbare. Wenn die Induction durch einfache Aufzählung ein ungültiges Verfahren wäre, so könnte sicherlich kein darauf gegründetes Verfahren gültig sein; gerade wie wir uns nicht auf Teleskope verlassen könnten, wenn[108] wir unseren Augen nicht trauen dürften. Aber wenn sie auch ein gültiges Verfahren ist, so ist sie doch ein fehlbares, und dies zwar in verschiedenem Grade. Wenn wir daher den fehlbareren Formen des Verfahrens eine Operation substituiren können, die auf dasselbe Verfahren in einer weniger fehlbaren Form gegründet ist, so haben wir eine wichtige Verbesserung zu Stande gebracht.

Ein Schliessen aus der Erfahrung muss für unzuverlässig erklärt werden, wenn es durch spätere Erfahrung nicht bestätigt wird. Diesem Kriterium nach bietet die Induction durch blosse Aufzählung – mit anderen Worten, die Generalisation einer beobachteten Thatsache aus der blossen Abwesenheit eines jeden bekannten gegentheiligen Falles – einen precären und unsichern Grund für Gewissheit, denn bei weiterer Erfahrung entdeckt man von solchen Generalisationen beständig, dass sie falsch sind. Sie bietet indessen in vielen Fällen eine hinreichende Gewissheit, um uns in der gewöhnlichen Praxis darnach richten zu können. Es wäre absurd zu sagen, die von den Menschen beim Beginn ihrer Erfahrung gemachten Generalisationen, wie die folgenden, Speise nährt, Feuer brennt, Wasser überschwemmt, verdienten kein Vertrauen.139 In den Resultaten der ursprünglichen unwissenschaftlichen Induction existirt[109] eine Abstufung von Zuverlässigkeit, und von dieser Verschiedenheit (wie im vierten Capitel dieses Buches bemerkt wurde) sind die Regeln für die Verbesserung des Verfahrens abhängig. Die Verbesserung besteht darin, dass man die eine dieser kunstlosen Generalisationen durch die andere corrigirt. Es ist bereits gezeigt worden, dass dies alles ist, was die Kunst thun kann. Eine Generalisation dadurch erproben, dass man zeigt, dass sie entweder aus einer stärkeren Induction folgt oder ihr widerspricht, indem manche Generalisationen auf einer breiteren erfahrungsgemässen Grundlage ruhen, ist der Anfang und das Ende der inductiven Logik.

§. 3. Die Unsicherheit der Methode der einfachen Aufzählung steht nun zum Umfang der Generalisation in einem umgekehrten Verhältniss. Das Verfahren ist täuschend und unzureichend genau in dem Verhältniss als der Gegenstand der Beobachtung speciell und in Umfang beschränkt ist. Wenn seine Sphäre sich erweitert, so verringert sich die Unsicherheit dieser unwissenschaftlichen Methode, und die universalste Classe von Wahrheiten, das Causalgesetz z.B. und die Principien der Zahlenlehre und der Geometrie, werden durch diese Methode allein genau und genügend bewiesen und sind auch gar keines andern Beweises fähig.

In Beziehung auf die ganze Classe von Generalisationen, welche wir oben abgehandelt haben, in Beziehung auf die Gleichförmigkeiten, welche von einer Verursachung abhängig sind, folgt die Wahrheit der soeben gemachten Bemerkung durch einen einleuchtenden Schluss aus den in den früheren Capiteln niedergelegten Principien. Wenn eine Thatsache so und sovielmal als wahr beobachtet worden ist, und kein Fall bekannt ist, worin sie sich als falsch erwiesen hätte, und wenn wir nun sogleich behaupten, diese Thatsache sei eine allgemeine Wahrheit oder ein Naturgesetz, ohne sie durch irgend eine der vier Methoden der Induction zu prüfen oder sie deductiv von anderen bekannten Gesetzen abzuleiten, so werden wir im Allgemeinen einen groben Irrthum begehen; wir sind aber vollkommen gerechtfertigt, wenn wir sie für ein empirisches Gesetz halten, das innerhalb gewisser Grenzen von Zeit, Ort und Umständen wahr ist, insofern nur die Anzahl von Coincidenzen grösser ist, als mit Wahrscheinlichkeit dem Zufall zugeschrieben werden[110] kann. Man darf das Gesetz nicht über jene Grenzen hinaus ausdehnen, weil die Thatsache seiner Gültigkeit innerhalb dieser Grenzen eine Folge von Collocationen sein kann, in Beziehung auf welche man nicht schliessen kann, dass sie an einem Orte existiren werden, weil sie an einem andern existiren, oder weil sie von der zufälligen Abwesenheit entgegenwirkender Agentien abhängen kann, welche durch irgend eine Veränderung von Zeit, oder durch die geringste Veränderung der Umstände in Thätigkeit gesetzt werden können. Wenn wir daher den Gegenstand einer Generalisation soweit verbreitet annehmen, dass es keine Zeit, keinen Ort und keine Verbindung von Umständen giebt, welche nicht ein Beispiel seiner Wahrheit oder seiner Unwahrheit darböten, und wenn er nie anders als wahr befunden wird: so kann seine Wahrheit nicht von einer Collocation abhängen, es müsste denn eine Collocation sein, welche zu allen Zeiten und an allen Orten existirt, noch kann er durch irgend entgegenwirkende Agentien aufgehoben werden, es müssten denn Agentien sein, die in der Wirklichkeit niemals vorkommen. Es ist daher ein empirisches Gesetz, das soweit geht als alle menschliche Erfahrung; bei diesem Punkte verschwindet aber der Unterschied zwischen empirischen Gesetzen und Naturgesetzen, und die Behauptung tritt in die höchste Reihe von Wahrheiten, welche der Wissenschaft zugänglich sind.

