Chaos

[132] Chaos (Gr. M.), das Uranfängliche, Formlose, woraus Alles, was Form hat, entstand, das allumfassende Urelement. - Aus diesem entstand Alles, was lebt und ist, die Götter sowohl, als Himmel, Luft, Erde, Meer und Alles, was diese bewohnt. Das Ch. verband sich mit der Finsterniss (Caligo) und erzeugte mit ihr den Aether, den Tag, den Erebus und die Nacht. Die Paare verbanden sich wieder unter einander, und so schufen Aether und Tag den Himmel, die Erde und das Meer; Erebus und Nacht aber hatten zu Kindern: das Schicksal, das Alter, den Tod, den Schlaf, die Träume (Phantasus, Morpheus, Momus), die Parcen, die Uneinigkeit, das Elend, den Zank, die Rache, aber auch die Heiterkeit, die Freundschaft, das Mitleid, endlich die Hesperiden (Aegle, Hesperia, Arethusa). - Von der Erde und dem Aether stammt eine nicht minder zahlreiche Nachkommenschaft: der Schmerz, das Verbrechen, die Furcht, die Lüge, der Meineid, die Unenthaltsamkeit, die Furien, der Hochmuth, die Blutschande; ferner der Ocean, der Pontus, der Tartarus, Themis, die Titanen. Man sieht, dass hier lauter personificirte Naturkräfte oder Eigenschaften zu finden sind, und dass diese im Verfolg der Erzeugungen immer mehr von einander getrennt wurden, bis die Titanen und die Götter sich um die junge Erde stritten, welche endlich durch Prometheus mit Menschen bepflanzt wurde, denen er das Feuer vom Olympus herab holte. So ist also das Ch. der formlose Ursitz aller Formen und Kräfte.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 132.
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