2. Kapitel. Die Entwicklung des Idealismus.

[476] Die Ausbildung der von Kant gewonnenen Prinzipien zu den umfassenden Systemen der deutschen Philosophie vollzog sich unter der Zusammenwirkung sehr verschiedenartiger Umstände. In äußerer Hinsicht wurde es zunächst von Bedeutung, daß der Kritizismus, nachdem er anfänglich das Geschick der Nichtbeachtung und des Mißverständnisses erlebt hatte, zuerst von den führenden Geistern der Universität Jena auf den Schild erhoben und zum Mittelpunkt einer glänzenden akademischen Lehrtätigkeit gemacht wurde: darin aber lag der Anlaß dazu, die Fundamente, welche Kant durch seine sorgsame Scheidung und feine Anordnung der philosophischen Probleme gelegt hatte, zu einem einheitlichen und eindrucksvollen Lehrsystem auszubauen. Der Systemtrieb hat das philosophische Denken zu keiner Zeit so energisch beherrscht wie zu dieser, und ein gut Teil der Schuld daran hatte das Begehren einer in hoher und vielseitiger Erregung begriffenen Zuhörerschaft, die von dem Lehrer eine geschlossene wissenschaftliche Weltanschauung verlangte.

In Jena aber befand sich die Philosophie dicht neben Weimar, der Residenz Goethes und der literarischen Hauptstadt von Deutschland. In stetiger persönlicher Berührung regten sich hier Dichtung und Philosophie gegenseitig an, und seitdem Schiller die gedankliche Verbindung zwischen beiden hergestellt hatte, griffen sie mit ihrer rapiden Vorwärtsbewegung immer inniger und tiefer ineinander.

Ein drittes Moment ist rein philosophischer Natur. Ein folgenreiches Zusammentreffen wollte es, daß gerade zu der Zeit, wo die Vernunftkritik des »alles zermalmenden« Königsbergers sich Bahn zu brechen anfing, in Deutschland das festestgefügte und wirkungsvollste aller metaphysischen Systeme, der Typus des »Dogmatismus«, bekannt wurde: der Spinozismus. Durch den Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn, der sich auf Lessings Stellung zu Spinoza bezog, war des letzteren Lehre eben in das lebhafteste Interesse gerückt, und so wurden bei dem tiefen Gegensatz, der zwischen beiden waltet, Kant und Spinoza die beiden Pole, um welche sich das Denken der folgenden Generation bewegte.

Das Vorwiegen des kantischen Einflusses läßt sich nun aber hauptsächlich darin erkennen, daß der gemeinsame Charakter aller dieser Systeme der Idealismus ist951: sie entwickeln sich sämtlich aus den antagonistischen Gedankenmächten,[476] die in Kants Behandlung des Ding-an-sich-Begriffes miteinander verschlungen waren. Nach kurzer Zeit kritischen Zögerns übernahmen Fichte, Schelling und Hegel die Führung, um die Welt restlos als ein System der Vernunft zu begreifen. Der kühnen Energie ihrer metaphysischen Spekulation, die von zahlreichen Schülern zu bunter Mannigfaltigkeit ausgebreitet wurde, tritt in Männern wie Schleiermacher und Herbart die kantische Erinnerung an die Grenzen der menschlichen Erkenntnis gegenüber: während anderseits dasselbe Motiv sich teils in mystischer Richtung wie bei Jacobi und später bei Fichte, teils in den Bildungen einer Metaphysik des Irrationationalen durch Schellings spätere Lehre und bei Schopenhauer entfaltete.

Gemeinsam aber ist allen diesen Systemen die Allseitigkeit des philosophischen Interesses, der Reichtum an schöpferischen Gedanken, die Feinfühligkeit für die Bedürfnisse der modernen Bildung und die siegreiche Kraft einer prinzipiellen Durcharbeitung des historischen Ideenstoffes.