Nun ist aber das Causalgesetz die in ihrem Gegenstand am weitesten gehende durch die Erfahrung verbürgte Generalisation bezüglich der Sequenzen und Coexistenzen der Erscheinungen. In Betreff der Allgemeinheit, und folglich (wenn die vorhergehenden Betrachtungen richtig sind) in Betreff der Gewissheit steht es allen beobachteten Gleichförmigkeiten voran. Und wenn wir betrachten, nicht was die Menschheit in der Kindheit ihres Wissens zu glauben gerechtfertigt gewesen wäre, sondern was sie in dem jetzigen vorgeschrittenen Zustand ihres Wissens vernunftgemäss glauben darf: so werden wir uns berechtigt fühlen, dieses fundamentale Gesetz, obgleich selbst durch Induction von besonderen Causalgesetzen erhalten, für nicht weniger gewiss, sondern im Gegentheil für gewisser zu halten, als ein jedes der Gesetze, aus denen es gezogen wurde. Es fügt soviel Beweis zu diesen hinzu, als es von ihnen empfangt; denn es giebt wahrscheinlich sogar unter den am besten festgestellten specielleren Causalgesetzen nicht ein einziges,[111] das nicht zuweilen aufgehoben würde und in Betreff dessen sich nicht scheinbare Ausnahmen darböten, welche nothwendig und mit Recht das Vertrauen der Menschen zu diesen Gesetzen erschüttert hätten, wenn uns nicht auf das allgemeine Gesetz gegründete inductive Processe in den Stand gesetzt hätten, diese Ausnahmen auf die Thätigkeit entgegenwirkender Ursachen zu beziehen, und sie dadurch mit dem Gesetz, dem sie anscheinend widerstritten, zu versöhnen. Ueberdiess konnten sich in die Darstellung eines jeden der speciellen Gesetze durch Nichtbeachtung eines wesentlichen Umstands Irrthümer eingeschlichen haben, und anstatt des wahren Urtheils konnte ein anderes ausgesagt worden sein, das, obgleich in allen bisher beobachteten Fällen zu demselben Resultat führend, als ein allgemeines Gesetz falsch ist. Ausnahmen von dem Causalgesetz dagegen kennen wir nicht allein nicht, sondern die Ausnahmen, welche die speciellen Gesetze beschränken oder scheinbar ungültig machen, sind so weit entfernt, dem allgemeinen Gesetz zu widersprechen, dass sie dasselbe sogar bestätigen, indem wir in allen unserer Beobachtung offen genug liegenden Fällen im Stande sind, den unterschied des Resultats entweder auf die Abwesenheit einer Ursache, die in gewöhnlichen Fällen vorhanden war, oder auf die Gegenwart einer sonst abwesenden Ursache zurückzuführen.

