V. Arbeitsunterbrechung

[106] Eine sehr bedeutende Rolle spielt in den Arbeiten der Kraepelinschen Schule die Erörterung der Wirkung von Arbeitsunterbrechungen – gemeint sind hier zunächst: kürzere Pausen innerhalb des einzelnen Arbeitstages – und zwar nicht nur aus sachlichen, sondern auch aus wichtigen methodischen Gründen. Die Messung der Veränderungen der Leistungsfähigkeit vor und nach Pausen von verschiedener Länge, die nach verschiedener Dauer der Arbeit in diese eingeschoben werden, ist nämlich das einzige brauchbare Mittel, welches zur Verfügung steht, um festzustellen, welches Maß von Einfluß auf den Verlauf einer Arbeitskurve die einzelnen, vorstehend erörterten, Komponenten der Leistung im Einzelfall gehabt haben. Die Möglichkeit, Pausenexperimente zu diesem Zwecke zu verwerten, folgt aus dem schon in der vorangehenden Darstellung mehrfach erwähnten Umstande, daß jene einzelnen Komponenten in verschiedenem Maß und Tempo in Wirksamkeit treten und – was jetzt speziell in Betracht kommt – auch in verschiedenem[106] Maß und Tempo in ihren Nachwirkungen schwinden. Grundlegend für die Möglichkeit, überhaupt Fortschritte in der Arbeitsleistung zu erzielen, ist ja zunächst: daß die Uebung, im Gegensatz zur (normalen) Ermüdung, dauernde Rückstände hinterläßt. Für die Pausenwirkung tritt noch hinzu, daß der »Uebungsverlust«, obwohl auch er anscheinend unmittelbar nach Unterbrechung der Arbeit sich am schnellsten vollzieht, dennoch gerade während der ersten Zeit der Pause ganz wesentlich langsamer wirksam wird als die durch diese bewirkte »Erholung«, während auf der anderen Seite die Pause auch die durch die Arbeit selbst hervorgebrachte »Anregung« und den etwa vorhandenen (s. o.) »Willensantrieb« zum Schwinden bringt. Die gegenseitige Relation des Schwindens von 1. Ermüdung, 2. Anregung, 3. Antrieb, 4. Uebung bestimmt nun diejenige Länge der Pause, welche jeweils arbeitsökonomisch am günstigsten wirkt, d.h. ein Optimum von Leistungsfähigkeit nach der Pause gewährleistet. Nach welcher Zeitdauer diese »günstigste« Pausenwirkung erreicht wird, ist nun je nach der Ermüdbarkeit, Uebungsfähigkeit, Anregbarkeit, Uebungsfestigkeit der einzelnen Individuen, ferner aber je nach dem vor der Pause erreichten Grade der Ermüdung: – also der Art und dem Quantum der vorher geleisteten Arbeit, – ebenso je nach dem Maße der vorhandenen »Anregung« und des etwaigen »Willensantriebs«, endlich auch nach dem Grade des Uebungsfortschritts – der ja (s. o.) mit steigenden Graden der Ermüdung sinkt und schließlich ganz ausbleibt – sehr verschieden. Ebenso ist von diesen Umständen das Maß der Erholungswirkung von Pausen überhaupt bedingt. Ueberwog vor der Pause die Arbeitsermüdung über die Arbeitsanregung, war also die erstere, nicht aber die letztere, im Steigen, so wirkt die Pause auf die nachfolgenden Leistungen günstig, im umgekehrten Fall, wenn die Erholung durch die Pause nicht ausreicht um den Verlust der Anregung auszugleichen, ungünstig. War der Willensantrieb vor der Pause schwach, so pflegt er nach der Pause stärker einzusetzen und also die Leistung stark zu steigern, war dagegen die Willensanspannung stark (was z.B. in Fällen des Ankämpfens gegen Ermüdung der Fall sein kann), so wirken Pausen, welche jene Anspannung erschlaffen lassen, oft direkt nachteilig. Es gibt also neben den jeweils »günstigsten« auch eine und, unter Umständen, mehrere »ungünstige« Pausenlängen. Denn der Verlauf der Pausenwirkungen