Carricatur

[193] Carricatur. (Zeichnende Künste)

Eine Zeichnung, darin das Besondre in der Bildung, die einzele Personen charakterisiret, übertrieben und ins poßirliche übergetragen worden. Diese ursprüngliche Bedeutung des Worts ist hernach auch auf jede übertriebene Vorstellung des poßirlichen ausgedähnt worden: So sagt man von einem übertriebenen comischen Charakter im Lustspiel, es sey eine Carricatur. In dem Artikel poßirlich haben wir überhaupt unsre Meinung von diesen Vorstellungen geäussert. Hier merken wir insbesondre von den Carricaturen der zeichnenden Künste an, daß sie diese ästhetische Eigenschaft haben, durch das besondere, unerwartete und lebhafte, das sie an sich haben, starke und daurende Eindrüke in der Phantasie zurüke zu lassen. Sie sind demnach nicht, wie einige zu strenge Kunstrichter wollen, gänzlich zu verwerfen. Denn bey Gelegenheiten, wo das Lächerliche erfodert wird, kann eine gute Carricatur sehr dienlich seyn: Homers Beschreibung des Thersites und verschiedene Züge in der Odyssee von den Freyern der Penelope, gränzen sehr nahe daran.

Wir wollen also den zeichnenden Künstlern die Carricaturen, als Uebungen, gerne erlauben. Vermuthlich hat sich der sonst ernsthafte Leonhard von Vinci in dieser Absicht damit abgegeben. Es sollen in der Bibliothek der Mahleracademie zu Meiland sehr viel Carricaturen von seiner Hand auf behalten werden. Einige davon hat der Herr Graf von Caylus stechen lassen. Und man weiß, daß auch Hannibal Carrache sich damit beschäftiget hat, ob er gleich sonst unter die ersten gehört, die in dem grossen und ernsthaften Geschmak gearbeitet haben. Unter den Neuern hat Ghezzi es in einzeln Figuren und Bildnissen, an denen man die Personen genau kennt, und in ganzen Vorstellungen Hogarth, allen andern zuvorgethan. Die Kupfer, welche letzterer zu dem Hudibras gemacht hat, sind Meisterstüke, die den geistreichen Vorstellungen des Dichters noch mehr Leben mittheilen, und zugleich beweisen, wie diese Art der Arbeit mit Nutzen könne angewendet werden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 193.
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