Spemann, Wilhelm

[910] Spemann, W. Der Geheime Kommerzienrat, Verlagsbuchhändler Johann Wilhelm Spemann wurde am 24. Dezember 1844 als Sohn eines Rechtsanwalts in Unna in Westfalen geboren. Der schwächliche Knabe verlebte seine Jugend im elterlichen Hause in Dortmund, verlor seinen Vater schon 1851 und wurde bereits mit 17 Jahren gezwungen, das Gymnasium zu verlassen und die Winter 1862 und 1863 am Genfersee zu verbringen. Die Sommer dieser Jahre studierte er an der Universität Zürich, wo er Vischer, Scherr, Wislicenus, Clausius usw. hörte. 1864 trat er bei Carl Hoffmann in Stuttgart in die Lehre, 1866 war er 4 Monate bei F. Volckmar in Leipzig und mußte, erneuter Anfälle seines asthmatischen Leidens wegen, im Herbst 1866 Deutschland verlassen und Italien aufsuchen. Er verbrachte den Winter 1866-67 in Rom in engem Verkehr mit den Bewohnern des Kapitols wie mit der deutschen Malerkolonie. 1867 lebte er in Mentone an der Riviera und trat dann 1868 als Prokurist in die Julius Weise'sche Hofbuchhandlung in Stuttgart (gegr. 1826) ein. Diese Firma erwarb er 1870, trat sie aber bereits 1874, als er seinen Verlag 1873 unter der Firma W. Spemann begründet hatte, an Adolf Schmidt, den Sohn des Besitzers der bekannten Jugendschriftenverlags-Firma Schmidt & Spring in Stuttgart ab. Von nun an entfaltete Spemann eine außerordentlich fruchtbare Verlagstätigkeit.

Das erste größere Unternehmen war »Das Kunsthandwerk«, herausgegeben von Bruno Bucher und Adolf Gnauth. Der Plan war, die Schätze der kunstgewerblichen Museen, die damals teils neu eröffnet waren (Oesterr. Museum in Wien, Kunstgewerbe-Museum[910] in Berlin), teils neu organisiert wurden, systematisch zu publizieren. Das geschah, unterstützt von dem kunstverständigen Holzschneider Adolf Cloß, mustergültiger Weise. Da die Aetzverfahren noch in den Anfängen lagen, die Photographie auf Holz kaum geübt wurde, so mußte alles gezeichnet und dann geschnitten werden. Das war natürlich eine viel zu teure Herstellung und das Unternehmen mußte, nachdem 3 Bände erschienen waren, aufgegeben werden. Diese Bände sind aber heute noch eine Musterleistung. Die Redaktion hatte der Verleger geführt, dem es dadurch beschieden wurde, eine sehr eingehende Kenntnis des kunstgewerblichen Bestandes der Sammlungen zu gewinnen.

Nach diesem ersten Fehlschlag, der den jungen unternehmenden Verleger ein halbes Vermögen kostete, kamen die Erfolge.

Es existierte keine gute illustrierte Geographie, für welche der Verleger den Herausgeber des »Auslandes«, Friedrich von Hellwald gewann. Das Werk hatte einen ungewöhnlich starken Erfolg, es wurden in aller Kürze Ausgaben fast in sämtlichen lebenden Sprachen veranstaltet.

In die damalige Mode der Prachtwerke griff Spemann mit großer Energie ein. »Scherr's Germania, »v. Falke, Hellas und Rom«, »Poten und Speyer«, »Unser Volk in Waffen« brachten große Resultate.

Ein wachsender Verlag mußte aber darauf ausgehen, eine vornehme Zeitschrift zu besitzen. Die Gründung der Monatsschrift »Vom Fels zum Meer« war in jener Zeit im Buchhandel ein Ereignis. 1881 begann das Unternehmen, für welches Spemann mit sicherem Blick Josef Kürschner als Redakteur gewonnen hatte. Dieser war damals ein nahezu unbekannter junger Theaterschriftsteller in Lichterfelde bei Berlin. Spemann erkannte aber seine Kraft, engagierte ihn und in Verbindung mit diesem seltenen Organisationstalent entstanden nun eine Reihe von Unternehmungen, welche Epoche wachend genannt werden durften.

