Spamer, Otto

[906] Spamer, Otto. Der bekannte Verlagsbuchhändler Johann Christian Gottlieb Franz Otto Spamer stammte aus Hessen und wurde am 29. August 1820 in Darmstadt als der Sohn eines Forstbeamten geboren. In dieser Stadt genoß er auch den ersten Unterricht, den der Lerneifer des Jünglings und des Mannes später durch Selbststudium ergänzte; in Darmstadt trat er auch, 14 Jahre alt, in den Buchhandel, der ihn mächtig anzog, ein. Er erlernte denselben bei Eduard Heil und war dann als Gehilfe in der Krebs'schen Buchhandlung in Aschaffenburg, in Frankfurt a. M., Landau und Leipzig in Stellung. Hier 1842 eingezogen, in der Metropole des deutschen Buchhandels, erhielt er nicht nur Einblick in den buchhändlerischen Großverkehr, sondern machte auch insbesondere hinsichtlich der illustrierten Literatur bei J. J. Weber eine nützliche Vorschule für seine späteren Unternehmungen durch.

Mit dem Jahre 1847 begann er seine selbständige Tätigkeit. Sein früherer Lehrer, Dr. W. Waegener, beschreibt in der »Wormser Zeitung« diesen Vorgang folgendermaßen: Unser Spamer wollte in die neue Welt auswandern, um dort des »Glückes Gunst« zu erringen. Da warf ihm Weber das Wort hin: »Etablieren Sie sich!« – »Womit?« fragte der junge Mann. »Ich besitze keinen Marawedi.« – »Ich gebe Ihnen die »Agronomische Zeitung« und die »Gewerbezeitung«. Ein Mann von Ihrer Geschäftskenntnis und Arbeitskraft kommt vorwärts.« Im Vertrauen auf Erfahrungen, Kenntnisse, Fleiß, Willenskraft und jene Ausdauer, welche sich durch Besiegung von Schwierigkeiten mannigfacher Art erprobt hatten, unternahm er das Magnis. Indessen waren ihm zu Anfang Zeit und Verhältnisse nicht günstig. Das verlegerische Schaffen Spamers bewegte sich damals noch in sehr bescheidenen Grenzen; von einer bestimmt ausgesprochenen Verlagsrichtung zeigte sich noch keine Spur. Seine erste Publikation, welche er im Börsenblatt anzeigte, war »ein Porträt der Sennora Lola Montez«. Erst später fanden alle Bestrebungen und Wünsche Spamers ihren Mittelpunkt in dem einen Gedanken: der Ausführung seiner Jugend- und Volksbildungspläne näher zu kommen.

Ins Jahr 1851 fallen die frühesten Anstrengungen, und als deren Ergebnis die ersten Serien der »Illustrierten Jugend- und Hausbibliothek«. Sie sind gegenwärtig allenthalben bekannt, wo die[906] deutsche Sprache klingt. Diese Verbreitungs- und Fortbildungsschriften für das Haus und das Leben sollten Unterhaltung bieten durch neue Auffassung, Auswahl und Mannigfaltigkeit der Stoffe, sie sollten das ganze Fortschrittsleben der Gegenwart mit seinen alle Schranken des Raumes überwindenden neuen Einrichtungen und Ergebnissen weltbewegender Erfindungen abspiegeln. Es traten dann die unter dem Sammeltitel »Malerische Feierstunden« vereinigten populären naturwissenschaftlichen und geographischen Belehrungsschriften ins Leben.

Aus der Reihenfolge des »Illustrierten goldenen Kinderbuches« erschienen rasch aufeinander L. Thomas' »Illustrierter Kinderfreund« und »Illustrierter Jugendfreund«, das nachmals mächtig emporgewachsene »Buch denkwürdiger Erfindungen«, dann das »Buch der Entdeckungen« u. dergl.

Die ermunternde Aufnahme, deren sich das schon im Jahre 1851 in erster Auflage erschienene »Taschenbuch für Kaufleute« zu erfreuen hatte, förderte die Idee der »Kaufmännischen Bibliothek« zur Reife, und rasch entstanden mehrere gleichfalls wohl aufgenommene, dem kaufmännischen Unterrichtsbedürfnisse entsprechende Werke, so der für das Aufblühen der Firma so wichtige Verlagsartikel »Rothschilds Taschenbuch für Kaufleute«, dessen stete Gangbarkeit seit dem ersten Erscheinen die Basis für viele weitgreifende Unternehmungen sicherte.

