Apostolisches Zeitalter

[796] Apostolisches Zeitalter, die Zeit der selbständigen Wirksamkeit der Apostel zur Begründung des Christenthums, also von der Ausgießung des heil. Geistes am ersten Pfingsttage bis zum Tode der einzelnen Apostel, od. im Allgemeinen das 1. Jahrh. christlicher Zeitrechnung umfassend. Unter den für das Christenthum Gewonnenen machte sich in dieser ganzen Zeit ein Unterschied zwischen Judenchristen u. Heidenchristen geltend, welcher erst allmälig im 2. Jahrh. verschwand. A) Die Judenchristen. Nach dem Scheiden Jesu blieben die Urapostel etwa 25 Jahre in Jerusalem, verkündeten das Evangelium unter den Juden u. gewannen viele, bis Verfolgungen die meisten Christen zerstreuten. Der Hauptsitz des christlichen Judenthums in der Zerstreuung wurde Antiochia in Syrien. Dann trat wieder Ruhe vor den Feinden ein, die Zahl der Christen mehrte sich wieder u. in Jerusalem u. Judäa gab es zahlreiche Christengemeinden, als der Jüdische Krieg hereinbrach. Schon kurz vor der Zerstörung Jerusalems (im J. 70) hatten sich die dortigen Christen nach Pella im Ostjordanlande geflüchtet. In dem verödeten Jerusalem sammelte sich zwar bald wieder eine christliche Gemeinde; indeß, während die Christen bis dahin noch in vielfachen Beziehungen zu den jüdischen Obrigkeiten u. Gottesdiensten gestanden hatten, waren dieselben jetzt durch Verlegung des Sanhedrin nach Jabne u. durch das Aufhören des Tempelcultus in rechtlicher u. gottesdienstlicher Hinsicht von den Juden gänzlich getrennt. Auch sonderte sich das durch den Einfluß der Rabbinen wieder erstarkte Judenthum scharf von den Christen ab, diese wurden von den Juden Minäer genannt u. jeder Verkehr mit ihnen war untersagt. Nach dem Tode des Apostels Jakobus des Gerechten verließen die noch übrigen Urapostel Palästina u. zerstreuten sich in andere Länder. Der Cultus dieser urchristlichen Gemeinden war noch sehr einfach; zum Gebet u. Brodbrechen (Agapen) kamen sie in Privathäusern zusammen, predigten öffentlich, tauften die neu Hinzutretenden; außerdem nahmen sie bis zur Zerstörung Jerusalems an dem hergebrachten Gottesdienst der Juden im Tempel Theil, hielten sich an die Synagoge u. besuchten am Sabbath den Gottesdienst in derselben. Neben dem Sabbath wurde wohl bald der Auferstehungstag Jesu, der Sonntag, gottesdienstlich ausgezeichnet. In Bezug auf das gesellige Leben bestand in der Gemeinde zu Jerusalem Gütergemeinschaft, welche sich indeß bald als unhaltbar herausstellte u. keine weitere Nachahmung fand. Die Leiter der Gemeinde in Lehramt u. Verwaltung waren die Apostel, zu ihren Gehülfen od. als Stellvertreter bei ihrer Abwesenheit setzten sie Vorsteher ein, welche Älteste (Presbyteren) hießen; jüngere Gemeindeglieder unterzogen sich freiwillig den vorkommenden Handreichungen u. Diensten. Auch das Amt der Diakonen kommt in Jerusalem zuerst vor. B) Die Heidenchristen. In der Urgemeinde zu Jerusalem waren auch Hellenisten, d.h. Juden mit hellenischer Sprache u. hellenischem Wesen, welche mit ihrer freieren Geistesrichtung die Ausbreitung des Evangeliums unter den Heiden vorbereiteten u. durch die erste Christenverfolgung (64–68) aus Jerusalem flüchtig geworden, dasselbe selbst vor Heiden mit Erfolg verkündigten. Die eigentliche Heidenmission aber begann erst mit dem Auftreten des Paulus, welcher durch eine Berufung des verklärten Christus neben die Urapostel gleichberechtigt als Apostel der Heiden trat. Über seine Missionsreisen s.u. Paulus. Er gründete Gemeinden in Kleinasien, Macedonien u. Griechenland, welche aus Juden- u. Heidenchristen bestanden. Bei diesen gemischten Gemeinden außerhalb Palästina gestaltete sich vermöge ihrer Ablösung vom israelitischen Tempel- u. Synagogenwesen der Gottesdienst freier, selbständiger u. reiner aus dem Geiste des Evangeliums zu einem eigenthümlich christlichen. Die religiösen Zusammenkünfte pflegte man am Sonntag zu halten, welcher in diesen heidenchristlichen Gemeinden an die Stelle des Sabbaths getreten war. Dabei wurden religiöse Vorträge gehalten, u. zwar durfte jeder, mit Ausnahme der Frauen, öffentlich lehrend u. ermahnend in der Gemeinde