Max Weber

Zur Psychophysik der industriellen Arbeit

Inhalt: Vorbemerkung S. 61; besprochene Literatur S. 63. 1. »Ermüdung« und »Erholung« S. 66. 2. »Uebung« (»Mechanisierung«, Rhythmisierung, Summation und Ausnutzung der »Reiznachwirkungen«, »Leistungsverschiebung«; »Uebungsfähigkeit« und »Uebungsfestigkeit«; »Mitübung« und »Vorübung«) S, 73. – 3. Ermüdung und Uebung in ihrem Zusammenwirken (andere Komponenten der Arbeitskurve: »Anregung«; »Willensantrieb«; »Gewöhnung«) S. 89. 4. Die Gewöhnung bei Arbeitsstörung und Arbeitskombination (Unterschiede der Arbeitskurve bei einfacher und kombinierter Leistung; Arbeitswechsel) S. 94. 5. Arbeitsunterbrechung (Pausenwirkung, Bedeutung der Pausenexperimente: »Methode der günstigsten Pause«) S. 106. 6. Methodische Fragen S. 109. Kraepelins Methodik und die Verwertbarkeit seiner Begriffe S. 111. Die hygienischen Erörterungen über die Wirkungen der industriellen Berufsarbeit S. 121. Zur Frage der Methodik »exakter« Erhebungen über die Psychophysik der industriellen Berufsarbeit S. 126. 7. Schwankungen der industriellen Arbeitsleistung: a) innerhalb des Arbeitstages S. 136. 8. b) Zwischen den einzelnen Arbeitstagen S. 144. 9. c) Zwischen größeren Zeiträumen S. 153: Oekonomische Konjunkturen. – »Soziale« Konjunkturen: Das »Bremsen«. »Weltanschauung« und Arbeitsleistung S. 155. 10. Geschlecht, Alter, Familienstand usw. in ihrem Einfluß auf die Arbeitsleistung S. 163. – 11. Akkordverdienste und Leistungsdifferenzen S. 175. 12. Stuhluhrmessungen und Leistungsschwankungen S. 183. 13. Uebungszuwachs und Stetigkeitszu nahme der Leistung. Anpassung der Leistung an die Lohnkalkulation S. 196. 14. Analyse einzelner Arbeitsleistungen und ihre Entwicklung: a) reine Handarbeit S. 219; b) Maschinenarbeit S. 222. 15. Resumé S. 232. 16. Weitere Fragen und Arbeitsaufgaben S. 242.


Bei den außerordentlichen Fortschritten der anthropologischen, physiologischen, experimentalpsychologischen, psychopathologischen Forschung erscheint es auf den ersten Blick überraschend, daß bisher der Versuch, Resultate dieser Disziplin mit der sozialwissenschaftlichen Analyse der wirtschaftlichen Arbeit in Beziehung zu setzen, nur in einigen Ansätzen (die später erwähnt werden) gemacht worden ist. Jeder Vorgang der »Arbeitsteilung« und »Spezialisierung«, insbesondere aber der »Arbeitszerlegung« innerhalb der modernen Großbetriebe, jede Aenderung des Arbeitsprozesses überhaupt durch Neueinführung und Aenderung von Arbeitswerkzeugen (Maschinen), jede Aenderung der[61] Arbeitszeit und der Arbeitspausen, jede Einführung oder Aenderung eines Lohnsystems, welche die Prämiierung bestimmter qualitativer und quantitativer Arbeitsleistungen bezweckt, – jeder dieser Vorgänge bedeutet ja in jedem einzelnen Fall eine Veränderung der an den psychophysischen Apparat des Arbeitenden gestellten Ansprüche. Welche Erfolge eine jede solche Aenderung erzielt, hängt also von den Bedingungen ab, unter denen jener »Apparat« funktioniert und bestimmte Leistungen hergibt. Wenn also z.B. das Verhältnis von Arbeitszeit, Arbeitslohn und Arbeitsleistung diskutiert oder sonst die Bedingungen und Wirkungen der Intensitätssteigerung der Arbeit erörtert werden, so spielen – neben verschiedenen anderen Dingen – doch stets auch jene grundlegenden Bedingungen der Arbeitsleistung hinein, deren Untersuchung zu den Aufgaben der erwähnten naturwissenschaftlichen Disziplinen gehört. Gleichwohl begnügen wir uns bei diesen Erörterungen innerhalb unserer Disziplin im allgemeinen mit, in der Fachsprache der Psychologen geredet: »vulgärpsychologischen« Erfahrungen und Erwägungen. Es könnte nun sein, daß dieser scheinbare »Mangel« für große Teile der Untersuchungen unserer Fachdisziplin seinen guten methodischen Grund hat: – worin dieser liegt, wird späterhin zur Sprache kommen. Allein hier stellen wir uns vorerst auf den, rein theoretisch, natürlich unanfechtbaren Standpunkt: es müßte, im »Prinzip«, möglich sein, auf Grund physiologischer, experimentalpsychologischer und vielleicht auch anthropologischer Erkenntnisse, auch Einsichten über die Voraussetzungen und Wirkungen der technischen und ökonomischen Veränderungen der Bedingungen industrieller Arbeit zu gewinnen.

