Eingleisiger Betrieb

[6] Eingleisiger Betrieb (single line service; service à voie unique; servizio con binario semplice). Während die Gleise einer zweigleisigen Bahn im regelmäßigen Betrieb stets nur in einer Richtung befahren werden, benutzen die Züge beider Fahrrichtungen auf eingleisiger Bahn ein und dasselbe Gleis. Die hieraus sich ergebenden Betriebsarten – der eingleisige und der zweigleisige Betrieb – unterscheiden sich im wesentlichen durch die Fahrplanbildung und die Maßnahmen zur Sicherung der Zugfahrten. Beim zweigleisigen Betrieb vollziehen sich die Fahrten auf freier Bahn in jeder Richtung für sich und unabhängig von den Fahrten der anderen Richtung. Durch entsprechende Ausbildung der Bahnhofsanlagen – schienenfreie Zugänge zu den Bahnsteigen, schienenfreie Kreuzungen der Fahrwege – ist man bestrebt, diese Trennung der beiden Fahrrichtungen auch, soweit angängig, innerhalb der Bahnhöfe durchzuführen. Bei eingleisigem Betrieb müssen die Züge der einen Richtung die Züge der anderen Richtung auf den hierfür eingerichteten Stationen – den Kreuzungsstationen – vorbeilassen. Die hierdurch herbeigeführte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des E. wird dadurch verstärkt, daß Verspätungen kreuzender Züge von der einen Fahrrichtung auf die andere übertragen werden. Dem wird zwar bis zu einem gewissen Grade dadurch entgegengewirkt, daß die fahrplanmäßigen Kreuzungen bei Zugverspätungen nach anderen Stationen verlegt werden. Es bleibt aber im allgemeinen der Übelstand bestehen, daß der E. in erheblich höherem Maße als die zweigleisige Betriebsweise zu Zugverspätungen Anlaß gibt. Bei der Beförderung genießen die Schnellzüge den Vorrang vor den Personenzügen und diese vor den Güterzügen. Die Einhaltung dieser Rangordnung hat bei beiden Betriebsarten Überholungsaufenthalte, beim E. außerdem Kreuzungsaufenthalte von mehr oder weniger langer Dauer zur Folge. Beide zusammen können den Zugfahrten, die keinen Vorrang genießen, erhebliche Zeitverluste bereiten. Diese Nachteile treten umsomehr in die Erscheinung, je weniger die Verkehrsverhältnisse es gestatten, die auf der Bahn zu befördernden Züge gleichmäßig über die Tag- und Nachtstunden zu verteilen. Die Notwendigkeit, vom E. zum zweigleisigen Betrieb überzugehen, also die Bahn mit einem zweiten Gleise zu versehen, und hierdurch ihre Leistungsfähigkeit um das 3- bis 4fache zu steigern, tritt daher in der Regel schon ein, bevor die eigentliche Leistungsfähigkeit, d.h. die Möglichkeit, eine gewisse Verkehrsmenge von einem Endpunkte der Bahn bis zum anderen zu befördern, erschöpft ist. Bei den preuß.-hess. Staatsbahnen pflegt man im allgemeinen anzunehmen, daß mit der Notwendigkeit des Ausbaues des zweiten Gleises bereits gerechnet werden muß, wenn beim E. täglich in beiden Richtungen zusammen 40 Züge der verschiedenen Gattungen zu befördern sind.

Die Sicherung der Zugfahrten erfordert beim E. besondere Maßnahmen, weil hier nicht nur die einander folgenden Fahrten, sondern auch die Gegenfahrten zu sichern sind. Nach § 170 (4) der TV. des VDEV. darf bei E. sowohl beim Fahren im Raumabstand als auch im Zeitabstand kein Zug abgelassen werden, bevor feststeht, daß das Gleis bis zur nächsten zur Kreuzung geeigneten Station durch einen Gegenzug nicht beansprucht ist. Die hieraus sich ergebende Ausbildung des telegraphischen Zugsicherungsdienstes und der elektrischen Blockanlagen ist unter »Zugmeldeverfahren« und »Blockeinrichtungen Abschn. A Streckenblock« näher besprochen. Erwachsen dem E. aus der Benutzung ein und desselben Gleises durch die Züge beider Fahrrichtungen erhöhte Betriebsgefahren, so gibt es doch auch Umstände, unter denen der E. eine größere Sicherheit als der zweigleisige Betrieb bietet. In erster Linie gilt dies für die Begegnung von Zügen (s.d.). Infolge des geringen Abstandes der beiden Fahrgleise auf der freien Strecke einer zweigleisigen Bahn ist es möglich, daß Unregelmäßigkeiten und Unfälle bei einem Zuge die auf dem anderen Fahrgleise verkehrenden Züge gefährden. Beim E. fällt diese Gefahr weg, weil die Kreuzungsgleise in der Regel einen größeren Abstand haben und das Kreuzen der Züge unter besonderer Aufsicht stattfindet.

Schäden an den Bahnanlagen, das Liegenbleiben eines Zuges, sowie die Ausführung von Unterhaltungsarbeiten können zur vorübergehenden Einführung des E. auf zweigleisigen Bahnen Veranlassung geben. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen bedürfen je nach Beschaffenheit der Sicherungseinrichtungen und nach den Weichenanordnungen besonderer Vorbereitung. Sie können daher nur von der betriebsleitenden Stelle aus getroffen werden. Da aber bei unerwartet eintretender Sperrung eines Gleises der Betrieb mit Hilfe des zweiten Gleises ununterbrochen aufrecht erhalten werden muß, so unterscheiden die FV. für die deutschen Staatsbahnen im § 28 zwei Fälle, je nachdem »das falsche Gleis ausnahmsweise befahren« oder »zeitweise eingleisiger Betrieb eingerichtet [6] wird«. Zu ersterer Maßnahme, für die die nötigen Sicherheitsvorschriften in den Dienstanweisungen ein für allemal fest gesetzt werden, sind die Stationen (Zugmeldestellen) ohneweiters berechtigt, während für die zeitweise Einrichtung des E. von den betriebsleitenden Verwaltungsstellen in jedem einzelnen Falle besondere Anordnung getroffen wird. Dabei werden auch nähere Vorschriften darüber erlassen, ob und inwieweit die Hauptsignale für die Fahrten auf dem falschen Gleise gültig sind.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 6-7.
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