Die vier Zeitalter

[463] Die vier Zeitalter (Mythol.). Der Gedanke, daß es einst eine vollkommen glückliche Zeit des Menschengeschlechts gegeben habe, und diese durch die allmählige Verschlimmerung des Letztern verschwunden sei, hat, ungeachtet der traurigen Empfindungen, die er erreget, theils für den denkenden Menschen, theils für die Phantasie der Dichter etwas zu Reitzendes, als daß man sich darüber wundern sollte, daß diese Letztern schon in den ältern Zeiten eine Schilderung jenes idealen glücklichen Zeitalters gewagt haben. Man würde sich vielmehr über das Gegentheil wundern müssen. Die ersten Dichter, die uns eine etwas vollendete und reitzend sein sollende Beschreibung dieses Zeitalters und seiner allmähligen Verschlimmerung hinterlassen haben, sind Hesiodus und Ovid (s. diese Art.). Nach der Dichtung, die der Letztere in seinen Metamorphosen aufstellt, folgten, seit der Entstehung[463] des Weltalls, viererlei Zeitalter auf einander, nehmlich: 1) das goldene Zeitalter, unter der Regierung des Saturn (s. dies. Art.). Da lebten die Menschen frei, ohne Gesetz und ohne Richter; sie kannten nur ihre Ufer, keine Schiffe, keine Waffen, keine Krieger und Kriege; ihre Felder trugen Früchte, ohne geackert zu werden; es herrschte in diesem Zeitalter ein immerwährender Frühling. Unter Jupiters Regierung folgte 2) das silberne Zeitalter: Jupiter theilte das Jahr in vier Jahreszeiten. Die Menschen, die vorher auf den Feldern und in Wäldern gewohnt hatten, fingen nun an, Häuser zu beziehen und das Feld zu bauen. Nun trat 3) das eherne oder erztne Zeitalter ein, in dem schon Wildheit, und Liebe zu den Waffen sich zeigte, doch aber die Menschen sich noch keiner Verbrechen schuldig machten. Endlich erschien 4) das eiserne Zeitalter. In diesem hörte Treue und Redlichkeit auf; und Betrug, Hinterlist, Habsucht und Gewalt traten an ihre Stelle. Man fing an Schiffe zu bauen, die Felder auszumessen; man suchte die in der Erde verborgenen Reichthümer auf; man entdeckte das Eisen, und schmiedete Waffen: es entstanden Kriege, Raub und Mord, und Asträa (s. dies. Art.) floh zum Himmel zurück. In diesem Zeitalter wagte es sogar ein boßhaftes Geschlecht von Menschen, den Himmel zu stürmen (s. Giganten), bis endlich Jupiter, der Boßheit des Menschengeschlechts überdrüßig, mit Beistimmung der übrigen Götter, um die Zeit des Thessalischen Königs Deucalion, durch eine allgemeine Ueberschwemmung das ganze Menschengeschlecht vertilgte. Nur Deucalion und seine Gemahlin, Pyrrha, blieben übrig. Sie warfen, auf einen Ausspruch des Orakels der Themis, Steine hinter sich, aus welchen ein neues Menschengeschlecht erwuchs. – Diese Darstellung Ovidʼs, die sogar in neuern Zeiten Ditters von Dittersdorf (s. dies. Art.) mit vielem Beifall musikalisch nachgebildet hat, ist von Dichtern und Philosophen vielfältig nachgeahmt und weiter bearbeitet worden.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 463-464.
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