Zweck der nachfolgenden Zeilen ist es nun: 1. die Schwierigkeiten verständlich zu machen, denen es zu zuschreiben ist, daß jene »im Prinzip« mögliche Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen zur Zeit noch so gut wie nicht stattfindet, – 2. zu fragen, in welchem Sinn und Maße vielleicht in Zukunft eine solche Zusammenarbeit möglich werden könnte.

Es erscheint dabei unvermeidlich, zu diesem Behuf hier den Versuch zu machen, einen – gegenüber der ausgedehnten Literatur freilich sehr summarischen – Ueberblick über eine Anzahl von experimentellen Untersuchungen zu gewinnen, auf deren Resultate es für unsere Gesichtspunkte wesentlich ankommen würde. Wenn ein auf jenen Gebieten so vollkommener Laie wie[62] ich dies Wagnis unternimmt, so geschieht dies natürlich in jeder Hinsicht »cum beneficio inventarii« und in der Erwartung, daß vielleicht gerade ein solcher Laienversuch mit den ihm notwendigerweise anhaftenden Mängeln den Fachmännern es erleichtern könnte, uns an denjenigen Punkten beizuspringen, an denen wir ihrer Hilfe am dringendsten bedürfen. An diesen Versuch muß sich dann die Frage schließen, ob und welche Verbindungslinien sich etwa zwischen den Untersuchungsmitteln der naturwissenschaftlichen Disziplinen zu denjenigen Mitteln, welche unsrer eigenen Facharbeit zu Gebote stehen, herstellen ließen, oder inwieweit die breite, heute hier klaffende Lücke als, sei es vorläufig, sei es dauernd, unausfüllbar anzusehen ist. Nur auf diese methodische Frage, nicht etwa auf den (wie sich leider zeigen wird, in fast jeder Hinsicht verfrühten) Versuch, schon jetzt irgendwelche Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Disziplinen direkt für die sozialwissenschaftliche Analyse zu verwerten, läuft diese Darstellung hinaus. –