Da das Gesetz von Ursache und Wirkung soweit gewiss ist, so kann es seine Gewissheit allen anderen inductiven Urtheilen mittheilen, die daraus abgeleitet werden können, und die engeren Inductionen können angesehen werden, als erhielten sie ihre letzte Bestätigung von diesem Gesetz, indem sich keine einzige unter ihnen findet, die nicht gewisser würde, als sie vorher war, wenn wir im Stande sind, sie mit dieser weiteren Induction zu verbinden und zu zeigen, dass in Uebereinstimmung mit diesem Gesetz nicht geleugnet werden kann, dass alles, was zu existiren beginnt, eine Ursache hat. Die scheinbare Inconsequenz, die Induction durch einfache Aufzählung für den Beweis dieser allgemeinen, das Fundament der wissenschaftlichen Induction bildenden Wahrheit als gültig zu erachten, und ihr in Beziehung auf die engere Induction die Verlässlichkeit abzusprechen, hat daher ihre Rechtfertigung gefunden. Ich gebe vollständig zu, dass wenn das Causalgesetz nicht bekannt wäre, in den ersichtlicheren Fällen von Gleichförmigkeit[112] in den Erscheinungen Generalisation dennoch möglich wäre, und wenn sie auch in allen Fällen mehr oder weniger precär und in manchen äusserst precär wäre, so würde sie doch für die Herstellung eines gewissen Maasses der Wahrscheinlichkeit genügen; was aber die Grösse dieser Wahrscheinlichkeit sein könnte, brauchen wir nicht zu berechnen, da sie niemals den Grad von Gewissheit erreichen würde, den das Urtheil erlangt, wenn sich durch die Anwendung der vier Methoden auf dasselbe die Annahme seines Falschseins als mit dem Causalgesetz unverträglich herausstellt. Wir sind daher logisch berechtigt und durch die Bedürfnisse einer wissenschaftlichen Induction aufgefordert, die aus den frühen rohen Methoden des Generalisirens abgeleiteten Wahrscheinlichkeiten hintanzusetzen, und keine engere Generalisation für bewiesen zu betrachten, ausgenommen soweit sie durch das Causalgesetz bestätigt wird, und keine für wahrscheinlich, ausgenommen soweit man vernunftgemäss erwarten kann, sie so bestätigt zu sehen.

§. 4. Für die Rechtfertigung der wissenschaftlichen Inductionsmethode gegenüber der unwissenschaftlichen, wenn auch die wissenschaftliche immerhin auf der unwissenschaftlichen beruht, mögen die vorhergehenden Betrachtungen genügen. Zur Stütze der Regeln der Induction ist nur nöthig, dass die Generalisation, aus welcher das allgemeine Causalgesetz hervorgeht, eine stärkere und bessere Induction sei, eine Induction, die mehr Vertrauen verdient als irgend eine der untergeordneten Generalisationen. Ich glaube aber, wir dürfen noch einen Schritt weiter gehen und die Gewissheit dieser grossen Induction nicht bloss als relativ, sondern für alle praktischen Zwecke auch als absolut betrachten.

Die Betrachtungen, welche in unseren Tagen dem Beweis des Gesetzes von der Gleichförmigkeit der Succession, als von allen Naturerscheinungen ohne Ausnahme wahr, diesen Charakter von Vollständigkeit und Bündigkeit verleihen, sind meiner Ansicht nach die folgenden: – erstens, wir wissen nun direct, dass es für bei weitem die grösste Anzahl von Naturerscheinungen wahr ist, und wir kennen keine Erscheinungen, für die es nicht wahr wäre, indem man in dieser Beziehung höchstens sagen könnte, dass man bei einigen seine Wahrheit nicht auf einen directen Beweis hin behaupten kann; während Erscheinung auf Erscheinung,[113] in dem Maase als wir besser damit bekannt werden, beständig aus der letzteren Classe in die erstere übergeht, und in allen Fällen, in denen dieser Uebergang noch nicht stattgefunden hat, die Abwesenheit eines directen Beweises durch die Seltenheit oder das Dunkel der Erscheinungen, durch unsere mangelhaften Mittel der Beobachtung, oder durch die logischen Schwierigkeiten, welche aus der Verwicklung der Umstände, in welchen sie stattfinden, erklärt wird; so dass ungeachtet einer eben so strengen Abhängigkeit von gegebenen Bedingungen, als sie bei einer jeden andern Naturerscheinung stattfindet, es nicht wahrscheinlich war, dass wir mit jenen Bedingungen besser bekannt werden konnten, als wir es sind. Ausser dieser ersten Art von Betrachtungen giebt es noch eine zweite, welche den Schluss noch mehr bestärkt. Obgleich es Naturerscheinungen giebt, deren Erzeugung und deren Veränderungen sich allen unseren Versuchen, sie allgemein auf ein bestimmtes Gesetz zurückzuführen, entziehen, so findet man dennoch bei einem jeden derartigen Fall, dass die Naturerscheinung, oder die daran betheiligten Gegenstände in manchen Fällen bekannten Naturgesetzen gehorchen. Der Wind z.B. ist das Bild der Ungewissheit und der Laune, wir finden aber dennoch, dass er in manchen Fällen mit einer eben so grossen Beständigkeit, wie eine jede andere Naturerscheinung, dem Gesetz des Bestrebens der Flüssigkeiten, sich in einer Weise zu vertheilen, dass der Druck auf ihre Theilchen von allen Seiten gleich ist, gehorcht; wie dies bei den Passatwinden und den Monsoons der Fall ist. Von dem Blitze konnte man ehemals annehmen, er gehorche keinen Gesetzen, aber seitdem man ermittelt hat, dass er mit der Elektricität identisch ist, wissen wir, dass dieses Phänomen in mancher Beziehung unbedingt festen Gesetzen gehorcht. Ich glaube nicht, dass es innerhalb der Grenzen unseres Sonnensystems gegenwärtig einen Gegenstand oder einen Vorgang in unserer ganzen Kenntniss der Natur giebt, wovon nicht durch directe Beobachtung entweder ermittelt wäre, dass er seinen eigenen Gesetzen folgt, oder wovon nicht bewiesen wäre, dass er Gegenständen und Vorgängen, welche sich in einer uns geläufigeren Weise oder nach einem kleineren Maassstabe kundgeben und hierin strengen Gesetzen folgen, genau ähnlich sieht. Unsere Unfähigkeit, dieselben Gesetze, wenn sie nach einem grösseren Maassstabe und in den dunkleren Fällen[114] wirken, nachzuweisen, erklärt sich durch die Zahl der modificirenden Ursachen, oder durch ihre Unzugänglichkeit für die Beobachtung.