auftreten, es wurden Hymnen gesungen, gebetet, das Alte Testament u. Briefe der Apostel vorgelesen. Auch kam schon in einzelnen Fällen die Anwendung der Kirchenzucht vor. Unter den heiligen Handlungen traten die Taufe u. das Abendmahl in den Vordergrund. Wie der Cultus so gestaltete sich auch die Verfassung u. Gemeindeordnung in diesen von der theokratischen Volksgemeinschaft Israels unabhängigen heidenchristlichen Gemeinden freier. Die Presbyteren, welche hier auch den Amtsnamen Bischöfe führten, waren die Leiter u. Verwalter der[796] Gemeinden. Neben ihnen erscheinen die Diakonen u. Diakonissen zur hülfreichen Dienstleistung bei Armen, Kranken u. beim Gottesdienst. C) Das Verhältniß zwischen Juden- u. Heidenchristen war anfangs gespannt durch das jüdische Vorurtheil, daß die Heiden sich zuvor durch die Beschneidung der jüdischen Theokratie einverleiben müßten. Zwar wurde auf dem Apostelconcil in Jerusalem im Jahre 50 festgesetzt, daß die Beschneidung nicht zum Heil nothwendig sei u. daß die bekehrten Heiden nur zu den sogenannten Noachischen Geboten (s.u. Hebräer S. 131) verpflichtet werden sollten; dennoch erhob aber jene jüdische Parteimeinung wiederholt ihr Haupt u. wendete sich zugleich gegen Paulus selbst, welchem sie die Würde eines Apostels Christi absprach, so namentlich in Galatien, Korinth, Philippi. Irrlehrer ähnlicher Art wollten neben den äußerlichen Satzungen die Anfänge gnostischer Verirrungen in die Gemeinde von Kolossä verpflanzen, u. derselben Richtung gehören auch die Irrlehrer an, welche in den sogenannten Pastoralbriefen (s.d.) bekämpft werden. Im Übrigen gab sich vielfach durch Unterstützungen, gegenseitige Besprechungen etc. die Liebe u. brüderliche Gemeinschaft der Heidenchristen gegen die judenchristlichen Gemeinden kund, u. das Verhältniß zwischen beiden wurde im Ganzen u. in der Regel ein friedliches u. freundliches. Aber auch rücksichtlich der Lehrbegriffe scheiden sich die Neutestamentlichen Schriften in solche von judenchristlichem u. solche von paulinischem Typus, zu welchen noch die Johanneischen Schriften kommen. Zu der ersteren Art gehören das Matthäus- u. Marcusevangelium, die Briefe des Jakobus, Petrus u. Judas u. die Apokalypse; die paulinische Richtung ist vertreten in den paulinischen Briefen, im Lukasevangelium u. der Apostelgeschichte, an welche Schriften sich als eine Nebenform der Lehrbegriff des Hebräerbriefes (s.d.) anschließt; die johanneische Lehre endlich geht aus dem Evangelium u. den Briefen dieses Apostels hervor, denn man nimmt größtentheils an, daß entweder die Verfasserschaft dieser letztgenannten Schriften dem Johannes zuzuschreiben ist od. die der Apokalypse allein, nicht beider zugleich. Indeß sind die Untersuchungen über die Echtheit des größten Theiles der Neutestamentlichen Schriften noch zu keinem Abschluß gekommen, u. es ist daher eine über allen Zweifel erhabene Darstellung der Verhältnisse im A. Z. nicht möglich. Insbesondere gewinnt die Tübinger Schule, welche bei ihrer Kritik nur die vier großen Paulinischen Briefe (den an die Römer, die zwei an die Korinther u. den an die Galater) u. die Apokalypse als authentische Zeugnisse für diese Zeit betrachten, aber alle andern Schriften des N. T. u. der Apostolischen Väter gegen Ende des 1. od. im 2. Jahrh. aus dem Kampfe zwischen Paulinismus u. Judenchristenthum entstanden denken kann, eine ganz andere Anschauung von dem A. Z. Darnach war nämlich das Christenthum vor Paulus noch gänzlich in jüdischen Vorurtheilen befangen u. die Durchbrechung dieser jüdischen Schranken, die Auffassung des Christenthums als der durch keine Volksunterschiede beschränkten Religion der Menschheit ist das große Verdienst des Paulus. Deshalb fand aber auch in dem A. Z. zwischen Paulus einer- u. den älteren Aposteln andererseits ein wesentlicher Gegensatz statt, welcher einen langwierigen Kampf zwischen beiden Richtungen hervorrief. Bei Lebzeiten des Paulus ist diese Losreißung des Christenthums vom Judenthume nur zweifelhaft u. theilweise siegreich gewesen, aber nach dem Tode des Apostels wurde die paulinische Richtung gänzlich zurückgedrängt.