Ein weiterer Markstein in der Geschichte der Firma bildet das Inslebentreten der »Schule der Baukunst«, an welches sich naturgemäß die seitdem herangezogene gewerblich-technische Richtung anschloß, hinsichtlich derer sich beispielsweise sehr erfreuliche Ergebnisse in Bezug auf »Dr. E. Wincklers Rezepttaschenbuch« verzeichnen ließen.

Ein eigentümliches Zusammentreffen unerwarteter Vorkommnisse beim Erscheinen einiger Bändchen des »Illustrierten goldenen Kinderbuches« führte zur Vereinigung mehrerer Stoffe und Ideen und gab den ersten Anstoß zur Gestaltung und Weiterführung des »Buchs der Erfindungen, Gewerbe und Industrien« in seinem heutigen Umfange.

Die erste Idee zu Otto Spamers »Illustriertem Konversations-Lexikon« reicht zurück bis in das Jahr 1846. Damals noch im Geschäfte von J. J. Weber angestellt, regte Spamer zum ersten Male die Herausgabe eines solchen Werkes an. Indessen blieb die Sache auf sich beruhen. Im Jahre 1868, im November, nahm jedoch Otto Spamer den früheren Plan selbst wieder auf. Er begann die Vorbereitung zur Herausgabe eines übersichtlichen und handlichen[907] illustrierten Nachschlagebuches für den täglichen Gebrauch, das zu gleich ein »Orbis pictus« für die reifere studierende Jugend sein sollte, und kaum fünfzehn Monate nach dem Erscheinen des ersten Heftes, kurze Zeit vor dem deutsch-französischen Kriege, hatte sich die Auflage des Werkes auf 35000 Exemplare gehoben.

Während des Kriegsjahres 1870-71 erschienen die ersten »Illustrierten Kriegsberichte« und die »Wacht am Rhein«. Daraus ging eine »Illustrierte Chronik des deutschen Nationalkrieges« hervor.

Infolge des Umstandes, daß im Jahre 1874 ein eigenes Grundstück entstand, war dem Geschäfte eine wesentliche Erweiterungsfähigkeit gegeben sie erstreckte sich auf alle Teile der von Otto Spamer gepflegten graphischen Künste, zog die artistische Anstalt in größerer Ausdehnung in ihren Bereich, ebenso die Buchbinderei, und wandte sich vor allem der Errichtung einer eigenen Buchdruckerei zu.

Ein Blick auf die vielbändigen Werke wie: »Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien«, »Illustriertes Konversations-Lexikon«, »Illustriertes Bau-Lexikon«, »Illustrierte Weltgeschichte«, »Illustrierte Literaturgeschichte«, »Illustrierte Geschichte Preußens«, »Unser deutsches Land und Volk« und das auf Anregung des königl. preuß. Handelsministeriums herausgegebene »Adreßbuch deutscher Export-Firmen« beweist zur Genüge diese das Haus rühmende Tatsache; nicht minder die Herausgabe einzelner größerer, für Salon und elegante Welt gedachter Prachtwerke, wie z.B. der großen Biographien über Kaiser Wilhelm und Fürst Bismarck, mehrerer umfangreicher Publikationen über das Sportwesen, insbesondere Reit- und Fahrsport.

Hätte Otto Spamer während der fast vierzig Jahre selbständigen Schaffens nur eine Reihenfolge guter und schöner Bücher hergestellt, so wäre dies immerhin rühmenswert gewesen: er hätte aber doch nur getan, was vor ihm eine Anzahl tüchtiger Fachgenossen auch und nach manchen Richtungen vielleicht selbst besser zustande gebracht haben. Aber er hat einen guten Teil seiner gangbaren Bücher selbst und nicht nur dem Plane nach geschaffen; seine »rechte Hand« war, wie er es mit eigenen Worten sagte: »Franz Otto«, just derselbe schriftstellerische Name, dessen er sich schon als junger Mann bei seinen ersten literarischen Versuchen in unterfränkischen Blättern bediente. Die Zahl der von Franz Otto herrührenden Werke ist nicht gering. Schon Mitte der fünfziger Jahre erschien, durch Franz Otto verbessert, die zweite, und 1865 die folgende Auflage des »Skalpjägers«; diesem Buche folgte 1857 auf dem Fuße »Die Buschjäger«. Weiterhin[908] in Verbindung mit anderen Autoren die »Vorbilder der Vaterlandsliebe, des Hochsinns und der Tatkraft«, das »Buch denkwürdiger Kinder«, im Winter 1864 die historische Erzählung »Der große König und sein Rekrut«, im Frühjahr 1863 das »Vaterländische Ehrenbuch«.