Die Kritik der reinen Vernunft fand anfangs wenig Beachtung, später heftige Gegnerschaft. Den bedeutendsten Anstoß dazu gab Friedrich Heinrich Jacobi (1743 bis 1819, der Jugendfreund Goethes, eine typische Persönlichkeit für die Entwicklung des deutschen Gefühlslebens aus der Zeit von Sturm und Drang bis in die der Romantik. der Hauptvertreter des Prinzips der religiösen Sentimentalität, zuletzt Präsident der Münchener Akademie). Seine Hauptschrift führt den Titel: »David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus« (1787); dazu die Abhandlung »Ueber das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen« (1802). Die Schrift »Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung« (1811) ist gegen Schelling gerichtet. Vgl. auch seine Einleitung in die philosophischen Schritten im zweiten Bande der Gesamtausgabe (6 Bde., Leipzig 1812-1825). Ueber seine Lehre FR. HARMS (Berlin 1876), FR. ALFR. SCHMID, (Heidelberg 1908). Sein Hauptschüler war Fr. Köppen (1775-1858) Darstellung des Wesens der Philosophie, Nürnberg 1810, (vgl. über ihn den Art. K. von W. WINDELBAND in Ersch und Grubers Encyklopädie).

Ferner sind als Gegner Kants zu nennen Gottlob Ernst Schulze (1761-1823) der Verfasser der anonymen Schrift »Aenesidemus oder über die Fundamente der Elementarphilosophie« (1792, Neudruck 1911) und einer »Kritik der theoretischen Philosophie« (Hamburg 1801), J. G. Hamann (vgl. oben § 36, 7), dessen »Rezension« der Kritik erst 1801 in Reinholds Beiträgen gedruckt wurde, und G. Herder in seiner Schrift »Verstand und Vernunft eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft« (1799), sowie in der »Kalligone« (1800).

Positiver wirkten in der Entwicklung der kantischen Lehre Jac. Sig. Beck (1761 bis 1842; Einzig möglicher Standpunkt, aus welchem die kritische Philosophie beurteilt werden muß, Riga 1796; vgl. W. DILTHEY im Arch. f. Gesch. d. Philos. II. 592 ff.) und Salomon Maimon (gest. 1800; Versuch einer Transzendentalphilosophie, 1790; Versuch einer neuen Logik. 1794; Die Kategorien des Aristoteles, 1794; vgl. J. WITTE, S. M., Berlin 1876, u. A. MÖLTZNER, Greifswald 1890).

In Jena wurde die kantische Philosophie durch den Professor Erh. Schmid eingeführt; ihr Hauptorgan war die seit 1785 unter der Redaktion von Schütz und Hufeland dort erscheinende »Allgemeine Literaturzeitung«. Den meisten Erfolg für die Verbreitung des Kritizismus hatten K. L. Reinholds zuerst in Wielands »deutschem Merkur« (1786) erschienene Briefe über die kantische Philosophie.

Derselbe beginnt auch die Reihe der Umbildungen. Karl Leonh. Reinhold (1758 bis 1823). aus dem Barnabitenkloster in Wien entflohen 1788 Professor in Jena, von 1794 an in Kiel, schrieb »Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens« (Jena 1789), »Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse in der Philosophie« (1790) und »Das Fundament des philosophischen Wissens« (1791). Er war ein temperamentvoller, aber wenig selbständiger Mann; seine Fähigkeit des Anempfindens[477] und ein gewisses Geschick des Formulierens haben ihn der kantischen Sache große, aber nicht unbedenkliche Dienste leisten lassen. Darin besteht die Bedeutung seiner Jenenser Zeit; später geriet er nach mannigfachem Wechsel seines Standpunkts in Wunderlichkeit und Vergessenheit. Die in der Jenenser Zeit vorgetragene Lehre gab in großen Zügen eine oberflächliche systematische Darstellung, die alsbald zum Schulsystem der »Kantianer« wurde. Die Namen dieser zahlreichen Männer ihrer Vergessenheit zu entreißen, ist nicht dieses Orts.

Sehr viel feiner, geistreicher und selbständiger hat Kants Ideen Fr. Schiller verarbeitet. Von seinen philosophischen Abhandlungen sind hauptsächlich zu nennen: Anmut und Würde, 1793, Vom Erhabenen, 1793, Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, 1795, Ueber naive und sentimentalische Dichtung, 1796, dazu die philosophischen Gedichte wie, »Die Künstler« »Ideal und Leben« und der Briefwechsel mit Körner, Goethe und W. v. Humboldt. Vgl. K. TOMASCHEK, Sch. in seinem Verhältnis zur Wissenschaft, Wien 1862, K. TWESTEN, Sch. in seinem Verhältnis zur Wissenschaft, Berlin 1863, KUNO FISCHER, Sch. als Philosoph, 2. Aufl. 1891; FR. UEBERWEG, Sch. als Historiker und Philosoph hrsg. von BRASCH, Leipzig 1884; G. GEIL Sch.s Verhältnis zur kantischen Ethik, Straßburg 1888, K. GNEISSE, Sch.s Lehre von der ästhetischen Wahrnehmung, Berlin 1893; K. BERGER, Die Entwicklung von Sch.s Aesthetik, Weimar 1893; E. KÜHNEMANN, Kants und Sch.s Begründung der Aesthetik, München 1895; DERS., Schiller (München 1905); K. BERGER, Sch. (München 1904); B. C. Engel (Berlin 1908), Außerdem die Abhandlungen zur Centenarfeier, Kantstudien X, 2 (1905).


Johann Gottlieb Fichte, 1762 zu Rammenau in der Lausitz geboren, in Schulpforta und an der Universität Jena gebildet, erhielt, nachdem er manche Schicksale als Hauslehrer durchgemacht hatte und durch seine, zufällig anonym erschienene und allgemein Kant zugeschriebene Erstlingsarbeit »Kritik aller Offenbarung« (1792) berühmt geworden war, 1794 in Zürich den Ruf als Reinholds Nachfolger auf dem Jenenser Katheder. Nach glänzender Wirksamkeit wurde er 1799 wegen des »Atheismusstreites« (vgl. seine »Appellation an das Publikum« und die »Gerichtliche Verantwortungsschrift«. dazu H. RICKERT, F.s Atheismusstreit, Kantstudien Bd. IV, S. 137 ff.) entlassen und ging nach Berlin, wo er mit den Romantikern in Verkehr trat. 1805 war er zeitweilig der Universität Erlangen zugewiesen, 1806 ging er nach Königsberg und kehrte dann nach Berlin zurück, wo er im Winter 1807/08 die »Reden an die deutsche Nation« hielt. An der neu errichteten Berliner Universität fungierte er als Professor und als erster gewählter Rektor. Er starb 1814 am Lazarettfieber. Vgl. J. G. F.s Leben und literarischer Briefwechsel, hrsg. von seinem Sohne, Sulzbach 1830 (1862). Wie er sieh mit großer Energie aus schwierigen Verhältnissen herausgearbeitet hat, so ist sein ganzes Leben von Tatendurst und Weltverbesserungsbedürfnis erfüllt. Mit den Prinzipien der kantischen Lehre will er das Leben, zunächst das Universitätswesen und das Studententum, reformieren. Als Redner und Prediger findet er den Kern seiner Wirksamkeit. Hochfliegende Pläne, ohne Rücksicht auf das Wirkliche und oft wohl auch ohne genügende Kenntnisse des Gegebenen, bilden den Inhalt seines rastlosen Strebens, in welchem sieh die »Philosophie des Willens« verkörpert. Vor allem hat er die Unerschrockenheit und Selbstlosigkeit seines Idealismus in sei nen »Reden an die deutsche Nation« bewährt, in denen er mit glühendem Patriotismus sein Volk zur geistigen Einkehr in sieh selbst. zur sittlichen Reform und dadurch zur politischen Befreiung aufrief Die Hauptschriften sind: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, 1794; Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre, 1795, Naturrecht, 1796; Die beiden Einleitungen in die Wissenschaftslehre, 1797, System der Sittenlehre, 1798; Die Bestimmung des Menschen, 1800; Der geschlossene Handelsstaat, 1801; Ueber das Wesen des Gelehrten, 1805; Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 1806; Anweisung zum seligen Leben, 1806; Staatslehre, Vorlesungen 1813. Werke, 8 Bde., Berlin 1845 f., Nachgel. Werke, 3 Bde., Bonn 1834: Neuausgaben in Auswahl bes. v. FR. MEDICUS, Leipzig 1911, Briefwechsel mit Schelling Leipzig 1856. Vgl. J. H. LÖWE, Die Philos. Fichtes, Stuttgart 1862. R. ADAMSON, Fichte London 1881. G. SCHWABE, F.s und Schopenhauers Lehre vom Willen, Jena 1887. M. CARRIÈRE, F.s Geistesentwicklung, München 1894. E. LASK, Fichtes Idealismus und die Geschichte, Tübingen und Leipzig 1902. W. KABITZ, Studien zu F.s Wissenschaftslehre, Berlin 1902. G. TEMPEL, F. s. Stellung zur Kunst, Straßb. 1902. ALFR. SCHMID, F.s Philos. und das Problem ihrer inneren Einheit, Freiburg 1904. X. LÉON, La philosophie de F., Paris 1902. DERS., Fichte contra Schelling, 2. Kongreß für Philos. Geneve 1904, p. 294 ff. Fr. MEDICUS, J. G. F. (Berlin 1905). F. DANNENBERG, Eine bisher unveröffentlichte Abhandlung F.s (Kantstudien XVI, 1911 S. 361 ff.).

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, 1775 zu Leonberg (Württemberg) geboren, kam nach seiner Ausbildung in Tübingen 1796 nach Leipzig, wurde 1798 Professor in Jena und 1803 in Würzburg, 1806 an die Münchener Akademie berufen; zeitweilig[478] (1820-1826) an der Erlanger Universität tätig, trat er 1827 in die neu begründete Münchener Universität ein. Von hier folgte er 1840 dem Rufe nach Berlin, wo er seine Lehrtätigkeit bald aufgab. Er starb 1854 in Ragaz. Vgl. Aus Sch.s Leben in Briefen, hrsg. von G. WAITZ, Leipzig 1871. In seiner Persönlichkeit überwiegt die kombinative Fähigkeit einer allseitig angeregten Phantasie: Religion und Kunst, Naturwissenschaft und Geschichtsforschung bieten ihm einen reichen Inhalt dar, durch den er die kantisch-fichtesche Systematik sachlich zu beleben und mit vielen andern Interessen in anregenden und fruchtbaren Zusammenhang zu setzen weiß. Aber da durch erklärt es sich auch, daß er in fortwährender Umbildung seiner Lehre begriffen erscheint, während er selbst in der Grundauffassung von Anfang bis zu Ende sieh gleich zu bleiben meinte. Seine philosophische und schriftstellerische Entwicklung zerfällt in fünf Perioden: 1) Die Naturphilosophie: Ideen zu einer Philos. der Natur, 1797; Von der Weltseele, 1798; Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, 1799; – 2) Der ästhetische Idealismus: Der transzendentale Idealismus, 1800, Vorlesungen über die Philosophie der Kunst; – 3) Der absolute Idealismus: Darstellung meines Systems der Philosophie, 1801; Bruno oder über das natürliche und göttliche Prinzip der Dinge 1802; Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, 1803; – 4) Die Freiheitslehre: Philosophie und Religion, 1804; Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, 1809; Denkmal der Schrift Jacobis von den göttlichen Dingen, 1812; – 5) Philosophie der Mythologie und Offenbarung, Vorlesungen im zweiten Teil der Schriften. – Ges. Werke, 14 Bde., Stuttg. und Augsb. 1856-1861. Vgl. über ihn Vorlesungen von K. ROSENKRANZ, Danzig 1843; ferner L. NOACK, Sch. und die Philos. der Romantik, Berlin 1859; E. v. HARTMANN, Sch.s positive Philosophie, Berlin 1869; DERS. Sch.s philosophisches System, Leipzig 1897, R. ZIMMERMANN, Sch.s Philosophie der Kunst, Wien 1876, C. FRANTZ, Sch.s positive Philosophie, Cöthen 1879 f., FR. SCHAPER, Sch.s Philos. der Mythologie und der Offenbarung, Nauen 1893 f.; G. MEHLIS, Sch.s Geschichtsphilosophie, Heidelberg 1906; O. BRAUN, Sch. als Persönlichkeit, Leipzig 1908.

Unter den Schelling nahestehenden Denkern mögen hervorgehoben sein: von den Romantikern (vgl. RUD. HAYM, Die romantische Schule, Berlin 1870; RIC. HUCH, Die Blütezeit der Rom., Leipzig 1901, Ausbreitung und Verfall der Rom. 1902; OSC. EWALD, Die Probleme der Romantik, Berlin 1904, ERWIN KIRCHER, Die Philosophie der Romantik, Jena 1906 OSC. WALZEL, Deutsche Romantik, Leipzig 1908) Fr. Schlegel (1772 bis 1829; Charakteristiken und Kritiken im »Athenäum« 1799 f.; Lucinde 1799, Philosophische Vorlesungen aus den Jahren 1804-1806, hrsg. von WINDISCHMANN, 1836 f. Sämtliche Schriften, 15 Bde., Wien 1846) und Novalis (Fr. v. Hardenberg, 1772-1801; über ihn E. HEILBORN, Berlin 1901, W. DILTHEY [in »Erlebnis und Dichtung«, Berlin 1906]; H. SIMON, Der magische Idealismus, Heidelberg 1906), auch K. W. F. Solger 1780-1819, Erwin, 1815 Philosophische Gespräche 1817, Vorlesungen über Aesthetik, hrsg. von HEYSE, 1829j, Ferner Lor. Oken (1779-1851, Lehrbneh der Naturphilosophie, Jena 1809, vgl. A. ECKER, L. O., Stuttgart 18S0), H. Steffens (1773-1845), ein Norweger, Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft, (1806). G. H. Schubert (1780 bis 1860, Ahndungen einer allg. Geschichte des Lebens, 1806 f.), J. J. Wagner (1776 bis 1851, System der Idealphilosophie, 1804, Organon der menschlichen Erkenntnis 1830); Franz Baader (1765-1841; Fermenta cognitionis, 1822 ff. Spekulative Dogmatik 1827 ff; Ges. Schriften mit Biographie von FR. HOFFMANN hrsg., Leipzig 1851 ff.) endlich K Chr. Fr. Krause (1781-1832, Entwurf des Systems der Philosophie, 180i, Urbild der Menschheit, 1811 Abriß des Systems der Philosophie, 1825, Vorlesungen über das System der Philosophie, 1828. In den letzten Jahrzehnten sind aus dem Nachlaß unerschöpfliche Massen erschienen, hrsg. von P. HOHLFELD und A. WÜNSCHE: Vgl. R. EUCKEN, Zur Erinnerung an K., Leipzig 1881).

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Schellings älterer Freund, war 1770 in Stuttgart geboren, studierte in Tübingen, war Hauslehrer in Bern und Frankfurt und begann 1801 seine Lehrtätigkeit in Jena, wo er 1805 außerordentlicher Professor wurde. Nach 1806 wurde er Zeitungsredakteur in Bamberg und 1808 Gymasialdirektor in Nürnberg. 1816 ging er als Professor nach Heidelberg, 1818 von da nach Berlin, wo er bis zu seinem Tode 1831 als Haupt einer immer glänzender sieh ausbreitenden Schule wirkte. Er veröffentlichte außer den Abhandlungen m dem mit Schelling herausgegebenen kritischen »Journal der Philosophie«: Phänomenologie des Geistes, 1807, Wissenschaft der Logik 1812 ff., Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1817, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821. Seit 1827 waren die »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« das Organ seiner Schule. Die Werke mit Einschluß der von seinen Schülern redigierten Vorlesungen wurden in 18 Bdn., Berlin 1832 ff., herausgegeben. H. war eine durchaus lehrhafte und schematisierende Natur. Ein überaus reiches und gründliches Wissen, das auf den historischen Gebieten noch tiefer und umfassender war als auf den naturwissenschaftlichen, ordnet sieh bei ihm zu einem großen systematischen Gefüge;[479] Phantasie und praktische Absieht treten in seinem Leben weit hinter dem rein intellektualen Bedürfnis zurück, die Gesamtheit der menschlichen Erkenntnisse als eine historische Notwendigkeit und einen einheitlichen Zusammenhang zu begreifen. Diese didaktische Uniformität tritt auch in seiner Ausbildung der Terminologie im guten wie im schlechten Sinne hervor. Aus der sehr ausgebreiteten Literatur seien genannt: C. ROSENKRANZ, H.s Leben (Berlin 1844), und H. als deutscher Nationalphilosoph (Berlin 1870), H. ULRICI, Ueber Prinzip und Methode der H. schen Philos. (Leipzig 1841): 11. HAYM, H. und seine Zeit (Berlin 1857); J. HUTCHINSON STIRLING. The secret of Hegel (London 1867), K. KÖSTLIN, H. (Tübingen 1870), J. KLAIBER, Hölderlin. Schelling und Hegel in ihren schwäbischen Jugendjahren (Stuttgart 1877), E. CAIRD, H. (London 1883); MORRIS, H.s philosophy of the state and of history (London 1888); P. BARTH, Die Geschichtsphilos. H.s (Leipzig 1890); W. WALLACE, Prolegomena to the study of H.s philosophy (Oxford 1894); J. GRIER HIBBEN, H. s. Logic (Newyork 1902); B, CROCE;, Ciò che e vivo e ciò che e morte in H. (deutsch Heidelberg 1909). Vor allem ist KUNO FISCHERS Werk über Hegel, achter Band seiner »Geschichte der neueren Philosophie«, hervorzuheben (Neue Auflage mit wertvollen Ergänzungen von H. FALKENHEIM, hrsg. von LASSON, Heidelberg 1909). Einen äußerst wertvollen Einblick in H.s Jugendentwicklung gewährt auf Grund der auf der Berliner Bibliothek enthaltenen (z. T. von MOLLAT, 1893 und NOHL, 1907 herausgegebenen) Manuskripte W. DILTHEY (Abhandl. der Berl. Akad. 1906).


Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher, 1768 in Breslau geboren, auf den Herrnhutischen Erziehungsanstalten zu Niesky und Barby und auf der Universität Halle gebildet, nahm nach Privatstellungen ein Vikariat in Landsberg a. d. W. und 1796 die Funktion als Prediger an der Berliner Charité an. 1802 ging er als Hofprediger nach Stolpe, 1804 als Extraordinarius nach Halle, 1806 wieder nach Berlin, wo er 1809 Prediger an der Dreifaltigkeitskirche und 1810 Professor an der Universität wurde. Beide Aemter verwaltete er, erfolgreich zugleich in der kirchenpolitischen Bewegung (Union) stehend, bis zu seinem Tode 1834. Seine philosophischen Schriften bilden die dritte Abteilung der nach seinem Tode gesammelten Werke (Berlin 1835 ff.). Sie enthält die Vorlesungen über Dialektik, Aesthetik etc. : unter den Schriften sind zu erwähnen: Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799); Monologen (1800); Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1808). Das wichtigste Werk, die Ethik, liegt in der Sammlung in der Redaktion von AI. . SCHWEIZER, außerdem in einer Ausgabe von A. TWESTEN (Berlin 1841) vor. Schl.s liebenswürdiges, feinsinnig ausgleichendes Wesen entwickelt sieh besonders in den Versuchen, die ästhetische und philosophische Bildung seiner Zeit mit dem religiösen Bewußtsein in Einklang zu setzen. Mit zarter Hand weil; er zwischen beiden gedankliche Fäden herüber und hinüber zu spinnen und den Gegensatz der Anschauungen und Begriffe im Gefühl versöhnend aufzuheben. Vgl. Aus Schl.s Leben, in Briefen, hrsg. von L. JONAS und W. DILTHEY, 4 Bde., Berlin 1858-1863. – D. SCHENKEL, Schl., Elberfeld 1868; W. DILTHEY, Leben Schl. s. Bd. I, Berlin 1870; A. RITSCHL, Schl.s Reden üb. d. Rel., Bonn 1875: CHR. SIGWART, Zum Gedächtnis Schl.s (Kleine Schriften I, 221 ff.); F. BACHMANN, Die Entwicklung der Ethik Schl. s, Leipzig 1892; TH. CAMERER, Spinoza und Schleiermacher (Stuttg. 1903).

Vgl. aueh E. FUCHS, Vom Werden dreier Denker; Fichte, Schelling und Schleiermacher (Tübingen 1904). – S. ECK, Aus den großen Tagen der deutschen Philosophie (Tüb. 1901).

Johann Friedrich Herbart, 1776 zu Oldenburg geboren, dort und an der Jenenser Universität gebildet, eine Zeit lang in Bern als Hauslehrer tätig und mit Pestalozzi bekannt, wurde 1802 Privatdozent in Göttingen, war 1809-1833 Professor in Königsberg und kehrte dann als solcher nach Göttingen zurück, wo er 1841 starb. Seine Hauptschriften sind: Hauptpunkte der Metaphysik, 1806, Allgemeine praktische Philosophie 1808; Einleitung in die Philosophie 1813; Lehrbuch zur Psychologie, 1816, Psychologie als Wissenschaft 1824 f. Gesamtausgabe von G. Hartenstein, 12 Bde., Leipzig 1850 ff.; in 15 Bänden von K. Kehrbaeh 1882 bis 1909. Die pädagogischen Schriften hat O. Willmann in 2 Bdn., Leipzig 1873 bis 1875, herausgegeben. H.s philosophische Tätigkeit ist durch begrifflichen Scharfsinn und polemische Energie ausgezeichnet. Für das, was ihm an anschaulicher Fülle und an ästhetischer Beweglichkeit abgeht, entschädigt er durch ernste Gesinnung und eine hohe, ruhig klare Lebensauffassung. Seine streng wissenschaftliche Art hat Ihn für geraume Zeit zu einem erfolgreichen Gegner der dialektischen Richtung der Philosophie gemacht. Vgl. G. HARTENSTEIN Die Probleme und Grundlehren der allgemeinen Metaphysik (Leipzig 1836), J. KAFTAN, Sollen und Sein (Leipzig 1872); J. CAPESIUS, Die Metaphysik Herbarts (Leipzig 1878), G. A. HENNIG Joh. Fr. H. (Pädagog. Sammelmappe 62, Leipzig 1884), A. RIMSKY-KORSAKOW, H.s Ontologie (Petersburg 1903); W. KINKEL, J. Fr. H., sein Leben und seine Philos, (Gießen 1903); FR. FRANKE, J. F. H., Grundzüge seiner Lehre (Leipzig 1909).[480]