An das A. Z. schließt sich das Nachapostolische Zeitalter od. die Zeit bis zur Verschmelzung der Juden- u. Heidenchristen zu Ende des 2. Jahrh. Die Judenchristen hatten zu leiden wegen der Revolution der Juden unter Bar Kocheba (s.d.) gegen die Römer, in welcher viele Christen hingerichtet wurden. Das Indenchristenthum, soweit es sich nicht mit dem Heidenchristenthum verschmolz, trennte sich in Ebioniten u. Nazaräer (s.d.), welche zuletzt nur als Secten bestanden. Gleichzeitige Schriften aus diesen Kreisen sind die des Justinus Martyr, die Pseudoclementinischen Recognitionen u. Homilien, des Hegesippus Denkwürdigkeiten kirchlicher Geschichten. Dagegen ist die Lehrentwickelung der heidenchristlichen Richtung enthalten in den Schriften der Apostolischen Väter (s.d.), der Apologeten u. der Gnostischen Secten. In Beziehung auf den Gottesdienst treten als vom Judenthum völlig abgesonderte christliche Gebräuche hervor das Abendmahl, welches nun von den Agapen getrennt war, u. die Taufe; der Sabbath ist durch den Sonntag gänzlich verdrängt. Als ältestes christliches Fest erscheint das Osterfest, rücksichtlich dessen Feier in den ersten Jahrhunderten mehrfache Streitigkeiten stattfanden (s. Ostern). In der Sitte nahm die Askese überhand, bes. im Montanismus (s. Montanus 2). Eine einheitliche Leitung innerhalb der Gemeindeämter trat hervor, nämlich die bischöfliche Würde. Die Tübinger Schule charakterisirt dieses Nachapostolische Zeitalter als die Zeit, in welcher das paulinische Christenthum allmälig wieder hervortrat. Der Kampf dieses Christenthums mit dem Judenchristenthum ist das bewegende Motiv bis nach der Mitte des 2. Jahrh. Durch den gemeinschaftlichen Gegensatz gegen den Gnosticismus kamen beide Richtungen einander näher, glichen sich durch gegenseitige Zugeständnisse aus u. begründeten zusammen den Katholicismus, dessen Grundlage der allgemeine Glaube der apostolischen Zeit war. Hierzu fügten der Paulinismus u. die Einwirkungen des Gnosticismus die höhere Ansicht von Christus, welche ihn als den göttlichen, Mensch gewordenen Logos über das Judenthum hinausstellte, u. gaben dadurch dem Christenthum seine charakteristische Neuheit als die von einem Mensch gewordenen Gotte gestiftete Religion. Vgl. Planck, Geschichte des Christenthums in der Periode seiner Einführung, Gött. 1818; Neander, Geschichte der Pflanzung u. Leitung der Kirche durch die Apostel, Berl. 1832, 5. Aufl. 1862; Reuß, Histoire de la Théologie chrétienne au siècle apostolique, Strasb. 1852, 2 Thle.; Rothe, Die Anfänge der christlichen Kirche u. ihrer Verfassung, Wittenb. 1837; F. Chr. Baur, Paulus, Stuttg. 1845; Schwegler, Das Nachapostolische Zeitalter in den Hauptmomenten seiner Entwickelung, Tüb. 1846, 2 Bde.; Ritschl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche, Bonn 1850; Volkmar, Die Religion Jesu in ihrer ersten Entwickelung, Lpz. 1857; Dietlein, Das Urchristenthum, Halle 1845; Thiersch, Die Kirche im A-n Z., Frankf. 1852; Lechler, Das Apostolische u. Nachapostolische Zeitalter, Stuttg. 1857; Wieseler, Chronologie des Apostolischen Zeitalters, Gött. 1848.[797]

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 796-798.
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