Im Jahre 1865 ward, gleichfalls mit Ed. Große, herausgegeben das Buch »Wohltäter der Menschheit«. Von 1868 bis 1869 traten, von Franz Otto bearbeitet, hervor die »Neueren deutschen Geschichten für die Kinderstube« und die »Neuesten deutschen Geschichten«. In die Jahre 1866 bis 1869 fällt das Erscheinen des großen Werkes »Das Buch berühmter Kaufleute«. Einer späteren Zeit entstammen die Bändchen »Das Buch vom Alten Fritz«, »Der neue Cäsar«, »Josef II., der Menschenfreund auf dem Throne«. Alsbald folgten »Tugendhafte Bürger der alten und neuen Welt«, dann »Deutsche Dichter und Wissensfürsten« und das »Vaterländische Ehrenbuch«. Sodann bearbeitete Franz Otto »Aus dem Tabakskollegium und der Kopfzeit« und gab weiter heraus: »Wunderglaube und Wirklichkeit«, »Unter Kobolden und Unholden, »Reisen im Finstern«.

Franz Otto war ebenso vielseitig als wählerisch in seinen Stoffen.

Im Herbst 1873 erschien von ihm ein neues prächtiges Buch: »Der Jugend Lieblings-Märchenschatz«. Es hat einen sichtbar dauernden, überaus günstigen Erfolg gefunden. Franz Otto versenkte sich tief in den Gedanken, der Jugend durch auserwählte und gediegene Märchen zu dienen. Er wollte die deutsche Jugend atemlos lauschen lassen auf das Geflüster der Sage, auf den Klang heimischer Märchenpoesie – und erreichte dies in wunderbarer Weise.

Treffend schildert C. Michael in ihrem »Besuche bei Otto Spamer« den Schöpfer des Märchenschatzes:

»Dort in Spamers Hof«, sagt sie, »sieht man die kernigen Gestalten seiner »Mäner eigener Kraft«, seiner »Wohltäter der Menschheit« einherschreiten; dort fühlt man den Geist, der das »Kaiser Wilhelm-« und »Bismarckbuch« geschaffen hat –, aber in Maxenstein (dem Landsitze Spamers) tritt uns der unerschöpfliche Märchenerzähler entgegen.

Wer, wie ich, das Glück gehabt hat, Otto Spamer an einem hellen Vollmondabend auf einem der niedrigen Bänkchen des Heinzelmännchensitzes zu sehen, die kleine graue Gestalt, halb versteckt in blühenden Sträuchern, umschwirrt von leuchtenden Johanniswürmchen – wer ihn da aus fernen, längst verklungenen Kindertagen erzählen[909] gehört, während tief unten die Zschopau über das Mühlwehr rauschte und der Mond sich tausendfach in ihren Fluten spiegelte – der versteht es, wie die duftigen Bilder des »Märchenschatzes« und dessen unvergleichlich hübsche Einleitung entstanden sind, der weiß es, wo das wirkliche, echte, lebendige Heinzelmännchen zu finden ist, dem Tausend und Abertausend vergnügte Lebensstunden zu danken haben!« –

Otto Spamer starb am 27. 11. 1886, das Geschäft kam an seine Erben, für deren Rechnung es Dr. M. Lange führte. Seit dem 1. Juli 1889 ist Dr. Josef Petersmann Besitzer der altrenommierten Verlagshandlung.

Quellen: Jubiläumskatalog 1872; Theden, F. O. Sp.; Börsenblatt f. d. deutsch. Buchhandel 1886.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 906-910.
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