Arthur Schopenhauer, 1788 in Danzig geboren, ging erst spät zum wissenschaftlichen Leben über, studierte in Göttingen und Berlin, promovierte 1813 in Jena mit der Schrift über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, lebte zeitweilig in Weimar und Dresden, habilitierte sich 1820 in Berlin, zog sich aber, nachdem er in einer mehrfach durch Reisen unterbrochenen Lehrtätigkeit keinen Erfolg gehabt, 1831 in das Privatleben nach Frankfurt a. M. zurück, wo er 1860 starb. Das Hauptwerk ist Die Welt als Wille und Vorstellung, 1819. Daran schließen sich »Ueber den Willen in der Natur«, 1836, »Die beiden Grundprobleme der Ethik«, 1841; endlich »Parerga und Paralipomena«, 1851. Gesamtausgabe in 6 Bdn. Leipzig 1873 f., seitdem mehrfach herausgegeben und durch Nachlaß, Briefe etc. vervollständigt, am sorgfältigsten von E. GRISEBACH. Eine neue Ausgabe. von P. DEUSSEN redigiert, seit 1911 im Erscheinen. Sch.s eigenartige, widerspruchsvolle Persönlichkeit ist wie seine Lehre am tiefsten von KUNO FISCHER (9. Bd. der Gesch. d. neueren Philos., 3. Aufl. 1908) erfaßt worden. Der eigensinnigen Leidenschaftlichkeit seines Charakters paart sich eine geniale Freiheit des Intellekts, die einen großen Reichtum gelehrten Wissens mit glücklicher Kombinationsgabe zu überschauen und zusammenzuschauen vermag, zugleich aber die so gefundene Welt und Lebensanschauung mit künstlerischer Vollendung zur Darstellung zu bringen weiß. Einer der größten philosophischen Schriftsteller, hat Sch. durch seine Kunst zu formulieren und seine von aller gelehrten Pedanterie freie, an das gebildete Bewußtsein geistreich anknüpfende Sprache die größten Wirkungen ausgeübt. Wenn er sich dabei über seine historische Stellung in der nachkantischen Philosophie täuschte und dadurch in eine fast pathologische Einsamkeit brachte, so hat er doch anderseits vielen Grundgedanken dieser ganzen Entwicklung die glücklichste und wirksamste Form gegeben. Vgl. W. GWINNER, Sch.s Leben, 2. Aufl. (Leipzig 1878); J. FRAUENSTÄDT, Briefe über die Sch. sche Philosophie (Leipzig 18S4), R. SEYDEL, Sch.s System (Leipzig 1857), R. HAYM, A. Sch. (Berlin 1864); G. JELLINEK, Die Weltanschauungen Leibniz' und Schopenhauers (Leipzig 1872); W. WALLACE, Sch. (London 1891); R. LEHMANN, Sch., ein Beitrag zur Psychologie der Metaphysik (Berlin 1894); E. GRISEBACH, Sch. (Leipzig 1897); J VOLKELT, Arth. Sch. (Stuttgart 1900).


Neben der metaphysischen Hauptentwicklung läuft eine psychologische Nebenlinie, eine Reihe solcher Schulen, welche den Lehren der großen Systeme sich auf dem Wege psychologischer Methode oft eklektisch nähern. So verhält sieh zu Kant und Jacobi J. Fr. Fries (1773-1843; »Reinhold, Fichte und Schelling«, 1803, Wissen Glaube und Ahndung, 1805, Neue Kritik der Vernunft, 1807; Psychische Anthropologie 1820 f. Vgl. KUNO FISCHER, Die beiden kantischen Schulen in Jena, Akad. Reden, Stuttg. 1862; TH. ELSENHANS, Fries und Kant I, Gießen 1906) – zu Kant und Fichte Wilh. Traug. Krug (1770-1842; Organon der Philosophie, 1801; Handwörterbuch der philos. Wissenschaften, 1827 ff.) – zu Fichte und Schelling Fried. Bouterwek (1766-1828; Apodiktik, 1799, Aesthetik, 1806) – zu Schelling J. P. V. Troxler (1780-1866; Naturlehre des menschlichen Erkennens, 1828) – zu Herbart endlich Fr. Beneke (1798-1854, Psychologische Skizzen, 1825 und 1827, Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft, 1882 Metaphysik und Religionsphilosophie, 1840, Die neue Psychologie, 1845; vgl. über ihn FR. B. BRAND, Newyork 1895, O. GRAMZOW, Bern 1899).

Quelle:
Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 61912, S. 476-481.
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