scheint normalerweise der zu[107] sein, daß zunächst die Ermüdung sich rasch auszugleichen und die Anregung, langsamer als die Ermüdung, zu schwinden beginnt, daß aber von einem bestimmten Moment ab der Ausgleich der Ermüdung langsamer vor sich geht, als der Verlust der »Anregung«. Nach völligem Schwinden der letzteren ist der erste Tiefpunkt der Pausenwirkung erreicht; dieselbe beginnt nun wieder zu steigen, bis, nach Beseitigung des »Ermüdungsstoffes«, gegenüber dem nur langsam erfolgenden Schwund der »Erschöpfungs«-Wirkungen (s. o. Absatz I) der Uebungsverlust zu überwiegen beginnt; damit ist das Optimum der Pausenwirkung überschritten und diese senkt sich bis zu einer zweiten »ungünstigen« Pausenlänge, um dann, mit Verlangsamung des Uebungsverlustes und der beginnenden Ausgleichung der »Erschöpfung«, wieder zu steigen. Durch Komplikation mit den Verhältnissen des »Willensantriebs« und der »Eingestelltheit« auf die Arbeit entstehen unter Umständen noch wesentlich verwickeltere Bilder der Pausenwirkungen. Arbeitsökonomisch kommt neben dem Prinzip, daß im allgemeinen bei stark ermüdenden Arbeiten, namentlich aber gegen Ende der Arbeitszeit, kurze Pausen, welche die »Angeregtheit« durch die Arbeit und die »Eingestelltheit« auf die Arbeit nicht schwinden lassen, günstiger wirken als lange, hauptsächlich in Betracht, daß häufige und zugleich kurze (wenige Minuten währende) Pausen bei stark ermüdbaren und gleichzeitig leicht erregbaren und übungsfähigen Personen angebracht sind, seltene (und eventuell entsprechend längere) bei Personen, die schwerer geübt werden und langsamer ermüden. Wie Kraepelin die Pausenexperimente: die »Methode der günstigsten Pause«, zur Zerlegung der Arbeitskurve in ihre Komponenten benutzt hat, so müssen darnach die Unterschiede der Pausenoptima 1. für ein und dieselbe Person, beim Vollzug untereinander verschiedenartiger Arbeiten, und ebenso umgekehrt 2. bei den gleichen Arbeiten, wenn sie von verschiedenen Personen ausgeführt werden, als wichtiges Hilfsmittel für die Analyse der psychophysischen Eigenart der Arbeiten dort, der Personen hier, gelten. Daß nach Kraepelins (übrigens von ihm selbst nur als »wahrscheinlich« bezeichneter) Ansicht dabei die »Grundqualität« der »Ermüdbarkeit« und, obwohl er dies nicht sagt, wohl auch andere der von ihm statuierten »Grundqualitäten«: Uebungsfähigkeit, Uebungsfestigkeit, Gewöhnbarkeit, Ablenkbarkeit, derart als generelle Eigenschaften der betreffenden Persönlichkeit[108] zu gelten hätten, daß sie im Prinzip schon an dem Verlauf einer Arbeit allein bei genügend eingehender Analyse derselben gemessen werden könnten, ist eine wichtige – freilich (wie schon bemerkt) nicht ganz unbestrittene – Konsequenz seiner Auffassungsweise.

Andererseits hat gerade Kraepelin auf das Nachdrücklichste dahin gewirkt, den Glauben: man könne durch ein einfaches System von Stichproben innerhalb kurzer Frist ein annähernd adäquates Bild der für eine Person oder für die Wirkung einer bestimmten Arbeit charakteristischen psychophysischen Zuständlichkeiten gewinnen, zu zerstören. Von dieser methodischen Seite all dieser Untersuchungen ist nunmehr zusammenfassend noch einiges zu sagen, da sie für die Frage ihrer Verwertbarkeit für die sozialökonomischen Probleme ausschlaggebend ist.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitk. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 106-109.
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