Für alle sozialwissenschaftlichen Probleme der modernen (speziell der großindustriellen) Arbeit müßten »im Prinzip« die physiologischen und psychologischen Bedingungen der Leistungsfähigkeit (für konkrete Arbeiten) den Ausgangspunkt der Betrachtung bilden. Gleichviel nun, worauf der Besitz oder Nichtbesitz einer »Leistungsfähigkeit« für bestimmte Arbeiten bei einem Individuum beruht: – ob also ererbte Anlage, Erziehung, Ernährung oder andere Lebensschicksale ausschlaggebend an ihrer Entwicklung beteiligt waren, – immer äußert sich diese seine Arbeitseignung praktisch in der Art der Arbeitsökonomie seines psychophysischen Apparats. Daher stehen für die nachstehende Kompilation im Mittelpunkt der schwer zu übersehenden experimentalpsychologischen Literatur die umfassenden, auf äußerst intensiver Denkarbeit und höchst sinnreichen und mühevollen, mehr als ein Jahrzehnt fortgesetzten, Experimenten ruhenden Arbeiten des ausgezeichneten Psychiaters E. Kraepelin und seiner Schüler über die psychophysischen Voraussetzungen und Wirkungen von Arbeitsleistungen. In seinem, die Publikation dieser Arbeiten einleitenden Artikel legt Kraepelin die Gesichtspunkte dar, unter denen er an seine Untersuchungen herantrat: Von der Aphasielehre her habe sich die Psychiatrie gewöhnt gehabt, die Seele »monadologisch« in eine Unzahl von spezifischen Mächten zu zersplittern und demgemäß[63] psychische Leistungen anzusehen als »Ergebnis von Majoritätsbeschlüssen des Unterhauses der Wahrnehmungen und des Oberhauses der Erinnerungsbilder«. Es sei demgegenüber nötig, als entscheidend für den Ablauf psychophysischer Leistungen die »physiologischen Grundqualitäten« der Persönlichkeit anzusehen, welche die Art und Weise entscheiden, wie der einzelne die »Reize«, auf welche er »reagiert«, in sich »verarbeitet«. Auf die Ermittlung dieser »Grundqualitäten« des Arbeiters ist also die Untersuchung letztlich abgestellt, und, um diese zu ermitteln, muß von den möglichst einfachsten Grundkomponenten der Arbeitsleistung ausgegangen werden. Es liegt auf der Hand, wie sehr diese Fragestellung dem Interesse unserer Disziplin entgegenkommt. Im nachfolgenden wird daher durchweg von den Untersuchungen Kraepelins und seiner Schüler ausgegangen (insbesondere überall da, wo nicht im Text das Gegenteil ersichtlich gemacht ist). Andere Literatur ist nur ergänzend, insbesondere da, wo sie sich zu Kraepelin und seinen Schülern kritisch stellt, herangezogen1. Was an nicht experimentalpsychologischen[64] Arbeiten über Arbeitspsychologie und Physiologie sonst bereits existiert, bleibt vorläufig einmal beiseite. Wir stellen zunächst die wesentlichen Ergebnisse der Kraepelinschen und verwandter Arbeiten voran, um dann nach der Methodik zu fragen, die ihrer Herausarbeitung zugrunde liegt, und sie mit unseren eigenen methodischen Hilfsmitteln zu vergleichen.

Wenn man die Arbeitsleistungen eines kontinuierlich in bestimmter Art arbeitenden Menschen entweder direkt mittels geeigneter maschineller Vorrichtungen im Laboratorium oder aber durch Feststellung des Produktes nach Quantität und Qualität in möglichst kleinen Zeitintervallen mißt und das Ergebnis in ein Koordinatensystem als »Leistungskurve« einträgt, so zeigt diese Linie einen sehr unregelmäßigen, nicht nur auf den[65] ersten Blick, sondern auch nach bereits ziemlich eingehendem Studium schwer erklärlichen Verlauf, an dem zuerst nur ein gewisses Maß von Ansteigen bei Beginn der täglichen Arbeitszeit, ein gewisses (aber sehr verschieden starkes und abgestuftes) Fallen gegen Ende hin gemeinsam scheint. Auf die Komponenten dieses Verlaufs der »Arbeitskurve«, die man sich gleichfalls einzeln als Kurven darstellbar denkt, beziehen sich nun die folgenden Begriffe:

Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitk. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 61-66.
Lizenz:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon