Artikulierte Lokomotive

[275] Artikulierte Lokomotive, (articulated locomotive; locomotive articulée; locomotiva duplex) oft gebrauchte allgemeine Bezeichnung für die vielen Bauarten von Lokomotiven, bei denen die durch die Zylinder angetriebenen Achsen nicht in einem mit dem Kessel verbundenen Untergestelle liegen, sondern auf zwei, kurvenbeweglich angeordnete Untergestelle verteilt sind.

Für A. wird in der deutschen Fachpresse neben der vom VDEV. gewählten, nicht ganz zutreffenden Verdeutschung »Doppellokomotive«, auch die sinngemäß richtigste Bezeichnung »Motorgestell-Lokomotive« gebraucht (s. Doppellokomotive).

Die Anordnung der zur Erzielung einer bestimmten Zugkraft nötigen Achsen in zwei Untergestellen ist dann nicht zu umgehen, wenn mit Rücksicht auf einen gegebenen Achsdruck die Anzahl der gekuppelten Achsen und damit im Zusammenhang der Radstand so groß würde, daß bei Unterbringung dieser Achsen in einem Rahmen die Einstellbarkeit in die Krümmungen verloren ginge.

Diese unter gewissen Verhältnissen (große Zugkraft, geringer zulässiger höchster Achsdruck und scharfe Krümmungen) anzuwendende Achsgruppierung ist aber immer mit dem erkauft, daß durch die in die Dampfleitungen (Ein- und Ausströmung) einzuschaltenden Gelenkkupplungen und durch die recht vielteilig ausfallenden Verbindungsglieder der angetriebenen Gestelle mit dem Hauptrahmen die Einfachheit verloren geht.

Als erster Vorläufer der A. ist die von W. Heydley für die Wylam-Kohlenbahn im Jahre 1813 gebaute Lokomotive »Puffing-Billy« anzusehen, die sich in der Originalausführung mit zwei Achsen für den schwachen Oberbau als zu schwer herausstellte. Sie wurde umgebaut in eine vierachsige Lokomotive, je zwei Achsen in einem »Truck« gelagert. In dieser Form machte Puffing Billy Dienst bis 1830, in welchem Jahre, da inzwischen der Oberbau verstärkt worden war, die ursprüngliche Achsenordnung wieder hergestellt wurde.

Die im Jahre 1832 nach den Plänen des hervorragenden Ingenieurs Horatio Allen in den Werkstätten zu West Point gebaute A. »South Carolina« für die South-Carolina-Bahn, kann ebenfalls nur als ein Vorläufer der vielen nach dem Jahre 1850 auftauchenden Systeme von A. gelten.

Anstoß zur Entwicklung der A. gab die im Jahre 1850 von der österreichischen Regierung ergangene Ausschreibung eines Preises für die, einem bestimmten Programme am besten entsprechende Lokomotive für den Betrieb der Bahn über den Semmering. Unter den vier auf Grund dieser Ausschreibung der eingehenden Erprobung am Semmering unterzogenen Lokomotiven befanden sich zwei A.: Die Lokomotive »Seraing«, gebaut von Cockerill in Seraing, die als Grundform der 1864 von dem irischen Ingenieur Fairlie entworfenen Fairlie-Lokomotive anzusehen ist, und die Lokomotive »Neustadt«, gebaut von W. Günther in Wiener-Neustadt, die im Prinzipe die Bauart »Meyer« (erste diesbezügliche Publikation von Meyer et fils 1861) darstellte.

Als weitere bemerkenswerte Bauarten der A. sind noch zu nennen, »Mallet« und »Mallet Rimrott«. Unter die A. gehören auch jene Ausführungsarten der Engerth-Lokomotiven, bei denen die unter sich gekuppelten Räder des hinteren Laufgestelles (Tendergestelle) durch eine Zwischenkupplung (Zahnrad nach Fischer von Rößlerstamm 1853, Blindwelle mit Kuppelstangen, Bauart Pius Fink 1861, Vorläufer Kirchweger) zur Ausübung von Zugkraft herangezogen werden.

Zu den A. sind ferner zu zählen alle Bauarten, bei denen Deichselgestelle und einzelne radial einstellbare Räderpaare durch sinngemäß angeordnete Balanciers und Differentialköpfe von den im Hauptrahmen liegenden Zylindern angetrieben werden: Bauart Hagans und Klose. Zeichnung und weitere Beschreibung der A. s. Lokomotive.

Gölsdorf.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 275.
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