Der Fortschritt der Erfahrung hat daher den Zweifel zerstreut, welcher so lange in die Allgemeinheit des Causalgesetzes gesetzt werden musste als es Naturerscheinungen gab, die scheinbar sui generis und nicht denselben Gesetzen wie eine jede andere Classe von Erscheinungen unterworfen waren, und von denen dennoch nicht ermittelt war, dass sie ihre eigenen besonderen Gesetze haben. Ehe indessen hinreichende Gründe vorhanden waren, um sie als eine Gewissheit anzunehmen, konnte diese weite Generalisation mit Recht, wie es auch in der That geschah, als eine Wahrscheinlichkeit von der höchsten Ordnung behandelt werden. Denn was in unzähligen Fällen als wahr befunden worden ist, und bei gehöriger Untersuchung sich in keinem Fall als falsch erwies, können wir mit Sicherheit solange als universal betrachten, als sich nicht eine unzweifelhafte Ausnahme darbietet; wenn die Natur des Falles nur der Art ist, dass eine wirkliche Ausnahme unserer Beobachtung nicht leicht entgehen konnte. Wenn eine jede für die Beantwortung der Frage uns hinlänglich bekannte Naturerscheinung eine Ursache hatte, wovon sie beständig eine Folge war, so war es rationeller anzunehmen, unsere Unfähigkeit, die Ursachen anderer Naturerscheinungen nachzuweisen, gehe aus unserer Unwissenheit hervor, als anzunehmen, es gebe Naturerscheinungen, welche keine Ursachen haben, und es seien dies zufällig gerade diejenigen, die wir bisher nicht genug Gelegenheit hatten zu studiren.

Es muss zugleich bemerkt werden, dass die Gründe für diese Zuverlässigkeit nicht in uns unbekannten Umständen und über die mögliche Grenze unserer Erfahrung hinaus gültig sind. Es würde thöricht sein, mit Zuversicht zu behaupten, es herrsche in entfernten Theilen der Sternenregion, wo die Naturerscheinungen ganz verschieden von denjenigen sein können, an die wir gewöhnt sind, dieses allgemeine Gesetz, oder es herrschten jene specielleren Gesetze, die wir auf unserem Planeten allgemein gültig finden. Die Gleichförmigkeit in der Folge von Naturerscheinungen, auch das Causalgesetz genannt, muss angesehen werden als ein Gesetz nicht des Universums, sondern nur des innerhalb des Bereiches unserer sichern Beobachtung liegenden Theiles desselben und kann nur in[115] einem mässigen Grade auf angrenzende Fälle ausgedehnt werden. Es noch weiter auszudehnen, hiesse eine unbewiesene Voraussetzung machen, und bei Abwesenheit eines jeden aus der Erfahrung stammenden Grundes, wonach ihr Grad von Wahrscheinlichkeit berechnet werden könnte, wäre der Versuch, ihr irgend einen Grad von Wahrscheinlichkeit beizulegen, vergeblich.140[116]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 2, Braunschweig 31868, S. 102-117.
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