Uhren

[10] Uhren (clocks; horloges; orologi) sind ein unentbehrliches Erfordernis für den Eisenbahnbetrieb. Nach den TV. soll jeder Bahn- und Schrankenwärter, Lokomotiv- und Zugführer im Dienst mit einer richtig gehenden U. versehen sein, die nach der Zeit des Dienstfahrplans gerichtet ist. Ebenso haben nach den bei den meisten deutschen Bahnen gültigen Fahrdienstvorschriften vom 1. August 1907 die im Fahrdienst tätigen Beamten eine richtig gehende U. zu tragen; der Führer eines Kleinwagens (Bahnmeisterwagen, Dräsinen, Eisenbahnfahrräder u.s.w.) hat seine U. vor der Fahrt mit der Stationsuhr in Übereinstimmung zu bringen.

Auf jeder Station soll (§ 52 der TV.) eine U. (Bahnhofs- oder Stationsuhr) für die Reisenden sichtbar angebracht sein, die nach der dem öffentlichen Fahrplan entsprechenden Zeit gerichtet ist. Auf größeren Stationen sollen die Zeitangaben vom Zugang und von den Zügen aus auch bei Dunkelheit erkennbar sein. Nach § 26 der BO. muß ferner auf größeren Bahnhöfen die Zeitangabe sowohl von der Zugangs- als von der Bahnseite zu erkennen sein. Nach den Fahrdienstvorschriften vom 1. August 1907 hat der Aufsichtsbeamte darüber zu wachen, daß die Stationsuhren richtig gehen, unrichtig gehende U. aber, soweit möglich, verdeckt werden. Für die Zeit der Abfahrt des Zuges ist die Stationsuhr maßgebend.

Ähnliche Bestimmungen wie in Deutschland finden sich in fast allen anderen Ländern. Vgl. u.a. § 40 der österreichischen Eisenbahn-Betriebsordnung vom 16. November 1851, § 6 des schweizerischen Transportreglements vom 1. Juli 1876 und Art. 24 der englischen rules and regulations.

Seit den letzten Jahrzehnten sind bei den Eisenbahnen mehr und mehr die elektrisch betriebenen U. in Aufnahme gekommen, weil nur sie die Möglichkeit bieten, eine größere Anzahl von U. in genauer Übereinstimmung zu halten. Bei diesen unterscheidet man Hauptuhren, die gleichzeitig eine Reihe von Nebenuhren betätigen, und elektrische Einzeluhren. Für die Eisenbahnen kommen hauptsächlich[10] die ersteren in Betracht. Bereits im Jahre 1839 hat Steinheil elektrische Nebenuhren von einer Hauptuhr in Übereinstimmung gehalten. Heute sind die meisten größeren Bahnhöfe mit elektrischen U. ausgerüstet. Die Genauigkeit der Zeitübertragung ist bei ihnen recht hoch, denn die Abweichung von der richtigen Zeit beträgt nur etwa 1/10 Sekunde. Bei den Nebenuhren benutzt man zur Bewegung des Zeigerwerks einen durch Stahlmagnete polarisierten Anker oder Elektromagneten. Durch Gleichstrom wechselnder Richtung wird jede Minute der Anker in Tätigkeit gesetzt, der durch seine Bewegung die Zeiger um eine Minute weiterschiebt. Während mechanische Werke aufgezogen und von Zeit zu Zeit geölt und gereinigt werden müssen, bedürfen elektrische U. nur sehr geringer Wartung und können jahrelang ohne Nachhilfe betrieben werden. Der für diese U. erforderliche Strom ist ganz gering.

Besonders nach der Einführung der Einheitszeit und im besonderen der mitteleuropäischen Zeit in Deutschland, Österreich, Ungarn, Schweiz und Italien stellte sich das Bedürfnis heraus, in jedem Land auf den Eisenbahnstationen die U. richtig zu halten. Die richtige mitteleuropäische Zeit wird heute durch Morsezeichen auf den Farbschreibern, ferner durch elektrische Wecker oder durch Telephon zu einem bestimmten Zeitpunkt abgegeben. Zur Regelung der U. des gesamten preußisch-hessischen Eisenbahnnetzes befindet sich auf dem Schlesischen Bahnhof in Berlin folgende Einrichtung: Die von der Sternwarte berichtigte Hauptuhr der Normalzeit stellt täglich morgens um 7 Uhr eine Hauptuhr auf dem Schlesischen Bahnhof richtig. Zwei Minuten vor 8 Uhr bringt eine von Professor Strasser entworfene Kontaktuhr wiederholt das Morsezeichen m.e.z. (d.h. mitteleuropäische Zeit). Dieses Zeichen wird durch Relais innerhalb des ganzen Eisenbahnnetzes aufzahlreichen Hauptleitungen, auf denen für 2 Minuten der Betrieb ruht, weitergegeben; 2 Sekunden vor 8 Uhr entsteht ein langer Strich auf dem Morsestreifen, der um 8 Uhr plötzlich abbricht und hierdurch mit einer Genauigkeit von etwa 1/10 Sekunde die richtige Zeit dem ganzen Land angibt.

Literatur: Dr. A. Tobler, Elektrische Uhren. – J. Zacharias, Elektrotechnik für Uhrmacher. – J. Zacharias, Elektrische Uhren mit besonderer Berücksichtigung für Eisenbahnen. Glasers Ann. 1909.

Giese.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 10-11.
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