Vom Fels zum Meer erreichte bald eine selten hohe Auflage. Daran schloß sich dann die »Collection Spemann«, welche in ihren blauen Bänden den Namen des Herausgebers bis in die kleinsten Orte trug. Alle diese Unternehmungen waren der Initiative Spemanns entsprungen. »Die deutsche Nationalliteratur« in über 200 Bänden war ein Plan Kürschners und wurde glänzend durchgeführt. Ebenso plante er das kleine 3 Mark-Lexikon, welches sofort den Markt eroberte, während das Quart-Lexikon schwerer Boden fand. »Spemanns Schatzkästlein des guten Rats«, die Jugendzeitschriften[911] »Der gute Kamerad«, »Das Kränzchen«, »Das neue Universum« sind noch jetzt sehr beliebte Unternehmungen.

Während mit der 1882 in Berlin errichteten Zweigniederlassung eine persönliche Liebhaberei Spemanns, die Pflege der Archäologie und des Verlags der Kgl. Museen betrieben wurde, entwickelte sich ein anderes Unternehmen zu großer Bedeutung. Die Einführung der Stuhlmann'schen Zeichenmethode in den Volksschulen Preußens war eine Sache von großer Tragweite. Die Herstellung der Tafeln und der Holzmodelle erforderte eine ungeheure Arbeit und die Verbreitung der Spemann-Stuhlmann'schen Zeichenhefte zählte nach vielen Millionen. Die rasche Durchführung dieser Methode war wesentlich der vortrefflichen Organisation des Unternehmens zu danken.

Die letzte Tätigkeit Spemanns war die Neuherausgabe des Pierer'schen Konversationslexikons. Hierfür war Josef Kürschner der richtige Mann und es gelang wirklich, neben den bestehenden Unternehmungen auch dieses älteste Lexikon wieder zum Leben und zu einem glücklichen Ende zu bringen.

In der kurzen Zeit von 15 Jahren war das Geschäft zu einem der ausgedehntesten im deutschen Buchhandel erwachsen.

Nun zeigte es sich als vorteilhaft, das Geschäft mit der Druckerei der Gebrüder Kröner und dem Hermann Schönlein'schen Verlag zu einer großen Geschäftsorganisation zu verschmelzen, welche am 1. Januar 1890 als Union Deutsche Verlagsgesellschaft gegründet wurde und in deren Besitz die J. G. Cotta'sche Buchhandlung in Stuttgart überging. Spemann blieb aber nur wenige Jahre in dieser Vereinigung, übernahm 1896 seine Berliner Publikationen und damit seine Firma wieder und wandte sich nun wieder eigenen Plänen zu. Früchte dieser neuen Tätigkeit sind das »Museum«, von dem 10 Jahrgänge erschienen sind, die »Baukunst«, »Spemanns Kunstlexikon«, die »Kunstkalender«, die »Hauskunde« in 7 Bänden usw. Als einzelne Werke sind bei ihm weiter erschienen »Hermann Grimms Michelangelo« in großer illustrierter Ausgabe, »Jakob Burckhardt's Griechische Kulturgeschichte«, »Carl Neumanns Rembrandt«, die Anatomie für Künstler von »Richer«, die Bücher von »Anton Kisa« und viele andere.

Für das Gemeinwohl des Buchhandels hat Spemann sich stets zur Arbeit bereit finden lassen. 1883 wurde er im Reichsjustizamt zu den Beratungen über die Literatur-Convention mit Frankreich, 1898 zu den Beratungen über das neue Urheberrecht, 1899 zu denen[912] über das Verlagsrecht zugezogen. 1893 war er Preisrichter für das deutsche Reich auf der Weltausstellung in Chicago, 1900 in Paris. Dem Vorstand des Börsenvereins gehörte er von 1880 bis 1883 an und in dem Außerordentlichen Ausschluß für Urheber- und Verlagsrecht führt er seit der Konstituierung im Jahre 1893 den Vorsitz.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 910-913.
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